Islamistisch-salafistische sowie jihadistische Akteure und ihre Verbindung zur aktuellen Flüchtlingssituation in Deutschland
Von Dr. rer. pol. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei, Lübeck
1. Einleitung
Spätestens der islamistisch-terroristische Anschlag des tunesischen Flüchtlings Anis Amri am 19.12.2016 auf einen Berliner Weihnachtsmarkt – der mindestens 12 Menschen tötete und über 50 Menschen (schwer) verletzte – sowie die islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate der Jahre 2015 und 2016 in Frankreich, Belgien, Dänemark und Deutschland (u.a. am 7.1.2015, 13.11.2015, 14.7.2016, 22.3.2016, 14.2.2015, 18.7.2016, 24.7.2016) und die durch Zugriffe der GSG 9 in sechs Flüchtlingseinrichtungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen am 13.9.2016 verhinderten Anschläge sowie die verhinderten Anschläge auf Berliner Flughäfen durch die Festnahme des syrischen Flüchtlings Al Bakr am 10.10.2016 in Leipzig verdeutlichen die gegenwärtige Gefahr des islamistischen Terrorismus für demokratische Staaten wie Deutschland.
Die islamistisch-terroristischen Anschläge vom 13.11.2015 in Paris haben gezeigt, dass sich der IS des aktuellen Flüchtlingsstroms bedient, um (Selbstmord-)Attentäter zur Begehung von Anschlägen nach Europa zu schleusen.1 Nach Aussage des Bundesamtes für Verfassungsschutz liegen den deutschen Sicherheitsbehörden Hinweise auf ein gezieltes beziehungsweise organisiertes Einschleusen von Mitgliedern und/ oder Unterstützern terroristischer Organisationen im Flüchtlingsstrom mit dem Ziel der Begehung von Anschlägen in Deutschland vor.2 Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden im Zeitraum Januar bis Dezember 2015 im EASY-System 1,091894 Millionen Zugänge von Asylsuchenden erfasst.3 Nach Angaben des Bundesministerium des Innern haben im Zeitraum Januar bis September 2016 in Deutschland 643 211 Personen Asyl als Erstantrag beantragt.4 Gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr – von Januar bis September 2015 – bedeutet dies eine Erhöhung um 116,8%.5
Die Verfassungsschutzämter analysieren, dass das größte islamistisch-terroristische Bedrohungspotential aktuell sowohl von deutschen bzw. europäischen Jihad-Rückkehrern aus Syrien und dem Irak als auch von Personen ausgeht, die sich ohne Teilnahme am Jihad radikalisiert haben und islamistisch-terroristische Anschläge und/ oder Attentate unterstützen, vorbereiten oder durchführen wollen.6
Mit Blick auf die islamistisch-terroristischen Attentate bzw. Anschläge bei Würzburg und in Ansbach erklärte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen im Herbst 2016, dass es auch schon vor Ansbach und Würzburg islamistisch motivierte Attacken in Deutschland gegeben habe – u.a. auf einen Bundespolizisten in Hannover und einen Sikh-Tempel in Essen. „Die Lehre daraus ist: Wir dürfen uns nicht nur konzentrieren auf den IS, der möglicherweise Terrorkommandos nach Europa schickt, wie in Paris oder Brüssel. Sondern es können auch Einzeltäter sein, die sich selbst radikalisieren oder Aufträge erhalten.“7 Dies bewahrheitete sich auf tragische Art und Weise beim islamistisch-terroristischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin am 19.12.2016. Daher untersucht dieser Aufsatz das islamistisch-terroristische Personenspektrum, seine Radikalisierung und Rekrutierung für Anschläge und Attentate in Deutschland und Europa sowie seine Beziehung zu den Flüchtlingsbewegungen der Jahre 2015 und 2016.
2. Die islamistischen Akteure und ihre Taktik zur Rekrutierung, Indoktrinierung und Radikalisierung
2.1. Internationale Angehörige islamistisch-terroristischer Organisationen
Die für die Anschläge am 13.11.2015 in Frankreich – bei denen 130 Menschen getötet und 352 Menschen verletzt wurden – verantwortlichen internationalen islamistisch-terroristischen Akteure nutzten zum ersten Mal Sprengstoffwesten in Form von Selbstmordattentaten als terroristisches Mittel auf europäischem Gebiet. EUROPOL analysiert, dass diese seither wiederholt (Brüssel, Ansbach) verwendet wurden und bezeichnet Selbstmordattentate mit Hilfe von Sprengstoffwesten als „mögliches Tatmittel der Zukunft“.8 EUROPOL analysiert, dass der IS über „neue gefechtsartige Möglichkeiten“ verfügt, in Europa „eine Reihe groß angelegter Terroranschläge“ zu verüben und geht davon aus, dass alleine der IS mindestens 5000 – in Syrien und im Irak kampferfahrene – Jihadisten nach Europa einschleusen konnte.9 Darüber hinaus betont EUROPOL in einem aktuellen Bericht, dass die islamistisch-terroristischen Einzeltäter der Anschläge in Orlando/ USA, Magnaville/ Frankreich, Nizza, Würzburg und Ansbach individuell geplant und operiert haben und der IS nicht direkt logistisch und taktisch-operativ diese Anschläge orchestriert habe.10 Mit ihrer Strategie, islamistisch-terroristische Einzeltäter für einen „individuellen Jihad“ einzusetzen, sprechen islamistisch-terroristische Organisationen wie die Al Qaida und der IS einerseits Einzeltäter des in Europa aufgewachsenen und sozialisierten homegrown-Spektrums und andererseits als Flüchtlinge getarnte und nach Europa eingereiste „Schläfer“ an.
2.2. Homegrown-Akteure des salafistisch-jihadistischen Spektrums
Neben der Bedrohungslage durch organisationsgesteuerte islamistisch-jihadistische Terroranschläge (IS, Al Qaida u. a.) geht weiterhin eine besondere Gefahr von religiös-ideologischen Sympathisanten aus, welche durch die gemeinsame jihadistische Ideologie radikalisiert wurden, aber keine direkte organisatorische Anbindung an eine islamistische-jihadistische Organisation haben. Das Attentat von Arid Uka auf US-amerikanische Soldaten am 2.3.2011 am Flughafen Frankfurt/Main – bei dem er zwei US-Soldaten tötete – gilt als der erste in Deutschland vollendete islamistische Terroranschlag. Soweit sich die islamistisch-salafistischen Akteure im Inland – ohne unmittelbare persönliche Anbindung an internationale jihadistische Terrororganisationen radikalisiert haben, sprechen die Sicherheitsbehörden von homegrown (engl. hausgemacht, sprich: in einem westlichen, demokratischen Land aufgewachsen und/ oder geboren) Terroristen.11
Anhänger des salafistisch-jihadistischen Personenspektrums wollen das Ziel eines nach ihrer Interpretation des Islam geordneten menschlichen Zusammenlebens durch die Anwendung von Gewalt realisieren. Bei konkreter Ausübung von Gewalt erfüllen Jihadisten die Kernmerkmale terroristischer Handlungen. Es handelt sich dabei um einen nachhaltig geführten Kampf für politisch-ideologische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen.12
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