Aus für die Rocker-Kutten?

Auswirkungen der jüngsten Änderung des Vereinsgesetzes

Von Prof. Dr. Daniel H. Heinke, Leiter LKA Bremen1

Am 16. März 2017 trat eine auf den ersten Blick unscheinbare Gesetzesänderung in Kraft, die aber das Potential hat, europaweite Bedeutung in der Bekämpfung der Kriminalität durch so genannte Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) zu entfalten.Die Änderung zweier Paragrafen des Vereinsgesetzes (VereinsG) hat sich bereits auf das öffentliche Auftreten der Mitglieder solcher Rockergruppierungen ausgewirkt. Das Zeigen der ikonischen, weltweit bekannten und berüchtigten Symbole von Vereinigungen wie den „Hells Angels MC“, „Bandidos MC“, „Mongols MC“ und anderer in der Öffentlichkeit stellt seitdem eine Straftat dar, weil das Verbot nur einzelner Ortsvereine („Chapter“, „Charter“) sich nunmehr auf alle Teilvereinigungen dieser Organisationen erstreckt.

1 Ausgangslage: OMCG in Deutschland


Eine OMCG ist ein Zusammenschluss mehrerer Personen mit regelmäßig strengem hierarchischem Aufbau, enger persönlicher Bindung der Gruppenmitglieder untereinander, dem Grundgedanken einer engen Gemeinschaft oder Bruderschaft, in der man nach Verständnis der Gruppen die gleichen Ziele verfolgt, füreinander eintritt und dem jeweiligen Verein ein Leben lang angehört, geprägt durch eine geringe Bereitschaft mit der Polizei zu kooperieren und der Befolgung selbst geschaffener strenger Regeln und Satzungen (Beispiel: „Hells Angels World Rules“). Dabei steht bei vielen dieser Gruppierungen ein übergreifendes Zusammengehörigkeitsgefühl über klassischen verbindenden Elementen wie beispielsweise der gleichen Staatsangehörigkeit. So bezeichnen sich z.B. Angehörige des „Mongols MC“ auch als Mitglieder der weltweiten „Mongols Nation“.
„Rockergruppen“ im hier verwandten Sinn sind dabei weit mehr als nur ein Zusammenschluss von Menschen, denen der Hang zum Motorradfahren und ein eigener Lebensstil gemeinsam sind. Kriminelle Rockergruppen – Outlaw Motorcycle Gangs – bezeichnen sich selbst als gewaltbereite und außerhalb des gültigen Rechts stehende „Outlaws“. Diese OMCG entstanden erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA aus einer Gruppe ehemaliger Militärangehöriger, den „Pissed Off Bastards of Bloomington“, die sich später in „Hells Angels MC“ umbenannten und Vorbild für alle danach entstandenen Gruppierungen waren. Neben dem „Hells Angels MC“ zählen sich insbesondere die polizeibekannten und weltweit agierenden kriminellen Rockerclubs des „Bandidos MC“, „Outlaws MC“ „Gremium MC“ und „Mongols MC“ zu den „Gesetzlosen“ (Outlaws). Diese Rockerclubs grenzen sich ganz bewusst von friedlichen Motorradclubs ab, indem sie sich als so genannte „1%er“ – in Abgrenzung zu den angenommenen 99 Prozent gesetzestreuer Motorradfahrer – zu erkennen geben.
„Rockerkriminalität“ umfasst dabei alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, die hinsichtlich der Motivation für das Verhalten im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu sehen sind. Rockerkriminalität wird über die Motivation für die begangenen Straftaten, die in direktem Zusammenhang mit dem Motorradclub (MC) steht, definiert. Für die Zuordnung reicht, da es sich nicht um eine juristische Kategorisierung handelt und keine rechtlichen Befugnisse an diese Einordnung gebunden sind, die durch kriminalistische Erfahrung untermauerte Betrachtung des Tatgeschehens.
Hauptbetätigungsfelder krimineller Rockergruppen sind die typischen OK-Deliktsfelder wie Rauschgifthandel, Menschenhandel, Schutzgelderpressung und Waffenhandel. Die polizeiliche Bekämpfung dieser Straftaten bzw. die Durchdringung der dazugehörigen Strukturen trifft auf besondere Schwierigkeiten. Dazu tragen besonders die vielschichtige Verknüpfung der handelnden Personen untereinander, die Verflechtung von legalen und illegalen Organisations- und Geschäftsstrukturen sowie das strenge interne Regelwerk und die Abschottung nach außen bei.
Neben den kriminellen Betätigungsfeldern werden jedoch auch legale Geschäftsbereiche erschlossen, um hierdurch finanzielle Gewinne und Einfluss zu steigern. Typische Betätigungsfelder dafür sind Wach- und Sicherheitsdienste, der Gastronomiebereich sowie Tattoo-Studios, die offiziell gewerblich angemeldet sind. Das „Geschäftsgebaren“ einzelner Rockergruppen zielt hierbei unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel auch in (scheinbar) legalen Geschäftsfeldern auf einen territorialen und finanziellen Machtzuwachs insbesondere gegenüber konkurrierenden Banden ab.
Dabei verfügen diese OMCG in Deutschland über eine erhebliche personelle Basis. Mit Stand 31.12.2015 unterhielten alleine die vier größten OMCG bundesweit über 82 (Gremium MC), 75 (Hells Angels MC), 56 (Bandidos MC) und 49 (Outlaws MC) Ortsvereine mit zusammen über 5.500 identifizierten Mitgliedern.

