Kriminalität

Cyber-Jihad

Das Internet als vitales Instrument für Islamismus und slamistischen Terrorismus



2.2. Propagandainstrument

Das Spektrum der islamistischen und jihadistischen Propaganda kann als äußerst heterogen, multimedial und mehrsprachig beschrieben werden. Dazu sind die Grenzen zwischen der islamistischen und militant jihadistischen Propaganda fließend. Die jihadistische Propaganda hat die Funktion einer Selbstdarstellung zum Zweck der Bedrohung und Einschüchterung des Gegners sowie der Motivation und Rekrutierung von Sympathisanten und Unterstützern. Die verschiedenen Medien des Web 2.0 bieten den Islamisten und Jihadisten zahlreiche Möglichkeiten auf unterschiedlichen Plattformen für multimediale Ansätze ihrer Propaganda. Die einschlägigen Websites und auch die sozialen Netzwerkeinträge sind mit Tausenden von Büchern, Zeitschriften und Aufsätzen aus dem religiös-ideologischen Bereich verlinkt.14 Dort finden sich unterschiedliche Inhalte wie Interviews von Ideologen und Führungspersonen, Bekenntnisse zu bzw. Distanzierungen von Anschlägen und persönliche Erfahrungsberichte von Jihad-Schauplätzen. Die visuelle Kommunikation der jihadistischen Propaganda deckt ein breites Spektrum an Themen ab: Die hinlänglich bekannten Gefechts- und Hinrichtungsvideos einerseits, aber auch „Beweise“ für funktionierende Infrastruktur wie Wasserversorgung, Straßenbau und Bilder aus Schulen auf vom IS kontrollierten Territorium. Sowohl in sozialen Netzwerken wie Facebook, Youtube, Twitter und Instagram, als über Instant-Messaging-Dienste und in Form von Videos, die auf Websites und in sozialen Netzwerken verfügbar sind, werden propagandistische Inhalten zielgruppengerecht, häufig jugendgerecht, multilingual, auf technisch unterschiedlichem Niveau kommuniziert.15 Wichtige Ideologen und Führungspersonen von islamistischen und jihadistischen Gruppen nutzen Audio-, Video- und Textbotschaften und auch Videos im Stil von Reportagen.

2.2.1. Videos und Nashids

Bereits seit einigen Jahren rufen aus Europa stammende Jihadisten in Video-, Audio- und Textbotschaften Muslime dazu auf, ihre Wohnorte zu verlassen und sich „ganz der jihadistischen Idee, einem jihadistischen Leben“ zu widmen. Die jihadistischen Botschaften werden zielgruppengerecht in Form von Videos und sogenannten Nashid (singular) bzw. Anashid (plural) – wörtlich Hymnen – salafistischen und jihadistischen Kampfgesängen transportiert und stellen eine verzerrte, propagandistische Jihad-Realität dar.16 Dass multimediales Material schneller und stärker radikalisiert als Texte kann als herrschende Meinung der Forschung bezeichnet werden.17
Die IS-Medienabteilung Al-Hayat Media Center (HMC)18 ist seit Mitte 2014 maßgeblich für die jihadistische Ansprache des westlichen Publikums zuständig und ist bekannt für die Aufsehen erregenden Hochglanz-Produktionen wie die hochästhetisierten Features Salil as-Sawarim IV und Flames of War bis hin zu den zahlreichen Enthauptungsfilmen. Jihadistische Videos wie das vom Al-Hayat Media Center des IS produzierte und veröffentlichte Fisabilillah19 bieten eine story als prototypische Handlungsanweisung für die propagandistische Zielgruppe: Religiös-ideologisch inspiriert soll der Mujahid Abschied vom (friedlichen) Alltagsleben nehmen und für den Jihad zur Waffe greifen, sei es ein Improvised Explosive Device (IED), eine Handfeuerwaffe oder auch nur ein Messer.
Nicht nur der IS und die Al Qaida, sondern ein weltweites, national und regional agierendes islamistisches und jihadistisches Netzwerk verfügt über eine moderne und breite „Medienkompetenz“ wie aktuelle werbepsychologische Methoden und beweist ein hohes Verständnis für die Attraktion der Ästhetik im Einklang mit zeitgemäßen Mediengewohnheiten besonders der europäischen Zuschauer, die nur über ein rudimentäres theologisch-islamisches Wissen verfügen. Die Komposition und Rhythmik der oft verwendeten HD-Bilder zeugt von einem audiovisuellen Niveau das dem der Werbeindustrie entspricht und steht damit qualitativ auf einer Stufe, auf der die meist jugendliche Zielgruppe sehr leicht in ihrer medialen Lebenswirklichkeit abgeholt wird. Die europäische, westlich sozialisierte Zielgruppe muss hierbei kein besonders fortgeschrittenes islamisch-theologisches Wissen besitzen, um mit der religiös-ideologischen Weltsicht der islamistisch-jihadistischen Videos zu sympathisieren, da viele solcher Videos einerseits ästhetisch-audiovisuell und andererseits durch affektive und emotionale Faszination motivieren.20 Durch ihre moderne, attraktive, professionelle Aufmachung ist jihadistische Videopropaganda ein Einstiegs- bzw. ein Zusatzangebot der ganzheitlichen jihadistischen Angebotspalette.21 Zusammenfassend: Die jihadistische Propaganda versucht, wie jede effektive Propaganda, vornehmlich eine emotionale Ebene anzusprechen. Technisch bedient sie sich dabei in zahlreichen Fällen bei pop- bzw. subkulturellen Formaten wie Rap-Videos, Computerspielen und Filmen und deren Soziolekt, die unterhaltungsästhetischen Anforderungen entsprechen und holen ihre Zielgruppe damit in deren Lebenswirklichkeit ab. Die jihadistischen Propagandavideos wirken wie „Pop-Jihad“, sie nutzen ungefiltertes Zurschaustellen von unfassbarer Brutalität, menschenverachtende Tötungsvideos – in welchen enthauptet und verbrannt wird – und eben diese archaische Brutalität, verpackt in moderne Ästhetik, spricht jugendliche Interessenten an. Inhaltlich präsentieren sie indirekt und direkt einen gewaltverherrlichenden, archaischen Gegenentwurf zur rechtsstaatlichen Demokratie mit humanistischen Normen der Aufklärung, die sie ablehnen.


Jihadistische Propaganda aus dem Internet: Ein Jihadist und ein
Panzer vor dem brennenden Bundeskanzleramt in Berlin.