Recht und Justiz

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 113 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; hier: Widerstand gegen Vollstreckungsfahrzeuge durch bloße Flucht. §§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB – Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern; hier: Zungenkuss. §§ 243, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Wohnungseinbruchsdiebstahl; hier: Unmittelbares Ansetzen. (...)

II. Prozessuales Strafrecht

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchungsbeschluss; hier: Mündliche Durchsuchungsanordnung, Dokumentation. Am 7.10.2015 gegen 13:18 Uhr haben Polizeibeamte den Beschuldigten (B.), den sie aufgrund von Zeugenangaben eines versuchten Diebstahls eines E-Bikes verdächtigten, kontrolliert. Bei B. wurden unter anderem Bolzenschneider, Kneifzangen und Schraubendreher sowie ein durchgekniffenes Seilringschloss und ein als gestohlen gemeldetes Smartphone aufgefunden und er wurde um 13:35 Uhr festgenommen. In der Vernehmung von 14:30 Uhr bis 15:00 Uhr hat er angegeben, dass er wegen Ladendiebstahls unter laufender Bewährung stehe und auch schon einmal wegen Ladendiebstahls inhaftiert gewesen sei. Das Handy habe er in Hamburg gekauft, das Werkzeug habe er dabei, weil er jemandem bei der Gartenarbeit habe helfen wollen. In dem polizeilichen Durchsuchungsbericht vom 13.10.2015 ist angegeben, dass die Durchsuchung „um 15:00 Uhr, durch Richterin K. am AG mündlich angeordnet“ worden sei. Die Durchsuchung hat um 16:30 Uhr begonnen, B. wurde um 17:35 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.
Grundsätzlich hat eine Durchsuchungsanordnung schriftlich zu erfolgen; in Eilfällen kann sie auch mündlich erlassen werden. Insbesondere bei einem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung, dient der Richtervorbehalt der Kontrolle der Einhaltung der Verfassung und des einfachen Rechts. Durch eine geeignete Formulierung des Beschlusses trifft ihn die Pflicht, sicherzustellen, dass der Eingriff in Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Durch die Beschreibung des Tatvorwurfs und ein Abstecken des äußeren Rahmens wird auch dem B. ermöglicht, die Durchsuchung zu kontrollieren und einer etwaigen Ausuferung entgegen zu treten. Dies kann am effektivsten mit einer schriftlichen Anordnung erreicht werden.
Ein eine mündliche Anordnung rechtfertigender Eilfall kann dagegen etwa gegeben sein, wenn bei einer erst schriftlichen Anordnung durch den Richter ein Beweismittelverlust droht. Ein solcher drohender Beweismittelverlust ergibt sich vorliegend nicht, insbesondere fehlt ein die Eilbedürftigkeit begründender Vermerk der Ermittlungsrichterin (oder wenigstens der Ermittlungsbehörden). Der B. wurde gegen 13:18 Uhr kontrolliert, seine Verhaftung erfolgte um 13:35 Uhr und um 15:00 Uhr erging die mündliche Durchsuchungsanordnung. Den Akten ist bereits nicht zu entnehmen, wann die Ermittlungsrichterin über den Sachverhalt und den Antrag der Staatsanwaltschaft informiert wurde bzw. ggf. warum ein entsprechender Antrag nicht bereits nach der Festnahme des B. gestellt wurde. Aus den Akten ergibt sich auch nicht, weshalb sich die Ermittlungsrichterin zeitlich gehindert hätte sehen können, den Beschluss – bei dem einfach gelagerten Sachverhalt – vor der Durchsuchung schriftlich abzufassen und der Polizei per Telefax zu übermitteln, zumal die Durchsuchung erst um 16:30 Uhr erfolgt ist. Immerhin sah sich die Ermittlungsrichterin um 15:00 Uhr zum Erlass eines mündlichen Beschlusses in der Lage.
Darüber hinaus ist die mündliche Anordnung der Durchsuchung durch die Ermittlungsrichterin auch überhaupt nicht und durch die Ermittlungsbehörden – soweit dies ausnahmsweise ausreichend sein könnte – nur unzureichend dokumentiert. Dies macht die Anordnung zwar nicht unwirksam, aber da gerade eine schriftliche Anordnung erforderlich gewesen wäre, im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG, rechtswidrig.
Die Rechtswidrigkeit einer mündlichen richterlichen Durchsuchungsanordnung kann sich aus einer fehlenden oder verspäteten Dokumentation (hier: nach ca. 7 Wochen) in den Akten jedenfalls dann ergeben, wenn mangels eines Eilfalls eine schriftliche Anordnung erforderlich gewesen wäre. (LG Lüneburg, Beschl. v. 7.12.2015 – 26 Qs 281/15)