2 Bedeutung von „Kutten“ für OMCG


Die Zusammengehörigkeit der Gruppenmitglieder wird durch das Tragen uniformer Kleidung oder Abzeichen, der so genannten „Kutte“, nach außen dokumentiert.
Aufbau und Ausführung dieser Kutten sind einem strengen zentralen – weltweit gültigen – Regelwerk unterworfen und nicht dem Belieben örtlicher Gruppierungen überlassen. Die Kennzeichen in diesem Sinne bestehen regelmäßig aus einem grafisch gestalteten Namen als Schriftzug (sog. „Top Rocker“; Beispiele: „Hells Angels“, „Mongols“), einem darunter befindlichen bildhaft gestalteten Symbol (sog. „Center Patch“; Beispiele: „Deathhead“, Mongole) und einer darunter positionierten geschwungenen Regional- oder Ortsbezeichnung (sog. „Bottom Rocker“; Beispiele: Borderland, Bremen).
Die Symbolik der verwandten Kennzeichen, insbesondere des Center Patch verkörpert in erster Linie Aggression. Die verfolgt das Ziel, sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber anderen OMCG die grundsätzliche Gewaltbereitschaft im Fall von Angriffen auf die Integrität der Mitglieder oder gar auf den Verein zu verdeutlichen. Der Zusatz regionaler oder Ortsbezeichnungen hat demgegenüber nur eine deutlich untergeordnete Bedeutung.

Die Kutten und die auf ihnen angebrachten Kennzeichen verfolgen damit gleich zwei Ziele:

  • Zum einen dienen sie als visualisierte Vergewisserung der Vereinsmitglieder untereinander, der gleichen Organisation anzugehören und deren Regeln zu befolgen. Diesem Zusammengehörigkeitsgefühl kommt im Zusammenwirken mit einem übersteigerten Männlichkeitspathos innerhalb der Vereinigung eine entscheidende Bedeutung zu, dass das einzelne Mitglied insoweit stets im Interesse des Vereins – und damit gegebenenfalls auch entgegen persönlichen Moralvorstellungen – handelt, und senkt damit die individuelle Hemmschwelle des einzelnen Mitglieds, sich an Straftaten zu beteiligen.
  • Zum anderen dienen sie nach außen dazu, dem einzelnen Gegenüber ebenso wie der Gesellschaft allgemein zu signalisieren, dass der Träger der Kutte, auch wenn er möglicherweise alleine auftritt, immer als Teil einer größeren und sehr gewaltbereiten Vereinigung anzusehen ist, die im Zweifel zu seinen Gunsten in einen etwaigen Konflikt eingreifen wird. Die Kutte (und im weiteren Sinne die Abzeichen dieser OMCG allgemein) dient damit als Instrument zur Machtprojektion: Selbst wenn in der konkreten Situation durch den Träger gar keine (physische) Überlegenheit besteht, macht er jedoch deutlich, dass er eine solche physische Überlegenheit durch das Hinzuziehen weiterer Mitglieder des Vereins herstellen könnte.

Dem öffentlichen Verwenden von Kennzeichen einer OMCG durch ihre Mitglieder kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.

