Wissenschaft  und Forschung

Banker zwischen Bestrafung und Bewährung


Zwischenzeitlich hatten Jain, Fitschen und Achleitner knapp drei Jahre lang erklärt, sie wollten die größte deutsche Bank zur führenden globalen Universalbank machen. Es war ihr Ziel, dass die Deutsche Bank zu den drei größten und besten Banken der Welt gehört. Sie revidierten ihr Ziel aber etwas. Nach einiger Zeit hätte es ihnen genügt, wenn ihr Arbeitgeber unter den ersten fünf gelandet wäre. Dieses Ziel wurde zwar nicht erreicht. Man hat aber womöglich auch nicht komplett versagt, gehört das Institut in manchen Bereichen des Investmentbankings (Handel mit Anleihen, Währungen und Derivaten) global doch zu den drei führenden Instituten. In einer zentralen Hinsicht gilt die Führung jedoch als „krachend gescheitert“. In der Rangliste der wertvollsten Banken der Welt spielt die Deutsche Bank keine Rolle. Gemessen am Börsenwert können die Aktionäre froh sei, wenn ihre Bank unter den fünfzig wertvollsten Banken überhaupt auftaucht. Eines ist also klar: Die neue Strategie der Deutschen Bank ist die alte, vielleicht in etwas strafferer Form. Berechtigterweise wird daher die Frage gestellt, welche strategischen Probleme damit gelöst werden sollen. Für dieses Ergebnis hätten Aufsichtsrat und Vorstand die Bank in der Tat nicht monatelang lahmlegen müssen. Das dort verstreute Führungspersonal hat wohl immer noch nicht ganz verstanden, dass die Deutsche Bank zu wenig Kapital hat und dass die Börse wenig Neigung hat, ihr mehr Geld zu geben. Dennoch scheint das „Strategietheater“ einen Zweck erfüllt zu haben: Nachdem Anfang 2015 die Trennung von der Postbank durchgestochen worden war, kam der Aktienkurs auf Trab. Dieses Spiel über Bande von den Investmentbankern sorgte für Rückenwind an der Börse und entschied vorerst über den Ausgang der Debatte. Dafür dürfte es ab jetzt aber keine großartigen Kurssprünge mehr geben.
Die Absicht, das Geschäft an den Kapitalmärkten nicht alleine den amerikanischen Banken zu überlassen, mag berechtigt gewesen sein. Man sollte aber nicht verkennen, dass ein Großteil des Investmentbankings der Deutschen Bank den deutschen Unternehmen nur wenig dient, etwa der exzessive Handel mit Derivaten. Davon profitieren tatsächlich nur die „Boni-Banker“, nicht die Aktionäre oder Kunden. Wenn Governance, verstanden als Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Balance, nötig ist, dann hier. Jain und Fitschen hatten den Kapitalmarkt hingegen zweimal angepumpt, um höhere Eigenkapitalanforderungen der Aufsicht zu erfüllen und um zu investieren. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie in kurzer Zeit mehr als die fast 12 Milliarden Euro, die sie in zwei Kapitalerhöhungen aufgenommen hatten, verbrannten. Das Geld verdampfte in Rechtsstreitigkeiten, in Verlusten aus toxischen Wertpapieren und in Strafen für Betrug oder Manipulationen in so ziemlich allen Märkten und Ländern. Wie schon erwähnt: Ausgerechnet der vorher verantwortliche Chef der Investmentbanker sollte den „Saustall“ besser ausmisten können als andere. Diese Erwartung konnte jedoch nur solange tragfähig sein, wie Jain keine Kenntnis bestimmter Vorgänge nachzuweisen war. Das muss sich beispielsweise im Fall des Umsatzsteuerbetrugs im Handel mit Emissionszertifikaten aber erst noch zeigen.13 Wie auch immer: In Wahrheit ist eine Wette darauf abgeschlossen worden, dass die Bank das Geschäft mit Beratung, Wertpapieremissionen und Firmenfusionen besser beherrscht, als all die Konkurrenten. Der Erfolg dieser Strategie hängt davon ab, ob der ausgerufene Kulturwandel vor allem im Investmentbanking wirklich stattfindet.14 Alles wird sich danach entscheiden, ob man es schafft, in einem Milieu hemmungsloser Bereicherungssucht Rechtsgehorsam zu üben. Über die Wahrscheinlichkeit eines Gelingens lässt sich nur spekulieren. Damit ist man wieder bei der Kernkompetenz in diesem Bankgeschäft angelangt. Nach den bisherigen Erfahrungen besteht insoweit kein Anlass für Vertrauen in die Fähigkeiten der bis vor kurzem Verantwortlichen. Für sie waren „Governance“ und „Compliance“ bislang vorwiegend englisch beschriftete Etiketten, auf Hindernissen aufgeklebt, die den Weg zur Spitze imaginärer Geldberge unnötig beschwerlich machten. Das muss sich ändern. Inzwischen ist nämlich mehr ins Rutschen geraten als nur der Aktienkurs. Die britischen Aufsichtsbehörden stehen nicht allein, wenn sie die „inakuraten und irreführenden“ Statements als „waghalsig“ kritisieren und sich im Zusammenhang mit den Zinsmanipulationen „besonders beunruhigt“ zeigen, dass die Beteiligten hierarchisch recht weit oben stehen. Die Deutsche Bank hat auch sonst Fakten falsch, unvollständig oder mit Verzögerung weitergegeben. Unverdrossen behauptet Fitschen, Untersuchungen intensiv vorangetrieben zu haben. Über Konsequenzen will man aber erst nachdenken, wenn alle Berichte vorliegen. Die Verantwortlichen scheinen nicht verstanden zu haben, dass aus dem Umgang mit der Vergangenheit ein Problem der Gegenwart und sogar der Zukunft geworden ist.Die Kritik betrifft nicht nur Einzelfälle. Deutsche Staatsanwälte können ein Lied davon singen, wie die Deutsche Bank herumlaviert. Die sehr begrenzte Kooperationsbereitschaft der Bank war der Grund dafür, dass Razzien stattfanden und Verfahren immer länger wurden. Ihre Führung hat einen höchst eigenartigen Blick auf die Welt. Das Verhältnis der Manager drinnen zu den Menschen draußen ist offensichtlich gestört. Ihre Haltung ist neurotisch, wenn das Wesen der Neurose im Auseinanderfallen zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit liegt. Nach derzeitigen Erkenntnissen waren alleine in die Zinsmanipulationen 29 Mitarbeiter verwickelt, ein deutliches Zeichen für Kontrolldefizite und eine tief verwurzelte fragwürdige „Kultur“. Auch US-Behörden werfen Führungskräften vor, dass sie trotz Warnsignalen untätig geblieben sind und nennen u. a. Michele Faissola, Chef der Vermögensverwaltung und Mitglied des operativen Führungsgremiums, der als ein enger Vertrauter Jains gilt. Für diesen bedeutete Verantwortungsübernahme für (zu) lange Zeit allerdings nicht Rücktritt. Er wollte vielmehr sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht. Das kann man auch ganz anders sehen. Es liegt offensichtlich ein Verschulden der Organisation vor. Dann ist aber ein Verantwortlicher gefordert, egal, ob er etwas wusste oder nicht. Stattdessen posaunte Jain seinen Stolz auf die angeblich starke operative Leistung der Bank hinaus und beklagte, dass sie von den negativen Nachrichten, den Überschriften über frühere Rechtsverstöße und „unangebrachtes Verhalten Einzelner“ überdeckt und so der Anspruch, eine führende globale Bank zu sein, konterkariert werde.

