Wissenschaft  und Forschung

Islamistisch- terroristische Anschläge in Deutschland 2016

Eine Analyse ihrer Taktik und Akteure



3.2 Der Radikalisierungshintergrund der Attentäterin

Der islamistische Attentäter kam Ende Juni 2015 als Flüchtling ohne Dokumente über Ungarn und Österreich nach Deutschland, wobei seine Fingerabdrücke in Ungarn im Eurodac-System erfasst wurden.22 Die Bundespolizei nahm die Personalien des Mannes am 29.6.2015 auf und in Passau erfolgte eine Anzeige wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise ohne Pass. Ein halbes Jahr später, am 16.12.2015 Dezember 2015 stellte er unter dem paschtunischen Namen Riaz Khan Ahmadzai einen Asylantrag als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan. Die gesetzlich vorgesehene persönliche Anhörung inklusive Anfertigung von Fotos und von Fingerabdrücken für den Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht vorgenommen, im März 2016 wurde ihm die Aufenthaltsgestattung erteilt und er wurde von einer Pflegefamilien in der Nähe von Würzburg aufgenommen, wo er ein Praktikum in einer Bäckerei mit der Aussicht auf eine Lehrstelle begann. Die Ermittler bezweifeln allerdings den Namen, das Alter und die Herkunft des Täters, so dass Pakistan als Herkunftsland als realistischer erscheine. Unter anderem wurde in der Wohnung des Attentäters ein pakistanisches Dokument gefunden. Zudem gibt es ein Bekennervideo das mehrere Indizien enthält, dass der Attentäter pakistanischer Herkunft ist. Des Weiteren fand die Polizei in Daleels Wohnung ein selbst gezeichnetes Banner der islamistisch-terroristischen Organisation IS und einen Abschiedsbrief an seinen Vater in paschtunischer Sprache. Daran schrieb der Attentäter u.a. „Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann, und bete für mich, dass ich in den Himmel komme.“23
In seinem veröffentlichten Bekennervideo spricht der Attentäter Pashtu, das sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan gesprochen wird, wobei Pashtu ein sowohl für Afghanistan als auch für Pakistan spezifisches Vokabular hat. Im von den Sicherheitsbehörden als authentisch identifizierten Bekennervideo benutzt der Attentäter allerdings eindeutig die „pakistanische“ Ausprägung von Pashtu für Begriffe wie „Selbstmord“, „Regierungen“, „Militär“, „Körper“ und „Muslime“.24In diesem Bekennervideo wird der Attentäter allerdings nicht Riaz Khan Ahmadzai sondern Mohammed Riyad genannt. Mit einem Messer in der Hand droht er im Video: „Ich bin ein Soldat des Islamischen Staates und beginne eine heilige Operation in Deutschland. […] Die Zeiten sind vorbei, in denen ihr in unsere Länder gekommen seid, unsere Frauen und Kinder getötet habt und euch keine Fragen gestellt wurden. So Gott will, werdet ihr in jeder Straße, in jedem Dorf, in jeder Stadt und auf jedem Flughafen angegriffen. Ihr könnt sehen, dass ich in eurem Land gelebt habe und in eurem Haus. So Gott will, habe ich diesen Plan in eurem eigenen Haus gemacht. Und so Gott will, werde ich euch in eurem eigenen Haus abschlachten.“25 Die Echtheit dieses Bekenner-Videos wurde vom bayerischen Innenministerium bestätigt.26

3.3 Analyse

Dieser Fall verdeutlicht die Problematik der unbekannten, falschen Identität vieler Tausender Flüchtlinge der Jahre 2015 und 2016, so dass eine bewusst verschleierte Herkunft aus Pakistan etwa mit einer angeblich afghanischen Staatsbürgerschaft kombiniert wurde, um damit die Anerkennung als Flüchtling quasi garantiert zu haben, was das Bundesministerium des Innern auch im Falle sogenannter „falscher Syrer“ berichtete. Das vom bayerischen Innenministerium als echt bewertete Bekennervideo des islamistischen Attentäters, dessen Inhalt an Drastik kaum zu überbieten ist, offenbart ein Maß an Hass auf die „Ungläubigen“, das große Auswirkungen auf die Motivation zur und den Grad der Gewalt hat. Ohne das zufälligerweise in der Nähe des Tatortes gewesene SEK der bayerischen Landespolizei wäre es womöglich zu weiteren Verletzten und/oder Toten gekommen.

