Kriminalität

Salafismus als ideologisches Fundament des Islamischen Staats (IS)

Salafismus nährt die Islamophobie und stärkt sich dadurch


Beim Salafismus handelt es sich um ein enorm heterogenes Phänomen mit einer Vielfalt an Erscheinungsformen, struktureller Beschaffenheit und Folgen. Für die Innere Sicherheit ist dies insofern eine neuartige Herausforderung, als durch die Migration die Grenzen verwischt werden und eine Diffusion von Gefahren stattfindet. 
Durch die Migration werden Weltanschauungen auf das Engste miteinander konfrontiert. In einer pluralistischen Gesellschaft ist dies zunächst unproblematisch. Beansprucht jedoch eine dieser Weltanschauungen, wie der Salafismus, einen alleinigen Geltungsanspruch und tritt aggressiv und radikal auf, um diesen Anspruch auch mit Gewalt durchzusetzen, so entsteht aus dieser Art und Weise der Wahrnehmung der Welt eine reale Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden betroffener Staaten. Im Falle der salafistischen Weltanschauung ist diese Gefahr immanent. Salafisten betrachten den „Westen“ als einen arroganten Gegner, den es zu vernichten gilt. Dabei findet eine Art Dämonisierung der Außenwelt und die Zurückführung allen Übels auf ihre Machenschaften statt. Eine Folge der Dämonisierung der Außenwelt ist September 2014 die salafistische Aktion „Shariah Police“ in Wuppertal entstanden. Hierbei handelt es sich um eine von deutschen Salafisten ins Leben gerufene Missionierungsstrategie, die darauf abzielt, Muslime anzuwerben und zu vermeintlichen islamkonformen Verhaltensweisen zu bewegen. Zudem wurden folgende Verhaltensregeln propagiert: „kein Alkohol, kein Glücksspiel, keine Musik und Konzerte, keine Pornografie und Prostitution, keine Drogen“. Mit dieser Aktion wollten die Salafisten in erster Linie provozieren und die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Diese Form der Missionerung wird von salafistischer Seiten dem militanten Jihad in der Bewertung und Belohnung durch Gott gleichgestellt und korreliert mit den Zielen von IS bei der Schaffung eines weltumspannenden islamischen Gemeinwesens. Dabei wird der Akzent auf die Islamisierung von unten durch Missionierung gelegt. Salafisten bewerten die „deutsche“ Lebensart als gottlos und dekadent.
Die mediale und öffentlichkeitswirksame Agitation der deutschen Salafisten lässt sie mächtiger wirken, als sie es tatsächlich sind. Obwohl Salafisten eine kleine Minderheit innerhalb des deutschen Islam darstellen, bestimmen sie weitestgehend die Islamdebatte in Deutschland. Als transnationale religiöse Bewegung entfaltet sich der Salafismus in Deutschland innerhalb der muslimischen Jugend. Dabei profitiert der Salafismus von einer Integrationsdebatte, die sich auf den Islam verengt, und die Beziehung zu den Muslimen „versicherheitlicht“. Durch den salafistischen Terror weltweit entstand gleichzeitig ein islamfeindliches Klima. Wilhelm Heitmeyer konstatiert in seiner Studie „Deutsche Zustände“ hierzu: „Islamfeindlichkeit ist konsensfähig, auch bei jenen, bei denen es bisher nicht zu erwarten war.“1 Die auf diese Weise verstärkten Identitätskrisen bringen Jugendliche dazu, in eine „negative Identität“2 zu flüchten, so dass das Gefühl sozialer Minderwertigkeit zu einem negativen Selbstbild verinnerlicht wird. Merkmal der negativen Identität ist das fehlende Vertrauen in die Umgebung.3 Reflexartig reagiert ein Teil dieser Jugend darauf mit der Idealisierung der eigenen islamischen Identität. Die Probleme werden auf den „verschwörerischen Westen“ projiziert, der den Islam bzw. das Fremde schlecht mache. Diese Reaktion ist Ausdruck einer tief empfundenen Ohnmacht, welche ihrerseits die Folge massiver gesellschaftlicher Fehlentwicklungen ist. Eine solche ethisch labile Zwischenwelt spüren junge Menschen besonders. Sie orientieren sich an kulturellen Bewegungen und suchen nach neuen Formen der Identität und des sinnstiftenden Selbstverständnisses ihrer Lebensverhältnisse. Eine Identitätskrise macht Jugendliche anfällig dafür, sich autoritären Gruppen und Bewegungen anzuschließen, die ihnen feste Normen und Werte vorschreiben. Dies erklärt unter anderem die Tatsache, dass viele junge Menschen in salafistischen Gruppen aktiv sind.
Betrachtet man die organisierte islamophobe Gegenbewegung in Deutschland, so ist es leicht festzustellen, dass sie von den gleichen Mechanismen betroffen sind. So ist die Pro-Bewegung in Deutschland ein Sammelsurium für politisch frustrierte Menschen, die im Islam einen einigenden Feind findet. Diese Feindschaft ist wiederum identitätsstiftend für die Aktivisten. Die Pro-Bewegung mit ihrer Ursprungsformation ist eine Wahlgruppierung der extremen Rechten. Die Muslimfeindlichkeit wird als Modernisierungsticket genutzt. So sind die propagandistischen Aktivitäten der extremen Rechten in Deutschland gegenwärtig von einem anti-islamischen Populismus, der mit rassistischen Parolen aufgeladen wird, gekennzeichnet.4 Hier liegt Deutschland im europäischen Trend. Dieser Populismus nährt sich vom Salafismus und ernährt ihn zugleich. Provokation und Gegenprovokation stärken beide Seiten und verstetigen die gegenseitigen Vorurteile und bestätigen die jeweiligen Vorwürfe. Einen traurigen Höhepunkt erreichte dies in der Eskalation in Bonn in Mai 2012. Demonstranten der Pro-NRW-Bewegung zeigen islamfeindliche Karikaturen. Radikale Salafisten werfen mit Steinen und greifen Polizisten an, die sich zwischen die beiden Gruppen stellen. Ein 25-jähriger Salafist verletzt zwei Beamte durch Messerstiche. Später erklärt der Täter vor Gericht, dass er die deutsche Gerichtbarkeit nicht akzeptiere, weil sie irdisch sei und rechtfertigte seine Tat mit den Worten: „Man kann von einem Muslim nicht erwarten, dass er ruhig bleibt, wenn der Prophet beleidigt wird.“5 Dieser Gewaltausbruch lieferte den Islamkritikern die Argumente, die sie brauchen, um gegen den Islam zu hetzen und sich weiter zu konsolidieren. Es wurden weitere provokative Aktionen mit Karikaturaustellungen vor Moscheen geplant. Die Mehrheit der Muslime reagiert darauf nicht. Doch die Salafisten sehen darin die Möglichkeit, sich als wahre Gläubige zu beweisen.

