Vom Autonomen zum Postautonomen?

Von Dr. Udo Baron, Historiker, Hannover


Schon seit geraumer Zeit leidet die Autonome Szene unter internen Streitigkeiten, zunehmender Zersplitterung und einer hohen Fluktuation. Verantwortlich dafür sind vor allem ungelöste Organisationsdebatten und zunehmende theoretische Orientierungslosigkeit. Sie haben die Autonomen in eine substanzielle inhaltliche und strukturelle Krise gestürzt. Als Reaktion auf die seit Jahren zunehmende interne Kritik an der Theorieferne, der Unorganisiertheit und Selbstbezogenheit der Autonomen Bewegung, haben einige von ihnen damit begonnen, sich zu organisieren und zu vernetzen, um so die Autonome Szene nachhaltig zu verändern.

Entstehung der Postautonomen


Teile der Autonomen reflektierten diese Missstände bereits zu Beginn der 1990er Jahre und versuchten Gruppenstrukturen und Netzwerke wie die zwischen 1992 und 2001 aktive „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) zu etablieren. Dieser Entwicklung vorausgegangen war die seit 1991 in der Autonomen Szene Berlins geführte „Heinz-Schenk-Debatte“.1 Unter dieser satirischen Selbstbezeichnung wurde intern massive Kritik am Selbstverständnis und der Handlungsweise der Autonomen geübt. Diese Entwicklung mündete schließlich in die Gründung der ersten postautonomen Gruppe „Für eine linke Strömung“ (FelS).

Vor diesem Hintergrund entstanden in den letzten Jahren neben dogmatisch, d.h. streng marxistisch-leninistisch ausgerichteten und bundesweit agierenden Bündnissen wie dem „[3A]* Revolutionärem Bündnis“2, der „Perspektive Kommunismus“ (PK) und der mittlerweile schon wieder aufgelösten „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO) auch undogmatische Zusammenschlüsse wie die „Interventionistische Linke“ (IL) und das „… ums Ganze!kommunistische Bündnis“ (uG). Ihre Wurzeln haben diese sich als postautonom verstehenden Organisationen im klassischen Autonomen Spektrum, können aber nicht mehr als deren Bestandteil angesehen werden. Mit dem Präfix „post-“ drücken sie aus, dass sie grundlegende Merkmale der Autonomen infrage stellen und deren überkommene Ansätze überwinden wollen. So werfen Postautonome dem „klassischen“ Autonomen ein reduziertes und instrumentelles Theorieverständnis vor. An die Stelle theoretischer Debatten trete bei ihm ihrer Meinung nach ein schwärmerisches Zugehörigkeitsgefühl, das nicht so sehr durch ein gemeinsames Projekt unterfüttert sei, sondern sich vielmehr durch Äußerlichkeiten wie Kleidung, Habitus und eine Art Verhaltenskodex auszeichne. Diese plan- und deswegen perspektivlose Vorgehensweise verhindere durch die beliebige Aneinanderreihung von Kampagnen und die Fetischisierung von Militanz eine wirklich revolutionäre Politik. Postautonome wollen dagegen innerhalb des linksextremistischen Spektrums eine Politik der strategischen Bündnisorientierung betreiben zu denen revolutionäre und moderate Linke gehören und in denen sie für eine Politik des Bruchs mit dem Kapitalismus eintreten wollen.

Selbstverständnis


Die sich als postautonom verstehenden Gruppierungen kennzeichnet zwar ebenso wie den „klassischen“ Autonomen ein aus marxistischen und anarchistischen Elementen bestehendes Weltbild mit den Zielen einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Sie präsentieren sich aber im Gegensatz zu den „klassischen“ Autonomen offen für unterschiedliche linksextremistische Weltbilder und somit als ideologisch undogmatisch. Die von ihnen angestrebte Revolution soll durch eine Transformation der bestehenden Ordnung und somit in Form eines langfristigen Prozesses erfolgen. Der Staat ist für Postautonome ebenso wie für Autonome „nackte Gewalt, Repression, Faschismus.“ Neben dem Rechtsextremisten ist der Polizist als Repräsentant des verhassten Staates der „Feind Nr. 1 aller Autonomen“. Damit hat sich nach Auffassung der Postautonomen aber die „autonome Staatstheorie“ erschöpft. Jede Auseinandersetzung mit der Polizei würde dadurch zu einer heroischen Tat und somit zu einer „revolutionären“ Praxis hochstilisiert. Jegliche politische Diskussion über militantes Handeln versande aus diesem Grunde wiederum auch umgehend. Autonome Gruppierungen verkommen so zur „linksradikalen Version“ einer Therapiegruppe, bei denen es nur noch darum geht, sich um das eigene Ego zu drehen. Die in der Autonomen Szene seit Beginn der 1990er Jahre geführten Militanz- und Organisationsdebatten seien im postautonomen Verständnis daher als Indikator dafür zu werten, dass es autonomer Politik an Homogenität mangelt und aus dieser strukturellen Krise die oftmals misslingende Vermittelbarkeit linksextremistischer Aktionsformen herrühre. Als Antwort auf diese Entwicklung versuchen Postautonome gegen teilweise heftige Widerstände aus dem Autonomen Spektrum das eigene Handeln zu organisieren und zu vernetzen.

