Recht und Justiz

Mord bei Tötung durch Autoraserei?

2.2 Rechtliche Begründung des LG Berlin für sein „Rasermordurteil“

In seiner zusammenfassenden Betrachtung hat das LG Berlin den angenommenen Eventualvorsatz der Angeklagten H und N im Wesentlichen damit begründet, dass sie den „Erfolg“ ihrer Raserei (die tödlichen Verletzungen des Opfers W) in Kauf genommen hätten, denn sie hätten in Kenntnis der objektiven Gefährlichkeit ihres Verhaltens gehandelt und nicht mehr darauf vertrauen können, dass alles gut ausgehen werde. Den möglichen Tod eines querenden Fahrzeugführers hätten sie (zwar) nicht gewünscht, hätten ihn aber angesichts ihres Strebens nach Gewinn (des illegalen Straßenrennens) gleichgültig hingenommen. Ihre extreme Geschwindigkeit, Vollgas, die Missachtung roten Ampellichts, ihre „Blindfahrt“ und die Tatörtlichkeit als innerstädtischer Großstadtbereich hätten dem (Opfer) W keine Überlebenschance belassen, zumal auch die Angeklagten selbst keine Möglichkeit mehr gehabt hätten, das Unfallgeschehen durch ein Brems- oder Lenkungsmanöver zu vermeiden. Wollte man unter den gegebenen Umständen das Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes, und zwar insbesondere des voluntativen Elements, negieren, so liefe dies auf eine Aufweichung der Merkmalsbegrifflichkeit hinaus und würde eine (partielle) Neudefinition des bedingten Tötungsvorsatzes für Fälle der vorliegenden Art bedeuten. Die bedingt vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen lasse sich aber nur nach einheitlichen Maßstäben und nicht danach beurteilen, bei welcher Gelegenheit und in welchen Rahmen sie erfolge. Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass der Rechtsprechung zu bedingt vorsätzlichen Tötungsfällen die unterschiedlichsten Lebenssituationen wie Beischlaf mit Aids, Kindesmisshandlung oder sonst grobe Gewaltanwendung etc. zugrunde gelegen haben. Das LG Berlin hat sein Mordurteil gegen H und N, was den angenommenen bedingten Tötungsvorsatz angeht, auf rund zehn Seiten (!) eingehend und detailliert rechtlich begründet. Dabei standen zunächst die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, ein Vergleich mit anderen Fällen von Autorennen und -raserei mit tödlichen Folgen, die „nur“ zur Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung geführt hatten, sowie eine umfassende Betrachtung der Täterpersönlichkeiten neben der Würdigung der Tatumstände und der Bedeutung von Wissens- und Wollenselement beim Eventualvorsatz gerade im vorliegenden Fall im Focus der landgerichtlichen Betrachtung. Ergänzend wird zum Abschluss dann auch noch auf potenzielle Einwände gegen das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes eingegangen.

Was die Annahme eines Mordmerkmals nach § 211 StGB angeht, so hat das LG den Einsatz von „gemeingefährlichen Mitteln“ bei der Tötung des Opfers W angenommen, aber „niedrige Beweggründe“ als ein weiteres Mordmerkmal nach § 211 StGB bei der Durchführung der Tat „nicht mit letzter Sicherheit bejaht.“ Letzteres bedarf keiner weiteren Kommentierung. „Gemeingefährlich“ sind solche Tatmittel, deren Wirkungsweise der Täter im konkreten Fall nicht sicher beherrschen kann und deren Verwendung grundsätzlich geeignet ist, eine größere Zahl von Menschen an Leib oder Leben zu gefährden, also eine allgemeine Gefahr entstehen zu lassen, wie zum Beispiel bei der Tötung durch Brandstiftung, Explosivmittel, Vergiftung von Essen in einer Gemeinschaftsküche etc. Diese Mordqualifikation hat ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch Schaffen unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen versucht. Dabei ist die Unbeherrschbarkeit auch bei Tatmitteln zu bejahen, die zwar für sich nicht gemeingefährlich, aber aufgrund ihrer konkreten Verwendung nicht mehr kontrollierbar sind, wie z.B. der PKW eines „Geisterfahrers“ auf der Autobahn. Das Merkmal ist im Übrigen auch dann erfüllt, wenn letztlich nur eine Person getötet wird, obwohl theoretisch eine unbestimmte Vielzahl hätte getötet werden können. So hat der BGH in einem Fall dieses Mordmerkmal angenommen, bei dem der Täter ein Kraftfahrzeug in zügigem Tempo über Gehwege mit dichtem Fußgängerverkehr unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen gelenkt hatte. In seiner Begründung für die Annahme, dass H und N die Tötung des W mit „gemeingefährlichen Mitteln“ begangen hätten, führt das LG aus, dass die Täter mit besonderer Rücksichtslosigkeit und unfähig, das Geschehen noch irgendwie zu beherrschen, für einen nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebens- und Todesgefahr geschaffen hätten. Diese Gefahr habe sich für das Opfer W (und auch für die verletzte Zeugin K) in tragischer Weise realisiert. Vergleichbar sei dies alles, so das LG, mit einer vom BGH entschiedenen „Geisterfahrt“ mit drei Getöteten und drei Schwerverletzten.

2.3 Rechtliche Bewertung des LG-Urteils durch das Revisionsurteil des BGH

Abgesehen von der bereits angesprochenen Verwerfung eines mittäterschaftlichen Tötungsdeliktes durch H und N, auf die hier aus den vorgenannten Gründen nicht eingegangen wird, hält der BGH vor allem die Annahme des LG Berlin, dass beide das Opfer W vorsätzlich getötet hätten, für rechtsfehlerhaft. Der Vorsatz müsse bei Begehung der Tat vorliegen, woraus folge, dass sich wegen eines vorsätzlichen Deliktes nur strafbar mache, wer ab Entstehung des Tatentschlusses noch eine Handlung vornehme, die den tatbestandlichen Erfolg herbeiführe. Feststellungen dazu habe das LG nicht getroffen. Vielmehr habe es mehrfach ausgeführt, dass die Angeklagten beim Einfahren in den betreffenden Kreuzungsbereich bereits keine Möglichkeit zur Vermeidung der Kollision mehr besaßen. Sie hätten sich durch ihr Verhalten, insbesondere ihre Geschwindigkeit „jeglicher Reaktionsmöglichkeit beraubt.“ Ein unfallursächliches Verhalten der Angeklagten, das zeitlich mit der Fassung des Tötungsvorsatzes zusammenfiel oder nachfolgte, sei dem Urteil nicht zu entnehmen. „Dass der Tötungsvorsatz ab einem Zeitpunkt vorlag, als die tödliche Kollision bereits nicht mehr zu verhindern war, ist für die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts rechtlich bedeutungslos.“ Kurz gesagt wirft der BGH dem LG Berlin eine Art Denkfehler vor, weil niemand vorsätzlich handeln könne, der nicht handlungsfähig sei. Weiter moniert der BGH eine rechtlich mangelhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der subjektiven Tatseite. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliege, erfordere insbesondere bei Tötungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände. Dabei sei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Wollenselement des bedingten Vorsatzes. Es komme aber immer auf die Umstände des Einzelfalles an, also auch auf die den Vorsatz in Frage stellenden Umstände. Diesen Anforderungen würden die Beweiserwägungen der Strafkammer (des LG) nicht gerecht, da sich das angefochtene Urteil mit einem wesentlichen vorsatzkritischen Gesichtspunkt – der möglichen Eigengefährdung der Angeklagten im Falle einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug – nicht in rechtlich tragfähiger Weise auseinandergesetzt habe. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person bzw. die Herbeiführung eines Unfalls angelegt seien, könne eine vom Täter erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut habe. Demgegenüber habe die Strafkammer bei ihrer Würdigung des Geschehens dem Gesichtspunkt einer möglichen unfallbedingten Eigengefährdung bereits im Ansatz jegliches Gewicht abgesprochen, indem sie davon ausgegangen sei, dass sich die Angeklagten in ihren Fahrzeugen sicher gefühlt hätten. Dies aber sei bereits für sich mit einem nicht existierenden Erfahrungssatz rechtsfehlerhaft begründet worden. Ferner habe das LG bezüglich der zwei Insassen des Unfallfahrzeuges des N auch noch zwei einander widersprechende Gefährdungseinschätzungen vorgenommen. Für den BGH fällt damit die Verneinung einer Eigengefährdung von H und N als Argument für einen Tötungsvorsatz beider Personen aus.