4 Der islamistische Anschlag am 24.7.2016 in Ansbach

4.1 Die Taktik und die Mittel des salafistischen Akteurs

Am 24.7.2016 zündete der 27 Jahre alte syrische Flüchtling Mohammed Daleel vor einem Weinlokal in der Altstadt von Ansbach einen Sprengsatz, verletzte damit 15 Personen und kam selbst ums Leben. Daleel hatte zuvor zwei Jahre als Flüchtling in Deutschland gelebt und in den Wochen vor dem Anschlag Verbindungen zur islamistisch-terroristischen Organisation „Islamischer Staat“.27
Zum Abschluss des jährlich in Ansbach stattfindenden Musikfestivals versuchte der Attentäter auf den Festivalplatz an der Residenz Ansbach zu gelangen. In Reaktion auf den Amoklauf in München, zwei Tage zuvor, waren die Einlasskontrollen verstärkt worden. An dem von ihm gewählten Zugang nahe dem Weinlokal Eugens Weinstube wurde er abgewiesen, weil er keine Eintrittskarte vorwies. An einer zweiten Kontrolle durchsuchten Ordnungskräfte die Taschen aller Besucher, so dass er diesen Eingang ebenfalls nicht wählen konnte. Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen stand der Attentäter während des gesamten Tathergangs in einem Chatkontakt mit „einer Person aus dem Nahen Osten“.
Bekannt sind folgende Abschnitte des unverschlüsselt geführten Chats (sinngemäß und wörtlich): Daleel: „Sicherheitsleute stehen vor dem Eingang. Ich komme ‚nicht so einfach‘ rein.“ Kontaktperson: „Such‘ dir ein ‚Schlupfloch‘.“ Daleel: „Ich finde keins.“ Kontaktperson: „Dann brich einfach durch.“ Kontaktperson weiter: „‚Mach Foto von Sprengstoff‘“.28 Daraufhin betrat der Attentäter kurz die Weinstube, in deren Außenbereich, in dem sich zum Tatzeitpunkt etwa 20 Gäste aufhielten, explodierte – womöglich unbeabsichtigt – um 22:12 Uhr sein selbstgebauter Sprengsatz. Nach derzeitigem Ermittlungsstand war der eigentliche Tatplan, den Rucksack in einer Menschenansammlung des Festivals abzustellen und aus der Ferne zu zünden. Sein islamistisch-terroristischer Chatkontakt soll ihn aufgefordert haben, die Detonation und die Wirkung auf die Zivilbevölkerung zu filmen und an den IS zu schicken.


4.2 Der Radikalisierungshintergrund des Attentäters

Der Attentäter Mohammed Daleel war im Juli 2013 illegal über die Türkei nach Bulgarien eingereist, wo er Asyl beantragt hatte und subsidiären Schutz erhielt.29 Mitte 2014 verließ er Bulgarien und beantragte Asyl in Österreich, dann jedoch weiterreiste nach Deutschland. Der hier von ihm gestellte Asylantrag wurde wegen der beiden bereits in Bulgarien und Österreich gestellten Anträge abgelehnt. Im Jahr 2015 sollte er zurück nach Bulgarien abgeschoben werden. Harald Weinberg, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, versuchte im Januar 2015 ein Bleiberecht für Daleel zu erwirken. Am 13.7.2016 erhielt Daleel eine erneute Aufforderung, Deutschland innerhalb von 30 Tagen – in Richtung Bulgarien – zu verlassen. Nach dem Anschlag wurden in der Wohnung des Täters Materialien gefunden, die sich zum Bau von Bomben eigneten.
Die islamistisch-terroristische Organisation IS erklärte am 27.7.2017, dass Daleel „einer ihrer Soldaten“ gewesen sei. Die Bundesanwaltschaft ermittelte ab dem 25.7.2017 u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Nach Angaben deutscher Ermittlungsbehörden hatte Daleel einige Wochen vor dem Anschlag Kontakt zu einem Mitglied des IS, der eine saudi-arabische Telefonnummer für seinen Chat mit Daleel nutzte, sich aber nicht in Saudi-Arabien, sondern auf dem vom IS kontrollierten Territorium aufhielt. Diese Angaben wurden von der saudi-arabischen Botschaft in Deutschland bestätigt.30

4.3 Analyse

Der islamistisch-terroristische Anschlag des syrischen Flüchtlings Mohammed Daleel am 24.7.2016 verdeutlicht die Problematik islamistischer Einzeltäter. Die Frage nach der hierarchischen Verbindung des Attentäters zur islamistisch-terroristischen Organisation ist nach aktuellem Stand der Ermittlungen noch nicht aufgeklärt, dass der Attentäter während des gesamten Tathergangs jedoch in einem Chatkontakt zu einem Mitglied des IS stand, ist mittlerweile sicher.31 Nach aktuellen Angaben des bayrischen Innenministers wurde der islamistische Attentäter vor und während des Anschlags in einem Chat direkt und unmittelbar beeinflusst.32