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchungsbeschluss; hier: Rechtswidrigkeit wegen mangelnder Konkretisierung. Wegen Verstoßes gegen § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG wurde die Durchsuchung der Wohnung sowie Geschäftsräume des Beschuldigten (B.) angeordnet. Zur Begründung ist im Beschluss vom 8.7.2015 ausgeführt, „aufgrund von Tatsachen sei zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, nämlich Betäubungsmitteln, Utensilien für den Handel mit Betäubungsmitteln und Unterlagen über den Handel mit Betäubungsmitteln führen wird“. Bei der am 21.8.2015 durchgeführten Durchsuchung wurden Betäubungsmittel, Verpackungsutensilien sowie das Handy des B., Festplatten und USB-Sticks sichergestellt.
Der notwendige Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses lag aufgrund der Angaben des anonymen Zeugen vor. Die Durchsuchungsanordnung enthält jedoch nicht die notwendige Begründung, um dem B. die Überprüfung zu ermöglichen, ob die Maßnahme rechtmäßig ist. Hierfür ist es erforderlich, dass die zur Last gelegte Straftat sowie die aufzufindenden Beweismittel in dem angefochtenen Beschluss hinreichend dargestellt sind. Außerdem sind die tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Tatverdacht gegen den B. ergibt, aufzuführen, soweit dies nicht den Untersuchungszweck gefährden würde.
Vorliegend ist in dem Beschluss im Hinblick auf die Straftat, deren der B. verdächtigt wurde, lediglich die Vorschrift § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bezeichnet, ohne dass aus Sicht des B. erkennbar wäre, was Inhalt dieser Vorschrift ist und was genau ihm vorgeworfen wird (Handel, Abgabe oder Besitz von Betäubungsmitteln usw.).
Hinzu kommt, dass auch die den Tatverdacht begründenden tatsächlichen Umstände nicht aufgeführt werden, sondern sich der Beschluss darauf beschränkt, dass „aufgrund von Tatsachen zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln“ (die dann im Einzelnen bezeichnet werden) führen wird.
Die unzureichende Begründung (fehlende nähere Bezeichnung vorgeworfener Tat und Verdacht begründende Tatsachen) des Beschlusses führt zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung. Ein Begründungsmangel führt nur dann nicht zur Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses, wenn dieser in seiner Gesamtheit in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat. (LG Wiesbaden, Beschl. v. 15.2.2016 – 6 Qs 2/16)

§ 127 Abs. 1 StPO – Vorläufige Festnahme; hier: Notwehrrecht. Der Angeklagte (A.) hielt sich mehrere Minuten vor der Eingangstür eines Supermarkts auf, ging dort auf und ab und es konnte nicht aufgeklärt werden, was er dort tat. Ein unbekannter Täter (T.) nahm im Geschäft Fernsehbildschirme an sich und strebte damit auf die Eingangstür zu, in deren unmittelbarer Nähe sich A. aufhielt. Die Tür öffnete sich und T. verließ mit den Geräten den Markt. Eine Kassiererin bemerkte dies und rief den Kunden zu: „Da haut gerade einer ab“, deutete dann auf A., der ihr bereits während seines mehrminütigen Aufenthalts vor der Tür aufgefallen war, und rief: „Der gehört auch dazu“. Sodann wurde der A. durch Kunden festgenommen und wehrte sich, nachdem er ausrief: „Loslassen! Ich habe nichts damit zu tun“ sowie „Loslassen, sonst passiert was!“. Zur Ausübung des Festnahmerechts nach § 127 Abs. 1 StPO muss gegen einen Verdächtigen mindestens ein starker Tatverdacht im Sinne eines dringenden Tatverdachts vorliegen. Ein leichter Verdacht rechtfertigt die Festnahme nicht. In einem solchen Fall darf der Verdächtige sein Notwehrrecht ausüben. (OLG Celle, Urt. v. 26.11.2014 – 32 Ss 176/14)

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