Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität – die unheilvolle Allianz

Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Die europäische Migrationspolitik auf dem Prüfstand


Es ist nahezu ein Euphemismus, die derzeitigen Verwerfungen in Europa als Folge eines unkontrollierten Migrantenzustroms lediglich als Flüchtlingskrise zu bezeichnen. Es ist vielmehr eine politische Krise der Europäischen Union, wenn nicht sogar des gesamten Weltordnungssystems, zumal alle großen internationalen Organisationen für einen langen Zeitraum mit steigenden Flüchtlingszahlen

rechnen. Weltbank und Internationaler Währungsfond prognostizieren Massenmigration als Dauerphänomen. Deutschland als Hauptzielland steht vor Herausforderungen, deren möglichen krisenhaften Dimensionen sich noch gar nicht abschätzen lassen, zumal die geschätzten Zahlen möglicher Asylbewerber pro Jahr bereits jenseits der Millionengrenze liegen.
Die Vision eines Binneneuropas ohne Grenzen ist längst obsolet, das Dublin-III-Abkommen und der Schengener Grenzkodex stehen zur Disposition. Ungarn baute Grenzzäune, führte Haftstrafen für den unerlaubten Grenzübertritt ein und mobilisierte zum Schutz der Grenzen zusätzlich zur Polizei die Streitkräfte. Auch Tschechien und Österreich setzen das Militär als zusätzliches Potenzial zur Grenzsicherung ein. EU-Ratspräsident Tusk fordert einen verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen, die Bundeskanzlerin erklärt hingegen, dass die Schließung der deutschen Grenzen nicht möglich sei.
Auf der Agenda der Ratlosigkeit rückt zunehmend die Bekämpfung der Schleusungskriminalität auf einen Premiumplatz und wird als vermeintlich probates Mittel zur Kontrolle der irregulären Migration gepriesen. Im folgend Beitrag soll untersucht werden, inwieweit das bisher praktizierte sowie geplante Arsenal an Steuerungsstrategien Erfolg verspricht.

Irreguläre Migration – Herausforderung für Staat und Gesellschaft


Lange Zeit wurde die irreguläre Migration lediglich als Organisationsproblem und als ökonomischer und sozialer Kostenfaktor betrachtet. Allerdings dachte bereits die Ständige Konferenz der Innenminister und –senatoren in der Fortschreibung 2008/2009 des Programms Innere Sicherheit unter Abschnitt II Nr. 2 weiter: „Gefahren gehen von unkontrollierter und illegaler Migration aus. Diese Zuwanderung kann die gesellschaftliche Stabilität –zum Beispiel Arbeitsmärkte, Sozialsystem aber auch die Innere Sicherheit beeinträchtigen.“ Und für die künftige Entwicklung wurde prognostiziert: „Deutschland wird weiterhin Ziel-, insbesondere aber Transitland illegaler Migration, Schleusungskriminalität und grenzüberschreitender Kriminalität sein.“ (Abschnitt IV Nr. 2). Bereits im Juli 2006 erklärte der damalige Innenstaatssekretär Hanning bei der Vorstellung des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM), dass die illegale Migration mit ihren Auswirkungen auf die Kriminalitätslage, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme eine der gegenwärtig größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft sei. Sie müsse umfassend und wirkungsvoll verhindert werden. Der Ernstfall ist jetzt eingetreten. Bereits 2014 wurden mehr als 30 Prozent aller Asylanträge in der EU in Deutschland gestellt, für 2015 wird mit deutlich mehr als eine Million Migranten gerechnet. Und der Druck steigt. Nach Angaben von Frontex sind allein in Griechenland und Italien bis August 2015 mehr als 470 000 Migranten eingetroffen.