Strukturen


Die Autonome Szene ist nicht homogen, sondern differenziert sich in zumeist lose organisierte Gruppierungen ohne einheitlichen ideologischen Überbau. Formell lehnen Autonome Organisationsstrukturen und Führungspersönlichkeiten ab. Sie organisieren sich zumeist über Kleingruppen, die durch persönliche Kontakte bzw. projekt-, aktions- oder themenbezogene Zusammenhänge zustande gekommen sind. Das wiederum schränkt ihre Handlungsfähigkeit und öffentliche Wahrnehmung ein und führt dazu, dass sich entsprechende Zusammenschlüsse oftmals so schnell wieder auflösen, wie sie entstanden sind. Postautonome sehen in diesen Zuständen die Ursache für die autonome Krise. Im Gegensatz zur autonomen Vorgehensweise ist ihre langfristig angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Einer ihrer wesentlichen Aspekte ist ihre breit gefächerte Bündnispolitik mit der eine Öffnung bis ins demokratische Spektrum der Gesellschaft und hin zu bislang unpolitischen Bevölkerungsschichten verbunden ist. Dieser Vorgehensweise liegt die Intention zugrunde, möglichst viele Personen über die gezielte Zuspitzung aktueller (Krisen-)Themen mit einzubeziehen und mittelfristig zu radikalisieren. Gezielt versuchen Postautonome bei politisch aktuellen Themen zu intervenieren und sie mit ihrer ideologischen Agitation zu besetzen. So waren sie an zentraler Stelle an der Organisierung der Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der „Europäischen Zentralbank“ (EZB) in Frankfurt am Main am 18. März 2015 ebenso beteiligt wie an der Vorbereitung der Protestaktionen gegen den G7-Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen im bayerischen Elmau im Juni 2015.


Foto: A. Lemberger


Eine gewisse Offenheit und Transparenz sowohl in ihrem politischen als auch persönlichen und ideologischen Auftreten ist für dieses agieren wesentlich. Zu Gute kommt den Postautonomen dabei, dass sie, im Gegensatz zu den „klassischen“ Autonomen, in der Regel lebensälter, zumeist (sehr) gut ausgebildet und beruflich oftmals etabliert sind. Das wiederum ermöglicht es ihnen, vielfältige Netzwerke bis weit in die bürgerliche Gesellschaft hinein zu knüpfen und sie für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Das führt dazu, dass sie an nahezu sämtlichen gesellschaftlichen Gruppierungen, weit über ihr originäres Spektrum hinaus, teilhaben können. Dieses temporäre Zusammenwirken stellt wiederum für die Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung dar. Kommt es doch bei ihrer Aufgabenerledigung darauf an, zwischen dem legitimen demokratischen und dem linksextremistischen Protest zu unterscheiden.



