Recht und Justiz

Mord bei Tötung durch Autoraserei?

2.1 Vorbemerkungen zu einigen rechtlichen Schwierigkeiten des Falles

Das LG Berlin nimmt in seiner Entscheidung an, dass H und N die Tötung des Opfers W zunächst einmal bedingt vorsätzlich verursacht hätten. Vorsätzlich verübt eine Straftat grundsätzlich, wer wissentlich (Wissenselement) und willentlich (Wollenselement) handelt. Beides muss sorgfältig und nachvollziehbar begründet werden, weil davon entscheidend das insoweit besonders hohe Strafmaß abhängt. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass es sich hierbei um ein rein subjektives Tatbestandselement handelt, das auf die innere Vorstellung des Täters abstellt, also darauf, was sich bei Ausübung der Tat in seinem Kopf abgespielt hat und damit nicht äußerlich sichtbar ist. Und dies muss entweder durch Geständnis hier beider Täter (H und N bestreiten natürlich, den W vorsätzlich getötet zu haben) oder durch überzeugende und nachvollziehbare Indizien, die einen Rückschluss auf einen Tötungsvorsatz zulassen, nachgewiesen werden. Bleiben gerichtliche Zweifel, muss nach dem strafrechtlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ insoweit Freispruch erfolgen. Wichtig ist bei alledem weiter, dass eine vorsätzliche Tat sauber abgegrenzt wird von einer „nur“ fahrlässigen. Grundsätzlich sind gem. § 15 StGB nur vorsätzliche Taten strafbar, fahrlässige ausnahmsweise. Bei Tötungsdelikten wird allerdings auch fahrlässiges Verhalten bestraft mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Strafrahmen bei Totschlag nach § 212 StGB (nicht unter 5 Jahren Freiheitsstrafe) oder gar bei Mord nach § 211 StGB (lebenslange Freiheitsstrafe) wesentlich höher ausfällt als bei „nur“ fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe). Interessant ist hierbei, dass die Rechtsprechung bei Tötungsfällen im Zusammenhang mit illegalen Straßenrennen bislang schon mehrfach u.a. nach § 222 StGB, aber bis zum Urteil des LG Berlin vom 27.2.2017 noch nie nach § 211 StGB verurteilt hat.

Für die Abgrenzung des Vorsatzes von bloß fahrlässigem Verhalten – für beides fehlt es an strafgesetzlichen Legaldefinitionen – ist von besonderer Bedeutung, dass sich in Rechtsprechung und Wissenschaft im Wesentlichen jeweils drei „Spielarten“ entwickelt haben, nämlich beim Vorsatz

  • Absicht (Täter will den Tod des Opfers, dieser ist sein Ziel)
  • Direktvorsatz (T ist sicher, das Opfer stirbt, obwohl sein Ziel ein anderes ist)
  • Eventualvorsatz oder bedingter Vorsatz (Mindestvoraussetzung für vorsätzliches strafbares Verhalten)
  • und bei derFahrlässigkeit
  • bewusste Fahrlässigkeit
  • unbewusste Fahrlässigkeit (Täter lässt die gebotene Sorgfalt außer Acht und führt folglich den Tod des Opfers herbei, ohne dies zu erkennen)
  • Leichtfertigkeit (Täter begeht bewusst oder unbewusst einen besonders groben Sorgfaltsverstoß, bei dem man den Erfolgseintritt ohne Weiteres hätte erkennen können)

Zum Inhalt des Eventualvorsatzes (leichteste Vorsatzform) und zur schwierigen Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit (schwerste Fahrlässigkeitsform) gibt es inzwischen eine fast unübersehbare Literatur mit vielen unterschiedlichen Theorien, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Für die Praxis ist die Rechtsprechung entscheidend und hier in erster Linie die des BGHSt. Dabei bietet auch die höchstrichterliche Strafrechtsprechung insoweit leider kein einheitliches Bild, was die Auseinandersetzung mit diesem Begriff in der Rechtsprechung unterhalb des BGH sehr schwierig macht.

Nach der „Einwilligungs- oder Billigungstheorie“ des BGH liegt bedingter Vorsatz vor, wenn der Täter den Erfolgseintritt (hier Tötung eines Menschen) als möglich, nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und mit dem Eintreten des Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn „billigend in Kauf nimmt“ oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Allerdings hat der BGH in diesem Zusammenhang zugleich die sog. „Hemmschwellentheorie“ entwickelt, die eine besonders hohe Hemmschwelle des Täters vor Bildung eines Tötungsvorsatzes postuliert, um der allzu raschen Bejahung vorsätzlicher Tatbegehung durch die Tatgerichte (wie LG Berlin) entgegenzuwirken. Die „Hemmschwelle“ sei z.B. nicht überwunden, wenn ein einsichtiger Beweggrund für eine so schwere Tat nicht erkennbar sei. Diese Theorie wurde aber zugleich durch den BGH selbst mit seiner Entscheidung vom 22.3.2012 wieder eingeschränkt mit dem Hinweis, der Tatrichter dürfe den Beweiswert der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Würdigung weiterer Beweisanzeichen (für einen Eventualvorsatz) verzichtet werde. Vielmehr wird insoweit eine besonders genaue Prüfung (eines Eventualvorsatzes) anhand einer Gesamtschau aller relevanten objektiven und subjektiven Tatumstände gefordert. Dazu dann aber die wiederholte Ermahnung des BGH, dass an das (unverzichtbare) Willenselement auch beim Eventualvorsatz nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürften. Handele der Täter in Kenntnis der besonderen Gefährlichkeit seines Tuns und sei er sich des damit verbundenen großen Gefahrenpotenzials bewusst, liege es nahe, dass er die weitere Entwicklung dem Zufall überlasse. Da genüge aber die Hoffnung, es werde nichts passieren, nicht, um eine Billigung des für möglich gehaltenen Erfolgs zu verneinen.

Es liegt auf der Hand, dass diese hoch differenzierte Inhaltsbestimmung des Eventualvorsatzes mit einer weiteren großen Schwierigkeit einhergeht, nämlich der klaren Abgrenzung zu einem „bewusst fahrlässigen“ Verhalten des Täters. Dieses liegt vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft, nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Von dieser Abgrenzung hängt für den Täter eines Tötungsdeliktes ab, ob er nur mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren (Totschlag nach § 212 StGB) bzw. zwingend mit lebenslanger Freiheitsstrafe (schwerer Totschlag nach § 212 (2) StGB bzw. Mord nach § 211 StGB) verurteilt werden kann. Diese für das weitere Leben des Täters existentiell höchst unterschiedlichen strafrechtlichen Folgen hängen – etwas oberflächlich formuliert – letztlich davon ab, ob er bei der Tathandlung nach dem Motto „wird schon gut gehen“ (bewusste Fahrlässigkeit) oder nach dem Motto „na wenn schon“ (Eventualvorsatz) gehandelt hat. Hieran zeigt sich, wie überaus schmal der Grat der Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist.