Neue Risiken für den Rechtsstaat – Anmerkungen zum Stand der inneren Sicherheit in Deutschland

Von Dr. jur. Bijan Nowrousian, Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Kiel

1. Neue und bestehende Risiken


Deutschland erlebt in diesen Tagen Kriminalität, wie es sie in dieser Form noch nie gesehen hat.
Zunächst schwappt eine Welle rechtsextremer Straftaten übers Land, zumeist in Form von volksverhetzenden Äußerungen über das Internet, aber vermehrt auch mit Brandanschlägen gegen geplante Unterkünfte von Asylbewerbern.1 Das Neue: Viele Täter sind bis dahin weder als Straftäter noch als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten. Es scheinen oft ganz normale Bürger.2
Und dann erlebt Deutschland in der Silvesternacht von 2015 auf 2016 in vielen deutschen Großstädten, vor allem aber auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln, wie sich massenhaft junge Männer in großen Gruppen um Frauen scharen, diese sexuell nötigen, ausrauben und in einigen Fällen sogar vergewaltigen.

Das Ganze geschieht mitten im belebten öffentlichen Raum und jedenfalls in Köln vor den Augen einer personell viel zu schwach aufgestellten Polizei, die beschimpft und wie die Opfer verhöhnt wird. Die Täter: junge Muslime aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Wahrscheinlich viele von ihnen eingereist als Flüchtlinge. Die Taten: bisher nur aus der arabischen Welt bekannt, vor allem aus Ägypten. Und erkennbar mit dem Hauptziel, zugleich die Minderwertigkeit der Opfer, die Verachtung gegenüber ihnen und dem Staat sowie dessen Unfähigkeit zu demonstrieren, die Opfer zu schützen. Das Resultat: Angstzonen in deutschen Großstädten und ein gutes Drittel der Bevölkerung, das nun größere Menschenansammlungen meiden wolle.3
Freilich stehen beide neuen Kriminalitätsphänomene in einem Kontext bereits bekannter drängender Probleme:
Zum einen erlebt Deutschland insgesamt verfestigte und teils sogar wachsende und immer offensiver agierende Szenen politisch motivierter Straftäter.
Neben den benannten Rechtsextremisten – bei denen vor allem eine zunehmende Militanz alarmiert4 – besteht zum einen das wachsende Feld des Islamismus und des Salafismsus. Namentlich letzterer, aus dessen Ideologie heraus Terrorismus oft erst entsteht, erlebt kontinuierlichen Zulauf.5 Und Islamismus wie islamistischer Terrorismus bekämpfen, wie sich insbesondere bei den Anschlägen in Paris im Jahre 2015 sowie zuletzt in Brüssel am 22.03.2016 gezeigt hat, gerade das, was den Westen ausmacht: das offene Wort und das freie Leben.
Ferner bereiten Linksextremisten Sorge, vor allem die sogenannte Antifa, die in hohem Maße kampagnenfähig ist und politische Gegner kontinuierlich mit Straftaten überzieht.6 Dies ist gleich aus zwei Gründen ein als solcher viel zu wenig beachteter Großangriff auf die Demokratie: Zum einen ist es dies schon deshalb, weil sich hier Private anmaßen, bestimmen zu wollen, was im politischen Meinungskampf überhaupt gesagt werden darf und was nicht. Dies ist entschieden abzulehnen, gleich gegen wen sich solche Aktionen auch richten. Zum anderen ist es deshalb ein Angriff auf die Demokratie selbst, weil sich derartige Aktionen weit überwiegend gegen Ziele richten, die ihrerseits gar nicht rechtsradikal oder verfassungsfeindlich sind.7 Keiner Demokratie und keinem Demokraten kann dies bedeutungslos oder gar begrüßenswert erscheinen.
Zum anderen erweisen sich Täter aus muslimischen Parallelgesellschaften, welche in Deutschland schon seit Längerem bestehen, der Mehrheitsgesellschaft und ihren Repräsentanten gegenüber ganz allgemein immer häufiger offen ablehnend und aggressiv. Dies äußert sich etwa darin, dass in vielen deutschen Städten jede Polizeiarbeit dadurch unmöglich gemacht zu werden versucht, dass sich selbst bei Ahndung bloßer Ordnungswidrigkeiten sogleich Scharen junger Männer um die Beamten zusammenrotten und die Maßnahme durch Geschrei und bedrohliche Gesten stören.8 Es äußert sich aber auch darin, dass Angehörige zumeist libanesischer Familienclans, die in den Achtzigern als Bürgerkriegsflüchtlinge ins Land kamen, offen Herrschaftsansprüche für ganze Straßenzüge oder Viertel reklamieren.9
Neben diesen Kriminalitätsformen erlebt Deutschland auch sonst anhaltend hohe Aktivitäten im Bereich der organisierten Kriminalität sowie einen sprunghaften Anstieg von für die Opfer besonders belastenden Taten des Wohnungseinbruchsdiebstahls.10 Die Aufklärungsquote ist hier mit 15,9 % im Jahre 2014 11 so gering, dass die Bundesregierung den Bürgern privaten Einbruchsschutz nahelegt.12 Als weiteres Kriminalitätsfeld mit einer hohen Zahl an schweren Taten und zumindest in den Großstädten erheblicher Beeinträchtigung der Sicherheit des öffentlichen Raumes besteht ferner das Problemfeld der jugendlichen Intensivtäter.13
Auch wenn in anderen Feldern die Kriminalität teilweise rückläufig ist: Gerade besonders gefährliche Formen von Kriminalität und rechtsfeindlichem Verhalten sowie für das Sicherheitsempfinden der Bürger besonders gravierende Kriminalitätsformen nehmen zu oder entstehen gar neu.

2. Charakteristika der Bedrohungen


So unterschiedlich die genannten Deliktsfelder auch sein mögen, sie haben gleichwohl zwei nahezu durchgängig bestehende Gemeinsamkeiten:
Zum einen zeichnen sich die Täter häufig dadurch aus, nicht einfach nur das Recht zu brechen, sondern sich bewusst gegen ein gesetzestreues Leben und damit gegen die Regeln der Mehrheitsgesellschaft zu stellen und diese expressis verbis abzulehnen.14 Bei politisch motivierten Straftätern ist dies, wenn sie nicht nur Mitläufer sind, erklärtes Programm. Gleiches gilt für Täter aus Parallelgesellschaften, da Parallelgesellschaften ja gerade durch das Leben nach eigenen Regeln definiert werden.15 Aber auch viele Gruppen der organisierten Kriminalität besitzen eigene, für die Mitglieder verbindliche Regelwerke, die anstelle des geltenden Rechts zu befolgen sind.16 Und jugendlichen Intensivtätern sind Regeln und Ansichten von Staat und Gesellschaft zumindest egal, falls diese nicht auch dort in der Art eines weltanschaulichen Aktes bewusst abgelehnt werden.17
Zum anderen ist in allen genannten Feldern außer Rechts- und Linksextremismus bei den Tatverdächtigen ein überproportional hoher Anteil von Tätern mit Migrationshintergrund festzustellen, und dies zumeist entweder aus muslimischen Ländern oder Osteuropa. Für Islamisten und Tätern aus muslimischen Parallelgesellschaften liegt dies auf der Hand. Es gilt aber auch in den anderen genannten Bereichen: Der Anteil der Passausländer unter den Beschuldigten in Verfahren der organisierten Kriminalität lag im Jahre 2014 bei 62,6 %18, darunter – bei insgesamt 104 festgestellten Nationalitäten – überwiegend Osteuropäer und Türken19. Weitere 10,9 % aller Tatverdächtigen hatten zwar einen deutschen Pass, jedoch eine abweichende Geburtsstaatsangehörigkeit, und dies wiederum meist osteuropäisch sowie türkisch und arabisch.20 Beim Wohnungseinbruchsdiebstahl betrug der Ausländeranteil unter den ermittelten Tatverdächtigen im Jahre 2014 in Bayern 43 %21 und es spricht zumindest nichts gegen die wegen des hohen Dunkelfeldes nur schwer zu beweisende kriminalistische Erfahrung, dass der Anstieg der Fallzahlen in hohem Maße auf verstärkte Aktivitäten von meist von Migranten gebildeten organisierten Gruppen zurückzuführen ist.22 Und unter jugendlichen Intensivtätern stellen vor allem türkisch- und arabischstämmige Täter mit Abstand den größten Anteil, gefolgt von Osteuropäern.23
Zum Migrantenanteil unter den Tatverdächtigen sei zur Vermeidung von Missdeutungen auf die folgenden drei Punkte hingewiesen:
