Vortäuschung von Sexualdelikten
Vernehmungstaktik, Aussageanalyse, Glaubwürdigkeitsprüfung und rechtsmedizinische Aspekte
Lügensignale
Falls innerhalb der freien Schilderung Lügenkonstruktionen erfolgten, wird das menschliche Gehirn beim konstanten Wiederholen der verbreiteten Unwahrheit vor eine enorme Herausforderung gestellt. Aus kognitiver Sicht sind Lügen sehr anstrengend, es ist nahezu unmöglich, sich alle Elemente seiner eigenen erfundenen Geschichte einzuprägen. Tatsächlich erlebte Abläufe können im Gegensatz zu einstudierten Szenen jederzeit ohne größere Schwierigkeiten präsentiert werden. Auskunftspersonen, die einen Sachverhalt real erlebten und um Beschreibung gebeten werden, tendieren zudem häufig zum Aufmachen von „Nebenschauplätzen“, d.h. präsentierter Detailreichtum kann ein Indikator für tatsächlich zutreffende Angaben sein.
Beispiel:
„An dem Tag habe ich früh das Haus verlassen. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass mein Nachbar gerade das Garagentor öffnete. Das macht er meistens morgens um 7. 00 Uhr. Als ich mit meinem Auto losfuhr, war der Nachbar noch immer mit dem Tor beschäftigt. Seine Frau kam auch hinzu. Diese konnte ich aber nur schlecht erkennen, die Sonne hat sehr stark geblendet.“
Jemand, der einen Sachverhalt nicht real erlebt hat, neigt eher zu knappen Informationen:
„Ich bin früh aus dem Haus gegangen. Kann um 7.00 Uhr gewesen sein. Da war weiter nichts.“
Darüber hinaus ist die Körpersprache bei einer Lüge ebenfalls von Bedeutung, da Lügen zugleich akuten Stress für den Körper bedeutet. Die vernehmende Person sollte drauf achten, ob sich sein Gegenüber Gegenstände wie Kugelschreiber, Kleidung o.ä. „zurechtlegt“, durch die Haare fährt, ins Schwitzen gerät, Blickkontakt meidet, den Kopf senkt, eine Raucherpause wünscht etc. Wenn keine Videovernehmung erfolgt, sollten die körpersprachlichen Signale durch einen Aktenvermerk notiert werden.
Nach einigen Tagen – insbesondere bei Erhärtung des Verdachts der Vortäuschung – sollte eine Nachvernehmung stattfinden. Hierbei ist eine Änderung der Vernehmungstaktik empfehlenswert. Ein scheinbar unchronologisches Springen zwischen den Einzelfragen führt in der Regel zur Aufdeckung von Widersprüchen. Genau in dieser Phase sollte der Zeugin eben nicht mehr ein hohes Zeitmaß zur Bereitstellung der Antworten gewährleistet werden. Spontane Reaktionen sind hier erwünscht!
Beispiel:
Wann haben Sie am Tattag nach Feierabend gemacht?
Welche Jacke trug der Täter?
Was haben Sie am Tattag gegessen?
Beschreiben Sie bitte Ihre Beziehung!
Wo genau erfolgte nochmal der Übergriff?
Wann haben Sie telefoniert?
Welche Schuhe trugen Sie während der Tat?
Mit wem haben Sie telefoniert?
Sprechen Sie mit Ihrem Freund/Lebenspartner über die Tat?
Haben Sie einen Führerschein?
Foto: Dr. Bettina Goetze
Foto: Dr. Bettina Goetze
Foto: Dr. Bettina Goetze
Ob die befragte Person dieser Ad hoc-Technik standhält, wird sich zeigen. Jedenfalls ist von zentraler Bedeutung, wo die Aussagen äquivalent sind bzw. wo potenzielle Abweichungen zur freien Erzählung auftreten. Fortfolgend sollten sich die Informationen verdichten und ein vollständigeres Bild ergeben, weswegen eine gründliche Vernehmungsplanung und Auswertung der gelieferten Antworten sehr wichtig sind. Je jünger die zu vernehmende Person ist, desto eher liegt übrigens auch die Bereitschaft zur Aussage vor!
Und dennoch: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Falls auch nach diesen Vernehmungsschritten keine verlässliche Beurteilung durch die Ermittlungsbehörden vorgenommen werden kann, sollte das Herbeiziehen von Sachverständigen in Erwägung gezogen werden. Sie können u.a. im Rahmen der Inhaltsanalyse oder Konversationsanalyse2 den Bedeutungsgehalt von Aussagen interpretieren. Hierbei kann auch der Sprachgebrauch des „Opfers“ dezidiert untersucht werden. Wortwahl, Syntax, Sprechtempo, Klangfarbe der Stimme, Sequenzialität oder Reflexivität stellen wichtige Kriterien zur Charakteristik der Interaktionssituation dar. Darüber hinaus sollten wissenschaftlich anerkannte Methoden zur Einschätzung der Glaubwürdigkeit zum Einsatz kommen.
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