Recht und Justiz

Remember Ireland - Das Gefängnis der Nation


Die Protagonisten aller irischen Aufstände saßen in Kilmainham ein, ein regelrechtes „Who is Who“ der irischen Geschichte. Den Schulklassen, die regelmäßig herkommen, sind ihre Namen aus Büchern und Erzählungen bestens bekannt: Wolfe Tone, der 1798 mit dem Rückenwind der französischen Revolution die bürgerliche Freiheit auf die grüne Insel bringen wollte und kläglich scheiterte. Robert Emmett, dessen letzte Worte eine Besucherin so sicher zitiert, als wären es ihre eigenen: „Wenn mein Land seinen Platz zwischen den Nationen der Erde einnimmt, dann, und nicht vorher, soll meine Grabinschrift geschrieben werden!“, war sein Testament, am folgenden Tag wurde ihm öffentlich der Kopf abgeschlagen. Nach dem missglückten Aufstand der Fenians, einer militanten Geheimorganisation, wurde Kilmainham ab 1867 zum ersten Hochsicherheitsgefängnis in Großbritannien umfunktioniert, das ausschließlich für politische Gefangene diente, ein Urahn des berüchtigten Long Kesh der 1970er Jahre.


Alter Gefängnistrakt


Hat das denn funktioniert? Ließ sich das Ringen um Freiheit ersticken, indem man die politischen Führer einsperrte? Die Antwort heißt „nein“, und das schönste Beispiel ist Parnell. Das Zimmer, in dem wir stehen, wäre mit seinen zwölf Quadratmetern eine eher enge Studentenbude, im Vergleich zu den dunklen Zellen bisher erscheint es jedoch wie eine Suite. An einer Seite befindet sich ein offener Kamin mit grüner Holzvertäfelung. An der Wand illustriert ein überlebensgroßer Stich, was sich in diesem Raum abgespielt hat. Der Mann in dem Ohrensessel ist Charles Stewart Parnell, Führer der „Land League“. Mit dieser Massenbewegung zivilen Ungehorsams übte er massiven Druck auf die Regierung in London aus. Er wurde 1881 verhaftet und nach Kilmainham gebracht. Da er als Sprachrohr der irischen Bevölkerung galt, war eine politische Lösung ohne ihn unmöglich. Und so kam es zu der skurrilen Situation, dass der britische Premierminister Gladstone in diese Zelle kommen musste, um mit Parnell zu verhandeln. Nach sechs Monaten wurde hinter Gefängnismauern der Vertrag von Kilmainham geschlossen, ein bedeutender Abschnitt in der irischen Verfassungsgeschichte.
Wir drücken uns durch einen engen Gang und über steinerne Stufen, die in der Mitte ausgetreten sind von Tausenden Gefangenen, die hier viele Jahrzehnte lang entlang geschlurft sind. Und dann stehen wir plötzlich in einer riesigen hellen Halle und sind geblendet. Größer als ein Fußballfeld ist dieser Raum, durch das Glasdach scheint die Sonne. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Zellentüren, die rundum auf drei Etagen angebracht sind wie Wohnungen in einem großen Mietshaus. Der Bau ist ein Paradebeispiel viktorianischer Architektur, hell und geometrisch, voller industrieller Ästhetik. Die Philosophie dahinter lautete: Aufklärung, Licht und Transparenz – weniger poetisch bedeutet das: Kontrolle. Ein herrlicher Innenhof, wäre da nicht die eiserne Treppe in der Mitte, die nach oben führt auf eine Galerie aus Metallgittern. Hier standen die bewaffneten Wachen und beobachteten argwöhnisch jede Bewegung der Häftlinge. Es herrscht eine Akustik wie in einer Kathedrale, jeder Schritt und jedes Flüstern ist zu hören, und auch das ist perfide ausgeklügelt. Vor den Zellen im Erdgeschoss sind entlang der Wand Filzläufer ausgelegt, doch das diente nicht dem Luxus. Vielmehr konnten darauf Spitzel und heimliche Horcher schleichen, um unbemerkt die Gespräche der Gefangenen zu belauschen. Über einigen Zellentüren sind die Namensschilder der Insassen angebracht. Eamon de Valera war hier inhaftiert, der später der erste Präsident eines freien Irland werden sollte. Beim legendären Osteraufstand aber entkam er nur knapp dem Tod.

Am frühen Morgen des Ostermontag 1916 verlas der Schriftsteller Patrick Pearse auf den Stufen des Dubliner Postamtes die Proklamation einer freien irischen Republik. Das war der Zündfunke für eine verzweifelte militärische Rebellion gegen die britische Besatzung. Fünf Tage lang konnten die schlecht bewaffneten Kämpfer strategische Gebäude in der Hauptstadt besetzen, dann mussten sie sich einer massiven Bombardierung und Übermacht geschlagen geben. Alle Anführer des Aufstandes wurden zum Tode verurteilt, so auch de Valera. Nur die Tatsache, dass er in den USA geboren war und somit die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, bewahrte ihn vor der Vollstreckung. Seine Kameraden wurden am Vorabend ihrer Hinrichtung nach Kilmainham gebracht, wo sie in den letzten Stunden ihre Abschiedsbriefe schrieben. In einem abgedunkelten Gang des Gefängnisses liegen sie in beleuchteten Vitrinen: kurz gefasste politische Testamente, bewegende Grüße an die Familie, auf einigen Briefbögen liegen Haarlocken als letzte Erinnerung. „Mache aus James und John gute und starke Männer, good-bye meine Frau mein Liebling“, schreibt Michael Mallin ohne Punkt und Komma, „denke an mich, ich muss mich nun vorbereiten, die wenigen letzten Stunden muss man mit Gott alleine verbringen.“ „Remember Ireland“, schreibt er und unterzeichnet mit „Michael Mallin, Kommandant von Stephen‘s Green“ – ein Kämpfer bis zum letzten Schriftzug.