Polizeirecht

Sicherheitspolitische Entscheidung: Einschränkung von Anhalte- und Sichtkontrollen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung in Schleswig-Holstein

5.3 Zielstellung

§ 180 Abs. 3 LVwG SH ist mit dem Änderungsgesetz vom 13.4.200721 eingeführt worden und dient der „vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung“. Dieser Terminus nimmt seit Beginn der durch das BVerfG22 angestoßenen Novellierungswelle Ende der 1980-er Jahre eine zentrale Rolle im Eingriffsrecht ein und hat in allen Polizeigesetzen, aber auch in der StPO mehr oder weniger ausgeprägt Aufnahme gefunden. Berechtigt stellt Rachor fest, dass mit dem Begriff „eine vergleichsweise ungenaue, tatbestandlich nur unscharf konturierte Zweckbestimmung“ einhergeht.23 Und Knape/Schönrock ergänzen, dass sich nur mit „größter Mühe“ erschließen lässt, was darunter genau zu verstehen ist und wie weit spezifische Grundrechtseingriffe gehen können.24 Je ungenauer aber die Ziele einer Ermächtigungsnorm beschrieben sind, umso problematischer ist eine angemessene Abwägung zwischen Schutzgut und Eingriffsintensität.25 Insofern sollte durch den Gesetzgeber vor der Änderung einzelner Befugnisse stets zunächst für Klarheit bei der grundlegenden Aufgabenbeschreibung gesorgt werden.

5.4 Aufgabenzuweisung

Im Gegensatz zu den Gefahrenabwehrgesetzen anderer Bundesländer26 ist die Aufgabe der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung im LVwG SH immer noch nicht ausdrücklich verankert worden,27 obwohl Hirsch berechtigt „möglichst exakte […] Gesetze“ fordert.28 In Schleswig-Holstein wird nach wie vor auf die Grundaussage in der amtlichen Begründung zur Gesetzesnovelle 1992 verwiesen, in der es heißt:29„Die Polizei hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr auch Straftaten zu verhüten und Vorkehrungen für die Aufklärung künftiger Straftaten zu treffen, ohne dass dies besonderer Erwähnung im Gesetzestext bedarf.“ Damit lässt sich aber die Aufgabe der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung mit ihren Teilbereichen der Verhütungs- und der Verfolgungsvorsorge ausschließlich aus einzelnen Befugnissen und der Gesamtsystematik des Gesetzes ableiten.30 Neben der fehlenden Normenklarheit des auch mit dem Begriff der „Rückschlusstheorie“31 umschriebenen Verfahrens stellt sich insbesondere die Frage, ob die auch als „antizipierte Repression“ bezeichnete Strafverfolgungsvorsorge überhaupt zum Aufgabenkreis der Gefahrenabwehr gehört und damit in die Gesetzgebungszuständigkeit der Bundesländer fällt.32 Faktisch liegt zum Zeitpunkt der relevanten Eingriffsmaßnahme weder der Anfangsverdacht einer Straftat im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO noch eine konkrete Gefahrensituation vor. Es geht also quasi um einen dritten Aufgabenkreis, der systematisch zwischen dem präventiven und dem repressiven Handeln angesiedelt ist. Wenngleich dieser besondere Vorfeldbereich der überkommenen rechtsdogmatischen Einordnung zuwiderläuft, wurden Maßnahmen der Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge lange Zeit einheitlich als Bestandteil des materiellen Polizeirechts bewertet und auf eine differenzierte Zuordnung weitgehend verzichtet.33 Nachdem bereits mit Verabschiedung des StVÄG 199934 und der damit verbundenen Implementierung von Befugnissen zur Strafverfolgungsvorsorge in die StPO Zweifel an dieser Einordnung geäußert wurden, scheint die Sachlage im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG35 nunmehr klar: „Die Vorsorge für die Verfolgung noch gar nicht begangener, sondern in ungewisser Zukunft bevorstehender Straftaten gehört zum gerichtlichen Verfahren.“ Die enge Verwandtschaft mit dem Aufgabenkreis der Strafverfolgung führt zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Damit ist die Vermutung der Länderkompetenz im Sinne des Art. 70 GG durchbrochen und eine Regelung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nur möglich, soweit der Bund von seiner Kompetenz nicht oder nicht abschließend Gebrauch gemacht hat.36 Der Gesetzgeber des Landes Schleswig-Holstein hat damit vordringlich für Klarheit zu sorgen, sich durch eine Ergänzung der §§ 162, 168 LVwG SH zunächst dem Standard der übrigen Länderpolizeigesetze anzupassen und dabei zugleich die Rechtsprechung zur Strafverfolgungsvorsorge zu berücksichtigen.37 Dies entspricht allein den Vorgaben des Grundgesetzes und der Landesverfassung.38 Allerdings folgt daraus nicht, dass die Polizei „erst beim Vorliegen einer konkreten Gefahr berechtigt ist, in Grundrechte einzugreifen.“39 In vielen Fällen kann die Polizei auch in abstrakten Gefahrensituationen tätig werden.40