Foto: A. Lemberger

Wie aus dem Bericht des Flüchtlingshilfwerks der Vereinten Nationen (UNHCR) für das Jahr 2014 mit dem vielsagenden Titel „Welt im Krieg“ hervorgeht, sind weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Flüchtlingswelle hat damit einen neuen Höchststand erreicht. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres beschwört apokalyptische Dimensionen: „ Wir werden aktuell Zeugen eines Paradigmenwechsels. Wir geraten in eine Epoche, in der das Ausmaß der globalen Flucht und Vertreibung sowie die zu deren Bewältigung notwendigen Reaktionen alles zuvor Gewesene in den Schatten stellen.“ Sogar die Presse schlägt Alarm. In einem Leitartikel der überregionalen Tageszeitung Die Welt (Ausgabe v. 18.5.2015 S. 3) erklärt Dirk Schümchen: „Illegale und unkontrollierte Zuwanderung ist kein Menschenrecht, sondern führt zwangsläufig in den unerklärten Bürgerkrieg – wie im abgewrackten Athen, wo sich längst unter den Augen der Polizei faschistische Banden mit afrikanischen Drogenhändlern und arabischen Obdachlosen einen nächtlichen Straßenkampf liefern. Die Lehre aus solchen Zuständen: Ein Europa als Spiel ohne Grenzen führt den Kontinent in das Chaos.“
Wer nun argumentiert, dass es bereits in der Vergangenheit Stoßwellen der irregulären Migration gab und die aktuelle Entwicklung nicht vorhersehbar war, muss sich Fahrlässigkeit vorhalten lassen. Pars pro toto für ausreichende Frühwarnung steht das Bundeslagebild Schleusungskriminalität 2013 des Bundeskriminalamtes und des Bundespolizeipräsidiums, das bereits vor zwei Jahren in seiner abschließenden Gesamtbewertung auf Seite 18 die irreguläre Migration aus Syrien und den überfüllten Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten zutreffend beschrieb und eine Fortsetzung der steigenden Zahlen prognostizierte. Bedrohlichen Entwicklungen bereits frühzeitig entgegentreten zu können, ist der ausdrückliche Auftrag des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums illegale Migration, in dem Bundespolizei, BKA, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit und das Auswärtige Amt zusammenarbeiten. Es soll internationale Bezüge und Verflechtungen der illegalen Migration frühzeitig erkennen, um solchermaßen als Frühwarneinrichtung für die betroffenen Behörden und die politische Entscheidungsebene zu fungieren. Es wird seine Arbeit sicherlich getan haben.

