Sicherheitspolitische Entscheidung: Einschränkung von Anhalte- und Sichtkontrollen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung in Schleswig-Holstein
4 Wesentliche Änderungen
Die modifizierte Rechtsnorm beinhaltet insbesondere folgende Änderungen:
Die Schleierfahndungskontrolle (anlass- und verdachtsunabhängige Kontrolle) gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 2 LVwG SH (alt) wird gestrichen.
Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der lagebildabhängigen Kontrolle gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 1 LVwG (alt) werden restriktiver gefasst und ergänzend an einen erkennbaren „Kriminalitätsschwerpunkt“ sowie eine anzunehmende „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ geknüpft.
Die Anordnungskompetenz obliegt nunmehr allein der Leitung des Landespolizeiamtes, des Landeskriminalamtes oder einer Polizeidirektion. Eine Übertragung auf „besonders Beauftragte des Polizeivollzugsdienstes“ ist nicht mehr zulässig.
Die Anordnung soll grundsätzlich „vorab in geeigneter Weise bekannt gemacht werden“. Ausnahmen sind möglich, wenn der Zweck der Kontrollmaßnahme dadurch gefährdet wird.
Die polizeiliche Anordnung ist auf maximal 28 Tage zu befristen. Verlängerungen um jeweils maximal 28 Tage sind zulässig, soweit die Voraussetzungen weiterhin vorliegen. Sie bedürfen jedoch der richterlichen Entscheidung.
5 Bewertung
5.1 Grundrechtsqualität
Die PIRATEN-Fraktion hat die vollständige Streichung des § 180 Abs. 3 LVwG SH (Polizeiliche Anhalte- und Sichtkontrollen) vorgeschlagen und dies mit einer vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der Norm begründet. Nach ihrer Ansicht zieht die Maßnahme „intensive Grundrechtseingriffe nach sich“ und wird von „Betroffenen als diskriminierend oder stigmatisierend empfunden. […] Ganze Städte und Regionen werden als potenziell gefährlich diffamiert, wenn sie zum ‚Gefahrengebiet‘ und damit zu einer ‚Sonderrechtszone‘ erklärt werden können.“14 Obwohl es sich bei der Norm keinesfalls um ein „gutes und ausgewogenes Instrument“15 innerhalb des Gesamtgefüges des allgemeinen Polizeirechts handelt, geht diese Bewertung an der Realität vorbei. Insbesondere ist mit Anhalte- und Sichtkontrollen keinesfalls eine intensive Grundrechtsqualität verbunden. Die Rechtsfolgen der Eingriffsermächtigung bestehen nämlich, trotz der ohne Zweifel vorhandenen „Streubreite“16, lediglich aus einem kurzzeitigen Anhalten und einer Inaugenscheinnahme mitgeführter Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen. Eine Identitätsfeststellung, ein Datenabgleich oder weitergehende Durchsuchungsmaßnahmen sind damit grundsätzlich nicht verbunden. Entsprechend bleibt die Eingriffsqualität gering und im konkreten Fall sogar hinter der allgemeinen Verkehrskontrolle zurück, die über § 36 Abs. 5 StVO i.V.m. § 4 Abs. 2 FEV und § 11 Abs. 5 FZV auch die Erhebung personenbezogener Daten ermöglicht.17
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich möchte mich Ihnen als neuer verantwortlicher Redakteur der Fachzeitschrift „Die Kriminalpolizei“ vorstellen. Mein Name ist Hartmut Brenneisen und ich bin seit 1972 in verschiedenen Funktionen für die Landespolizei sowie die FHVD Schleswig-Holstein tätig. Dort vertrete ich zurzeit als Fachhochschulprofessor und Leitender Regierungsdirektor insbesondere eingriffsrechtliche Lehrinhalte im Bachelor- und Masterstudiengang.
Mit der Ausgabe 2/2017 trete ich mit einem neuen Redaktionsteam die Nachfolge von Herbert Klein an, der gemeinsam mit Gunhild Groeben über viele Jahre hinweg redaktionelle Maßstäbe gesetzt hat.
Ich freue mich auf diese neue Tätigkeit und den regelmäßigen Austausch mit Ihnen. Nehmen Sie jederzeit gern mit mir Kontakt auf, bringen Sie sich mit Lob, Kritik, Ideen, Wünschen und natürlich auch mit Fachbeiträgen ein. Ich möchte gemeinsam mit Ihnen die Erfolgsgeschichte der Zeitschrift fortschreiben.
Ihr
Prof. Hartmut Brenneisen
5.2 Verbundstrategien
Verfassungsrechtlich problematisch sind allerdings Verbundstrategien, die insbesondere durch die in der Gesamtschau geringen Rechtsfolgen der Anhalte- und Sichtkontrollen eine besondere Relevanz entfalten.18 So könnten beispielsweise die hoheitlichen Ziele der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung gemeinsam mit den Zielen der abstrakten Gefahrenabwehr zur Förderung der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs durch Verkehrskontrollen verfolgt werden.19 Bei nahezu gleichbleibendem Aufwand wäre der spezifische Nutzen der Verbundmaßnahme damit ungleich höher. § 180 Abs. 3 LVwG SH lässt das kurzzeitige Anhalten von Personen und die Inaugenscheinnahme mitgeführter Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen zu. § 36 Abs. 5 StVO in Verbindung mit der VwV-StVO ermöglicht die Prüfung der Verkehrstüchtigkeit des Fahrzeugführers, der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere sowie des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung des Fahrzeugs. Mit diesem taktischen Maßnahmenbündel ist u.a. auch die Feststellung der Personaldaten verbunden und damit eine Fahndungsabfrage im Sinne des § 195 Abs. 1 Satz 3 LVwG SH zulässig. Allerdings sind Verkehrskontrollen rechtlich trennscharf von Kontrollen zur konkreten Gefahrenabwehr, zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung sowie zur Verfolgung vorliegender Normverletzungen zu unterscheiden.20 Insofern sollte der Gesetzgeber Verbundstrategien ansprechen und diese zumindest durch klare Aussagen in der Gesetzesbegründung angemessen begrenzen.
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