Zum Ersten finden sich unter den Tätern der genannten Deliktsfelder stets auch nennenswerte Anteile von Tatverdächtigen ohne Migrationshintergrund, die sich in ihrer Ablehnung von Staat und Gesellschaft und ihrer Gefährlichkeit von den Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund nicht unterscheiden. Lediglich der Ausländeranteil ist überproportional hoch.
Zum Zweiten ändern die genannten Probleme mit ausländischen Beschuldigten trotz ihres Gewichts nichts daran, dass Deutschland in der Summe von Einwanderung profitiert hat und weiter profitieren kann, da die große Zahl integrierter Migranten schon jetzt in erheblichem Maße Wohlstand schafft und auch in Zukunft schaffen wird.24
Zum Dritten bedeutet das massierte Auftreten bestimmter Gruppen von Migranten in schweren Deliktsfeldern nicht, dass alle Einwanderer mit dem gleichen ethnischen oder religiösen Hintergrund Integrationsverweigerer wären. Vielmehr finden sich auch unter den Angehörigen dieser Gruppen zahlreiche Beispiele gelungener Integration und ist auch bei diesen Gruppen Straffälligkeit auf eine Minderheit beschränkt.
Dass gescheiterte Integration nicht die Regel und gelungene nicht die Ausnahme ist, wird dabei gerade im Bereich der Strafrechtspflege immer sichtbarer. Dort sind nämlich keineswegs nur Täter mit Migrationshintergrund ein leider gewohntes Bild, sondern mehr und mehr auch Polizeibeamte25, Staatsanwälte und Richter. Und diese arbeiten genauso wie ihre Kolleginnen und Kollegen ohne Migrationshintergrund daran, deutsches Recht zur Geltung zu bringen, und nehmen dabei namentlich als Polizeibeamte auch die gleichen Risiken in Kauf.
Dies stets im Blick, ist freilich der relativ hohe Migrantenanteil bei den genannten Deliktsfeldern bei der Problemanalyse ebenso wie bei der Suche nach Lösungen mit zu bedenken, und zwar ohne falsche Rücksichtnahmen und Denkverbote.

3. Sicherheitsrisiken und das Wesen des Rechtsstaats


Wie soll, wie muss der Rechtsstaat auf diese Bedrohungen reagieren?
Bevor man sich dieser Frage nähert, ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass es sich dabei nicht um irgendeine Frage handelt, sondern um eine, die gerade den liberalen Rechtsstaat in seinem Kern berührt. Der liberale Staat verspricht seinen Bürgern ja vor allem dies: Freiheit. Doch „ohne Sicherheit ist keine Freiheit“26, wie Wilhelm von Humboldt schon vor über zweihundert Jahren feststellte. Wenn Bürger jederzeit fürchten müssen, dass ihr Eigentum, ihr Leib oder gar ihr Leben schutzlos Angriffen Dritter ausgeliefert sind, bedeuten auf diese Rechtsgüter bezogene Freiheitsrechte nichts. Der Schutz individueller Rechte vor Angriffen Dritter ist daher Conditio sine qua non für jede Form von Freiheit und damit für das Funktionieren des liberalen Staates schlechthin.27

