Kriminalität

Ultranationalismus, Rechtsextremismus und Islamismus: Die Grauen Wölfe in Deutschland



Die Anhänger finden sich in einer gefährlichen Opferrolle vereint, die durch den Eindruck genährt wird, sie würden als Angehörige des türkischen Volkes, wenn gleich viele in Deutschland geboren wurden und die deutsche Staatsbürgerschaft haben, bzw. als türkische Muslime unterdrückt werden. Diese Ansicht basiert auf dem typisch für extremistische Narrative überheblichen Völkerkult, gepaart mit der ewigen Opferrolle und sich anbietenden Feindbildern. Die Ülkücüs erreichen Jugendliche mit türkischen Wurzeln in ihrem überzogenen Ehrempfinden, das regelmäßig noch elementarer Bestandteil der Erziehung in patriarchalisch geprägten Elternhäusern ist. Sie definieren sich durch die Abgrenzung zu anderen Ethnien und fühlen sich ihnen überlegen. Damit bieten sie gerade den jungen Migranten eine Identität, die sie in der multikulturellen Gesellschaft nicht finden können.

Auf Facebook hat sich in den vergangenen Jahren der aggressive Ton so gesteigert, dass er sich zur offenen Hetze entwickelt hat. Eine regelrechte Hassrhetorik verunglimpft vor allem Jesiden, Kurden und Juden, aber auch die Deutschlandfeindlichkeit nimmt zu. Neben dem rechtsextremistischen und ultranationalistischen Duktus zeigen sich sich klare islamistische Tendenzen. Diese Kombination reicht als Basis für Bündnisse bis in die syrischen Kriegsgebiete. So vermeldete unlängst das islamistische Nachrichtenportal “Ummah Islam”, das der Al Qaida nahe steht, Anfang Februar 2016, dass sich verschiedene Gruppen im syrischen Krieg nun endgültig geeinigt hätten und zusammen kämpfen würden.9 Mittlerweile ist bekannt, dass Anhänger der Grauen Wölfe nach Syrien gereist sind, um dort als Gotteskrieger zu kämpfen.10 Entsprechend zeichnen sich die Kommentierungen in sozialen Netzwerken, vor allem bei Facebook durch islamische Glaubensbezeugungen hinter den nationalistischen Parolen aus. Die Bandbreite der Hasstiraden zeigt sich dann, wenn beispielsweise zur Floskel „Inschallah“ (so Gott will) Symboliken der Nationalsozialisten zum Tragen kommen. Auf Facebook finden sich Hakenkreuze oder Portraits von Adolf Hitler bei Anhängern und Sympathisanten der Grauen Wölfe in ihrer Timeline und temporär sogar in den Profilbildern. Ebenso sind bei Aufmärschen neben dem Wolfsgruß auch Hitlergrüße zu sehen. Was paradox erscheinen mag, dokumentiert aus Perspektive der Ülkücüs ein geschlossenes Weltbild, in dem das vereinte, sunnitische Turkvolk nach Allahs Willen die Herrschaft über drei Kontinente, wenn nicht gar weltweit, anstrebt. Der deutsche Nationalsozialismus wird dabei als guter Ansatz verstanden, zudem verbindet sie der Hass auf das jüdische Volk. Mit dem Absolutheitsanspruch der richtigen „Rasse“ und Religion erheben sie sich zu einer Elite. Die Herkunft, die in Deutschland als unterdrückte Minderheit stilisiert wird, ist Bedingung der Zugehörigkeit. Das daraus resultierende Selbstbewusstsein wirkt aktuell ganz offensichtlich anziehend und mobilisierend.

