Hure oder Opfer?
(Mehr als nur) eine Frage der Ehre
Freiwillig oder nicht – das wirft viele Fragen auf. Fragen, bei denen deutlich wird, dass es auf diesem Feld nicht nur Schwarz und Weiss sondern auch Grautöne gibt: Frauen also, die sich mehr oder weniger freiwillig prostituieren und solche, die mehr oder die weniger Opfer sind. Zudem wird deutlich, dass eine endgültige Antwort auf die Frage, „freiwillig oder Opfer“ nur individuell und im Einzelfall entschieden werden kann.
Davon unabhängig bleibt festzuhalten: Vieles, nur allzu vieles deutet darauf hin, dass ungleich mehr von denen, die wir Prostituierte, sexuelle Dienstleisterinnen oder Huren nennen und als solche behandeln, in Wahrheit Opfer sind. Mehr als uns allen lieb und recht sein kann, mehr als wir wahrnehmen und wahrhaben wollen.
Weil sich die Wissenschaft hierzulande nicht oder nicht in ausreichendem Maße damit befasst, erscheint es hilfreich, einen Blick auf die „Prostitution“ betreffende Untersuchungen und Forschungsergebnisse anderer Staaten zu werfen.
In der wissenschaftlichen Publikation „Journal for Trauma Practice“ ist eine US-amerikanische Studie veröffentlicht, die auch über Freiwilligkeit und Zwänge in der Prostitution Auskunft gibt. Dabei wird festgestellt,
- dass die große Mehrheit der so genannten Prostituierten nicht freiwillig der Prostitution nachgeht,
- dass 89 % der Prostituierten mehr oder weniger verzweifelt sind und aussteigen wollen,
- dass bei einer Legalisierung der Prostitution trotz aller Gegenmaßnahmen auch immer wieder Kinder ausgebeutet werden,
- dass 60 – 75 % der Frauen in der Prostitution einmal oder mehrfach vergewaltigt werden,
- dass 70 – 95 % tätlichen Angriffen ausgesetzt sind,
- dass 68 % der Frauen in der Prostitution unter posttraumatischen Störungen zu leiden haben, welche denen von Kriegsveteranen oder Folteropfern gleichkommen.
Zudem weist die Studie darauf hin, dass eine Legalisierung der Prostitution immer eine Ausweitung der Sexmärkte und damit zusammenhängend, auch zunehmende Kriminalitätsraten zur Folge hat. Bei solchen Forschungsergebnissen verwundert nicht, dass die Prostitution in den USA (in nahezu allen Staaten) verboten ist und dass die gegenwärtigen Verhältnisse in Deutschland (nicht nur) in den Vereinigten Staaten von Amerika auf größtes Unverständnis stoßen und Verwunderung, wenn nicht gar Verachtung auslösen.
Freiwillig – List, Täuschung oder Zwang? Hinweise in der Phase der Anwerbung
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei denjenigen, die wir Prostituierte nennen, heute zu 80% und in manchen deutschen Milieus oder Objekten bis hin zu 100% um Ausländerinnen handelt. Die allermeisten von ihnen stammen aus Ost- oder Südosteuropa.
Erfreulicherweise weiß die deutsche Kriminalpolizei und wissen die Kriminalpolizeien und Kriminalmilizen in den Rekrutierungs- und Transitländern erstaunlich viel über die gängigen Anwerbungs- und Rekrutierungsmethoden der „Ware Frau“. Man kennt die ausgeprägte Migrationsbereitschaft in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, welche bei dem nach wie vor sehr großen wirtschaftlichen und sozialen Gefälle zwischen Ost und West auch weiterhin anhalten dürfte. Man weiß von den push- und pull-Faktoren (das triste Grau des Ostens, die mangelnde soziale Absicherung und die Perspektivlosigkeit einerseits; die bunte Welt des Westens, Arbeit und vermeintlicher oder tatsächlicher Wohlstand andererseits), welche es den Anwerbern leicht machen.
Und man weiß: Das verlockende Angebot eines gut bezahlter Jobs im Westen, in der Gastronomie, in der Altenpflege, als Putzfrau oder noch besser: eine Karriere als Tänzerin auf westlichen Bühnen – das Ganze garniert mit „besten Beziehungen in den Westen“ und „zahlreichen dankbaren Kundinnen“ – schon schnappt die Falle zu.Manchmal geht es ganz schnell. Eine junge Lehrerin aus dem Raum Donezk, mitten im Kriegs- und Krisengebiet der Ukraine, bekam nach dem Studium keine Anstellung und so jobte sie da und dort, um zu überleben. Als sie dabei war, die vor einer Kneipe auf den Tischen stehenden Aschenbecher zu reinigen, legte sich plötzlich eine derbe Männerhand auf die ihrige. „Du bist viel zu schön für diese Drecksarbeit hier. Ich habe dir eine schönere und besser bezahlte Arbeit…!“ versprach der Fremde freundlich lächelnd. Schon wenige Tage später saß sie zusammen mit anderen jungen Frauen in einem Kleintransporter und wurde nach Deutschland verbracht – um auf dem Straßenstrich ausgebeutet zu werden.
„Die wissen doch längst, was auf sie zukommt…“, „die machen das doch gern…“ oder „denen geht es hier bei uns immer noch besser als daheim…!“, so tröstet man sich hierzulande und so ist immer wieder zu hören. In Wahrheit wissen oder ahnen die jungen Frauen zumeist nicht, was auf sie zukommt und sie verkaufen ihren Körper keineswegs freiwillig oder gar gern (an nicht selten wenig appetitliche, schmutzige, betrunkene oder rücksichtslose Freier). Und es geht ihnen in Deutschland auch nicht besser als daheim, denn sie sprechen die Sprache nicht, sie haben hier keine Angehörigen und keine Freunde mehr, sie sind häufig in totaler Abhängigkeit der „auslandsspezifischer Hilflosigkeit“ ausgeliefert. Und sie haben zumeist auch nicht einen Cent mehr in der Tasche als daheim im Osten. Im Gegenteil – sie haben (unter einem Vorwand) nicht selten die gesamten Einnahmen abzuliefern. Noch eines ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert: Eine junge Frau aus dem Tschernobyl-belasteten Gebiet Weißrusslands oder aus den Krisen- und Kriegsgebieten der Ukraine kann sich nicht allein und aus freien Stücken aufmachen, um in Deutschland der Prostitution nachzugehen. Und auch die Frauen und Kinder aus den Ghettos in Rumänien und Bulgarien oder eine junge Frau aus den albanischen Bergen kann das nicht. Dazu fehlt diesen jungen Menschen geradezu alles: Die Reisepapiere, das notwendige Kleingeld, die Reiseerfahrung, eine Bezugsperson, ein Hinwendungsort…
Sie alle sind auf Helfer angewiesen. Und solche „Helfer“ und „Helferstrukturen“ gibt es in den Rekrutierungsländern und bevorzugten Rekrutierungsgebieten mehr als genug.
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