Militanz


Autonome kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Auch wenn nicht jeder von ihnen Gewalt ausübt, so befürworten sie in der Regel deren Einsatz. Als Militanter gilt dabei nicht nur der aktiv Handelnde, sondern auch derjenige, der Gewalt in Kauf nimmt bzw. mit gewaltsamen Aktionen sympathisiert. Die linksautonome Gewaltbereitschaft basiert auf einem klaren Feindbild, zu dessen tragenden Säulen der Staat und die ihn nach autonomer Auffassung stützenden Rechtsextremisten zählen. Um diese zu bekämpfen, halten Autonome alle Widerstandsformen bis hin zum Einsatz von Gewalt für legitim. Politisch motivierte Gewalt dient ihnen nach eigener Aussage als „Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft“, denn um die herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten muss zuvor der Staat als Garant der bisherigen Ordnung radikal beseitigt werden. Im Gegensatz zu den „klassischen“ Autonomen ist das Verhältnis der Postautonomen zur Gewalt vor allem taktischer Natur. Einerseits distanzieren sie sich von der Anwendung von Gewalt. Andererseits betonen sie, es gehe ihnen darum, die Wahl der Mittel entsprechend den eigenen Zielen selbst zu bestimmen. Die Absicht, das demokratische Spektrum als potentiellen Bündnispartner nicht zu verlieren, dürfte für diese Haltung ursächlich sein. Verstehen sich doch Postautonome als Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten Linken.

„Interventionistische Linke“ (IL)


Die IL kann zurzeit als das bedeutendste postautonome Bündnis betrachtet werden. Es begann damit, dass sich 1999 in einer ersten Phase undogmatische linksextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen in „Beratungstreffen“ zusammenfanden, um nach Wegen zu suchen, die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der „radikalen Linken“ in der Bundesrepublik zu erhöhen. Gezielt öffnete sie diese Treffen ab 2004 für linksextremistische Gruppen aus dem postautonomen Spektrum mit dem Ziel, die den Autonomen nahestehenden Strömungen zusammenzuführen.
Die IL formierte sich im weiteren Verlauf zu einem bundesweit agierenden Netzwerk vor allem linksextremistischer, aber auch nichtextremistischer Gruppierungen und Einzelaktivisten. Dem folgte ab 2010 eine intensive Organisationsdebatte, die mit einem von der IL herausgegebenen „Zwischenstandspapier“ vom 11. Oktober 2014 die Umstrukturierung der IL von einem Netzwerk zu einer Organisation abschloss. Zahlreiche Autonome Gruppen wie die „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB), und die „Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) sind seitdem ebenso wie das Bündnis „Avanti-Projekt undogmatische Linke“ weitgehend in der IL aufgegangen und fungieren nunmehr als IL-Ortsgruppen. Andere, wie beispielsweise die „Antifaschistische Linke International“ (A.L.I.) aus Göttingen, gehören als eigenständige Gruppierung der IL an.Folgt man ihrem Zwischenstandspapier, so orientiert sich die IL inhaltlich „am langfristigen Ziel einer radikalen Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Notwendiger „Bestandteil einer solchen radikalen Transformation ist der revolutionäre Bruch, dem wiederum viele kleine Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden, vorausgehen und folgen“, denn um „den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Kapitalverwertung, auf denen die ökonomische Macht basiert, und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung.“
Um anschlussfähig für das demokratische Spektrum zu sein, bemüht sich die IL um ein gemäßigtes äußeres Erscheinungsbild. So verzichten ihre Protagonisten bei Demonstrationen weitgehend auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht weiterhin militant wären. Vielmehr halten sie sich aus taktischen Gründen in der Gewaltfrage zurück. Aus diesem Grunde kann die IL eine wichtige Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, dem dogmatischen Linksextremismus und dem demokratischen Protestpotential einnehmen.
Da die Il sich als aktionsorientiert versteht, tritt sie bei der Organisierung von Protesten gegen internationale Großereignisse in Erscheinung. Im Jahr 2007 konnte so erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf die IL aufmerksam werden. An herausgehobener Stelle mobilisierte sie zu den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) und hatte mit Blick auf die angestrebte Erhöhung der Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit des linksextremistischen Spektrums damit durchaus auch Erfolg. So organisierte sie unter dem Motto „Make capitalism history“ den sogenannten Schwarzen Block auf der Großdemonstration von Rostock und war im Rahmen der Kampagne „Block G8“ für die Blockadeaktionen gegen den Gipfel mit zuständig. In den Folgejahren war das Netzwerk für verschiedene bundesweite Kampagnen zumindest mitverantwortlich. So beteiligte sie sich an der gegen die Transporte hochradioaktiver Brennstäbe ins atomare Zwischenlager in Gorleben gerichteten Aktion „Castor? Schottern!“ und zuletzt an den Protesten gegen den Braunkohletagebau in der Niederlausitz unter dem Motto „Ende Gelände“.
Von besonderer Bedeutung für Postautonome sind die im Rahmen der „Blockupy“-Bewegung organisierten „Krisenproteste“. So war die IL federführend an den (gewaltsamen) Protestaktionen gegen die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik in Frankfurt am Main in den Jahren 2012, 2013 und 2015 beteiligt.