2.4 Stellungnahme des Verfassers

Es soll vorweg festgestellt werden, dass die Annahme des Mordmerkmals „gemeingefährliche Mittel“ bei der Tötung des W im LG-Urteil – für sich – vom Verfasser letztlich nicht in Zweifel gezogen wird, auch wenn es darauf bei fehlendem Vorsatz beider im Sinne des Revisionsurteils letztlich nicht mehr ankommt. In der Tat gibt es zahlreiche Fälle, wo Kraftfahrzeuge – per se nicht gemeingefährlich – als solche Mittel unkontrollierbar bzw. unkontrolliert eingesetzt worden sind mit großer Lebensgefahr für eine unbestimmte Zahl von unschuldigen Menschen und tragischen Tötungen infolgedessen. Zwar dürfte der vom LG vergleichsweise herangezogene „Geisterfahrerfall“ tatsächlich insoweit nicht vergleichbar mit dem von ihm entschiedenen Fall sein, weil dort der Fahrer in Suizidabsicht gehandelt hatte. Diese ist den Angeklagten H und N offensichtlich nicht zu unterstellen. Aber zahlreiche Attentate mit Hilfe von Kraftfahrzeugen der letzten Jahre, u.a. auf dem Berliner Breitscheidplatz, zeigen, wie diese kurzerhand zu „gemeingefährlichen Mitteln“ umfunktioniert werden können. Dies gilt es, auch bei Autorasereien mit tödlichen Folgen nie aus den Augen zu verlieren. Unabhängig davon ist die entscheidende Weiche für die Mordverurteilung von H und G nach § 211 StGB ein Schritt vorher gestellt worden, nämlich dadurch, dass das LG bei ihnen für die verursachte Tötung des Opfers W Eventualvorsatz angenommen hat. Erst dadurch wurde der Weg zu den Mordmerkmalen des § 211 StGB eröffnet bzw. frei gemacht. Hätte das LG „nur“ eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB angenommen, entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, wäre der Weg zu § 211 StGB versperrt gewesen, weil insoweit eine vorsätzliche Tötung, wenn auch nur mit der schwächsten Form des Eventualvorsatzes, vorausgesetzt ist. Daran ist allerdings bemerkenswert, dass nach geltendem Recht – § 15 StGB – nicht nur auf eine Legaldefinition des „Vorsatzes“ verzichtet, sondern auch in keiner Weise insbesondere bei Totschlag oder sogar Mord zwischen den drei Vorsatzarten differenziert wird. Damit muss also bei klarer Erfüllung eines Mordmerkmales die lebenslange Haft ausgesprochen werden, gleichgültig, ob die Tötung eines anderen Menschen vom Täter absichtlich oder „nur“ – wie nach Auffassung des Berliner LG im „Raserfall“ – mit Eventualvorsatz begangen wurde. Dies deutet, wie Walter überzeugend feststellt, auf eine „Schwäche des deutschen Strafrechts“ hin und erscheint letztlich „ungerecht.“ Aber wie dem auch sei: die Mordverurteilung von H und N hängt damit entscheidend davon ab, ob ihnen der bedingte Vorsatz vom LG zurecht unterstellt werden konnte, was der BGH in seinem Revisionsurteil jedenfalls mit den im LG-Urteil dazu vorgebrachten Erwägungen zurückgewiesen hat.