Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht
§§ 212, 13, 22, 23 StGB, § 1618a BGB – Versuchter Totschlag durch Unterlassen; hier: Garantenpflicht eines Kindes gegenüber Elternteil. §§ 221 Abs. 1 Nr. 2, 323c, 32 Abs. 2 StGB – Aussetzung durch Zurücklassen des tödlich getroffenen Angreifers; hier: Notwehrlage. § 238 Abs. 3 StGB – Nachstellung; hier: Stalking mit Todesfolge. (...)
II Prozessuales Strafrecht
§ 52 StPO – Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten; hier: Ehe nach islamischem Recht. Eine in Deutschland vorgenommene Eheschließung ist nur dann gültig, wenn sie in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen wird. Für eine analoge Anwendung von § 52 StPO auf hier (lediglich) nach islamischem Recht geschlossene „Ehen“ sieht der Senat keinen Anlass. Die Umdeutung einer nach islamischem Recht vorgenommenen, nach deutschem Recht nicht rechtsgültigen „Eheschließung“ in ein Verlöbnis kommt ebenfalls nicht ohne weiteres in Betracht. (BGH Beschl. v. 10.10.2017 – 5 StR 379/17)
§ 81b 2. Alt. StPO – Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten; hier: Reflexartige Anordnung der ED-Behandlung. Die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO soll vorsorgend sächliche Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten bereitstellen. Ein Beschuldigter darf nicht allein deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt wurde. Die Ermessensentscheidung über die Notwendigkeit der Anordnung der ED-Maßnahmen darf daher nicht reflexartig an die Beschuldigteneigenschaft anknüpfen, wenn das Strafverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits nach §§ 170 Abs. 2 StPO oder §§ 153 ff StPO eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen worden ist. Die Behörde hat ihrer Entscheidung deshalb den von der Anlasstat (verbliebenen) festgestellten Sachverhalt aus dem Strafverfahren zugrunde zu legen und zum einen die daraus verbliebenen Verdachtsmomente auf den konkreten Einzelfall bezogen zu begründen. Zum anderen muss sie hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Gefahr dartun, dass der Betroffene zukünftig (wieder) straffällig wird. (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13.6.2016 – OVG 1 S 71.15)
§ 100g Abs. 2 StPO i.V.m. § 113b TKG – Erhebung von Verkehrsdaten; hier: Funkzellenabfrage; Erhebung von retrograden Standortdaten; Ablauf der Überleitungsvorschrift des § 12 EGStPO. Mit Ablauf der Überleitungsvorschrift des § 12 EGStPO zum 29.7.2017, der die retrograde Erhebung der nach § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TKG gespeicherten Standortdaten bis 29.7.2017 auf der Grundlage des § 100g Abs. 1 StPO in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung einer Speicherfrist und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12.2015 ermöglichte, besteht keine gesetzliche Grundlage mehr, nach § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TKG gespeicherte Standortdaten rückwirkend zu erheben, § 100g Abs. 1 S. 3 StPO. Die Erhebung von retrograden Standortdaten ist ausschließlich auf der Grundlage von § 100g Abs. 2 StPO i.?V.?m. § 113b TKG zulässig.
Dies steht nach dem Willen des Gesetzgebers einer retrograden Funkzellenabfrage gemäß § 100g Abs. 3 i.?V.?m. § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO jedoch nicht grundsätzlich entgegen. Der Gesetzgeber ging bei der Regelung der Funkzellenabfrage in § 100g Abs. 3 StPO (Gesetz zur Einführung einer Speicherfrist und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12.2015) ausdrücklich davon aus, dass eine Funkzellenabfrage nicht ausschließlich die Erhebung von Standortdaten, sondern die Erhebung aller Verkehrsdaten beinhaltet, mithin auch die retrograde Funkzellenabfrage durch Heranziehung der gemäß § 96 TKG gespeicherten Verkehrsdaten grundsätzlich möglich ist, § 100g Abs. 3 S. 1 StPO. (BGH-ER, Beschl. v. 3.8.2017 – 1 BGs 237/17)
§§ 136a Abs. 1, 163a Abs. 4 S. 2 StPO – Verbotene Vernehmungsmethoden; hier: Täuschung bei polizeilicher Vernehmung. Zwar schließt § 136a Abs. 1 S. 1 StPO nicht die Anwendung jeder List bei einer Vernehmung aus. Die Vorschrift verbietet aber eine Lüge, durch die der Beschuldigte bewusst irregeführt und in seiner Aussagefreiheit beeinträchtigt wird.
Weiß der Vernehmende, dass aufgrund der bisherigen Ermittlungen kein dringender Tatverdacht bezüglich eines Mordes besteht, erklärt aber trotzdem, die vorliegenden Beweise ließen dem Beschuldigten keine Chance, er könne seine Lage nur durch ein Geständnis verbessern, so täuscht er ihn über die Beweis- und Verfahrenslage. (BGH, Beschl. v. 25.10.2016, Az.: 2 StR 84/16)
III Sonstiges
Beim Kölner „Auto-Raser-Fall“ (BGH, Urteil vom 6.7.2017 – 4 StR 415/16) hebt der BGH die Strafaussetzung zur Bewährung mit folgendem Hinweis auf: Eine Strafaussetzung zur Bewährung würde sich auf das allgemeine Rechtsempfinden und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts auswirken.
Einen sehr gelungenen Überblick über das Thema „Tatobjekt und Vortaten der Datenhehlerei (§ 202d StGB)“bietet ein Aufsatz von Dr. Dominik Brodowski und Nina Marnau in der NStZ 7/2017, S. 377ff. Einen lesenswerten Beitrag zum Thema „Gesetzliche Regelung des Einsatzes von V-Leuten im Rahmen der Strafverfolgung? Von Verfassungs wegen geboten“ von Prof. Dr. Björn Gercke finden Sie im StV 9/2017, S. 615-616.
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