Foto: Lemberger


Fitschen hatte seinerzeit noch erkannt, dass da noch einiges zu tun ist. Sein damaliger Kollege Jain hatte zwar eingeräumt, dass „Fehler“ gemacht wurden. Man habe aber daraus gelernt. Er erinnerte sich immerhin auch noch selbst daran, dass er Leiter des Investmentbankings war und wollte sich angeblich nicht im Nachhinein rausreden. Jain behauptete, dass er der Bank am besten dadurch dienen könne, indem er deren Probleme löst, sie neu aufstellt und ihre Leistung optimiert. Diese „Mission“ sei noch nicht zu Ende.15
Nach der Aufsichtsratssitzung vom 20. Mai 2015 und der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 war dagegen zunächst die Mission des einen oder anderen Kollegen beendet worden.
Weitere Konsequenzen traten wenige Tage danach ein. Zunächst musste aber der für das Privatkundengeschäft zuständige und allseits geschätzte Rainer Neske seinen Stuhl räumen, der künftig von Christian Sewing besetzt wird.16 Seinen Posten als Rechtsvorstand soll er allerdings auch noch behalten. Strategie- und Finanzvorstand Stefan Krause übernimmt die Verantwortung für den Zahlungsverkehr und die Handelsfinanzierung sowie die konzerninterne „Bad-Bank“. Seine bisherige Zuständigkeit für „Strategie“ sollte von Jain höchstselbst übernommen werden. Neuer Finanzvorstand ist Marcus Schenck. Insgesamt hat sich die Zahl der Vorstandsmitglieder von acht auf sieben verringert. Aus dem erweiterten Vorstand mussten Alan Cloete, Chef der Asien-Pazifik – Region und wegen seiner Rolle im Tatkomplex „Libor“ heftig kritisiert, der Großbritannien-Chef Colin Grassie sowie Christian Ricken, bis dahin Stellvertreter des Privatkundenvorstands Neske, ausscheiden. Nach diesen Rochaden schien es zunächst so, dass Jain maßgeblich gestärkt und Fitschen geschwächt wurde. Diese damals als bemerkenswert geltende Machtverschiebung entsprach dem bis dahin von Jain geprägten neuen Kurs der Deutschen Bank, die sich zukünftig stärker auf die Firmenkunden, vermögende Privatkunden und auf das Investmentbanking konzentrieren sollte. Sie sollte (dennoch) eine „Universalbank“ bleiben. Diese Personalentscheidungen wurden indessen so interpretiert, dass Jain nach dem Auslaufen des Vertrags von Fitschen, also in spätestens zwei Jahren, die Deutsche Bank eigentlich alleine führen sollte. Es war jedoch schon damals höchst zweifelhaft, ob dieser indisch stämmige in London sozialisierte und mit sehr überschaubaren Deutschkenntnissen ausgestattete Investmentbanker, in dessen Amtszeit sich existenzbedrohende Risiken aufgebaut hatten und enorme wirtschaftliche Schäden entstanden sind, der richtige Kandidat für eine derartige Aufgabe war.