Kriminalität

Jihad-Export – Warum junge Deutsche Jihadisten werden

Ideologische Dimension des Radikalisierungsprozesses


Jihadistische Salafisten vertreten eine islamistische Ideologie, die sich an dem Vorbild der Gründerväter der islamischen Religion orientiert und eine vermeintlich ideale islamische Gesellschaft erschaffen will. Die grundlegenden Quellen des Islam – der Koran und die Überlieferungen des Propheten Muhammad (Sunna) – sind ihre unveränderbaren Grundfesten. In Abgrenzung zu der Mehrheit der Muslime lehnen sie jede Anpassung der Interpretation der autoritativen Quellen an veränderte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten als „unislamische Neuerungen“ (arab. bid’a) kategorisch ab. Diese Neuerungen führen – der salafistischen Vorstellung nach – zwangsläufig zum „Unglauben“. Zudem vertreten sie ein dualistisches Weltbild, das nur noch aus Gläubigen und Ungläubigen (arab. kuffar) besteht. Zu diesen Ungläubigen zählen neben den „üblichen“ Atheisten, Juden und Christen auch alle nichtsalafistischen Muslime.4 Ein Umgang mit diesen ist zu begrenzen und wenn möglich ganz zu vermeiden, da sie die „wahren“ Muslime diskriminieren würden. Eben diese Diskriminierungsgefühle werden geschürt und instrumentalisiert, um Anhänger anzuwerben. Die jihadistischen Salafisten legitimiert ihre Aktionen durch die Religion und vertreten die Position, dass der militärische Jihad eine Pflicht für jeden Muslim ist und im Prinzip keine Beschränkungen in der Wahl der Mittel kennt. Dies gilt bis das Ziel der universellen Umsetzung islamisch-weltanschaulicher Prinzipien erreicht wurde. Somit ist der Jihadismus eine klare Kampfdoktrin, die jeden Gläubigen verpflichtet, den Kampf für die Errichtung und Bewahrung eines islamischen Staates aufzunehmen.

Politische Dimension des Radikalisierungsprozesses


Betrachtet man die Funktionsweise und Rekrutierungsstrategie von IS, so wird man feststellen, dass die Ideologisierung und die Polarisierung das Hauptelement ihrer Erfolgsstrategie darstellt.5 Der IS lässt zunehmend für die Veränderung der Ordnung im Nahen Osten kämpfen. Dabei werden diejenigen mobilisiert, die eine dem Westen gegenüber feindlich eingestellt und bereit sind, diese Feindschaft in Aktionen umzusetzen. Somit richtet sich die Rekrutierungspropaganda an diejenigen, die bereits Wut empfinden, aber diese Wut nicht politisch artikulieren können Hauptfeind bzw. konstituierendes Element ist aus IS-Sicht der dekadente Westen, der die Umma ausblutet und die Muslime ausgrenzt. Westliche Werte müssen demnach zurückgewiesen, die eigene islamische Identität verteidigt werden. Die meisten Syrienausreisenden geben an, dass sie in erster Linie von der ungerechten Gewalt gegen die Sunniten in Syrien motiviert werden und machen die „westlichen“ Invasionen in der islamischen Welt dafür verantwortlich. Der Westen habe die Konflikte in die Nahostregion gebracht und würde nun zuschauen, wie die Sunniten im Irak und Syrien von den Schiiten „niedergemetzelt“ werden. Des Weiteren wird von ihnen angekreidet, dass sie in den westlichen Gesellschaften aufgrund ihrer religiösen Identität ausgegrenzt werden.6 In diesen Kreisen hat sich zudem der Eindruck festgemacht, dass sich die Politik hierzulande gegen den Islam verschworen habe und ihnen keine Möglichkeit übrig bleibt, als ihre Identität und Religion mit Gewalt durchzusetzen.7 Sie fühlen sich von der politischen Elite nicht vertreten und leugnen die Möglichkeit der politischen Teilhabe ab. Nach außen fühlen sie sich verpflichtet für die Rechte der sunnitischen Muslime einzusetzen. Dabei wird von ihnen ausgeblendet, dass die Mehrheit der IS-Opfer sunnitische Muslime sind.

Psychologische Dimension des Radikalisierungsprozess


IS profitiert von unterschiedlichen sozial-psychologischen Elementen innerhalb der Islamdiaspora. Viele junge Menschen leben und denken durch die mediale Verbindung in ihre Herkunftsländer an und in heimischen Konflikten.8 Sie solidarisieren sich mit den dortigen Sorgen und definieren ihre Konflikte durch die Transnationalität der Religion entlang einer ethnisch-religiösen Trennungslinie. Diese Konflikte werden jedoch mit ihren eigenen in der Diaspora kombiniert und gedeutet. Die Väter der betroffenen Generation von Syrienausreisenden werden sehr oft als schwach und feige beschrieben, jedoch ist die Vaterrolle in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft zentral, insbesondere dann, wenn der Vater in der eigenen Wahrnehmung als die einzige legitime Macht gesehen wird. Kommt es in solchen komplexen Beziehungssystemen dazu, dass der Vater als Beschützer der Familie in seiner traditionellen Rolle scheitert, so kann ein Gefühl der Ablehnung entstehen. Wenn die Familienstruktur mit dem Vater an der Spitze keinen Schutz bieten kann, so entsteht bei Kindern in einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft ein Gefühl der Enttäuschung, das sich in Formen materieller und existenzieller Ängste ausdrückt. Solche Erfahrungen prägen Kinder sowie Heranwachsende und machen sie besonders sensibel für vermeintliche Ungerechtigkeiten. Man kann bei diesem komplexen Vorgang, von einem kannibalischen Narzissmus sprechen, denn es läuft eine kontinuierliche Entwertung der bestehenden Machtverhältnisse ab.9 Verhängnisvoll ist bei diesem Automatismus, dass nur durch die Entwertung anderer – mit welchen Mitteln ist zweitrangig – die eigene „Großartigkeit“ gerettet werden kann. An dieser Stelle setzen die negativen Narrative über die Wahrnehmung des Islam im Westen an. Man ist nicht mehr Türke/Araber und noch nicht Deutscher. Die Zugehörigkeit zum Islam ist der Hauptbestandteil der Identität. Die Debatte über den Islam greift diese massiv an. Dabei ist zu bedenken, dass kollektive Identitäten strategische soziale Konstruktionen10 sind, die sich durch eine enge Verflechtung von Ideen, Weltanschauungen, Religionen und Ideologien sowie soziokulturellen Werten konstituieren. Genau an dieser Stelle liefert der Salafismus die notwendige Deutung der Welt und konstruiert aktiv eine historische Wirklichkeit.11 Im salafistischen Dualismus wird die Differenzierung überflüssig. Je komplexer die Welt, desto einfacher muss ihre Deutung sein. Dies wird durch die IS-Propaganda komplementiert mit dem Ziel, einen kollektiven Wahn zu produzieren.