Hure oder Opfer?
(Mehr als nur) eine Frage der Ehre
Es sind allerdings zumeist in ausbeuterischer Absicht handelnde Personen und Organisationen, die diese „Hilfe“ anbieten: Kriminelle, Abzocker, Menschenhändler, Schlepper und Zuhälter… Legale und seriöse, auf das Wohlergehen und die Sicherheit der Migrantinnen Wert legende Vermittler und Vermittlungsagenturen gibt es dagegen nicht oder sie sind rar.
Foto: A. Lemberger
Nun gibt es – spätestens seit der EU-Mitgliedschaft von Rumänien und Bulgarien im Jahre 2007 – vermehrt junge Frauen, die aus und über diese beiden EU-Staaten und von anderen Balkanstaaten aus nach Deutschland gehandelt werden, um dann hier in der Prostitution oder Sexsklaverei zu landen. Diese Frauen aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn, aus der Slowakei, Albanien und anderen Balkanstaaten gehören fast ausschließlich dort lebenden Minderheiten (so den Romas) an. Die vorwiegend in Ghettos oder aber in armen, ländlichen Gebieten rekrutierten Frauen und Kinder müssen nicht erst angeworben, getäuscht und mit falschen Versprechungen angelockt werden. Sie werden – zumeist von Mitgliedern der eigenen Ethnie- ausgesucht, nach Deutschland verbracht und hier je nach Eignung (manchmal auch nach spezieller Schulung oder Abrichtung) eingesetzt und dabei oft streng kontrolliert und überwacht: Als Trickdiebe und Trickdiebinnen, als Betrüger(innen), als Klaukids oder in der Bettelei, als Rosenverkäufer, auf dem Straßen- oder auf dem Schwulenstrich.
„Die allermeisten der hier lebenden 17-Jährigen haben das Ghetto noch nie in ihrem Leben verlassen…“ erzählt eine Sozialarbeiterin von FLORIKA, einer von „Terre des Femmes“ und „Brot für die Welt“ getragenen Hilfsorganisation im Roma-Ghetto von Burgas in Bulgarien. „Warum sollten sie auch“ erläutert sie das Unglaubliche: „Der Busfahrer draußen an der Ausfallstraße nimmt sie nicht mit, auf den Gehwegen werden sie beschimpft und bespuckt, Geschäfte dürfen sie nicht betreten, am Strand werden sie verjagt, Geld haben sie keines in der Tasche…“
Unweit solcher Ghettos wie in Burgas (etwa 8000 Bewohner) gibt es oft prächtige Villen, die denen gehören, die diese junge Frauen und Kinder rekrutieren, die Kleintransporter für die Fahrt nach Deutschland einschließlich der Aufpasser, Zuhälter und Geldeintreiber zur Verfügung stellen. Clan-Chefs, OK-Bosse – Mächtige und Profiteure der schmutzigen Geschäfte mit der Ware Mensch. „Ich will keine Prostituierte auf der Straße sondern ein guter Mensch werden. Wenn ich erwachsen bin, will ich studieren und dann Rechtsanwältin sein…“ erzählte ein von FLORIKA betreutes, kaum 10-jähriges Mädchen. So und so ähnlich träumen viele in den Ghettos. Oft aber – zu oft – kommt es anders.
Albanische Clans, die den Frauen- und Kinderhandel sowie die Sexsklaverei zu ihren Geschäftsfeldern zählen (und die auf deutschen Rotlichtmeilen spätestens seit den 1990er-Jahren präsent sind), haben zu diesem Zweck dem KANUN, dem Gesetz der (albanischen) Berge, einem über Jahrhunderte überlieferten, ungeschriebenen Regelwerk wieder Leben eingehaucht – weil dieser KANUN Elemente enthält, welche für die Rekrutierung und Ausbeutung der Ware Frau und Kind sehr von Vorteil und von Nutzen sind.
So ist die Frau (und das weibliche Kind) nach dem KANUN weitestgehend rechtlos. Frauen und Mädchen sind der Besitz des Mannes und ihm untertan, was bis heute noch viele Albanerinnen, vor allem in ländlichen Gebieten so hinnehmen oder hinzunehmen haben. Es gibt in Albanien ein gängiges Sprichwort: „Die Frau hat den Mund nur dann aufzumachen, wenn sie ißt!“ Wiederstand, Verweigerung, Ungehorsam werden als Gesetzesverstöße oder gar als Verrat gesehen und geahndet. Und Verrat wird nach dem „Gesetz der Berge“ mit dem Tode bestraft.
Die Fahrt der kleinen, deutschen Delegation ging über Stunden und führte hinauf in die wilde und unwegsame, zerklüftete Bergwelt Albaniens. In völliger Abgeschiedenheit und Einsamkeit plötzlich und völlig überraschend eine Polizeipatrouille. „Die Beamten bewachen hier in der Einsamkeit ein staatliches Versteck für Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei“, wurde erklärt. „Hier sind junge Frauen untergebracht, die verbrecherischen Clans entkommen sind, was als Verrat gilt, weshalb ihr Leben bedroht ist und weshalb ihnen staatlicher Schutz gewährt wird…“ Elena, ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen sitzt in sich zusammengesunken auf einem Stück Holz und sie erzählt unter Tränen von ihrem Horrortrip nach Deutschland, von ihrer Ausbeutung auf einem Straßenstrich und von ihrer abenteuerlichen Flucht zurück in die Heimat. „Warum gibt es so etwas in ihrem Land“ fragte sie plötzlich in einem Anflug von Stolz die deutschen Besucher, „warum kann und darf es so etwas in ihrem Land geben?“
Ob es sich um Getäuschte und die mit falschen Versprechungen angelockte Frauen aus dem Osten Europas, um in Balkan-Ghettos rekrutierten Frauen und Kinder von Minderheiten oder aber um die weitgehend rechtlose Frauen und Mädchen aus Albanien handelt: Die Art ihrer Rekrutierung spricht nicht für Freiwilligkeit. Im Gegenteil: Die Anwerbungsmethoden mittels List, Täuschungshandlungen und falschen Versprechungen wären ebenso überflüssig wie jede gewaltsame Entführung, wenn die Auserwählten bereit wären, sich freiwillig zu prostituieren. Nur weil die jungen Frauen im Osten und Südosten Europas das nicht sind, kommen diese Methoden zur Anwendung.
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