Wissenschaft  und Forschung

Banker zwischen Bestrafung und Bewährung


Das Modell der „Doppelspitze“ gilt als „komplett gescheitert“. Jain hatte Fitschen rasch an den Rand gedrängt, seine Leute aus London in zentrale Positionen gebracht und sich die Bank untertan gemacht. Fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise war er aber der falsche Mann. Jetzt gaben die Regulierer und Risiko-Begrenzer den Ton an. Jain schien aber geglaubt zu haben, dass er immer so weitermachen könne, wie er es gelernt hatte. Deshalb kam er auch zu der katastrophalen Fehleinschätzung, es sei mit einigen kosmetischen Korrekturen getan. Nun hält man es auf einmal für einen fatalen Irrglauben, dass Jain der Richtige hätte sein können, um die Bank in eine neue Zukunft zu führen. Tatsächlich hat er sie in eine völlig falsche Richtung bugsiert. Sein Nachfolger, der Brite Cyran, wird u. a. beweisen müssen, dass er verstanden hat, dass die Deutsche Bank ohne ein starkes Privatkundengeschäft, ohne ausreichende Filialen, ohne Kundenkontakt und ohne gesellschaftliche Verankerung nicht denkbar ist.9
Wie auch immer: Bereits im Sommer 2013 hatte die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin der Deutschen Bank vorgeworfen, die „Zinsaffäre“ mangelhaft aufgearbeitet zu haben. Die FCA berichtete sogar von einer bewussten Falschmeldung auf ihre Anfrage, ob die Systeme und Kontrollen für das Libor-Verfahren angemessen gewesen sind. Ein Mitarbeiter der Deutschen Bank hatte die Frage bejaht, obwohl er wusste, dass dies nicht der Fall war. Man habe auch bewusst wahrheitswidrig erklärt, dass die deutsche Aufsicht die Weiterleitung eines Zwischenberichts der Bafin untersagt hätte. Die Deutsche Bank habe (angeblich „irrtümlich“) die Zerstörung von Tonbändern veranlasst, auf denen Telefongespräche aufgezeichnet waren, deren Archivierung von der FCA verlangt worden war. Jain und Fitschen zeigten unterdessen einen erstaunlichen Großmut, indem sie erklärten, dass sie die Ergebnisse der Aufsichtsbehörden akzeptierten. Sie verwiesen auch auf inzwischen angeblich getroffene Maßnahmen wie etwa die Verbesserung der Kontrollprozesse oder die Archivierung von Aufzeichnungen. Sie behaupteten zwar, dass sie die Angelegenheit bedauerten. Gleichzeitig zeigten sie sich aber zufrieden, die Probleme gelöst zu haben.10
Die Zwischenbilanz war seit der Übernahme der Nachfolge von Ackermann durch Jain und Fitschen im Juni 2012 und dem gleichzeitigen Amtsantritt von Achleitner enttäuschend. Die Bank ist ungeachtet aller Ankündigungen jedenfalls bis jetzt nicht gerade ein „Highlight“ in Sachen Governance und Compliance geworden. Die Rückschläge überwiegen. An der Notwendigkeit grundlegender Neuausrichtungen besteht kein Zweifel. Das Investmentbanking soll nach den Vorstellungen von Achleitner dennoch eine entscheidende Bedeutung behalten. Die deutschen Unternehmen, die in der ganzen Welt (noch) eine führende Rolle spielen, bräuchten eine Partnerbank, die sie dorthin begleiten kann. Zudem soll das Geschäft an den Kapitalmärkten nicht allein den amerikanischen Banken überlassen werden.Vor diesem Hintergrund wird die Geduld erklärbar, die Achleitner für die „Sünden“ der Investmentbanker und deren Kostenfolgen bis dahin aufgebracht hatte.11 Es bleibt jedoch abzuwarten, ob er insoweit die notwendige strategische Intelligenz entwickelt. Sie ist bisher jedenfalls nicht besonders augenfällig geworden. Achleitner war von 2000 bis 2011 Finanzvorstand des Versicherungskonzerns Allianz. Sein Name steht in Verbindung mit der Übernahme der Dresdner Bank. Seine Idee zur Schaffung eines „Allfinanzkonzerns“, kostete seinen damaligen Arbeitgeber sehr viel Geld. Immerhin gelang ihm vor fünf Jahren der Verkauf der Dresdner Bank an die Commerzbank. Das ist übrigens die Bank, die später mit Hilfe vieler Milliarden Steuergelder aufgefangen werden musste.

