Recht und Justiz

Neue Risiken für den Rechtsstaat – Anmerkungen zum Stand der inneren Sicherheit in Deutschland


Zu prüfen ist auch, ob die Sicherheitsbehörden für Ermittlungen immer diejenigen rechtlichen Instrumente haben, die sie brauchen. Dabei ist alleine an der Sache zu entscheiden, ob weitere Instrumente wie etwa mehr Vorratsdatenspeicherung benötigt werden oder nicht.
Aber auch die Sicherheitsbehörden selbst müssen prüfen, ob ihre Abläufe und Praktiken anzupassen sind.
Bei der Polizei bedeutet dies insbesondere zu fragen, ob die vorhandenen Ressourcen wirklich immer effektiv eingesetzt werden. Das Ziel muss sein, so wenige Kräfte wie möglich auf die eigene Organisation zu verwenden und so viele Beamte wie möglich auf der Straße und in den ermittelnden Kommissariaten zu haben. Denn nichts ist für die innere Sicherheit so wirkungsvoll wie sichtbare Polizeipräsenz auf den Straßen und eine hohe Aufklärungsquote von Straftaten.

Foto: Post & Thiel


Die Strafjustiz muss sich insbesondere fragen, ob bei gefährlichen Straftätern immer auch wirksame Sanktionen verhängt werden. In Deutschland besteht eine weit zurückgenommene Strafverfolgung, in der empfindliche Strafen, namentlich stationäre Sanktionen, oft erst nach längerer krimineller Karriere verhängt werden, und selbst dann nicht konsequent. Eine solche Spruchpraxis hat auch ihre Berechtigung bei Tätern, die im Prinzip zu rechtstreuem Verhalten bereit sind und nur ausnahmsweise gegen Gesetze verstoßen haben. Bei Tätern mit rechtsfeindlicher Gesinnung aber, bei denen aus dieser Gesinnung schwere oder wiederholte Delinquenz erwächst, wirkt diese Spruchpraxis als Ausweis von Schwäche. Und gerade solche Täter stellen den harten Kern etwa politischer Extremisten, aggressiver Angehöriger von Parallelgesellschaften sowie von Tätern aus dem Bereich organisierter Kriminalität. Wer zur Rechtstreue gar nicht bereit ist, nicht einmal aus Kalkül, kann eben nur dann überhaupt erreicht werden, wenn man ihm sein gesetzloses Verhalten faktisch unmöglich macht. Und dies geht mit ambulanten Sanktionen nicht. Darum bedarf es hier rascher und langer stationärer Sanktionen und darum wirken bei solchen Tätern auch nur diese. Das geltende Recht gibt dies ohne Weiteres her: schon jetzt setzt Bewährung eine – bei solchen Tätern regelmäßig nicht vorhandene – günstige Sozialprognose voraus und schon jetzt gehen die Strafrahmen weit nach oben. Gerichte verhängen aber gleichwohl oft auch bei notorischen Rechtsbrechern Bewährungsstrafen und bewegen sich allgemein immer eher im unteren Bereich des Strafrahmens. Das Gesetz verlangt dies nicht. Diese Spruchpraxis hat ihren Ursprung vielmehr darin, dass bei Gericht – wie übrigens auch in der kriminologischen Forschung – zwischen resozialisierungswilligen und resozialisierungsunwilligen Tätern nicht konsequent genug unterschieden wird. Dies gilt es abzustellen.31
Dies schließt den Versuch resozialisierender Maßnahmen auch bei rechtsfeindlich eingestellten Tätern keineswegs aus. Auch der Vollzug ist – neben dem auch bezweckten Schutz der Allgemeinheit – eine bessernde Maßnahme, was durch zahlreiche Angebote an Gefangene von den Justizvollzugsanstalten auch mit Leben gefüllt wird. Es ist nur zu vermeiden, Resozialisierung als Argument gegen wirksame Sanktionen ins Feld zu führen.
Ferner ist zu prüfen, inwieweit Verfahren zügiger durchgeführt werden können. Hier setzen die Ressourcen zwar ab einem bestimmten Punkt absolute Grenzen. Aber im Rahmen des Möglichen sollte und kann durch entsprechende Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht zumindest bei besonders dringlich erscheinenden Fällen die Zeit bis zum Urteil deutlich verkürzt werden.
Die Ausländerbehörden schließlich sind gehalten, vorhandene Ausweisungsmöglichkeiten auch konsequent zu nutzen, auch wenn man hier wegen vielfacher Abschiebungshindernisse Wunder nicht erwarten sollte.

