Recht und Justiz

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 113 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; hier: Widerstand gegen Vollstreckungsfahrzeuge durch bloße Flucht. §§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB – Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern; hier: Zungenkuss. §§ 243, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Wohnungseinbruchsdiebstahl; hier: Unmittelbares Ansetzen. (...)



§§ 252, 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB – Besonders schwerer räuberischer Diebstahl; hier: Flucht/Nacheile, Zusammenhang Vortat/Nötigung. Der Angeklagte (A.) drang mit B. und C. in eine Bankfiliale ein, während der weitere Beteiligte D. zur Absicherung draußen verblieb. Sie öffneten mit Hilfe von Werkzeug den Geldautomaten und entnahmen 74.850 Euro, die sie im Kofferraum eines Fluchtwagens verstauten und flohen; B. fuhr und A. war Beifahrer dieses Fahrzeuges. Während der gesamten Tat wurden sie observiert. Nach etwa 30-minütiger Fahrt und ca. 35 km vom Tatort entfernt, stoppten Beamte auch diesen Fluchtwagen mit ihren Einsatzfahrzeugen. A. kam mit B. durch Gesten überein, auf einen der Beamten, den sie auf Grund des Aufdrucks „Polizei“ als solchen erkannt hatten, zuzufahren, um so zu fliehen und sich im Besitz der Beute zu erhalten; der Beamte erlitt eine schmerzhafte Knieprellung.
§ 252 StGB fordert einen Zusammenhang zwischen einer Nötigungshandlung und dem Betroffen sein. Dieser liegt auch vor, wenn das Nötigungsmittel im Rahmen der sich unmittelbar an das Betreffen „auf frischer Tat“ anschließenden Verfolgung, sog. Nacheile, angewendet wird. (BGH, Beschl. v. 04.08.2015 – 3 StR 112/15)

§ 315b Abs. 1 StGB – Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr; hier: Schüsse auf Fahrzeuge. Der Angeklagte (A.) schoss in einer Vielzahl von Fällen, anfangs Kaliber .22, später Kaliber 9?mm, aus dem von ihm auf Bundesautobahnen geführten Lkw heraus im fließenden Verkehr auf andere Fahrzeuge; insbesondere auf Autotransporter oder andere Lkws mit Auflieger, die sich zum Teil im Gegenverkehr, zum Teil im gleichgerichteten Verkehr bewegten.
In Fälle, in denen der A. auf die Ladung bzw. Aufbauten von Autotransportern, anderen Lkws oder auf Wohnanhänger schoss ist darin kein Fall des § 315b Abs. 1 StGB zu sehen, denn eine Verurteilung wegen (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr setzt bei Schüssen auf Fahrzeuge im Straßenverkehr voraus, dass nach der Vorstellung des Täters die konkrete Gefahr für eines der in § 315b Abs. 1 StGB genannten Schutzobjekte jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist. Daran fehlt es, wenn der Schaden – wie hier – ausschließlich auf der durch die Pistolenschüsse freigesetzten Dynamik der auftreffenden Projektile beruht. (BGH, Beschl. v. 16.07.2015 ? 4 StR 117/15)

II. Prozessuales Strafrecht

§ 52 Abs. 3 StPO – Zeugnisverweigerungsrecht; hier: Ehemann. Die Halterin eines unfallbeteiligten Fahrzeuges wird gefragt, wer zum Unfallzeitpunkt das Fahrzeug geführt, einen Unfall verursacht und sich dann vom Unfallort entfernt habe. Der Verdacht richtete sich gegen eine männliche Person. Der später Beschuldigte ist ihr Ehemann. Die Halterin wurde nicht hinsichtlich ihres Verweigerungsrechtes belehrt. Ihre Antworten sind nicht verwertbar. (LG Kiel, Beschl. v. 23.11.2015 – 8 Qs 48/15)

§§ 81b, 261, 267 StPO; RiStBV Nr. 18 – Wahllichtbildvorlage; hier: „Längere eher glatte Haare“ und „Haarfarbe“. Die Lichtbildvorlage entsprach nicht den für eine belastbare Täteridentifizierung erforderlichen Voraussetzungen. Denn entgegen Nr. 18 RiStBV wurden der Zeugin bei der Polizei nicht Lichtbilder anderer Personen „ähnlicher Erscheinung“ vorgelegt. Aus den wirksam in Bezug genommenen Lichtbildern ergibt sich nämlich, dass von den dort gezeigten acht Männern nur der Angeklagte die von der Zeugin als Wiedererkennungsmerkmal angegebenen Charakteristika aufwies („längere eher glatte Haare“ und „Haarfarbe“). Folglich bedarf es zur Annahme der Täterschaft des Angeklagten anderer Beweismittel von übergeordneter Bedeutung. (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.03.2015 – III-3RVs 3/15, III-3 Ws 14/15)
Mit ähnlicher Begründung lehnte das LG Magdeburg (Beschl. v. 9.3.2015 – 25 KLs 323 Js 35113/14) die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen schweren Raubes gegen einen Angeschuldigten ab. Auch in diesem Fall war der Wert der Wiedererkennung bei der Wahllichtbildvorlage durch die Qualität der Wahllichtbildvorlage beeinträchtigt. Während alle anderen Bilder Personen mit rosafarbener Gesichtshaut zeigten, stach der Angeschuldigte mit bleicher Gesichtsfarbe deutlich hervor, so dass angesichts der Auswahl der Fotos eine suggestive Beeinflussung der Zeugin allein durch die Art und Weise der Wahllichtbildvorlage nicht ausgeschlossen werden konnte. Darüber hinaus erklärte die markant hervortretende bleiche Gesichtsfarbe des Angeschuldigten auch die im Rahmen des Protokolls über die Wahllichtbildvorlage geäußerte Gefühlsregung der Zeugin, die bekundete, „Mir wurde regelrecht anders, als ich dieses Bild sah.“ Weitere Indizien, die auf den Angeschuldigten hindeuten, waren nicht ersichtlich.

§§ 112, 115 StPO – Haftbefehl; hier: Kein „Verfallsdatum“. Während nach dem Erlass eines Durchsuchungsbefehls gem. §§ 102, 105 Abs. 1 StPO eine richterliche Kontrolle der ursprünglichen Anordnung nach längerem Zeitablauf im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist, sieht das Gesetz in § 115 Abs. 1 StPO eine ausdrückliche wie effektive Wahrung der grundgesetzlich geschützten Rechtsposition des Beschuldigten gerade vor. Durch die unverzügliche Vorführung des Beschuldigten vor den zuständigen Haftrichter ist gewährleistet, dass diesem – anders als bei der Vollstreckung eines vor geraumer Zeit erlassenen Durchsuchungsbefehls – die abschließende Entscheidungshoheit zur Überprüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen zur Anordnung der Untersuchungshaft vorbehalten bleibt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Unzulässigkeit der Vollziehung bzw. das Außerkrafttreten von Durchsuchungsbeschlüssen nach einem bestimmten Zeitablauf seit ihrem Erlass kann deshalb auf Haftbefehle nicht übertragen werden. (OLG Hamm, Beschl. v. 25.08.2015 ? 3 Ws 229, 230/15)

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