Kriminalität

Vom Autonomen zum Postautonomen?



Militanz


Autonome kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Auch wenn nicht jeder von ihnen Gewalt ausübt, so befürworten sie in der Regel deren Einsatz. Als Militanter gilt dabei nicht nur der aktiv Handelnde, sondern auch derjenige, der Gewalt in Kauf nimmt bzw. mit gewaltsamen Aktionen sympathisiert. Die linksautonome Gewaltbereitschaft basiert auf einem klaren Feindbild, zu dessen tragenden Säulen der Staat und die ihn nach autonomer Auffassung stützenden Rechtsextremisten zählen. Um diese zu bekämpfen, halten Autonome alle Widerstandsformen bis hin zum Einsatz von Gewalt für legitim. Politisch motivierte Gewalt dient ihnen nach eigener Aussage als „Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft“, denn um die herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten muss zuvor der Staat als Garant der bisherigen Ordnung radikal beseitigt werden. Im Gegensatz zu den „klassischen“ Autonomen ist das Verhältnis der Postautonomen zur Gewalt vor allem taktischer Natur. Einerseits distanzieren sie sich von der Anwendung von Gewalt. Andererseits betonen sie, es gehe ihnen darum, die Wahl der Mittel entsprechend den eigenen Zielen selbst zu bestimmen. Die Absicht, das demokratische Spektrum als potentiellen Bündnispartner nicht zu verlieren, dürfte für diese Haltung ursächlich sein. Verstehen sich doch Postautonome als Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten Linken.

„Interventionistische Linke“ (IL)


Die IL kann zurzeit als das bedeutendste postautonome Bündnis betrachtet werden. Es begann damit, dass sich 1999 in einer ersten Phase undogmatische linksextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen in „Beratungstreffen“ zusammenfanden, um nach Wegen zu suchen, die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der „radikalen Linken“ in der Bundesrepublik zu erhöhen. Gezielt öffnete sie diese Treffen ab 2004 für linksextremistische Gruppen aus dem postautonomen Spektrum mit dem Ziel, die den Autonomen nahestehenden Strömungen zusammenzuführen.
Die IL formierte sich im weiteren Verlauf zu einem bundesweit agierenden Netzwerk vor allem linksextremistischer, aber auch nichtextremistischer Gruppierungen und Einzelaktivisten. Dem folgte ab 2010 eine intensive Organisationsdebatte, die mit einem von der IL herausgegebenen „Zwischenstandspapier“ vom 11. Oktober 2014 die Umstrukturierung der IL von einem Netzwerk zu einer Organisation abschloss. Zahlreiche Autonome Gruppen wie die „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB), und die „Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) sind seitdem ebenso wie das Bündnis „Avanti-Projekt undogmatische Linke“ weitgehend in der IL aufgegangen und fungieren nunmehr als IL-Ortsgruppen. Andere, wie beispielsweise die „Antifaschistische Linke International“ (A.L.I.) aus Göttingen, gehören als eigenständige Gruppierung der IL an.Folgt man ihrem Zwischenstandspapier, so orientiert sich die IL inhaltlich „am langfristigen Ziel einer radikalen Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Notwendiger „Bestandteil einer solchen radikalen Transformation ist der revolutionäre Bruch, dem wiederum viele kleine Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden, vorausgehen und folgen“, denn um „den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Kapitalverwertung, auf denen die ökonomische Macht basiert, und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung.“
Um anschlussfähig für das demokratische Spektrum zu sein, bemüht sich die IL um ein gemäßigtes äußeres Erscheinungsbild. So verzichten ihre Protagonisten bei Demonstrationen weitgehend auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht weiterhin militant wären. Vielmehr halten sie sich aus taktischen Gründen in der Gewaltfrage zurück. Aus diesem Grunde kann die IL eine wichtige Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, dem dogmatischen Linksextremismus und dem demokratischen Protestpotential einnehmen.
Da die Il sich als aktionsorientiert versteht, tritt sie bei der Organisierung von Protesten gegen internationale Großereignisse in Erscheinung. Im Jahr 2007 konnte so erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf die IL aufmerksam werden. An herausgehobener Stelle mobilisierte sie zu den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) und hatte mit Blick auf die angestrebte Erhöhung der Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit des linksextremistischen Spektrums damit durchaus auch Erfolg. So organisierte sie unter dem Motto „Make capitalism history“ den sogenannten Schwarzen Block auf der Großdemonstration von Rostock und war im Rahmen der Kampagne „Block G8“ für die Blockadeaktionen gegen den Gipfel mit zuständig. In den Folgejahren war das Netzwerk für verschiedene bundesweite Kampagnen zumindest mitverantwortlich. So beteiligte sie sich an der gegen die Transporte hochradioaktiver Brennstäbe ins atomare Zwischenlager in Gorleben gerichteten Aktion „Castor? Schottern!“ und zuletzt an den Protesten gegen den Braunkohletagebau in der Niederlausitz unter dem Motto „Ende Gelände“.
Von besonderer Bedeutung für Postautonome sind die im Rahmen der „Blockupy“-Bewegung organisierten „Krisenproteste“. So war die IL federführend an den (gewaltsamen) Protestaktionen gegen die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik in Frankfurt am Main in den Jahren 2012, 2013 und 2015 beteiligt.

„… ums Ganze! – kommunistisches Bündnis“ (uG)


Das uG wurde nach eigener Darstellung 2006 gegründet, um „linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen.“ Ihm gehören verschiedene Gruppierungen wie „Kritik&Praxis“ aus Frankfurt am Main, „redical M“ aus Göttingen, „the future is unwritten“ aus Leipzig oder die „autonome antifa [w]“ aus Wien an.
Wie man der Internetseite des uG entnehmen kann, ist der Kapitalismus ihrem Selbstverständnis nach nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern ein umfassendes Herrschaftsverhältnis, dass „in der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung angelegt (ist) – in der Art und Weise, wie Individuen, Unternehmen und Nationalökonomien sich im Kapitalismus tagtäglich reproduzieren müssen.“ Staat, Kapital und Markt bilden ein konfliktträchtiges System gesellschaftlicher Herrschaft, das sich in jeder Alltagssituation manifestiere und sich „nur als Ganzes“ bekämpfen lasse. Der bürgerliche Staat als Hüter des Rechts stehe deshalb außerhalb der kapitalistischen Konkurrenz und schütze dessen Voraussetzungen. Um die vom Staat ausgehende Gewalt zu beenden, muss nach Meinung des uG die Herrschaft von Staat und Kapital sowie „die Form Staat, die diese zwanghafte und konfliktträchtige Ordnung mehr oder weniger autoritär zu regieren und zu steuern versucht“ zugunsten einer herrschaftsfreien kommunistischen Gesellschaft abgeschafft werden. Das dahinter stehende Kommunismus-Verständnis des Bündnisses bleibt aber trotz ausgedehnter Grundsatzpapiere diffus. Eine negative Abgrenzung erfolgt zwar zum Staatssozialismus à la DDR, der als ein missglücktes Experiment bezeichnet wird. Die wiederholte Berufung auf das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels lässt aber eher auf ein klassisches Marxismusverständnis schließen.