Wissenschaft  und Forschung

Banker zwischen Bestrafung und Bewährung


Dem Nachfolger Cyran wird indessen bescheinigt, dass er sich auf kommenden Hauptversammlungen in deutscher Sprache mitteilen könne, sehr intelligent, sehr ruhig, sehr ehrlich, ja sogar „anständig“ sei, überlegt handele und viel Vertrauen bei den Investoren genieße, das er sich in seiner Zeit als Finanzchef der UBS erarbeitet habe.27 Damit hätte er einiges, was der Deutschen Bank fehlt.28 Angeblich hat er mit seinen bohrenden, aber im Ton sachlichen Fragen in jüngerer Zeit mehr und mehr die Hochachtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Achleitner gewonnen und galt deshalb, obwohl er noch nie eine Bank geführt hat, seit mindestens einem Jahr als Kandidat für den Sprung von der Kontrolleursbank auf die Vorstandsbank.29 Damit haben sich auch immer wieder kehrende Gerüchte erledigt, dass der Verwaltungsratsvorsitzende der UBS, Axel Weber, einen Ruf von der Deutschen Bank erhalten könnte.30
Der Österreicher Achleitner hat den Engländer Cyran jedenfalls nicht aus dem Hut gezaubert. Er ist angeblich davon überzeugt, dass nur eine Rückkehr zu den Wurzeln der Deutschen Bank, der internationalen Finanzierung von Unternehmen, die Zukunft sichern kann.31 Damit stellt sich die Frage, ob ausgerechnet die schweizerische Großbank UBS, die vor dem Ausbruch der Finanzkrise als eine der besten Banken der Welt galt und die der Schweizer Ackermann als „Vorbild“ für die Deutsche Bank bezeichnet hatte, die aber nach Beginn der Finanzkrise ihren vorbildhaften Charakter schnell verloren hatte, weil ihr global aufgestelltes Investmentbanking zu schwer getroffen worden war, jetzt wieder exemplarisch sein kann.
Der deutsche Staatsbürger und ehemalige Chef der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, hat sich bei der UBS hingegen für eine klare Schwerpunktsetzung entschieden. Diese Bank ist einer der führenden Vermögensverwalter der Welt. Sie agiert nicht nur in der Schweiz als Universalbank und betreibt global Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarktgeschäfte, hat aber ihren früheren Anspruch aufgegeben, eine der führenden Banken zu sein. Eine derartige zukunftsorientierte Schwerpunktsetzung ist bei der Deutschen Bank nicht erkennbar. In der Vermögensverwaltung ist sie zwar sehr gut vorangekommen. Sie ist aber global keine erstrangige Kraft. Bei der Abwicklung von Finanzgeschäften („Global Transaction Banking“) gilt „Die Deutsche“ indessen als „mindestens respektabel“, aber nicht als „Weltspitze“. Sie betreibt Filialgeschäfte nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Italien und Spanien. Im Investmentbanking wird ihr in erster Linie die Ausrichtung und die Mentalität eines sehr großen, global agierenden Handelshauses zugeschrieben, wohlwissend, dass gerade das Handelsgeschäft durch neue Regulierungen an Attraktivität verloren hat.
Die Deutsche Bank steht jetzt vor der Herausforderung, ihren Geschäftsbetrieb effizienter zu gestalten. Bislang ist sie niemals primär über die Kostenseite gesteuert worden. Das entsprach der Attitüde einer Bank in der Expansion, die bereit war, mit Blick auf die erhofften Erträge und Marktanteile hohe Kosten zu akzeptieren. Das ist – in Verbindung mit der Händlermentalität großer Teile der Mitarbeiter – aus der Sicht der Aktionäre ein Grund, warum das Investmentbanking viel weniger erbracht hat als erhofft. Manche sehen den Grund für das Scheitern von Jain und Fitschen vor allem darin, dass sie einer Konsolidierung das Wort redeten, sie aber nicht konsequent lebten.