4. Die notwendigen Antworten des Rechtsstaats


Wie also ist Sicherheit und damit Freiheit angesichts der neuen Gefahren zu gewährleisten?
Zunächst müssen die Sicherheitsbehörden personell und technisch besser ausgerüstet werden. Statt Stellenkürzungen braucht es mehr Mitarbeiter und bessere Ausstattung. Zu Letzterem gehört auch Überwachungstechnik wie etwa eine offensive Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Dass dies für die Polizei und die Strafjustiz mittlerweile auch durch die Politik erkannt wurde, ist zu begrüßen.28 Es betrifft aber auch die in vergangenen Jahren viel gescholtenen Dienste, denen namentlich im Kampf gegen politischen Extremismus eine zentrale Rolle zukommt und die in Deutschland verglichen mit anderen westlichen Staaten völlig unterdimensioniert sind.29
Wo nötig, müssen auch Gesetze verschärft werden. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeiten, straffällige Ausländer leichter auszuweisen. Auch dies ist von der Bundesregierung zutreffend erkannt worden, indem in Zukunft schon bei der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe die Ausweisung möglich sein soll.30 Es wäre freilich zu erwägen, die Ausweisung nicht mehr an der Strafe, sondern am Schuldspruch festzumachen. Denn letztlich ist es die Tat, die die schwere Verletzung des Gastrechts darstellt, sodass es sachgerecht erschiene, dass jeder, der bestimmte gewichtige Taten, etwa eine sexuelle Nötigung, einen Raub oder einen Einbruchsdiebstahl, begeht, bereits durch diese Tat selbst sein Gastrecht und damit seinen Aufenthaltstitel verliert.
Zu prüfen ist auch, ob die Sicherheitsbehörden für Ermittlungen immer diejenigen rechtlichen Instrumente haben, die sie brauchen. Dabei ist alleine an der Sache zu entscheiden, ob weitere Instrumente wie etwa mehr Vorratsdatenspeicherung benötigt werden oder nicht.
Aber auch die Sicherheitsbehörden selbst müssen prüfen, ob ihre Abläufe und Praktiken anzupassen sind.
Bei der Polizei bedeutet dies insbesondere zu fragen, ob die vorhandenen Ressourcen wirklich immer effektiv eingesetzt werden. Das Ziel muss sein, so wenige Kräfte wie möglich auf die eigene Organisation zu verwenden und so viele Beamte wie möglich auf der Straße und in den ermittelnden Kommissariaten zu haben. Denn nichts ist für die innere Sicherheit so wirkungsvoll wie sichtbare Polizeipräsenz auf den Straßen und eine hohe Aufklärungsquote von Straftaten.

