Wissenschaft  und Forschung

Vortäuschung von Sexualdelikten

Vernehmungstaktik, Aussageanalyse, Glaubwürdigkeitsprüfung und rechtsmedizinische Aspekte

Zögerliches Anzeigeverhalten:


Viele Opfer neigen nach einer gewaltsamen Straftat zu einem zögerlichen Anzeigeverhalten. Häufig müssen deren Angehörige bzw. Lebenspartner auf die Erstattung einer Strafanzeige drängen. Darüber hinaus ist die Aussagetüchtigkeit mitunter deutlich eingeschränkt. Auch die sich anschließende gynäkologische Untersuchung wird oftmals nicht erwünscht. Unbestritten können für derartige Abwehrhaltungen nachvollziehbare Gründe ursächlich sein: Für „echte“ Opfer stellt die Untersuchung erneut eine Konfrontation mit der Tat dar, die nicht zuletzt schambesetzt sein kann. Auch kann eine Traumatisierung das Bestreben einer gelingenden Beweisführung erheblich hemmen. Man darf also keineswegs davon ausgehen, dass eine Ablehnung der ärztlichen Konsultation zwangsläufig mit einer Vortäuschung einhergeht. Viele Frauen begründen die zögerliche Bereitschaft zur Anzeige zudem mit einer erheblichen Angst vor anschließenden Schikanehandlungen und Rache des Täters.
Generell sollten die Ermittlungspersonen bei Ablehnung der Untersuchung zur Vorstellung in der rechtsmedizinischen Opferschutzambulanz anraten. Wer von sexueller bzw. körperlicher Gewalt betroffen ist, kann die Verletzungsbilder und Spuren in diesen Einrichtungen kostenfrei dokumentieren und asservieren lassen. Die Befunde werden viele Jahre gespeichert. So kann der Täter auch noch viele Jahre nach der Tatbegehung zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Die Opferschutzambulanzen unterliegen gegenüber der Polizei der Schweigepflicht.

In dubio pro reo?


Eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Männern sitzt aufgrund von Falschaussagen von Frauen im Gefängnis. Die Motivationen hierfür können sehr komplex sein, häufig erfolgen sie im Kontext von Trennungen, Sorgerechtsstreitigkeiten oder Racheakten. Dass nicht alle Begutachtungen fehlerfrei sind, worin auch immer die Ursachen liegen – sei es mangelnde Sachkunde, Ignorieren des aktuellen Stands der Wissenschaft oder Verzicht auf persönliche Exploration – ist hinlänglich bekannt. Ermittlungsbehörden, Gerichte und GutachterInnen tendieren häufig dazu, den Aussagen der Frau „unter Tränen“ mehr Glaubhaftigkeit zu schenken, als den tatsächlich unschuldigen Männern. Das Gericht muss alle möglichen Beweismittel ausschöpfen, hierzu zählen ebenso die entlastenden Beweismomente für den Angeklagten. Der Zweifelssatz als Entscheidungsregel hebt ganz klar hervor, dass kein Mensch verurteilt werden darf, wenn Skepsis am Tatgeschehen besteht. Nicht der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen, sondern die Strafverfolgungsbehörde muss ihm seine Schuld beweisen.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Anzahl von Verfahren wegen erwiesener Vortäuschung einer Straftat oder falscher Verdächtigung unterdessen außerordentlich gering einzustufen ist. Dabei verursachen derartige Täuschungen hohe Kosten. Sie binden Personal und verschwenden Zeit und Energie, die zu Lasten der Bearbeitung „echter“ Kriminalfälle geht. Weiterhin wird die Kriminalitätsfurcht innerhalb der Bevölkerung grundlos gesteigert. Auch verzerren die falschen Beschuldigungen durch die Registrierung der Anzeige das tatsächliche Ausmaß der Kriminalität in der PKS.
Die Ausführungen verdeutlichen, wie wichtig eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit in jenen Fallkonstellationen ist, die den Verdacht auf Vortäuschung eines Sexualdelikts erhärten. Vor diesem Hintergrund können und müssen die Fachrichtungen der Rechtsmedizin, Psychologie, Soziologie und Kriminologie zusammenwirken und anhand wissenschaftlicher Methoden eine Fragestellung hinreichend zu klären versuchen. Mit zunehmender Bedeutung der fachlichen Analysen für die Ermittlung der Wahrheit und dem wachsenden Bewusstsein für die Tragweite potentieller Falschaussagen erlangt insbesondere das Instrumentarium der versierten Aussageanalyse einen wichtigen Stellenwert bei der polizeilichen Ermittlungsunterstützung.

Zu den Autoren:


Dr. K. Jachau (geb. 1970) hat in Magdeburg Medizin studiert. Die Facharztweiterbildung erfolgte an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und an der Strathclyde University in Glasgow. Seit 2005 ist sie als Fachärztin für Rechtsmedizin am Institut in Magdeburg tätig.
Dr. B. Goetze (geb. 1979) hat in Magdeburg Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaften an der Fakultät für Humanwissenschaften studiert. Das Studium der Kriminologie (Criminology and Criminal Justice) erfolgte an der juristischen Fakultät der Universität Greifswald. 2014 erfolgte die Ernennung zum Dr. phil. Gegenwärtig ist sie Referentin im Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt.

Anmerkungen

  1. Polizeistudie „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern“ (2005); herausgegeben vom Bayerischen Landeskriminalamt.
  2. Vor allem Soziologen sind imstande, eine systematische qualitative Inhaltsanalyse vorzunehmen. Bei diesem Verfahren handelt es sich um eine Textanalysemethode, die zwar auf Interpretationen basiert, in der Regel jedoch gute Informationen zum Textproduzenten zu Tage fördert. Gleichwohl ist diese Methode vorrangig als Forschungsstrategie in der Wissenschaft angesiedelt. Die linguistische Gesprächsanalyse oder die Konversationsanalyse sind hilfreiche „Instrumente“ zur Erforschung nonverbaler Interaktionen.
  3. Vgl. Jansen, Gabriele (2012): Zeuge und Aussagepsychologie. S. 17.
  4. Vgl. Undeutsch S. 26. In: Jansen, Gabriele: Zeuge und Aussagepsychologie. S. 3.
  5. Vgl. Hermanutz/Litzcke (2012): Vernehmung in Theorie und Praxis. Wahrheit-Irrtum-Lüge. S. 63.
  6. Vgl. BGH-Urteil 1 StR 618/98 – LG Ansbach.
  7. Vgl.Steller MrschKrim 1988, S.16, 24.
  8. BGH-Urteil 1 StR 618/98 LG Ansbach; In: BeckRS 1999 30068766 beck-online; siehe auch: Bender/Nack:Tatsachenfeststellung vor Gericht Bd. 1 2. Rdn.231 ff.
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