Als „das“ Problem der Deutschen Bank gilt, dass sie nicht sehr viel margenstarkes Geschäft besitzt. Höhere Erträge würden eine erhebliche Geschäftsausweitung erfordern, die aber durch die Eigenkapitalausstattung beschränkt ist. In solch einer Situation bleibt in der Tat wohl nur Kostenoptimierung. Für eine Reduzierung überzogener Ansprüche ist eine bodenständige Führung erforderlich, die im Idealfall auf Deutsch und Englisch „Nein“ sagen kann. Der Deutsche Axel Weber hat das vorexerziert. Der Engländer Cyran wird diesem Beispiel folgen müssen – bei der „Deutschen“ Bank.32 Sie wird sich entscheiden müssen: Will sie eine an die Realwirtschaft gekoppelte international orientierte Bank der deutschen Wirtschaft sein oder endgültig zu einem „globalen Spieler“ mutieren, der zwischen London, New York, Tokio und Hongkong das ganz große Rad dreht?33 Es gab einmal eine Zeit, in der sich diese „Deutsche“ Bank dem Land, also der Nation, verpflichtet fühlte. Jain ist auch deshalb gescheitert, weil er mit Deutschland und dessen Sprache allzu sehr gefremdelt hat. Er und sein (deutscher) Mittäter wollten anscheinend die durch das Land geprägte Geschichte dieser Bank hinter sich lassen und ein „deutsches Goldman Sachs“ schaffen, also eine international tätige Investmentbank ohne große nationale Bindung.34 Das ist gescheitert. Und das ist auch gut so. Immerhin gab es unmittelbar nach den Rücktrittsankündigungen ermutigende Zeichen. Der Aktienkurs ist einen Tag später in der Spitze um 8 Prozent nach oben gesprungen. Das mag man als Vorfreude auf die neue Führung auslegen. Es ist aber sicher auch eine Ohrfeige für die alte Führung der Deutschen Bank, die damit ihren Unternehmenswert kurzfristig um fast 3 Milliarden Euro gesteigert hatte. Vor allem für Jain, der wie kein Zweiter das Urteil der Kapitalmärkte für unfehlbar und maßgeblich hält, dürfte das bitter gewesen sein. Keine Nachricht in seiner drei Jahre währenden Amtszeit als Ko-Vorstandsvorsitzender hatte den Aktienmarkt mehr begeistert als sein Rücktritt. Am Abend des 8. Juni 2015 lag der Kurs immer noch 3, 6 Prozent im Plus.35Mit dem Wechsel an der Spitze hat sich die Deutsche Bank bei dem Versuch, verlorenes Ansehen zurückzugewinnen zwar vielleicht etwas Luft verschaffen können. Das dürfte aber nichts daran ändern, dass sich die Mitarbeiter der größten Bank in Deutschland weiter wie Ausgestoßene fühlen müssen. Als „gute“ Bank wird sie schnell profitabler werden und ihre Strategie konkretisieren müssen. Dazu gehört insbesondere eine Neuausrichtung des Investmentbankings, das sich geradezu als kriminogenes Milieu darstellt. Die Bank wäre auch gut beraten, wenn sie sich stärker um ihre deutschen Kunden bemühte, statt auch noch dem letzten Hedgefonds in New York gefallen zu wollen. Die Verantwortlichen sollten auch sehr rasch ihr (Nicht-)Kooperationsverhalten gegenüber den Ermittlungsbehörden ändern. Sie sollten auch alles tun, um zu vermeiden, dass ständig neue Vorwürfe, wie etwa die jüngeren wegen Geldwäsche, erhoben werden. Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, dass dem neuen Co-Chef John Cryan schon so viele Vorschusslorbeeren zuteil werden.36 In der obersten Etage der Bank gilt dieser Engländer gar als „eierlegende Wollmilchsau“.37 Man wird vielleicht schneller als es manchem lieb ist, erfahren, ob diese Klassifikation zutrifft.