Foto: Post & Thiel


Die Strafjustiz muss sich insbesondere fragen, ob bei gefährlichen Straftätern immer auch wirksame Sanktionen verhängt werden. In Deutschland besteht eine weit zurückgenommene Strafverfolgung, in der empfindliche Strafen, namentlich stationäre Sanktionen, oft erst nach längerer krimineller Karriere verhängt werden, und selbst dann nicht konsequent. Eine solche Spruchpraxis hat auch ihre Berechtigung bei Tätern, die im Prinzip zu rechtstreuem Verhalten bereit sind und nur ausnahmsweise gegen Gesetze verstoßen haben. Bei Tätern mit rechtsfeindlicher Gesinnung aber, bei denen aus dieser Gesinnung schwere oder wiederholte Delinquenz erwächst, wirkt diese Spruchpraxis als Ausweis von Schwäche. Und gerade solche Täter stellen den harten Kern etwa politischer Extremisten, aggressiver Angehöriger von Parallelgesellschaften sowie von Tätern aus dem Bereich organisierter Kriminalität. Wer zur Rechtstreue gar nicht bereit ist, nicht einmal aus Kalkül, kann eben nur dann überhaupt erreicht werden, wenn man ihm sein gesetzloses Verhalten faktisch unmöglich macht. Und dies geht mit ambulanten Sanktionen nicht. Darum bedarf es hier rascher und langer stationärer Sanktionen und darum wirken bei solchen Tätern auch nur diese. Das geltende Recht gibt dies ohne Weiteres her: schon jetzt setzt Bewährung eine – bei solchen Tätern regelmäßig nicht vorhandene – günstige Sozialprognose voraus und schon jetzt gehen die Strafrahmen weit nach oben. Gerichte verhängen aber gleichwohl oft auch bei notorischen Rechtsbrechern Bewährungsstrafen und bewegen sich allgemein immer eher im unteren Bereich des Strafrahmens. Das Gesetz verlangt dies nicht. Diese Spruchpraxis hat ihren Ursprung vielmehr darin, dass bei Gericht – wie übrigens auch in der kriminologischen Forschung – zwischen resozialisierungswilligen und resozialisierungsunwilligen Tätern nicht konsequent genug unterschieden wird. Dies gilt es abzustellen.31
Dies schließt den Versuch resozialisierender Maßnahmen auch bei rechtsfeindlich eingestellten Tätern keineswegs aus. Auch der Vollzug ist – neben dem auch bezweckten Schutz der Allgemeinheit – eine bessernde Maßnahme, was durch zahlreiche Angebote an Gefangene von den Justizvollzugsanstalten auch mit Leben gefüllt wird. Es ist nur zu vermeiden, Resozialisierung als Argument gegen wirksame Sanktionen ins Feld zu führen.
Ferner ist zu prüfen, inwieweit Verfahren zügiger durchgeführt werden können. Hier setzen die Ressourcen zwar ab einem bestimmten Punkt absolute Grenzen. Aber im Rahmen des Möglichen sollte und kann durch entsprechende Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht zumindest bei besonders dringlich erscheinenden Fällen die Zeit bis zum Urteil deutlich verkürzt werden.
Die Ausländerbehörden schließlich sind gehalten, vorhandene Ausweisungsmöglichkeiten auch konsequent zu nutzen, auch wenn man hier wegen vielfacher Abschiebungshindernisse Wunder nicht erwarten sollte.