3 Änderung des Vereinsgesetzes


Dem tritt der Gesetzgeber nun entgegen. Bereits nach der bisher geltenden Rechtslage war das öffentliche Verwenden von Kennzeichen eines verbotenen Vereins strafbar. Die Schwierigkeit für das polizeiliche Einschreiten ergab sich jedoch daraus, dass bereits für den Laien kaum bemerkbare Abwandlungen – insbesondere die Verwendung einer anderen Ortsbezeichnung – dazu führten, dass eine Strafbarkeit nicht mehr gegeben war, weil eben nicht genau das Kennzeichen des verbotenen Ortsvereins gezeigt wurde.
Mit der in Kraft getretenen Änderung des Vereinsgesetzes wird nunmehr auch das Verwenden von zum Verwechseln ähnlichen und im Wesentlichen ähnlicher Kennzeichen verbotener Vereine unter Strafe gestellt (§ 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG). Außerdem stellt der neue Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 3 VereinsG klar, dass Kennzeichen eines (nicht verbotenen) Vereins oder einer nicht verbotenen Teilorganisation insbesondere dann einem Kennzeichen eines verbotenen Vereins als im Wesentlichen gleich anzusehen sind, wenn bei ähnlichem äußeren Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile davon mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen sind. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage kommt es auch nicht mehr darauf an, dass dieser andere Verein die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilt.
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ist wie bisher – neben anderem – das öffentliche Verwenden von Kennzeichen verbotener Vereine strafbar, deren Verbot deswegen ausgesprochen wurde, weil die Vereinigung von ihrem Zweck oder ihrer Tätigkeit her darauf gerichtet ist, den Strafgesetzen zuwiderzulaufen. Daher ist auch das öffentliche Verwenden von – einzelnen – Kennzeichen verbotener Rockergruppierungen strafbar. Das Verwenden dieser Kennzeichen war nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2015 regelmäßig nur strafbewehrt, wenn sie dem Kennzeichen der verbotenen Organisation vollständig entsprachen. Waren sie hingegen nur in den wesentlichen Merkmalen identisch, trugen jedoch eine andere Ortsbezeichnung, war die Verwendung aufgrund § 9 Abs. 3 VereinsG zwar ebenfalls verboten, weil es jedoch an einer darauf bezogenen Strafnorm fehlte, konnte eine Verurteilung nicht erfolgen. Diese in der Praxis häufig schwer erträgliche Konsequenz ist durch die jetzt erfolgte Gesetzesänderung ausgeräumt.
Das Verbot für das Verwenden im Wesentlichen gleicher Formen von Kennzeichen verbotener Vereine greift vor allem, wenn identische „Top Rocker“ oder „Center Patches“ eines verbotenen Vereins verwendet werden. Es gilt aber auch, wenn die verwandten Kennzeichen mit denjenigen des verbotenen Vereins zwar nicht identisch, jedoch in markanten Merkmalen ähnlich sind, etwa in der Größe oder Farbe des Schriftzuges oder in der Umrissgestaltung des gesamten Patches oder eines markanten Details eines Patches. Im Ergebnis kommt es auf ein ähnliches äußeres Gesamterscheinungsbild an.

4 Fazit


Durch die Gliederung in zahlreiche Ortsvereine – trotz des empfundenen übergreifenden Zusammengehörigkeitsgefühls –, die vereinsrechtlich grundsätzlich selbständig zu betrachten sind, führten auch spektakulärere Verbote der Vergangenheit (hervorzuheben ist sicherlich noch immer das Verbot des „Mongols MC Bremen“ durch den Senator für Inneres im Jahr 2011, das letztlich durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde, obwohl in jenem Verfahren abweichend zur sonst üblichen Praxis keinem einzigen Vereinsmitglied auch nur eine vereinsbezogene Straftat individuell zugeordnet werden konnte, die Ermittlungen aber den Beweis ermöglichten, dass bestimmte Straftaten von namentlich nicht ermittelten Vereinsmitgliedern begangen worden waren) nicht dazu, dass die OMCG im Bundesgebiet insgesamt aus dem öffentlichen Raum gedrängt werden konnten.
Die Änderung des Vereinsgesetzes bedeutet nunmehr demgegenüber faktisch ein deutschlandweites Verbot der Kennzeichen der weltweit bekannten Outlaw Motorcycle Gangs, da von den „großen“ Organisationen Hells Angels MC, Bandidos MC, Mongols MC und Satudarah MC, sowie ihren Unterstützergruppierungen Chicanos MC und Red Devils MC, aber auch eher auf Europa (Gremium MC) oder Deutschland (Schwarze Schar Wismar) beschränkten Vereinen zwischenzeitlich jeweils mindestens ein Ortsverein in Deutschland verboten wurde. Damit ist Deutschland das erste westliche Land, in dem das öffentliche Zeigen von Kennzeichen solcher OMCG insgesamt strafbar ist. Zwar haben die beiden großen Gruppierungen Hells Angels MC und Bandidos MC – der häufig mit Waffengewalt ausgetragenen Rivalität zum Trotz – angekündigt, gemeinsam Verfassungsbeschwerde gegen die Neufassung des Vereinsgesetzes einzulegen, doch ist davon auszugehen, dass von möglichen vereinzelten Provokationen abgesehen die Anhänger dieser OMCG bis auf weiteres ihre Abzeichen nicht mehr zeigen werden.
Es wäre natürlich naiv zu glauben, dass dieses Kennzeichenverbot dazu führt, dass auch die mit Outlaw Motorcycle Gangs verbundene Kriminalität vollkommen verschwindet. Den Angehörigen dieser Rockergruppierungen wird mit dem Verbot ihrer Kutten jedoch ein Instrument zur Demonstration von Stärke genommen und dem Eindruck eines außergesetzlichen Machtfaktors entgegengewirkt. Außerdem führt die Verbannung der entsprechenden Symbole aus dem öffentlichen Raum auch zur Entmystifizierung dieser Gruppierungen, die damit möglicherweise auch weniger anziehend auf orientierungs- und zusammengehörigkeitssuchende Jugendliche sein werden.
Die auf den ersten Blick unscheinbare Änderung des Vereinsgesetzes hat damit eine strategische Bedeutung für die Kriminalitätsbekämpfung. Es ist jetzt Aufgabe der Polizeibehörden, diese auch kompromisslos durchzusetzen.

Anmerkungen


Prof. Dr. Heinke ist Senatsrat und Leiter des LKA Bremen. Der Verfasser war an dem Gesetzgebungsverfahren durch eine Anhörung als Sachverständiger durch den Innenausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt.