Polizei

Soldaten auf Schleuserjagd – Anmerkungen zu einem Irrweg deutscher Sicherheitspolitik


Der prätentiöse Auftrag umfasst nicht mehr und nicht weniger als die Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im südlichen zentralen Mittelmeer und erstreckt sich über drei Phasen. In der zwischenzeitlich abgeschlossenen ersten Phase sollten neben Seenotrettung durch Patrouillen auf Hoher See Informationen zu „tactics and techniques“ der Migrationsnetzwerke gesammelt werden. Damit sollte neben der Lageverdichtung eine Lagefeststellung über Schleuseraktivitäten gewonnen werden.
Am 14.9.2015 erfolgte der Übergang zur zweiten zurzeit aktuellen Phase, in der aktiv gegen Schleuserboote vorgegangen wird. Als Maßnahmen werden Anhalten, Durchsuchung, Beschlagnahme und Umleiten nicht geflaggter Schiffe genannt. Maßnahmen gegen geflaggte Schiffe bedürfen zwar nach Art. 92 Abs. 1 Seerechtsübereinkommen der Zustimmung des jeweiligen Flaggenstaates. Allerdings hat der Sicherheitsrat durch Resolution 2240 (2015) v. 9.10.2015 die teilnehmenden Staaten für die Dauer eines Jahres von dieser Bestimmung dispensiert, wenn der Verdacht besteht, dass das Schiff zu Schleusungen benutzt wird. Voraussetzung für eine Resolution des Sicherheitsrates ist allerdings nach Art. 39 UN-Charta die Feststellung von Friedensbedrohung, Friedensbruchs oder Angriffshandlung, Faktoren, die bei der irregulären Migration und Schleusung im Mittelmeer aber offensichtlich nicht nicht gegeben sind.
In der dritten Phase sollen in den Hoheitsgewässern und an Land alle erforderlichen Maßnahmen bis hin zur Zerstörung und Unbrauchbarmachung der Tatmittel und zugehöriger Infrastruktur ergriffen werden. Dies setzt jedoch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen voraus, das Maßnahmen bei Bedrohungen oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen regelt, und erfordert überdies das Einvernehmen mit der hauptbetroffenen libyschen Regierung. Eine Resolution des Sicherheitsrates ist wegen der Haltung Russlands nicht zu erwarten, die etwaige Zustimmung des Küstenstaates ist im Falle Libyens wegen des Fehlens einer legitimierten Regierung nicht möglich.
Mit Datum vom 16.9.2015 erfolgte der Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Mission, für die bis zu 950 Soldaten vorgesehen sind – mit einer der größten Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte überhaupt. Die Beteiligung Deutschlands erfolgte in der ersten Phase mit zwei Schiffen der Deutschen Marine aufgrund einer bilateralen Vereinbarung mit Italien, in der folgenden zur Zeit aktuellen zweiten Phase als Teil eines Systems gegenseitiges kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG. Hierzu war nach §§ 1, 2 Abs. 1 Parlamentsbeteiligungsgesetz die Zustimmung des Bundestages erforderlich, da der bewaffnete Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland zu erwarten war. Unter dem Eindruck der sich zum Menetekel auswachsenden Flüchtlingskrise beschloss die Bundesregierung, ein Bundestagsmandat zur Ausweitung des Einsatzes zu erwirken, das durch das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium vorbereitet wurde1. Die Zustimmung des Parlaments erfolgte am 1.10.2015. Die Deutsche Marine beteiligt sich an dem Unternehmen zurzeit mit der Fregatte „Karlsruhe“ und dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“. Sie sind Teil einer maritimen Streitmacht, die aus 9 Kriegsschiffen und einem U-Boot besteht und durch den Einsatz von Satelliten, Aufklärungsdrohnen und Seeaufklärungsflugzeuge unterstützt wird. Insgesamt sind 22 Länder mit rund 1.300 Kräften beteiligt.

Die Rechtslage – der untaugliche Versuch, aus Soldaten Polizisten zu machen


Die Rechtslage ist – vorsichtig ausgedrückt – kapriziös. Nach Art. 7 des Missionsbeschlusses steht das Vorhaben ausdrücklich unter militärischer Leitung und wird von einem italienischen Admiral geleitet. Prima facie handelt es sich aber offensichtlich um keine kriegerische Auseinandersetzung, sondern um staatliches Vorgehen gegen strafbewehrtes Verhalten von Privatrechtssubjekten. Darauf deuten auch die im Beschluss beigezogenen Rechtsgrundlagen hin. Neben den völkerrechtlichen Seerechtsbestimmungen werden die Zusatzprotokolle gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg von 2000 und zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels sowie zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität genannt. Begünstigt wird diese militärisch-kriminalpolizeiliche Gemengelage durch einen bemerkenswerten Begriffswirrwarr, zumal die internationalen Vorschriften nicht kompatibel sind bzw. unterschiedlich übersetzt werden. So reicht die Terminologie im Missionsbeschluss von Schlepper und Schleuser über Menschenhandel und Menschschmuggel bis zur Migrantenschleusung. Bemerkenswert auch, dass auf die „Strategie der Europäischen Union für die maritime Sicherheit“2 überhaupt nicht Bezug genommen wird, obwohl diese das Zusammenwirken von zivilen und militärischen Akteuren u.a. zur Strafverfolgung und Grenzkontrolle mit dem Ziele eines wirksamen Grenzmanagements in Bezug auf die Seeaußengrenzen der Union fordert.
Im Rahmen der Mission werden persönliche Daten erhoben und erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt sowie Vereinbarungen mit Frontex, Europol, Eurojust, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen und den einschlägigen Missionen der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik abgeschlossen. Bezüglich der Kompetenzen der Einsatzkräfte wird pauschal auf die Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechtes verwiesen, aus denen sich jedoch beim besten Willen keine einschlägigen Eingriffs- und Zwangsanwendungsbefugnisse herauslesen lassen. Immerhin war zu erfahren, dass die Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes analog anzuwenden sind und die Betroffenen datenerhebenden Stelle ein Auskunftsersuchen einreichen können.3
Unter dem Aspekt der immer als vorrangig apostrophierten Bekämpfung der Schleusungskriminalität und Aufdeckung der Migrationsnetzwerke stellt sich die Frage nach der Expertise und Professionalität der Einsatzkräfte. Mit nicht gelindem Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Befragung der aus Seenot Geretteten in der ersten Phase auf freiwilliger Basis durch „vier deutsche Soldaten der Feldnachrichtentruppe“ erfolgte, wobei weitere deutsche Soldaten bei Bedarf hätten unterstützen können.4 Forensische Maßnahmen wie z.B. das Auslesen der Mobiltelefone wurden nicht getroffen. Dem Verfasser wurde auf Anfrage nach den Qualifikationen des Ermittlungspersonals vom Bundesverteidigungsministerium mitgeteilt, dass die eingesetzten Soldaten „durch Lehrgänge intensiv auf derartige Aufgaben vorbereitet werden und für den Einsatz an Bord spezifische Ausbildungsinhalte erhalten.“ Zusätzlich hat der Bundesnachrichtendienst ein Unterstützungselement Militärisches Nachrichtenwesen bereitgestellt.
Spätestens hier stellt sich die Frage, wie durch den Einsatz deutscher Militärschiffe, für die Kriegsführung im 21. Jahrhundert konzipiert, und mit Militärpersonal ohne die spezielle kriminalpolizeiliche Expertise für Schleuserkriminalität eigentlich verlässliche Informationen über das weitgehend unaufgeklärte Migrationsnetzwerk gewonnen werden können, zumal deren Struktur allenfalls im afrikanischen Hinterland, aber nicht auf Hoher See aufgeklärt werden kann. Schleusungskriminalität ist ein prototypischer Fall der globalen organisierten Kriminalität mit vielen Hierarchiestufen bis in die Regierungsebene der Herkunfts- und Transitländer hinein und erfordert wegen ihrer Vielschichtigkeit tiefgehende Strukturermittlungen, insbesondere bei den Geldströmen, durch hochspezialisierte Ermittlungsgruppen. Nicht nur der Fachmann fragt sich nachdenklich, warum die Befragungen nicht durch die Spezialisten der Bundes- oder Landespolizei oder des Bundeskriminalamtes mit ihrem reichen Erfahrungsfundus durchgeführt werden und was dazu geführt hat, dass die Bundeswehr jetzt nicht nur allgemeinpolizeiliche, sondern darüber hinaus die qualitativ anspruchsvollen kriminalpolizeilichen Aufgabenfelder wahrnimmt, für die sie nicht ausgebildet ist. Allein sinnvoll wäre ein Joint Venture zwischen Bundeswehr, die in diesem Fall allein über die erforderliche Logistik verfügt, und den spezialisierten Ermittlungsgruppen der Polizeien gewesen, das allein eine sinnvolle Aufklärung und Strafverfolgung ermöglicht hätte. So konstatieren wir folgendes bizarre Ergebnis: Polizeiliche Aufgaben darf die Bundeswehr im Ausland wahrnehmen, das Zusammenwirken mit deutschen Polizeiorganen bleibt ihr versagt. Unter diesen Vorzeichen degeneriert die nimmermüde flächendeckende Politformel nach mehr Vernetzung als Allheilmittel gegen Schnittstellenprobleme – siehe die Untersuchungsberichte zum NSU – zur ideologischen Leerformel. Offensichtlich hat die deutsche Sicherheitspolitik ihre Lektionen immer noch nicht gelernt. Bereits die Befreiung der Geisel des von somalischen Piraten gekaperten deutschen Frachters „Hansa Stavanger“ musste trotz Einstandskosten in Millionenhöhe ergebnislos abgebrochen werden, weil sich Auswärtiges Amt, Bundesverteidigungsministerium und Bundesinnenministerium wegen Ressorteitelkeiten und Rechtsbedenken nicht auf eine adäquate Lösung einigen konnten. Diese für polizeilich-militärische Gemengelagen typische Philosophie des Non-Decision gebiert immer aufs Neue kriminalpolitische Fehlentscheidungen, weil man sich aus politischem Opportunismus vor einer Entscheidung drückt, die nur darin bestehen kann, dass die Einzelfall erforderliche gemeinsame Einsatzbewältigung von Militär und Polizei auf eine zukunftsfähige Rechtsgrundlage gestellt werden muss. Mit Non-Decision bezeichnet der Historiker Paul Nolte eine Vermeidungsstrategie, bei der Entscheidungen so geführt werden, dass die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.