5. Polizei, Justiz und Politik: die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Sicherheit


Freilich müssen Polizei und Justiz noch eines mehr: Sie müssen der Politik, den Medien und der Gesellschaft klarmachen, was sie überhaupt können und was nicht. Polizei und Justiz können Straftaten aufklären und ahnden. Die Sicherheitsbehörden können ferner versuchen, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Aber eines können Sicherheitsbehörden und Justiz nicht: eine immer fragmentiertere Gesellschaft vor dem Zerfall bewahren.
Blickt man noch einmal auf die beiden genannten Charakteristika der drängenden Problemfelder – die offene Ablehnung der Regeln der Mehrheitsgesellschaft und der hohe Migrantenanteil unter den Tätern –, so wird deutlich, dass hinter diesen Phänomenen ein grundsätzlicheres Problem liegt: ein stetig voranschreitender Zerfall der Gesellschaft. Denn bevor Polizei und Justiz mit diesen Tätern überhaupt befasst sind, steht deren Entscheidung, gegen die Mehrheitsgesellschaft zu leben und Regeln zu befolgen, die dieser fremd sind und ihr letztlich auch schaden. Und ein solcher gesellschaftlicher Zerfall, den Polizei und Justiz bereits abgeschlossen vorfinden, wenn sie mit ihrer Arbeit beginnen, lässt sich durch Strafverfolgung alleine gewiss nicht beseitigen.
Was getan werden müsste, um dieses zugrunde liegende Problem zu lösen oder zumindest zu bearbeiten, kann hier aus Kapazitätsgründen nur skizziert werden.
Soweit es um die Zunahme von Tätern mit konträren Werteorientierungen geht, ist sicher auch bei diesen angezeigt, nach sozialen Ursachen und „der gesellschaftlichen Abhängigkeit der Kriminalität“32 zu fragen und zu versuchen, diese anzugehen. Dabei ist indes stets zu beachten, dass darauf zielende Maßnahmen bei bereits rechtsfeindlich Gesinnten niemals an die Stelle konsequenter und im obigen Sinne wirksamer Strafverfolgung treten dürfen. Soziale Maßnahmen haben vielmehr darauf zu zielen, Milieus zu verhindern, aus denen heraus rechtsfeindliche Gesinnung erwächst.
Auch deliktsspezifische Maßnahmen sind daneben verstärkt geboten. Hierzu zählen namentlich Deradikalisierungsstrategien und politische Bildung zur Bekämpfung von politischem Extremismus.
Grundlegend ist freilich von der Erkenntnis Jakobs auszugehen, dass ganz allgemein die Möglichkeiten zunehmen, „am Recht vorbei eine Identität aufzubauen“, je weniger stark eine Gesellschaft bindend ist.33 Daher gehört zur Bekämpfung rechtsfeindlicher Milieus auch, den Wert überkommener Strukturen – „Familie, Sprache, Institutionen, Religion, Staat“ – neu zu begreifen und damit aufzuhören, diese in einer „Dauerrede vom `schlechten Bestehenden´» zu bekämpfen.34 Es sind letztlich diese Strukturen, die Gesellschaften zusammenhalten.
Soweit es den hohen Migrantenanteil unter gefährlichen Straftätern betrifft, kommt für die Zukunft der inneren Sicherheit in Deutschland dem Themenfeld Einwanderung und Integration eine zentrale Rolle zu. Auch hier wird es vielfältiger Maßnahmen bedürfen, die wiederum nicht an die Stelle wirksamer Bestrafung von Tätern treten sollen, sondern der Verhinderung des Ausbreitens rechtsfeindlicher Milieus zu dienen haben.
Das Erforderliche lässt sich, soweit es bereits im Lande aufhältige Einwanderer betrifft, mit den zwei Säulen der Sanktionierung von Integrationsverweigerung einerseits und dem Eröffnen ungeschmälerter Teilhabe für Integrationswillige andererseits beschreiben. Ersteres verlangt neben den oben skizzierten Maßnahmen auch solche der Verwaltungs- und Sozialbehörden, etwa die Streichung von Kindergeld bei Schulverweigerung.35 Letzteres verlangt Bleibe- und Einbürgerungsrechte sowie Schutz vor Diskriminierung für diejenigen, die fähig und willens sind, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden.
Soweit es Neueinwanderung betrifft, ist zu beachten, dass Einwanderung umso eher zum gesellschaftlichen Wohl beiträgt, je besser das Qualifikationsniveau von Einwanderern ist.36 Daran sowie an der Bereitschaft von Migranten, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden, hat sich jede Einwanderungspolitik deshalb auch zu orientieren. Die seit 2014 über das Asylrecht erfolgte massenhafte Einwanderung von überwiegend gering qualifizierten Migranten37 ist vor diesem Hintergrund zumindest im Blick auf deren Integrationsfähigkeit äußerst kritisch zu betrachten.
In einem viel zitierten Satz hat der Staatsrechtler Böckenförde gesagt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“38 Eine dieser Voraussetzungen ist gesellschaftliche Kohärenz. Kommt diese abhanden oder wird sie gar gezielt zerstört, beschwört man Sicherheitsrisiken herauf, denen keine noch so große Polizei, keine noch so gut informierten Dienste und keine noch so konsequente Justiz je Herr werden können.

