Wissenschaft  und Forschung

Vortäuschung von Sexualdelikten

Vernehmungstaktik, Aussageanalyse, Glaubwürdigkeitsprüfung und rechtsmedizinische Aspekte



Glaubwürdigkeit:


Jansen zufolge wurden Aussagen von Zeugen lange Zeit nach der Persönlichkeit des Zeugen beurteilt. Wenn die aussagende Person ein hohes Ansehen genoss, sprach viel dafür, dass diese auch wahrheitsgemäße Angaben unterbreitete. Diese Sichtweise ist dank der Erkenntnisse der modernen Aussagepsychologie nicht mehr zeitgemäß3. Jansen verweist weiterhin auf die sogenannte Undeutsch-Hypothese, wonach sich Aussagen über tatsächlich Erlebtes inhaltlich systematisch von Aussagen über Erfundenes unterscheiden4.
Bei der Wahrheitsfeststellung durch Begutachtung sind u.a. von Relevanz, ob Brüche oder Inkonsistenzen im Aussageverhalten auftreten. Anders gefragt: Können die Angaben zu einem späteren Zeitpunkt unproblematisch wiederholt werden? Werden die Schilderungen übertrieben? Werden eigenmächtige Korrekturen vorgenommen? Wird der Bericht tatsächlich aus dem Gedächtnis rekonstruiert oder lassen sich die Angaben vielmehr auf ein allgemeines Alltagserleben herleiten? Bei vorgetäuschten Sexualdelikten orientiert sich die Falschaussage häufig an deliktstypischen Verhaltensweisen, die im Fernsehen „erlebt“ wurden. Nicht selten kann auch die Übertragungshypothese, also die Verschiebung des Tatvorwurfs von der eigentlich schuldigen Person auf eine unschuldige Person, eine Rolle spielen.
Bleibt die Frage zu klären, ob all diese Überprüfungskriterien lediglich in der „letzten Instanz“ zur Anwendung kommen oder ob sie bereits innerhalb eines polizeilichen bzw. staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens eingesetzt werden können. Grundsätzlich sollten bereits im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens alle Möglichkeiten ergriffen werden, um die Wahrheit zu ermitteln und die eventuell spätere Anklage letztendlich auf ein sicheres Gleis zu bringen. Hier positionieren sich u.a. Hermanutz und Litzcke eindeutig, indem bereits im Ermittlungsverfahren eine Glaubhaftigkeitsanalyse durchzuführen sei.5

Es geht nicht um be- oder entlastende Aktivitäten im Rahmen der Gutachtenerstellung. Es geht ausschließlich um die Ermittlung der Wahrheit!


Zur Frage, welche konkreten wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen gekoppelt sind, ist auf ein BGH-Urteil vom 30.07.1999 zu verweisen, das Mindeststandards festlegt.6 Sachverständige gehen zunächst immer von der Nullhypothese aus, d.h. es wird angenommen, die Behauptung sei unwahr. Im Anschluss werden weitere Hypothesen und Alternativen gebildet. Lässt sich damit die unwahre Annahme nicht mehr aufrechterhalten, wird die Nullhypothese verworfen. Zudem hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die dem aktuellen Kenntnisstand der Wissenschaft gerecht werden.7 Zusammengefasst sollten in Anlehnung an das BGH-Urteil folgende Realkennzeichen zur Validität der Aussage vorliegen:
Logische Konsistenz,
Detailreichtum,
Raum-zeitliche Verknüpfungen,
Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge,
Deliktsspezifische Aussageelemente,
Entlastung des Beschuldigten.
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Rechtsmedizinische Untersuchung nach angezeigter Vergewaltigung:


Die rechtsmedizinische körperliche Untersuchung nach einem stattgehabten sexuellen körperlichen Missbrauch besteht aus mehreren Teilschritten. Neben der rechtsmedizinischen Aufgabe des Arztes, eine forensische Beweiserhebung in Form einer standardisierten Spurensuche und Asservierung vorzunehmen, ist ebenso eine Inaugenscheinnahme des gesamten Körpers notwendig, da in zahlreichen Fällen einer tatsächlichen Vergewaltigung diese nicht lediglich durch Androhung körperlicher Gewalt, sondern ebendurch statthabenden körperlichen Gewalt stattfinden. Es ist somit zwischen sogenannten „ Hands on“ und „ Hands off“ Delikten zu unterscheiden. Aus diesem Grund ist nach einer Vergewaltigung eben nicht nur die gynäkologische Untersuchung mit entsprechender Spurenasservierung, sondern auch eine rechtsmedizinische Begutachtung notwendig, insbesondere auch zur ebenfalls notwendigen Stellung der Diagnose einer lebensgefährlichen Verletzung, welche aus rechtsmedizinischem Kontext eben anders beurteilt wird, als aus dem Kontext anderer Fachdisziplinen (Chirurgie, Innere Medizin). Vor jeder ärztlichen Untersuchung ist eine Anamneseerhebung notwendig. Zu einer möglichen Minimierung einer sekundären Viktimisierung durch mehrfache Notwendigkeit der Schilderung eines Geschehens ist es wünschenswert, jedoch in der Praxis nicht immer durchführbar, dass zum Zeitpunkt der fachgynäkologischen Untersuchung auch der Rechtsmediziner anwesend ist, sodass die Schilderung durch die Geschädigte nur einmal gegenüber beiden Medizinern erfolgen muss. Diese sollte sich aus rechtsmedizinischer Sicht in folgende Einzelkomplexe gliedern:

