Kriminalität

Jihad-Export – Warum junge Deutsche Jihadisten werden

Soziologische Dimensionen des Radikalisierungsprozesses


Radikalisierungsprozesse laufen oft in salafistischen Gruppen ab. Dabei liefert die Gruppe eine Gruppenidentität, die die individuelle Identität mit all ihren Schwächen überschattet.12 Die innere Dynamik und die soziokulturellen Werte der salafistischen Gruppe erklären nicht nur die Rekrutierungskraft, sondern auch das Verbleiben und die Treue der Mitglieder. Die salafistische Gruppe hat eine eigene Gruppenkultur mit spezifischen Traditionen und Werten, die prinzipiell totalitär sind und vom Einzelnen die absolute Solidarität mit der Gruppe in ihrer Gesamtheit, nicht unbedingt mit dem einzelnen Individuum verlangen. Der Kontakt nach außen wird hierbei vehement abgelehnt und radikal sanktioniert, denn dieser soll nur von speziell dafür bestimmten Gruppenmitgliedern, die in ihrer Ideologie stark gefestigt sind, entsprechend strategischer Vorgaben geführt werden. Kein Gruppenmitglied äußert seine eigene Meinung, denn es gibt nur das Kollektiv. Die Migration in die Gruppe isoliert den Einzelnen psychisch und sehr oft auch physisch von seiner „normalen“ Umgebung. Vertrauensbeziehungen existieren nur zu anderen Gruppenmitgliedern.13 Die Kräfte, die dadurch entwickelt werden, können auch in Sekten beobachtet werden. Je stärker sich eine Person in die Gruppe eingliedert, umso weiter entfernt sie sich von ihrer ursprünglichen Lebenswelt. Eine Integration in die Gruppe bedeutet die komplette Auflösung des Individuums im Sinne der Gruppenidentität und der damit verbundenen hierarchisch einbahnigen totalen Kontrolle durch die Gruppe. Von religiösen Sekten wissen wir, dass nicht nur soziale Kontakte vorgeschrieben werden, sondern auch, dass Verehelichung von Gruppenmitgliedern diktiert wird. In salafistischen Gruppen können wir ähnliche Strukturen beobachten. Zwischen den Gruppenmitgliedern entwickeln sich im Laufe der Zeit existenzielle Bindungsverhältnisse.14 Daraus ergibt sich, dass Ansehen und Ruf innerhalb der Gruppe, das hierarchische Aufsteigen und die Akzeptanz durch die Mitglieder weitaus wichtiger sind als die Wahrnehmung von außen. Für religiös motivierte Gruppen sind die religiösen Texte von großer Bedeutung.15 Sich darin auszukennen, fasziniert und bindet zugleich. Daher ist die religiöse Indoktrination Ziel und Mittel zugleich.