Anmerkungen

  1. Vgl. Straftaten gegen Flüchtlinge steigen stark/ Mehr Hass, mehr rechte Kriminalität, Tagesschau, 15.12.2015, www.tagesschau.de/inland/straftaten-fluechtlinge-101.html; abgerufen 12.01.2016.
  2. Vgl. von der Heide, Brandanschläge auf Flüchtlingsheime/ Die Täter aus der Mitte, Tagesschau, 29.11.2015, www.tagesschau.de/inland/brandanschlaege-fluechtlingsheime-101.html; abgerufen 12.01.2016.
  3. Vgl. Wikipedia, Sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16, de.wikipedia.org/wiki/Sexuelle_%C3%9Cbergriffe_in_der_Silvesternacht_2015/16; abgerufen 12.01.2016.
  4. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2014, S. 32 ff..
  5. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2014, S. 86 ff..
  6. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2014, S. 64 ff..
  7. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2014, S. 65 f..
  8. Vgl. Kambouri, Deutschland im Blaulicht, S. 42 ff..; Frigelj, Wo Beamte Zielscheiben in Uniform sind, WELT, 15.4.2014, www.welt.de/politik/deutschland/article126959656/Wo-Beamte-Zielscheiben-in-Uniform-sind.html; abgerufen 12.01.2016.
  9. Vgl. Kurdisch-libanesische Clans in Deutschland: Wenn die Familie über dem Gesetz steht, Ostthüringer Zeitung, 8.1.2016, www.otz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Kurdisch-libanesische-Clans-in-Deutschland-Wenn-die-Familie-ueber-dem-Gesetz-st-1527583252; abgerufen 12.01.2016.
  10. Vgl. Krohn, Einbruch-Report 2015/ Viele bemerken den Dieb, FAZ, 6.5.2015, www.faz.net/aktuell/wirtschaft/einbruch-report-2015-viele-bemerken-den-dieb-13578287.html, abgerufen 12.01.2016; Blasius, Bis zu 50 Prozent mehr Wohnungseinbrüche in NRW-Städten, WAZ, 22.7.2015, www.derwesten.de/politik/dramatisch-mehr-einbrueche-in-den-nrw-grossstaedten-id10905710.html, abgerufen 12.01.2016.
  11. Vgl. statista, Polizeiliche Aufklärungsquote beim Straftatbestand Wohnungseinbruchsdiebstahl in Deutschland von 2001 bis 2014, de.statista.com/statistik/daten/studie/152583/umfrage/entwicklung-der-polizeilichen-aufklaerungsquoten-bei-wohnungseinbruchdiebstahl-seit-1995/; abgerufen 12.01.2016.
  12. Vgl. KfW, Bundesregierung gibt Zuschüsse für Maßnahmen zum Einbruchschutz, 19.11.2015, www.kfw.de/KfW-Konzern/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-Details_311360.html; abgerufen am 23.02.2016.
  13. Vgl. Schwind, Kriminologie, 22. Auflage, 2013, § 3, Rn. 23 a.
  14. Vgl. Nowrousian, Archiv für Kriminologie, 2013, S. 128, 131.
  15. Vgl. Schwind, Kriminologie, 22. Auflage, 2013, § 24, Rn. 40 a.
  16. Vgl. von Danwitz, Examens-Repetitorium Kriminologie, 2004, S. 107 m.w.N..
  17. Vgl. Nowrousian, Archiv für Kriminologie, 2013, S. 128, 131 m.w.N..
  18. Vgl. Organisierte Kriminalität, Bundeslagebild 2014, S. 6.
  19. Vgl. Organisierte Kriminalität, Bundeslagebild 2014, S. 4, 9 f..
  20. Vgl. Organisierte Kriminalität, Bundeslagebild 2014, S. 9.
  21. Vgl. Truscheit, Einbruchsstatistik/ Gelegenheit und Drogensucht machen Diebe, FAZ, 13.4.2015, www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/zahl-der-einbrueche-in-deutschland-steigt-auch-2014-13535578.html; abgerufen 12.01.2016.
  22. Vgl. Kersting/ Kiefert, Wer sind die Täter beim Wohnungseinbruch?, KRIMINALISTIK 2013, S. 81 ff..