Salafismus — präventionspolitische Ansätze


In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Phänomen Salafismus aufgrund der direkten Bedrohung der öffentlichen Sicherheit durch einen Teil des salafistischen Spektrums zu einem Beobachtungs- und Analysegegenstand entwickelt, der nicht nur für den Verfassungsschutz, sondern auch in hohem Maße für die Polizeibehörde
an Relevanz gewonnen hat. Die Mehrheit der Salafisten lehnt zwar bis heute Gewalt, besonders terroristische Gewalt, zur Verbreitung ihrer religiösen Vorstellungen und ihrer Ideologie ab, propagiert jedoch eine intolerante Haltung gegenüber Andersgläubigen. Diese Intoleranz begünstigt eine mögliche Hinwendung zum Jihadismus. Selbst gewaltablehnende Salafisten sympathisieren mit den jihadistischen Aktivisten und stellen ein Umfeld dar, in welchem für den militanten Jihad des IS rekrutiert werden kann. Diese Gefahr ist in Deutschland mehrfach Realität geworden.
In den letzten Jahren konnte die deutsche Polizei die meisten geplanten Anschläge vereiteln. Alle an den Planungen dieser Anschläge Beteiligten waren Salafisten. Dies gilt im Übrigen für alle im Focus der Ermittlungsbehörden stehenden Gefährder (als solche gelten Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden) und relevanten Personen. Letztere sind Menschen, die innerhalb des extremistischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson oder eines Unterstützers einnehmen und bei denen davon ausgegangen wird, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung
fördern, unterstützen oder begehen könnten. Die Sicherheitsbehörden reagieren auf diese Radikalisierung im salafistischen Milieu auf verschiedenen Ebenen. Neben einer repressiven ermittlungsorientierten Vorgehensweise wurden unterschiedliche Konzeptionen zur Deradikalisierung entwickelt – mit dem Ziel, eine Plattform für einen systematischen Erfahrungs- und Informationsaustausch über »good practices« Maßnahmen und Handlungsansätze zur Bekämpfung von Radikalisierung zu schaffen.
In Niedersachsen wurde Mitte 2010 eine Arbeitsgruppe gebildet, in der das dortige Landesamt für Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt den Auftrag haben, ein Konzept zur »Anti-Radikalisierung« zu entwickeln. Die Federführung hat das LfV. In Hessen hat das LKA der dortigen Forschungsgruppe in Zusammenarbeit mit der Abteilung Staatsschutz den Auftrag erteilt, ein Deradikalisierungskonzept zu erarbeiten.