Tatsächlich wollen nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Investoren, Kunden und letztlich die gesamte deutsche Öffentlichkeit wissen, wie Cyran die Deutsche Bank aus der größten Krise ihrer Geschichte herausführen will. Er machte in einem veröffentlichten Brief anlässlich seines Dienstantritts am 1. Juli 2015 deutlich, dass dies kein Spaziergang wird und die 100 000 Mitarbeiter sich auf weitere Personalentscheidungen einstellen müssen. Er verzichtete bei dieser Gelegenheit auf den Begriff „Kulturwandel“, den Jain und Fitschen wie eine Monstranz vor sich herzutragen pflegten. Das „Narrativ“, dass man mit ein paar Mitarbeiterseminaren der partiell kriminellen Geschäftspraxis ein Ende bereiten könnte, hat also ausgedient. Aus der Sicht des neuen Chefs hatte man sich zu sehr nach innen ausgerichtet und war dadurch noch bürokratischer geworden. Cyran sprach von „schwerwiegendem Fehlverhalten“, „hohen Strafzahlungen“ und „langsamen Entscheidungsprozessen“. Er scheint dennoch an der umstrittenen „Strategie 2020“ festhalten zu wollen. Weitere Details zu dieser Strategie sollen aber erst im Oktober 2015 veröffentlicht werden. In jedem Fall sollen das Geschäftsmodell vereinfacht und die Kosten gesenkt werden. Selbst der Investmentbereich soll verkleinert werden. Aus dem Antrittsschreiben von Cyran ging jedenfalls hinreichend deutlich hervor, dass der Rücktritt seines Vorgängers Jain auch etwas mit den Feststellungen zu tun gehabt haben muss, die in dem Bericht der Bafin über die bekannten Zinsmanipulationen enthalten sind. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass Jain auch eine Mitverantwortung für den schon erwähnten obszön hohen Bonus (80 Millionen Euro!!!) für den „Starhändler“ Christian Bittar trägt, auch wenn die Deutsche Bank sich unverdrossen bemüht, diesen Vorwurf zurückzuweisen.38

Endlosschleife


Der erwähnte Paukenschlag war noch nicht ganz verhallt, als nur zwei Tage danach, am 9. Juni 2015, wieder einmal Staatsanwälte und Polizisten mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss um Einlass in die Frankfurter Zentrale der Deutschen Bank baten, ein Vorgehen, an das man sich jetzt vielleicht schon etwas gewöhnt hat. Nun finden aber zum ersten Mal wegen „Cum-Ex-Aktiendeals“ Ermittlungen in der Deutschen Bank statt. Bei diesen Geschäften soll der Fiskus systematisch betrogen worden sein. Ihre heutigen Beschäftigten gehören nach dem bis jetzt bekannten Ermittlungsstand zwar nicht zu den Beschuldigten. Das Institut als solches scheint aber dennoch in den Fall verwickelt zu sein. Einige frühere Manager der Deutschen Bank sollen sich mit einer Gesellschaft in Luxemburg selbständig gemacht und dort die genannten Deals betrieben haben. Daran soll auch die Filiale der Deutschen Bank in London beteiligt gewesen sein. Die Bank hat angeblich einer an dem Handel beteiligten Firmen bescheinigt, Kapitalertragssteuern an den Fiskus abgeführt zu haben, die gar nicht gezahlt worden seien. Nun ist der Verdacht aufgekommen, dass die Beschuldigten versucht hätten, sich mit Hilfe dieser Bescheinigungen nicht entrichtete Abgaben vom Fiskus erstatten zu lassen.
Beim Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende haben sich in der Vergangenheit allerdings zahlreiche Banken und Fonds eine nur ein Mal gezahlte Kapitalertragssteuer von den Finanzämtern mehrmals zurückgeben lassen. Der dadurch entstandene Schaden für die Allgemeinheit soll sich auf mehr als 10 Milliarden Euro belaufen. Erst nach 2012 wurde die Gesetzeslücke geschlossen, die solche Geschäfte ermöglichte. Nun haben bei mehreren Banken, nicht nur bei der Deutschen Bank, Prüfungen zur Strafbarkeit solcher Geschäfte begonnen. Die zuständige Finanzbehörde hatte die Deutsche Bank schon vor einigen Jahren gebeten, Auskünfte zu bestimmten Aktiendeals zu erteilen, um zu klären, ob auch diese Bank ihren Kunden zu Unrecht bescheinigte, Kapitalertragssteuern abgeführt zu haben. Die Bank hat schon im März 2012 behauptet, dass sie in bestimmten Fällen weder prüfen konnte noch musste, ob diese Steuern auch an den Fiskus überwiesen wurden. Sie ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber bis 2012 die Gesetzeslücke billigend in Kauf genommen habe und deshalb insoweit die Politik verantwortlich sei. Auf Behördenseite wird hingegen die Meinung vertreten, dass die Bank ihre Geschäfte viel konsequenter hätte untersuchen müssen. An der Börse war man über das erneute Auftreten von Polizei und Justiz jedenfalls nicht amüsiert. Nach den Meldungen über die Razzia sank der Aktienkurs deutlich und verlor bis kurz vor Handelsschluss 3,3 Prozent.