„… ums Ganze! – kommunistisches Bündnis“ (uG)


Das uG wurde nach eigener Darstellung 2006 gegründet, um „linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen.“ Ihm gehören verschiedene Gruppierungen wie „Kritik&Praxis“ aus Frankfurt am Main, „redical M“ aus Göttingen, „the future is unwritten“ aus Leipzig oder die „autonome antifa [w]“ aus Wien an.
Wie man der Internetseite des uG entnehmen kann, ist der Kapitalismus ihrem Selbstverständnis nach nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern ein umfassendes Herrschaftsverhältnis, dass „in der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung angelegt (ist) – in der Art und Weise, wie Individuen, Unternehmen und Nationalökonomien sich im Kapitalismus tagtäglich reproduzieren müssen.“ Staat, Kapital und Markt bilden ein konfliktträchtiges System gesellschaftlicher Herrschaft, das sich in jeder Alltagssituation manifestiere und sich „nur als Ganzes“ bekämpfen lasse. Der bürgerliche Staat als Hüter des Rechts stehe deshalb außerhalb der kapitalistischen Konkurrenz und schütze dessen Voraussetzungen. Um die vom Staat ausgehende Gewalt zu beenden, muss nach Meinung des uG die Herrschaft von Staat und Kapital sowie „die Form Staat, die diese zwanghafte und konfliktträchtige Ordnung mehr oder weniger autoritär zu regieren und zu steuern versucht“ zugunsten einer herrschaftsfreien kommunistischen Gesellschaft abgeschafft werden. Das dahinter stehende Kommunismus-Verständnis des Bündnisses bleibt aber trotz ausgedehnter Grundsatzpapiere diffus. Eine negative Abgrenzung erfolgt zwar zum Staatssozialismus à la DDR, der als ein missglücktes Experiment bezeichnet wird. Die wiederholte Berufung auf das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels lässt aber eher auf ein klassisches Marxismusverständnis schließen.
Die weitgehend antideutsche3 Ausrichtung des uG wird vor allem an ihrer auf die Bundesrepublik fokussierten fundamentalen Kritik deutlich. So kritisiert es beispielsweise in einem auf ihrer Internetseite publizierten Kampagnenaufruf „There is an alternative – Kommunismus statt Schweinesystem!“ aus dem Juli 2014 die nach ihrer Auffassung ständig steigende Dominanz Deutschlands in Europa. Vor allem der Tag der deutschen Einheit stellt einen besonderen Schwerpunkt medienwirksamer Protestveranstaltungen des im uG organisierten antideutschen Spektrums dar, um so einer breiteren Öffentlichkeit ihre ideologische Sichtweise näher zu bringen. Die Beteiligung des uG an den gewalttätigen Protesten gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm machten das Bündnis erstmalig einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Zudem gehört es zu den Mitorganisatoren der „Blockupy Krisenproteste“ gegen die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik in Frankfurt am Main und mobilisierte zu den gewalttätigen Protesten gegen den alljährlich in Wien stattfindenden Akademikerball.