Konsequenz und Korrumpierung


Am 24. April 2015 traf der damals noch amtierende Vorstand der Deutschen Bank weitreichende Entscheidungen. Der Aufsichtsrat stimmte dessen Vorschlag einstimmig zu, die Trennung von der Postbank in die Wege zu leiten. Dort war man erst 2008 eingestiegen. Die Filialen der Deutschen Bank werden zwar im Konzern bleiben, sollen aber zahlenmäßig erheblich schrumpfen. Unabhängig von der unternehmerischen Sinnhaftigkeit dieser und anderer Maßnahmen ist zukünftig jedoch vor allem qualifiziertere aber auch rechtstreue Führung nötig. Im ersten Quartal 2015 ist der Gewinn vor Steuern um zwölf Prozent auf 1,48 Milliarden Euro gefallen. Alleine für den Libor-Skandal mussten 1,5 Milliarden Euro für Rechtsstreitigkeiten aufgewendet werden. Die absehbar „entkonsolidierte“ Postbank hatte dazu 200 Millionen Euro beigesteuert.
Auf Seiten der Gewerkschaft besteht indessen die Hoffnung, dass die Postbank an die gute Entwicklung der letzten Jahre anknüpfen kann, ohne künftig den Restriktionen einer besonders regulierten global agierenden Bank zu unterliegen, weil andernfalls zu befürchten ist, dass das teure Investmentbanking durch Einsparungen bei der Postbank zu finanzieren wäre. Der von den Aufsichtsbehörden angesichts der entstandenen enormen Risiken weltweit ausgehende Druck zur Erhöhung des Eigenkapitals ist indessen ständig gestiegen. Es soll angeblich verhindert werden, dass wieder einmal die Steuerzahler die Rechnung begleichen, sollten die Geschäfte schiefgehen. Damit wurde vor allem der Handel mit Aktien, Anleihen und Währungen teurer.
Jain hoffte in seiner Amtszeit noch, vom deutlich verringerten Engagement anderer Großbanken wie Barclays oder UBS im Investmentbanking profitieren zu können. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, zumal auch die Minizinsen und die teuren Strafzahlungen die Gewinne belasten. Die Renditen der Deutschen Bank sollten bei zwölf Prozent liegen, betrugen aber zuletzt noch nicht einmal drei Prozent. In dieser Situation war die Einleitung eines Schrumpfungsprozesses wohl alternativlos. Auch im Investmentbanking sollen Geschäfte von bis zu 200 Milliarden Euro wegfallen. Das ist etwa ein Fünftel der gesamten Bilanzsumme. Gleichwohl gibt es Warnungen, dass sich durch den Verkauf der Postbank die Gewichte in Richtung Investmentbanking verschieben werden. Möglicherweise werden die bonussüchtigen Investmentbanker und die braven Betreuer der Privatkunden wieder in die gegenüber liegenden Gräben einziehen, wenn sie überhaupt jemals dort heraus gekommen waren.
Die Privatkunden-Sparte gilt als der eigentliche Verlierer. Aufgrund der beschlossenen strategischen Änderungen dürfte die Deutsche Bank zukünftig noch weniger deutsch sein und endgültig von London aus geführt werden. Im Lager der Privatkunden-Betreuer ist hier und da die Befürchtung aufgekommen, dass die einst stolze Deutsche Bank als Investment-Boutique oder in den Armen einer internationalen Großbank endet.12 Aufgrund des miserablen Aktienkurses hatten Fitschen und Jain seinerzeit aber möglicherweise keine andere Wahl. Sie mussten einen Prozess des Gesundschrumpfens einleiten.