Migrantenschleusung – ein Wachstumsmarkt


Migrantenschleusung ist ein Wachstumsmarkt, denn die Gewinnmargen sind trotz hoher Unschärfen bei den Schätzungen beträchtlich. Die Internationale Organisation für Migration geht unwidersprochen von einer jährlichen kriminellen Wertschöpfung im Bereich der irregulären Migration von 7 bis 12 Milliarden Dollar aus. Ähnlich Zahlen gab vor Jahren der Bundesnachrichtendienst bekannt. Eine Gruppe von Journalisten und Statistiker hat nach Auswertung einer Vielzahl von Berichten berechnet, dass in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten rund 1,2 Millionen irreguläre Migranten rund 16 Milliarden Euro an Schleusergruppierungen gezahlt haben. Geht man davon aus, dass bei der Wahl des Seeweges auf abgewrackten Frachtkähnen bis zu 1.000 Personen, auf Fischerbooten deren 400 transportiert werden und legt man eine Schleusungsgebühr von Afrika in den Binnenraum der EU von bis zu 5.000 Euro zugrunde, wird schnell die Attraktivität des Geschäftsmodells für kriminelle Gruppierungen klar. Der italienische Außenminister Gentolini erklärte in einem Interview, dass die Erträge aus Schleusungen bereits zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Libyen ausmachen. Die düstere kriminelle Attraktivität der Schleusungskriminalität besteht darin, dass sie gemeinhin als High profit-Low risk-Geschäft gilt. Beliebt ist der Vergleich, dass nur mit Drogen- und Waffenschmuggel mehr verdient wird, dort jedoch mit einem weitaus höheren Risiko.
Erste Ermittlungsergebnisse deuten drauf hin, dass einige Schleusergruppierungen den islamischen Terrorismus finanzieren. In einer Videobotschaft des Islamischen Staates wird damit gedroht, Europa mit einer Flüchtlingswelle zu überschwemmen und dabei auch Dschihadisten einzuschleusen. Bei der bereits bewiesenen verbrecherischen Intelligenz der islamistischen Terrororganisation Islamischer Staat ist nicht auszuschließen, dass diese Mördergruppe Flüchtlingswellen als trojanische Pferde benutzen wird, um klandestin ihren kriminellen Import nach Europa zu verbringen. Auch deuten erste Ermittlungsergebnisse daraufhin, dass das Kalifat versucht, Dschihadisten auf dem Landweg über den Balkan nach Zentraleuropa zu schmuggeln und dabei mit dortigen mafiosen Organisationen zusammenarbeitet. Auch der Exekutivdirektor von Frontex hat in einem Interview mit einer überregionalen Tageszeitung angedeutet, dass die Einschleusung von als Flüchtlingen getarnten Dschihadisten nicht auszuschließen ist. Auch die Länderinnenminister äußerten in einer Telefonkonferenz mit dem Bundesministerium ähnliche Bedenken.
Die Möglichkeiten einer Einschleusung von Terroristen sind konkret nicht nachgewiesen, aber auch nicht auszuschließen. Ohnehin erhebt sich die Frage, wie das Einschmuggeln von Terroristen nachgewiesen werden soll, wenn selbst die hochprofessionelle Bundespolizei, deren genuiner Auftrag eigentlich die Unterbindung des Kriminalitätsimports ist, vor den Flüchtlingsströmen kapitulieren muss und nach Gewerkschaftsangaben anfänglich rund 45.000 unerlaubt eingereiste Personen im Widerspruch zu den Forderungen des § 18 Abs. 5 Asylverfahrensgesetz wegen Überlastung nicht mehr erkennungsdienstlich behandelte. Wie viele dabei und auch bei anderer Gelegenheit in die Illegalität abgetaucht sind, ist nicht bekannt. Aus Gewerkschaftskreisen wird gemutmaßt, dass das jetzige Verfahren einer Einladung zur Identitätsverschleierung gleichkommt, bei dem es noch nicht einmal möglich ist, aus Bürgerkriegsregionen rückkehrende Dschihadisten zu ermitteln. Diese Entwicklung ist umso beunruhigender, als die IS-Terrormilizionäre Blankopässe in vierstelliger Höhe in syrischen Städten gestohlen haben. Noch alarmierender waren die Zahlen, die der neugekürte Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, kurz nach Amtsantritt Ende September bekanntgab. Danach sind rund 290 000 Migranten unregistriert in Deutschland eingereist. Ihr Aufenthaltsort war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.
Selbst das BKA kommt mit der Auswertung der übersandten Fingerabdrücke im nationalen Bestand und im zentralen Eurodac-System nicht mehr nach. Eurodac soll die Anwendung der Dublin-Verordnung erleichtern und dient sowohl der Identifizierung der Asylbewerber als auch von Personen, die sich illegal im Hoheitsgebiet aufhalten. Unter diesen Aspekten fragt man sich nach dem Sinn eines vertraulichen Papiers der Europäischen Kommission, das 25 Risikoindikatoren aufzeigt, an denen angeblich Grenzkontrollorgane eine mögliche Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation erkennen können, geht doch dieser Ansatz stillschweigend von funktionierenden Grenzkontrollen aus. Andere Länder sehen die Problematik differenzierter. Die USA, die sich zur Aufnahme von 10.000 syrischen Flüchtlingen bereiterklärt haben, haben diese von einer bis zu 24 Monaten dauernden Prüfungsprozedur im Terrorist-Screening-Center des FBI und des CIA abhängig gemacht. An der Überprüfung wirken außerdem noch das National Counterterrorismus Center, das Außenministerium und das Heimatschutzministerium mit. 

Schleusungskriminalität – ein facettenreiches kriminelles Geschäftsmodell


In Hinblick auf die Tatsache, dass der Terminus „Schleusen“ national und international und auch in offiziellen Verlautbarungen unterschiedlich gebraucht wird, zum Teil auch als Schleppen oder Menschenschmuggel bezeichnet wird, häufig auch fälschlicherweise mit Menschenhandel gleichgesetzt wird, soll nachfolgend einem UN-Abkommen folgend unter „Schleusung von Migranten“ die Herbeiführung der unerlaubten Einreise einer Person in einen Vertragsstaat mit dem Ziel, sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen,1 verstanden werden. Schleusungskriminalität soll als untechnischer Sammelbegriff für alle Handlungen gebraucht werden, die im Zusammenhang mit Schleusungen stehen und nach nationalem Recht strafbewehrt sind.
Grundsätzlich liegen über die Strukturen der Schleusergruppierungen außerhalb des Schengenraumes nur wenige belastbare Informationen vor, da die hierzu erforderlichen Strukturermittlungen in den meisten Ausgangs- und Transitländern aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich sind. Welche Länder z.B. in Frage kommen, verdeutlicht das Frachterunglück im Frühjahr mit über 800 Toten. Die Überlebenden kamen aus Eritrea, Mali, Gambia, der Elfenbeinküste, dem Senegal, