Kriminalitätsbekämpfung

Medizinische und befundsichernde Akutversorgung nach Vergewaltigung – ohne vorausgegangene Anzeige


Alle Kliniken in Frankfurt sind mit dieser Befundhilfe sowie mit Spurensicherungssets ausgestattet und dokumentieren in allen Fällen (ohne und mit vorausgegangener Anzeige, ohne und mit erfolgter Befundsicherung) nach diesem Leitfaden. Die Anamnese- und Untersuchungsdokumentation in Form der Befundhilfe verbleibt in der Patientenakte und unterliegt damit den regelhaften Archivfristen.
Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin. Per Kurier übersenden die Krankenhäuser die aus dem Spurensicherungskit eingesetzten Materialien (z.B. Abstriche oder Blutproben oder kleinere Kleidungsstücke) gesichert an das Institut für Rechtsmedizin am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dort werden die gesicherten Materialien für zwölf Monate gelagert. Dieser Transfer ist so organisiert, dass ein (aus sowohl logistischer als auch rechtlicher Sicht) sicherer Transport, inklusive Datenschutz, gewährleistet ist.
Wenn die Frau binnen eines Jahres keine Anzeige erstattet, werden die Befunde vernichtet. Die zeitlich absehbare Grenze für eine Entscheidung pro oder contra Anzeige soll den Frauen die Bewältigung der Tat erleichtern. Bei Minderjährigen beginnt die Frist mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Es erfolgt diesbezüglich eine entsprechende, datenschutzkonforme Kennzeichnung solcher Kits. Unabhängig davon ist eine Anzeige bis zu 20 Jahre nach der Tat möglich.
Die Kapazitäten für die Lagerung der gesicherten Materialien sind begrenzt. Im Institut für Rechtsmedizin werden nur die eingesetzten Materialien aus dem Spurensicherungsset und alles, was in dieses hineinpasst, aufbewahrt (z.B. Unterwäsche oder Blut- bzw. Urinproben). Eine Analyse solcher Proben erfolgt nur in Verbindung mit einem entsprechenden Untersuchungsauftrag, z.B. im Kontext einer später erstatteten Strafanzeige.

ERFOLGE

  • Das Frankfurter Modell hat politische, medizinische, juristische, soziale und mediale AkteurInnen zusammengeführt und beispielhaft eine optimierte und standardisierte Versorgung für Betroffene geschaffen.
  • Ein niedrigschwelliger Zugang zur ärztlichen Betreuung, zu einer qualifizierten Spuren- und Befundsicherung sowie ins Hilfesystem wird ermöglicht.
  • Öffentlichkeitswirksam wird auf die Möglichkeiten im Gesundheitssystem hingewiesen, um so die Patientinnen-versorgung zu verbessern.
  • Die Grundprinzipien effektiver Gewaltprävention – ein interdisziplinäres, sorgfältig abgestimmtes Vorgehen und solide Kompetenzerweiterung – werden realisiert.


Notwendige psychosoziale Unterstützung. Oft suchen vergewaltigte Frauen kurz nach der Tat Unterstützung in ihrem privaten Umfeld. Ein Großteil wird von Freunden oder von Familienangehörigen zur Untersuchung begleitet und im Anschluss nach Hause gebracht. Materialien zur Weitergabe an die Patientin über das örtliche Unterstützungs- und Hilfeangebot für die Nachbetreuung stehen in Frankfurt zur Verfügung. Zur Entlastung der ÄrztInnen dient die Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Frauennotruf. Diese informiert über den Ablauf eines Strafverfahrens, klärt offene Fragen und Befürchtungen, so dass die Frau im besten Fall informiert und überzeugt die Entscheidung zur Anzeige treffen kann. Die Frauen erhalten zudem persönliche Beratung und Unterstützung bei der psychischen Bewältigung, dem Umgang mit Ängsten etc. Thematisiert werden der Schutz vor weiteren Angriffen und Handlungsmöglichkeiten.
Öffentlichkeitsarbeit. Das Angebot der medizinischen Akutversorgung wird nur angenommen, wenn Betroffene – und vor allem das Umfeld – von dieser Struktur wissen. Die Homepage www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de informiert Betroffene und MultiplikatorInnen über das Angebot. Sie enthält alle zentralen Informationen und beschreibt detailliert die Zugangswege in das vernetzte Hilfsangebot.

Neue Wege der Ansprache und Öffentlichkeitsarbeit

Die Fragen, die viele vergewaltigte Frauen primär beschäftigen, kreisen um ihre Gesundheit. ‚Bin ich verletzt? Infiziert? Kann eine Ärztin durch eine gute Versorgung das Gefühl der Beschmutzung mindern? Bin ich schwanger?‘ In Frankfurt werden die Frauen über dieses originäre Interesse an ihrer Gesundheit und dem Slogan medizinische Soforthilfe angesprochen. Die ebenfalls wichtige Befund- und Spurensicherung wird allen Frauen angeboten, steht aber nicht im Fokus der Ansprache.
Eine begleitende, durch städtische Ämter finanzierte Kampagne bewirbt das Angebot mit Plakaten, Flyern und einem Infoscreen-Spot. Die Materialien sind unter www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de  zu finden.