Ausblick


Die Entwicklung innerhalb der Autonomen Szene zeigt, dass sich diese seit geraumer Zeit in einer grundsätzlichen inhaltlichen und strukturellen Krise befindet. Verantwortlich dafür sind vor allem der ausgeprägte Grad ihrer Unorganisiertheit, ihre unzureichende Vernetzung, ihre theoretische Unbedarftheit, ihre Selbstbezogenheit und ein daraus resultierender blinder Aktionismus wie ihr von Kritikern aus den eigenen Reihen vorgehalten wird. Aus diesem Grunde dürften autonome Organisationen weder für die eigene Klientel noch für das nichtextremistische Spektrum sonderlich attraktiv sein.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sind in den letzten Jahren bundesweit neben dogmatischen Zusammenschlüssen verschiedene postautonome Bündnisse entstanden. Diese zunehmenden Vernetzungsbestrebungen von Teilen der heterogenen und traditionell organisationsfeindlichen Autonomen deuten auf einen möglichen Wandel von Teilen dieses Spektrums zu einem höheren Grad der Organisierung und Vernetzung hin, zumal sie sich nicht allein auf den nationalen Rahmen beschränken. So hat sich beispielsweise 2013 das uG auf internationaler Ebene mit griechischen und britischen Gruppierungen zur Allianz „Beyond Europe – Antiauthoritarian platform against capitalism“ zusammengeschlossen.
Neben Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main versuchen diese Bündnisse auch in Städten wie Leipzig Fuß zu fassen. Dort hat sich in den letzten Jahren vor allem im Stadtteil Connewitz ein virulente linksextremistische Szene entwickelt, in der die IL mit Gruppierungen wie „Prisma“ und das uG mit Gruppen wie „the Future is unwritten“ präsent ist. Seit dem linksextremistischen „Aufruf zur Gewalt“ vom 17. Dezember 2014 arbeitet dieses Spektrum einen „Masterplan“ der Gewalt gegen öffentliche und private Einrichtungen ab, die u.a. zu zahlreichen Anschlägen auf Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht, auf Polizeiwachen wie die in Connewitz, auf Unternehmen und zu Anschlägen auf Einzelpersonen wie dem sächsischen Justizminister geführt haben.
Im Gegensatz zu den dogmatischen Bündnissen, deren starre ideologische Ausrichtung kaum mit dem autonomen Denken vereinbar sein dürfte, könnte der postautonome Ansatz möglicherweise der Königsweg hinsichtlich einer erfolgreichen Neuorientierung des Autonomen Spektrums sein. Wenn es den Postautonomen gelingen sollte, die verstreuten autonomen (Kleinst-)gruppen zu organisieren, zu vernetzen und ihnen wieder einen theoretischen Überbau zu geben, könnte die postautonome Bewegung langfristig zu einer nicht zu unterschätzenden Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat werden. Ob sich aber der postautonome Ansatz innerhalb des autonomen Spektrums durchsetzen kann, darf durchaus angezweifelt werden. Denn die Entwicklung zu postautonomen Strukturen wird nicht unwidersprochen von dem „klassischen“ Autonomen hingenommen. Vielmehr ist der postautonome Gedanke innerhalb der Autonomen Szene höchst umstritten, da er dem autonomen Selbstverständnis zuwiderläuft. Beispielhaft für das Dilemma, in dem sich die Autonome Szene befindet, steht die Entwicklung der mittlerweile aufgelösten ALB. Sie beschreibt in ihrer Auflösungserklärung, dass sie insbesondere an ihrer Uneinigkeit über der Frage, ob sie eine autonome Antifa-Gruppe bleiben oder sich in eine postautonome Gruppierung transformieren solle, gescheitert sei. Im Resultat führte das dazu, dass sich ihre Mitglieder mittlerweile in autonomen ebenso wie in postautonomen Gruppierungen wiederfinden oder aber sich politisch ganz zurückgezogen haben.
Künftig bleibt somit abzuwarten, ob sich der postautonome Ansatz innerhalb des Autonomen Spektrums durchsetzen kann oder nicht. Sollte sich der „klassische“ Autonome d.h. der organisations- und hierarchiefeindliche und eher ideologieferne Linksextremist behaupten, so wird sich höchstwahrscheinlich die Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit der Autonomen Szene bis hin zu ihrer Marginalisierung und Bedeutungslosigkeit fortsetzen. Verstetigt sich dagegen die Entwicklung zum Postautonomen, so könnte sich der „klassische“ Autonome in einen vernetzten, organisierten und ideologisch aufgeladenen Postautonomen wandeln und dadurch die Schlagkraft der Autonomen Szene im nicht unerheblichen Maße erhöhen.

Anmerkungen


Die Selbstbezeichnung dieser Debatte rührte daher, dass zwei der an ihr beteiligten Autoren den Namen des Fernsehmoderators und Schlagersängers Heinz Schenk als Pseudonym wählten.
Der dreifach auftauchende Buchstabe A im Namen des [3A]* Revolutionäres Bündnis steht für antifaschistisch, antimilitaristisch und antikapitalistisch.Mit Beginn der 1990er Jahre bildete sich mit den sogenannten Antideutschen eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus, die sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus wandte. Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sie sich bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA, woraufhin es zum Bruch mit den übrigen Autonomen kam.