Polizei

Soldaten auf Schleuserjagd – Anmerkungen zu einem Irrweg deutscher Sicherheitspolitik



Der Berg kreißte…


Die Bundeswehr konnte Ende Januar 2015 als humanitären Erfolg die Rettung von mehr als 10.000 Personen aus tatsächlicher oder provozierter Seenot vermelden. Was den eigentlichen Zweck der Mission betrifft, bewertet man die Tatsache, dass die Schleuser nicht mehr die libyschen Hoheitsgewässer verlassen und bis Ende Januar 2016 auf Hinweise aus dem maritimen Verband 46 Schleuserverdächtige durch die italienischen Behörden festgesetzt wurden, als Erfolg. Offiziell wird die eher dürftige Ausbeute bei der Schleuserbekämpfung damit begründet, dass man noch am Beginn der Aufklärungsmaßnahmen stehe. Nach Aussagen des Befehlshabers der Operation sei der erkennbare Rückgang der Flüchtlingszahlen auch darauf zurückzuführen, dass der Marineeinsatz abschreckende Wirkung entfalte. Eine derartige Aussage muss nicht von jedem geteilt werden, denn nach Ansicht von Fachleuten wird die völkerrechtliche Verpflichtung der Einsatzkräfte, in Seenot befindliche Personen aufzunehmen, eher noch als Pull-Faktor wirken. Bereits die Vergangenheit hat bewiesen, dass die verstärkten Seenotrettungseinsätze den Strom der Migrationswilligen noch haben anschwellen lassen, wächst doch die Hoffnung, von einem Schiff aufgenommen werden.
Die Politik sparte nicht mit starken Worten. Verteidigungsministerin von der Leyen interpretierte die Ankündigung der Schleuserjagd als Verhinderung einer „humanitären Katastrophe“ und Außenminister Steinmeier appellierte an Europa, das Mittelmeer nicht zum „Massengrab für Flüchtlinge“ werden zu lassen. Gleichwohl teilten nicht alle Abgeordneten die aufkommende Euphorie. Insbesondere der Grünen-Abgeordnete Trittin äußerte von Anbeginn Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Unternehmens, zumal er bei einer Anfrage in Erfahrung brachte, dass in der ersten Phase nur ein Schleuser identifiziert werden konnte. Das parlamentarische Verfahren zur Zustimmung zum Einsatz lässt im Übrigen den Verdacht aufkommen, dass nicht unbedingt jeder Parlamentarier überhaupt wusste, worüber er eigentlich abstimmte. Aus einer Anfrage des ARD-Magazins Monitor und einem Antwortschreiben des Bundesverteidigungsministeriums zum Operationsplan EUNAVFOR MED ergibt sich, dass das BMVg zunächst „keine Übermittlungspflicht“ dieser wichtigen Entscheidungsgrundlage an den Deutschen Bundestag sah und dann das Dokument nach dem üblichen Verfahren hinterlegte. Einsichtsrecht hatten nur die Abgeordneten des Auswärtigen Ausschuss und des Verteidigungsausschusses. Das rund 700 Seiten umfassende Dokument war in Englisch gehalten, jedem der zugelassenen Abgeordneten standen 30 Minuten zur Einsichtnahme zur Verfügung. Die Einsatzregelungen (Rules of Engagement) wurden wohl gar nicht bekanntgegeben. Die Opposition reagiert besonders harsch und monierte eine Missachtung des Parlaments. Die Fraktion DIE LINKE reichte gar einen Entschließungsantrag ein, nach dem jede militärische Operation zur Schleuserbekämpfung durch die Bundeswehr im Mittelmeer unverzüglich einzustellen und schnellstmöglich eine europäische Seenotrettung zu initiieren ist. Nicht von der Hand zu weisen war ihr Einwand, dass der Einsatz der rechtstaatlichen Trennung von Militär und Polizei widerspricht. „Das Grundgesetz sieht eine Strafverfolgung durch das Militär nicht vor.“5 Dies kann man auch anders bewerten, aber die derzeitige Rechtslage gibt nichts anderes her.
Es blieb dem Militärausschuss der Europäischen Union, der aus den Generalstabschefs der Mitgliedsländer besteht und der sowohl die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik als auch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee berät, vorbehalten, auf die wesentliche Voraussetzung eines Erfolges des Unternehmens hinzuweisen: Eine fundierte Intelligencearbeit, die belastbare Aufklärungsergebnisse über Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, Schmuggelrouten, Verladehäfen, Hinterlandstrukturen und Schmuggelrouten generiert. Dies kann aber wohl im derzeitigen Einsatzdesign gar nicht geleistet werden. Dies zeigt auch ein Vergleich mit dem Auftrag des Joint Operation Team (JOT) MARE. Dieses europäische Projekt steht unter der Leitung von Europol und vereinigt ein Team nationaler Experten der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU Policy Cycle-Empact, einer Kooperationsplattform, die sich mit der Bedrohung durch die internationale schwere und organisierte Kriminalität beschäftigt. Ein Schwerpunkt ist die Erkenntnissammlung in Bezug auf kriminelle Organisationen, die für die Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die EU und die anschließende illegale Binnenmigration verantwortlich sind. Die enge Zusammenarbeit mit Frontex und Interpol ist Teil der Strategie.
Der häufig zu hörende Vergleich mit der Anti-Piraterie-Operation Atalanta am Horn von Afrika geht fehl, da es sich dort um ein gezieltes Vorgehen gegen identifizierte Seeräuber und um von einem UN-Mandat gedeckte Maßnahmen gegen Logistikeinrichtungen an Land unter Ausschluss des Einsatzes von Bodentruppen handelte. Im Mittelmeer hingegen handelt es sich um überladene Flüchtlingsboote und marode Seelenverkäufer, deren Abfahrt man allenfalls, wie vom italienischen Außenmister Gentiloni vorgeschlagen, durch eine Seeblockade verhindern könnte. Im Übrigen verbleiben die Hintermänner und Drahtzieher ohnehin an Land und damit im Dunkeln. In den Booten können allenfalls die Handlanger der untersten Ebene dingfest genommen werden, bei denen eine Klassifizierung als Schleuser schwerfällt.
Die Gründe für ein voraussichtliches Fehlschlagen des Unternehmens sind eher banal. In den aufgebrachten Booten befinden sich keine Schleuser, allenfalls kurz angelernte Mitfahrende, die gegen eine geringe Reduktion der Schleusungsgebühr die Steuerung des Bootes übernehmen. Die Zerstörung der Boote täuscht eine Austrocknung des Sumpfes vor. Tatsächlich handelt es sich aber bei den Transportmitteln um Verbrauchmaterial, das in vielen kleinen Werkstätten an der nordafrikanischen Küste in großer Zahl produziert wird. Zum Teil versenken die Migranten im Einzugsbereich eines hochseegehenden Schiffes ohnehin von sich aus die Boote, um die nach dem internationalen Seerecht vorgeschriebene Seenotrettung zu provozieren. Die Schleusungsorganisationen im Hintergrund sind noch nicht einmal gezwungen, ihre Verbringungsrouten zu ändern, garantiert doch das Seerecht ohnehin, dass die Besatzungen der aufgebrachten Boote bzw. Schiffe in Sicherheit gebracht werden. Dies führt dazu, dass die Schleuser keinen Wert auf hochseetüchtige Boote legen und diese lediglich mit einem Treibstoffvorrat ausstatten, der für das Verlassen der libyschen Hoheitsgewässer oder zum Erreichen der der Hauptschifffahrtlinien reicht. Dort werden die Boote, um die Seenotrettung zu provozieren, zum Teil von eigener Hand seeuntüchtig gemacht. Einmal an Bord der Kriegsschiffe befinden sie sich im Zuständigkeitsbereich der EU; eine Verbringung in das Ausgangsland ist wegen des Refoulementverbotes nicht zu lässig. Das Prinzip des non-refoulement ist ein völkerrechtlich geregelte Ausweisung- und Zurückweisungsverbot und ergibt sich aus Art. 33 der Genfer Flüchtlingsverbot in den Fällen, in denen einem Flüchtling im Land der Rückführung die in der Konvention genannten Nachteile erwachsen.