Plakate und Video-Spot werben dafür, nach einer Vergewaltigung in ein Krankenhaus zu gehen. Zielgruppe ist die Frankfurter Öffentlichkeit. Ihr soll vermittelt werden, dass in Frankfurt eine Versorgungsstruktur für Betroffene vorhanden ist. Die Worte Vergewaltigung und Krankenhaus sollen sich einprägen – bei Frauen und Männern, die dann im Bedarfsfall als MultiplikatorInnen für Freundinnen und Arbeitskolleginnen, Bekannte und Nachbarinnen fungieren können.
Die Plakatmotive sollen es den Betroffenen erleichtern, Vertrauen zur medizinischen Versorgung aufzubauen, da sich die Ärztinnen auf den Plakaten fachlich kompetent, aufmerksam und fürsorglich präsentieren.
Insbesondere Frauen und Mädchen mit beschädigtem Selbstbild benötigen Unterstützung durch Dritte, um aktiv zu werden. Es reicht nicht aus, die Versorgungsstruktur zu etablieren. Die Struktur bzw. ein solches Angebot muss fortwährend beworben werden.
Damit im Bedarfsfall auf die neue Versorgungsstruktur verwiesen werden kann, wurde allen gynäkologischen und hausärztlichen Arztpraxen, Ämtern, Beratungseinrichtungen, Schulen und Kirchen Informationsmaterial zur Verfügung gestellt.
Kinder: In Frankfurt wurde das Modell zunächst auf die Versorgung von Frauen und Mädchen ab 14 Jahren begrenzt. Kinder werden in Frankfurt bereits in zwei Kliniken versorgt. Vielerorts sind speziell für Kinder (im Zusammenhang mit Angeboten zur Prävention von Gewalt gegen Kinder einschließlich sexueller Gewalt) Strukturen der Versorgung aufgebaut bzw. lassen sich über Landkreise und Ländergrenzen hinweg nutzen.
Männer: Auch Männer werden vergewaltigt. Für sie gilt selbstverständlich ebenfalls das hier beschriebene Vorgehen, unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse. Die Befundhilfe ist auch für die Versorgung von Männern nutzbar. Männer können sich an die Zentrale Notaufnahme oder an die chirurgische bzw. urologische Ambulanz einer Klinik wenden.
Im Fokus der Versorgung in Frankfurt am Main stehen aufgrund der hohen Betroffenenzahlen jedoch Frauen und Mädchen.
Das neue Angebot wird genutzt. Trotz der Hemmschwelle, sich nach einer Vergewaltigung im geschützten Rahmen einer ärztlichen Behandlung zu offenbaren, hat das Modell mit mindestens 55 behandelten Frauen (von denen wir wissen) bereits Ende 2014 seine Feuerprobe bestanden. Fünf über die Akutversorgung erreichte Frauen erstatteten im Nachhinein Anzeige. Die sicher immer noch hohe Barriere durch Schuld- und Schamgefühle kann mit Geduld und Fortsetzung der Aufklärungsarbeit sowie durch Information im Rahmen des Frankfurter Modells weiter gesenkt werden.
Frankfurt ist Vorreiter. Das Modellprojekt stellt einen Gewinn für Frankfurt dar: Die Stadt ist die erste Kommune Deutschlands, die das Thema so umfassend aufgreift und hat damit eine Vorreiterrolle eingenommen. Bisher gibt es bundesweit kein vergleichbares Projekt, an dem sich fast alle Krankenhäuser unter einem einheitlichen Konzept an der Versorgung und Befundung nach Vergewaltigung beteiligen. Die Frankfurter Kliniken erhielten durch die Qualifizierungen einen Kompetenzgewinn. Die breite Unterstützung sowie auch die Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin (zur rechtssicheren Lagerung von Material) ist vorbildlich.
Transfer erwünscht. Die Verbindung von Vernetzung, Qualifizierung und Medienarbeit kann auf andere Kommunen übertragen werden. Das Frankfurter Modell der medizinischen Akutversorgung stößt auf großes Interesse: Inzwischen wird auch in anderen Bundesländern politisch die Notwendigkeit erkannt, eine medizinische und psychosoziale Betreuung von Gewaltopfern unabhängig von einem polizeilichen Ermittlungsverfahren zu gestalten. Es gibt bereits Anfragen aus dem ganzen Bundesgebiet zur Übernahme des Modell- und Kampagnenmaterials.Das vorgestellte Konzept führt dazu, dass den Ermittlungsbehörden und Gerichten objektive Beweismittel zur Verfügung stehen, die ansonsten verloren wären. So lassen sich in entsprechenden Fällen, in denen oft Aussage gegen Aussage steht, Einstellung oder Freisprüche mangels ausreichender Beweismittel vermeiden.

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