Schon in der Ära Ackermann hatte man offensichtlich nicht verstanden, welche Lehren aus dem 15. September 2008 (Untergang der Lehmann Bank) und der sich daran anschließenden heißen Phase der Finanzkrise zu ziehen waren. Die Deutsche Bank schien damals die Krise zunächst zwar relativ gut zu überstehen. Man sah keine Veranlassung für eine Neuorientierung der Führung. Auch in Sachen Governance und Compliance glaubte man, die gewohnte Lethargie fortsetzen zu können. Unter dem Eindruck der Folgen der Finanzkrise ist inzwischen aber eine zornige Öffentlichkeit entstanden. Sie zwingt Politiker und Regulierer immer mehr, den Banken auf die Finger zu schauen. Sie waren von selbst bislang überwiegend nicht zu realitätsgerechten Einsichten gelangt und müssen jetzt u. a. durch neue Eigenkapitalregeln gezwungen werden, ihre Geschäfte besser abzusichern. Auch das ist eigentlich schon ein Gebot klassischer Governance- und Compliance-Regeln.
Die neuen Regeln betreffen global operierende große Banken natürlich härter als andere. Sie müssen mehr Reserven bilden als ihre kleineren Mitbewerber. Auch in der Deutschen Bank wird man lernen müssen, dass sich zudem die Einstellung der Regulierer selbst in Ländern mit langer Kapitalmarkttradition geändert hat. In den USA und Großbritannien hat sich eine „Null-Toleranz-Politik“ etabliert. Drakonische Strafen sind fast schon an der Tagesordnung. In den Handelsräumen wurden die zuständigen Behörden aber lange Zeit nicht ernst genommen. Insoweit wird die Deutsche Bank noch einen „sinnlichen“ Bezug zu Compliancefragen bekommen. Ihre Führung lernt anscheinend nur durch und unter Schmerzen. Dafür könnte die US-Finanzaufsicht sorgen. Die amerikanische Notenbank verhandelt bereits seit Jahren mit der Nordamerika-Tochter der Deutschen Bank, weil sie deren Finanzberichte für „von geringer Qualität, ungenau und nicht verlässlich“ hält.
Die Deutsche Bank fiel in der zweiten Runde der Stresstests der Federal Reserve wegen Mängeln im Berichtswesen durch. Das ist ein gefährlicher Tatbestand, wenn man weiter im globalen Geschäft der Investmentbanken vorne mitspielen möchte. Die neue Führungsmannschaft der Deutschen Bank wird schneller als die alte lernen müssen, dass sich im Zuge der Finanzkrise zudem beim Thema Zinsen einiges geändert hat. Die Fed und die Europäische Zentralbank glauben, durch die Flutung der Märkte mit billigem Geld eine Deflation verhindern zu können. Die Folgen sind evident: Sparer, die ihr Geld sicher anlegen wollen, bekommen keine Zinsen mehr und zahlen im Zweifel noch drauf. Auch für die Verantwortlichen der Deutschen Bank sollte es nicht allzu schwierig sein zu erkennen, dass in diesem Umfeld eine Postbank, zu deren Kunden überwiegend kleine Sparer und Kreditnehmer zählen, nicht gerade der Königsweg zum Geschäftserfolg ist. Der schrittweise Ausstieg nach nur sieben Jahren geschieht, weil man glaubt, dass nach der Trennung von dieser Tochter die Reservevorschriften leichter zu erfüllen seien. Das Ergebnis dieser Geschäftspolitik ist verblüffend: Die Deutsche Bank wird nach dem Umbau wieder genauso aussehen wie vor der Finanzkrise, nur ein bisschen kleiner. Sie wird wieder eine Investmentbank sein, die sich nebenbei ein Privatkundengeschäft für die gehobene Klientel hält.