5. Polizei, Justiz und Politik: die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Sicherheit


Freilich müssen Polizei und Justiz noch eines mehr: Sie müssen der Politik, den Medien und der Gesellschaft klarmachen, was sie überhaupt können und was nicht. Polizei und Justiz können Straftaten aufklären und ahnden. Die Sicherheitsbehörden können ferner versuchen, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Aber eines können Sicherheitsbehörden und Justiz nicht: eine immer fragmentiertere Gesellschaft vor dem Zerfall bewahren.
Blickt man noch einmal auf die beiden genannten Charakteristika der drängenden Problemfelder – die offene Ablehnung der Regeln der Mehrheitsgesellschaft und der hohe Migrantenanteil unter den Tätern –, so wird deutlich, dass hinter diesen Phänomenen ein grundsätzlicheres Problem liegt: ein stetig voranschreitender Zerfall der Gesellschaft. Denn bevor Polizei und Justiz mit diesen Tätern überhaupt befasst sind, steht deren Entscheidung, gegen die Mehrheitsgesellschaft zu leben und Regeln zu befolgen, die dieser fremd sind und ihr letztlich auch schaden. Und ein solcher gesellschaftlicher Zerfall, den Polizei und Justiz bereits abgeschlossen vorfinden, wenn sie mit ihrer Arbeit beginnen, lässt sich durch Strafverfolgung alleine gewiss nicht beseitigen.
Was getan werden müsste, um dieses zugrunde liegende Problem zu lösen oder zumindest zu bearbeiten, kann hier aus Kapazitätsgründen nur skizziert werden.
Soweit es um die Zunahme von Tätern mit konträren Werteorientierungen geht, ist sicher auch bei diesen angezeigt, nach sozialen Ursachen und „der gesellschaftlichen Abhängigkeit der Kriminalität“32 zu fragen und zu versuchen, diese anzugehen. Dabei ist indes stets zu beachten, dass darauf zielende Maßnahmen bei bereits rechtsfeindlich Gesinnten niemals an die Stelle konsequenter und im obigen Sinne wirksamer Strafverfolgung treten dürfen. Soziale Maßnahmen haben vielmehr darauf zu zielen, Milieus zu verhindern, aus denen heraus rechtsfeindliche Gesinnung erwächst.
Auch deliktsspezifische Maßnahmen sind daneben verstärkt geboten. Hierzu zählen namentlich Deradikalisierungsstrategien und politische Bildung zur Bekämpfung von politischem Extremismus.
Grundlegend ist freilich von der Erkenntnis Jakobs auszugehen, dass ganz allgemein die Möglichkeiten zunehmen, „am Recht vorbei eine Identität aufzubauen“, je weniger stark eine Gesellschaft bindend ist.33 Daher gehört zur Bekämpfung rechtsfeindlicher Milieus auch, den Wert überkommener Strukturen – „Familie, Sprache, Institutionen, Religion, Staat“ – neu zu begreifen und damit aufzuhören, diese in einer „Dauerrede vom `schlechten Bestehenden´» zu bekämpfen.34 Es sind letztlich diese Strukturen, die Gesellschaften zusammenhalten.
Soweit es den hohen Migrantenanteil unter gefährlichen Straftätern betrifft, kommt für die Zukunft der inneren Sicherheit in Deutschland dem Themenfeld Einwanderung und Integration eine zentrale Rolle zu. Auch hier wird es vielfältiger Maßnahmen bedürfen, die wiederum nicht an die Stelle wirksamer Bestrafung von Tätern treten sollen, sondern der Verhinderung des Ausbreitens rechtsfeindlicher Milieus zu dienen haben.