Polizei

Wenn Betreuung polizeitaktisch wird

Hört man das Wort „Betreuung“, denkt man zunächst möglicherweise an die Beaufsichtigung von Kindern, an den Mannschaftsbetreuer im Sportverein oder aber an die vormundschaftliche Begleitung von minderjährigen, erkrankten oder älteren Menschen. Im Sprachgebrauch ebenso bekannt sind die medizinische oder die psychosoziale Betreuung.

3 Chancen und Grenzen einer taktischen Betreuung

Im Wesentlichen zielt eine taktische Betreuung auf die Erlangung notwendiger Informationen bei ad hoc-Einsätzen. Dieses Ziel soll der situationsangemessene Umgang mit potentiellen Hinweisgebern maximal unterstützen. Das kann bei komplexen Sofortlagen8 zu großen Herausforderungen für die Polizei werden, da bei diesen Einsatzanlässen häufig sehr viele Menschen angetroffen werden und die ersteintreffenden BOS-Einheiten nicht selten sehr große Informationsmengen zu verarbeiten haben. Nicht immer ist also zügig zu erkennen, wer ein wichtiger Hinweisgeber sein könnte und wer sich lediglich mit aufgeschnappten Drittinformationen in den Vordergrund drängen will. In jedem Fall fordert die PDV 100, die Betreuten abzuschirmen und insbesondere vor Medienkontakten zu schützen. Nicht alle Medienvertreter zeigen die erforderliche Sensibilität gegenüber Opfern oder deren Angehörigen. Ihre Motive sind zuweilen eher monetärer Natur. Die Polizei sollte also eine räumliche Betreuungsumgebung schaffen, in der sie sowohl die für sie erforderlichen Informationen erhält und gleichzeitig Zeugen, Opfer oder Betroffene vor pietätlosen Attacken Dritter geschützt sind. Neben übereifrigen Presseleuten sind bekanntermaßen sehr schnell auch viele Gaffer am Unglücksort und äußerst interessiert daran, das weltweite Netz zügig mit Fotos und Filmen zu füttern.

Andererseits ist es wichtig, dass die Informationen der Betreuten an die Polizei nicht lediglich die Wiedergabe jüngst aufgeschnappter Medienmeldungen sind. Idealerweise sollten Betreute sich also erst den Medien anvertrauen, nachdem sie mit der Polizei gesprochen haben. Diese Kooperation ist allerdings kaum erzwingbar und lässt sich nur durch schnelles Polizeihandeln und geschickte Kommunikation herstellen.

Die taktische Betreuung steht insofern in engem Kontakt mit der – in der Praxis wohl bekannteren – Maßnahme der taktischen Kommunikation9. Das leuchtet ein, denn wer situationsangemessen und ergebnisorientiert betreuen will, der muss auch situationsangemessen und ergebnisorientiert kommunizieren können. Erfolgsentscheidend ist schlicht, den „richtigen Ton zu treffen“ und die ohnehin verschreckten Menschen nicht durch zu forsches Auftreten zusätzlich zu verunsichern. Es gilt vielmehr, die potentiellen Hinweisgeber zu stabilisieren und sehr zügig ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Gänzlich unpassend wäre hierbei gewiss, den Zeugen mit offenen oder unterschwelligen Schuldvorwürfen zu belasten oder ihn „von oben herab“ zu behandeln. Auch eine Bagatellisierung vorgetragener Ängste wird nicht dabei helfen, ein latentes Misstrauen gegen polizeiliche Befragungen zu beseitigen. Eine Forderung aus der PDV 100 lautet daher wenig überraschend: Einsatzkräfte sollen aufgabenspezifisch für die taktische Betreuung befähigt sein10.

Dies alles klingt nach hohen Anforderungen an die Polizeibeamt/innen, die als taktische Betreuer eingesetzt werden. Das ist richtig, fest steht jedoch auch, dass es zum permanenten Berufsrepertoire der Beamt/innen gehört, situationsangemessen mit Menschen umzugehen und zu kommunizieren. Egal ob es sich um herkömmliche Alltagssituationen handelt oder um bedrohliche Krisenlagen. Taktische Betreuung verlangt also nicht immer zwingend besonders aufwändig beschulte Spezialkräfte. Insgesamt gilt es, den hohen Nutzen einer guten taktischen Betreuung zu erkennen und günstige Erfolgschancen nicht leichtfertig aus der Hand zu geben.

Eines ist allerdings zu bedenken: Eine taktische Betreuung (durch die Polizei) ersetzt keine medizinische oder psychologische Versorgung. Wenn dieses Bedürfnis offensichtlich ist, sind die medizinische oder die fachpsychologische Hilfe vorrangig zu gewährleisten. Emotionsgeladene Konkurrenzdiskussionen gehören eher in mittelmäßige Filmfiktionen, nicht aber in die Alltagswirklichkeit deutscher BOS und Hilfsdienste. Möglich bzw. sinnvoll könnte sogar eine parallele Betreuung sein. Die Polizeidienstvorschrift erklärt allerdings, dass hinzugezogenes Fachpersonal unter Aufsicht und Weisung der Polizei steht. In diesen Fällen muss eine sachliche Kommunikation ansetzen, die weniger an vermeintlichen Primärzuständigkeiten, sondern vielmehr an den zu betreuenden Menschen ausgerichtet ist. Ein offener Disput darüber, wer zuerst „ran darf“ und „das Sagen hat“, dürfte das Vertrauen in die BOS nicht unbedingt stärken und wenig professionell wirken. Mithin wird in der Definition der „taktischen Betreuung“ von einer Herstellung und einem Erhalten der Kooperationsfähigkeit betroffener Menschen gesprochen. Dies lässt sich vermutlich ideal erreichen, wenn die Polizei frühzeitig ganz bewusst mit medizinischem und/oder psychologischem Fachpersonal zusammenwirkt.

Auch wenn es keine vorrangigen Hilfs- und Betreuungsnotwendigkeiten anderer Partner gibt, sind der Polizei Grenzen der taktischen Betreuung gesetzt. Die PDV 100 drückt es unmissverständlich aus: „Taktische Betreuung ist nur solange durchzuführen, bis der polizeiliche Zweck erfüllt ist“. Kritiker mögen das bildhaft als „Ausquetschen wie eine Zitrone und fallen lassen wie eine heiße Kartoffel“ bewerten. Mancher mag es auch als „empathieloses Ausnutzen“ (miss)verstehen. Dies alles kann die Polizei gelassen hinnehmen, solange sie sicherstellt, dass die notwendige medizinische oder psychologische Versorgung nicht zu spät einsetzt und dass sie nach Abschluss ihrer Befragung eine lückenlose Folgebetreuung durch originäres Fachpersonal organisiert. Grundsätzlich sollte man getrost darauf vertrauen, dass BOS und Hilfseinrichtungen Hand in Hand arbeiten und kein Interesse an internen „Wer-Wann-Was-Streitereien“ haben.