Organisation in Rocker- und Boxerclubs


Doch es sind nicht nur islamistische und rechtsextremistische Tendenzen, die miteinander verschmelzen. Eine weitere Komponente zeigt die Gründung sog. Boxclubs (BC) auf, die der fanatischen Ideologie noch eine weitere Identität anbieten. Auch hier sind die Entwicklungen rasant: Im April 2015 gründete sich im hessischen Dreieich der erste „Chapter“ der Osmanen Germania (OG). Die Mitglieder des Boxclubs zeigen äußerliche Erkennungsmerkmale auf, wie sie von Outlaw Motorcycle Clubs (OMC) der Hells Angels oder den Bandidos bekannt sind. Sie tragen Lederkutten mit clubinternen Patches als Uniform. Äußerlich also etablierten Rockergruppen nacheifernd, zeigen sich doch Unterschiede. Denn während solche meist bemüht sind, sich von extremistischen Inhalten abzugrenzen, zeigt sich dazu hier bei dem neu gegründeten OG BC ein sehr ambivalentes Bild. Obwohl man auf Facebook-Präsenzen, beispielsweise der Osmanen Germania Stuttgart die Herkunft, Ethnie oder Religion als gleichgültig betont,11 beweisen sowohl Aktivitäten, Raptexte und auch Symboliken das Gegenteil. In einem, ebenfalls auf einer Facebook-Präsenz der OG, hochgeladenen Videos (selbiges wurde mittlerweile entfernt), beschwört der Songtext das „osmanische Blut“, zeigt das Wappen der Mitglieder über ganz Deutschland und propagiert in diesem Zusammenhang die Zahl 1453, die mehrfach erwähnt vermutlich auf das Jahr der Eroberung Konstantinopels hinweist. Noch expliziter wird es, als ebenfalls über soziale Netzwerke eine türkisch-nationalistische Demonstration in Frankfurt beworben wird. Auf Facebook bekennen sich Männer, die sich einem Boxclub der Osmanen zugehörig fühlen, nicht selten gleichzeitig als Sympathisanten des türkischen Präsidenten Recep Erdogan oder als Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfen.12

Etwa zur gleichen Zeit, im Mai 2015, entstand im Umfeld der Grauen Wölfe in Duisburg Turan e.V. Bemerkt wurde dies allerdings erst, als sie sich Ende März 2016 aggressiv in Duisburg präsentierten und einen Polizeieinsatz provozierten. Die Namensgebung dürfte kein Zufall sein: Wie bereits beschrieben handelt es sich dabei für das Synonym für das mythische goldene Volk mit Zentrum irgendwo in Zentralasien). Seit seiner Gründung organisiert Turan e.?V., für seine Mitglieder Kampfsportkurse, genau wie Osmanen Germania. Auch die Aufmachung in Anlehnung an Rockclubs, ist ähnlich. Die politischen Themen der Organisation sind nicht auf den Krieg in der Türkei beschränkt.

Beide Phänomene, sowohl die Clubs der Osmanen Germania, als auch Turan e.V. scheinen wie aus dem Nichts erschienen zu sein und nun wie Pilze aus dem Boden zu wachsen. Freilich bergen rasantes Wachstum, Expansion und eine gewisse Pluralität Konfliktpotentiale, die das Phänomen durch interne Prozesse schnell wieder zerstören könnte. Allerdings darf darauf nicht vertraut werden. Denn ihre aktuelle Demonstration an Personenstärke, Vernetzung und Macht sollte als Warnung ausreichend gewesen sein. Entsprechende Propaganda und typischer Symboliken der Grauen Wölfe lassen keine Zweifel daran, dass sie mehr vorhaben, als sich nur auf der Straße zu zeigen. Verbände von Armeniern, Kurden, Jesiden und Aleviten reagieren ausgesprochen besorgt.

Die Causa Böhmermann als Katalysator jahrelanger Entwicklungen


Die Unruhen in Deutschland beschränken sich nicht nur auf Facebook-Parolen und Aufmärschen in deutschen Großstädten mit lokalen Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten. Denn auch der Sachverhalt um die im Neo Royale vorgetragene Schmähung Recep Tayyip Erdogans durch den TV-Moderator Jan Böhmermann am 31. März 2016 offenbarte einen tiefen Konflikt der in Deutschland lebenden Türken, der bereits Anlass für Gewalt und Drohungen darstellte. Die persönliche Beleidigung des türkischen Präsidenten wurde längst nicht nur zum Anlass für eine regelrechte Staatsaffäre. Vielmehr zeigte sich in Befragungen und in sozialen Netzwerken, dass viele, besonders männliche Türken und Deutsche mit türkischen Wurzeln, sich ebenfalls beleidigt und gedemütigt fühlten. Sie begründeten ihr Empfinden so: Wenn der Mann, der von ihnen als sein Volk zum Präsidenten gewählt wurde, beleidigt wird, beleidige man auch bewusst den Wähler und verletze dessen Ehre. Und tatsächlich war die Gefährdung von Jan Böhmermann so hoch, dass die Polizei ihn unter Schutz stellen musste. Welche Drohungen er genau bekommen hatte, wurde zunächst nicht offen gelegt. In den sozialen Netzwerken reichten die Auffassungen zur gerechten Bestrafung Böhmermanns von Aufrufen zum Mord, über Gefängnisstrafen bis hin zu Geldstrafen und Auflagen, Wiedergutmachung zu leisten und Demut zu bezeugen.