  • Tathergang mit Datum und Vorfallzeit
  • Art des Geschlechtsverkehrs
  • Ejakulation
  • Benutzung eines Kondoms
  • Extragenitale Gewalteinwirkungen
  • Abwehrmaßnahmen der Geschädigten
  • Alkohol/Drogenkonsum
  • Benutzung eines Werkzeuges

Bei geschilderter Gewalteinwirkung gegen den Hals ist zudem zu eruieren, ob es zu einem Schwarzwerden vor den Augen, einer Bewusstlosigkeit, Urin- und Kotabgang, Luftnot, Panik und sogenannten „Stern-Sehen“ gekommen ist. Dabei ist darauf zu achten, dass derartiges nicht in einem Ja/Nein-Kontext abgefragt wird, um diesbezüglich sekundär nicht prüfbare Angaben des Opfers nicht zu bahnen. Zudem sind bei Gewalteinwirkung gegen den Hals die Frage nach Schluckstörungen, Halsschmerzen und Heiserkeit notwendig. Bei Gewalteinwirkung gegen den Hals wäre die Durchführung einer Magnetresonanztomografischen Untersuchung zur Prüfung des Vorliegens von Einblutungen in die Halsweichteile wünschenswert, in Praxis jedoch in vielen Fällen nicht realisierbar. Zudem sind zu erfragen: Aktuell bestehende anogenitale Symptome wie Blutungen, Schmerzen und vorbestehende anogenitale Erkrankungen (vaginale Infektionen). Gynäkologisch werden abgefragt der Zeitpunkt der letzten Regelblutung, der letzte einverständliche Geschlechtsverkehr, die Einnahme von Antikonzeptiva sowie die Durchführung einer potenziellen Körper- und Genitalreinigung nach dem Vorfall. Ferner die Abfrage der Mundhygiene nach stattgehabtem Oralverkehr, letzte Miktion und letzter Stuhlgang und eine evtl. Medikamenteneinnahme. Beim vermeintlichen Opfer sollte bei Einverständnis eine Blutprobenentnahme hinsichtlich einer Beeinträchtigung durch Alkohol und Betäubungsmittel erfolgen, zudem sollte stets an die Einwirkung sogenannter KO-Tropfen gedacht werden, welche eine zeitnahe Entnahme der Blutprobe und ggf. eine notwendige Urinprobe erforderlich machen. Sollte durch die Polizei noch keine Asservierung der Bekleidung der Geschädigten erfolgt sein, so sollte dies im Rahmen der gynäkologischen/rechtsmedizinischen Untersuchung erfolgen. Die gynäkologische Dokumentation extra- und intragenitaler Verletzungen erfolgt durch den Gynäkologen. Im Rahmen der anschließenden rechtsmedizinischen Untersuchung erfolgt eine entsprechende Fotodokumentation sämtlicher körperlicher Befunde, wobei auch Negativbefunde (also das Fehlen von Verletzungen) relevant und zu dokumentieren sind. Bei geschilderten Fesselungen ist explizit der Handgelenksknöchelbereich zu dokumentieren und ggf. die Fesselung, soweit möglich, nochmals detailliert zu erfragen.
Weiterhin wesentlich bei einem sich wehrenden Opfer ist ein möglicher Nachweis von Fremd-DNA unter den Fingernägeln. Nach rechtsmedizinischer Erfahrung ist ein Transfer vom Opfer auf den Täter doppelt so häufig wie umgekehrt. Aus rechtsmedizinischer Sicht ist das Unterlassen einer gynäkologischen und einer rechtsmedizinischen Untersuchung bei einem sogenannten „Hands off“ – Delikt, d.h. einer behaupteten oder tatsächlich stattgefundenen Vergewaltigung, bei der nur eine Bedrohung stattfand und es nach Angaben der Geschädigten nicht zur Gewalteinwirkung kam, bedenklich.
Gleiches gilt bei der Angabe, dass ein Kondom beim Verkehr benutzt wurde. Auch hier ist eine gynäkologische Untersuchung notwendig, da auch der Kondomgebrauch auf Grund der im Überzug-Trennstoff der Kondoms befindlichen Sporen (Lycopodium) nachweisbar ist. Wesentlich ist zudem für die gynäkologische Untersuchung der Vordruck zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, hinsichtlich der rechtsmedizinischen Untersuchung ist das Opfer darauf hinzuweisen, dass diesbezüglich kein Arzt-Patienten-Verhältnis besteht. Ein intensiver Austausch zwischen den ermittelnden Beamten und dem Rechtsmediziner ist in Anbetracht der Deliktschwere nicht nur wünschenswert, sondern zwingend erforderlich.