Umgang mit Syrienrückkehrern – zwischen Repression und Reintegration


Etwa ein Drittel der Ausgereisten ist wieder zurückgekehrt. Für deutsche Behörden stellen vor allem diejenigen Jihadisten, die vom „Heiligen Krieg“ zurückkehren, eine besondere Bedrohung dar, weil sie Erfahrungen im Kampfeinsatz, in der Schusswaffennutzung, im Bombenbau oder in der Rekrutierung von neuen Anhängern mitbringen. Einige der Rückkehrer sind traumatisiert und desillusioniert, andere sind zudem zusätzlich radikalisiert und kommen mit dem Auftrag und dem Willen zurück, den Terror nach Deutschland zu bringen. Ihre Hemmschwelle zu aktiver Gewalt könnte deutlich gesunken sein. Daher müssen Syrienrückkehrer gemäß der derzeitigen Rechtsprechung damit rechnen, dass gegen sie Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat geführt werden. Das hat damit zu tun, dass die Bundesanwaltschaft die Mittel des Terrorismusstrafrechts möglichst effektiv einsetzen möchte, um die Bevölkerung vor möglichen Anschlägen zu schützen, denn die Rückkehrer werden als unkalkulierbares Risiko gesehen. In diesem Kontext wurden die Mittel für Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz erhöht und 750 neue Stellen geschaffen.
Bei vielen Rückkehrern ist es trotz Ermittlungsverfahren oft unbekannt, ob sie tatsächlich militärisch ausgebildet wurden. Und vor allem ist es sehr schwer ihnen rechtstaatlich nachzuweisen, dass und in welchem Umfang sie an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Zumal die rechtliche Grundlage für eine Verurteilung dieser nicht unbedingt sicher ist. Somit sind die Gerichte auf die Aussagen von Betroffenen angewiesen.
In der Stadt Aarhus in Dänemark hat sich eine andere Philosophie durchgesetzt. Dort wird argumentiert, dass Jihadisten, die in Syrien oder im Irak gekämpft haben, nach der Rückkehr in ihre Heimatländer eine Gefahr sein können, wenn sie ausgegrenzt werden. Daher wurde dort ein Sonderprogramm eingeführt, das die Betroffenen, denen man nicht nachweisen kann, dass sie an terroristischen Aktionen beteiligt waren und damit nicht verurteilt werden können, in die Gesellschaft eingliedern soll. Die Reintegration in die Gesellschaft umfasst psychologische und medizinische Hilfe und die Unterstützung bei der der Job- und Wohnungssuche. Des Weiteren wird den Rückkehrern ein Mentor zur Seite gestellt.
Dieser Ansatz aus Dänemark macht deutlich, dass im Kontext einer rechtsstaatlichen Kultur die Reintegration dieser Personen unerlässlich ist. Selbst wenn man diesen Personen Gesetzesverstöße nachweisen kann, stellt sich unmittelbar nach der Verurteilung die Frage, wie verhindert werden kann, dass diese Personen in der Haft radikalisierend auf andere Insassen einwirken bzw. wie eine Deradikalisierung der betroffenen Personen erfolgen kann. Hierbei muss immer bedacht werden, dass die Resozialisierung, also die Wiedereingliederung von Verurteilten in das soziale Gefüge der Gesellschaft, eines der Ziele einer Haftstrafe ist. Die Abkehr von Radikalität und extremistischen Neigungen ist ein langwieriger Lernprozess und bedarf der intensiven Sozialarbeit. Trotz der vielen Fälle und der steigenden Anzahl von Verurteilungen haben wir in Deutschland keine flächendeckenden Projekte der Resozialisierung.
Diejenigen, die nach Rückkehr mangels Beweise nicht verurteilt werden, sind eine besondere Herausforderung sowohl für die sicherheitspolitisch relevanten Akteure als auch die Präventionsarbeit. Für Polizei und Verfassungsschutz sind sie gewissermaßen eine deutliche Überforderung, die die Kapazität überdehnt. Eine 24-Stunden-Überwachung ist derart personal- und ressourcenintensiv, dass sie illusorisch wirkt. Auf der anderen Seite ist die Präventionsarbeit auf die freiwillige Teilnahme der Personen angewiesen. Es gibt keine gesetzliche Handhabe sie in die Maßnahme zu zwingen. Die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit mit diesen Personenkreisen ist zeitintensiv und langwierig. Und es fehlt momentan an Projekten und qualifiziertem Personal.
Die Erkenntnisse und die darauf basierenden Einteilung der Motivationen basieren auf biographische Analysen, Interviews mit Betroffenen und die Auswertung von Experteninterviews. Hierbei wurden Personen befragt, die in der praktischen Präventions- und Deradikalisierungsarbeit aktiv sind. Ferner wurden Gerichtsurteile, Eigendarstellungen von Jihadisten in den Sozialen Foren und propagandistische Verlautbarungen ausgewertet. Dieser Artikel ist ein Extrakt aus einer noch nicht veröffentlichten Studie des Autors.