  23. Vgl. Wefing, Integration/ Haft schadet nicht nur, FAZ, 14.07.2006, www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/integration-haft-schadet-nicht-nur-1354598.html; abgerufen am 19.02.2016.
  24. Vgl. Bonin, Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt, Bertelsmann-Stiftung 2014, S. 24 ff..
  25. Vgl. Mediendienst Integration, Interkulturelle Öffnung/ Anteil der Polizisten mit Migrationshintergrund, 08.09.2014, mediendienst-integration.de/artikel/anteil-der-polizisten-mit-migrationshintergrund-in-deutschland.html, abgerufen am 21.02.2016; MIGAZIN, Nordrhein-Westphalen/ Immer mehr Polizisten mit Migrationshintergrund, 07.11.2013, www.migazin.de/2013/11/07/nordrhein-westalen-immer-polizisten/, abgerufen am 21.02.2016.
  26. Von Humboldt, Über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates (erschienen 1792 unter dem Titel: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen), 1946, S. 66.
  27. Vgl. Nowrousian, Heimliches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, 2015, S. 149 ff..
  28. Vgl.Till-R. Stoldt, Mehr Polizei, mehr Kripo, mehr Überwachung, WELT, 19.01.2016, www.welt.de/regionales/nrw/article151154087/Mehr-Polizei-mehr-Kripo-mehr-Ueberwachung.html, abgerufen am 13.04.2016; Deutscher Richterbund: Mehr Richter und Staatsanwälte angesichts der Flüchtlingskrise, Ausgabe 06/2016, 01.04.2016, www.drb.de/fileadmin/docs/Aktuell/2016/AKTUELL_06_2016.pdf; abgerufen am 13.04.2016.
  29. Vgl. Ladipo, Vereitelte Anschläge/ Erfolgsgeheimnis der britischen Anti-Terror-Einheiten, WELT, 25.12.2015, www.welt.de/politik/ausland/article150289039/Erfolgsgeheimnis-der-britischen-Anti-Terror-Einheiten.html; abgerufen 12.01.2016.
  30. Vgl. Klausur in Mainz: CDU will schärfer gegen kriminelle Asylbewerber vorgehen, Spiegel, 09.01.2016, www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-fluechtlinge-sollen-auch-bei-bewaehrung-asylrecht-verlieren-a-1071256.html; abgerufen 12.01.2016.
  31. Vgl. Nowrousian, Zur Wirkung von Sanktionsart und Sanktionshöhe – Anmerkungen aus der Praxis zu den Ergebnissen kriminologischer Sanktionsforschung, ARCHIV FÜR KRIMINOLOGIE 2013, S. 128.
  32. Ostendorf, Ursachen von Kriminalität, bpb, 27.04.2010, www.bpb.de/izpb/7735/ursachen-von-kriminalitaet; abgerufen am 19.02.2016.
  33. Jakobs, Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart, in: Eser/ Hassemer/ Burkhardt, Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrhundertwende, 2000, S. 47, 52 f..
  34. Marquard (Interview: Schmitter/ Schreiber), Wir brauchen viele Götter/ Der Philosoph Odo Marquard über die Sehnsucht der Deutschen nach gründlicher Weltverbesserung, den Mut zur Bürgerlichkeit, die Wichtigkeit von Teddybären und sein neues Buch, Spiegel, 24.02.2003, www.spiegel.de/spiegel/print/d-26448590.html; abgerufen am 19.02.2016.
  35. Vgl. Buschkowsky, Reden wir über Geld/ Kein Kindergeld für Schulschwänzer, Süddeutsche, 17.05.2010, www.sueddeutsche.de/geld/reden-wir-ueber-geld-bussgelder-fuer-schulschwaenzer-1.173072-3; abgerufen am 19.02.2016.
  36. Vgl. Bonin, Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt, Bertelsmann-Stiftung 2014, S. 34 f., 57 ff..
  37. Vgl. Wößmann, (Interview: Viarda), Integration/ „Zwei Drittel können kaum lesen und schreiben“, Zeit, 03.12.2015, www.zeit.de/2015/47/integration-fluechtlinge-schule-bildung-herausforderung; abgerufen am 19.02.2016.
  38. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60.