Anmerkungen

  1. Siehe zum Thema Salafismus in Deutschland Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.) (2014): Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung, Bielefeld. Darin insbesondere El-Mafaalani, Aladin: Salafismus als jugendkulturelle Provokation. Zwischen dem Bedürfnis nach Abgrenzung und der Suche nach habitueller Übereinstimmung, S. 355 ff.
  2. Vgl Wiedl, Nina (2012): The Making of a German Salafiyya: The Emergence, Developement and Missionary Work of Salafi Movement in Germany, Aarhus, S.32 ff, sowie Steinberg, Guido (2012): Wer sind die Salafisten? Zum Umgang mit einer schnell wachsenden und sich politisierenden Bewegung, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 2012/A 28, Mai 2012, S. 6ff.
  3. Vgl. Wagemakers (2012): A Quietist Jihadi: The Ideology and Influence of Abu Muhammad al-Maqdisi, 2012, S. 29 ff.
  4. Vgl. Abou Taam, Marwan (2014): Salafismus in Deutschland – Eine Herausforderung für die Demokratie, in: ZIS 9/2014, S. 442 ff.
  5. Vgl. hierzu die kommentierte Ausgabe der Reden von Usama Bin Laden, Abou-Taam, M./ Bigalke, Ruth (2006): Die Reden des Osama Ben Laden, München, insbesondere darin: Die Wegweisungen.
  6. Über Islamfeindlichkeit siehe Heitmeyer, Wilhelm (2011): Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt: Folge 10, Bielefeld.
  7. Vgl. hierzu die Studie von Peters, Till Hagen (2012): Islamismus bei Jugendlichen in empirischen Studien: Ein narratives Review, Veröffentlichungen des Instituts für Religionswissenschaft und Religionspädagogik 2, Bremen.
  8. Über Identität und Krise siehe Erikson, E.H. (1968): Identity: Youth and Crisis, New York.
  9. Vgl. Schmidbauer, Wolfgang: Der pharisäische und der kannibalische Narzissmus, in: Ders.: Der Mensch als Bombe. Eine Psychologie des neuen Terrorismus, Reinbek 2003, S. 64 ff.
  10. Finnemore, Martha; Kathryn Sikkink (1998): International Norm Dynamics and Political Change, in: International Organization 52: Nr. 4, S. 887-917.
  11. Vgl. Straub, Jürgen (1998): Geschichten erzählen, Geschichten bilden, Grundzüge einer narrativen Psychologie historischer Sinnbildung, in Straub, Jürgen (Hrsg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte, Erinnerun, Geschichte, Identität, Frankfurt am Main, S. 81 ff.
  12. Waldmann, Peter (2009): Radikalisierung in der Diaspora. Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden, Hamburg, S. 111 ff.
  13. Vgl Fuhse, Jan A. (2001): Unser »wir« – ein systemtheoretisches Modell von Gruppenidentitäten, in SISS: Schriftenreihe des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart: Nr. 1 / 200, S. 18. Hier stell Fuhse mit Bezug auf Coser, dass der Konflikt mit anderen Gruppen zur Schaffung und zur Festigung der Gruppenidentität beiträgt und erhält die Grenzen gegenüber der sozialen Umwelt. Damit kann eine Gruppe „im Laufe „des Konflikts mit negativen Referenzgruppen […] ihre Systemgrenze konstruieren und immer wieder rekonstruieren.“
  14. Vgl. Schwonke, Martin (1999): Die Gruppe als Paradigma der Vergesellschaftung. in: Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte, Theorien, Analysen. Wiesbaden, S.37-53.
  15. Zur alternativen Umgang mit Korantexten siehe Kermani, Navid (2009), „‚Und tötet sie, wo immer ihr sie findet‘: Zur Missachtung des textuellen und historischen Kontexts bei der Verwendung von Koranzitaten“. In: Islamfeindlichkeit. Hrsg. von Thorsten Gerald Schneiders. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 201–207.
Seite: << zurück123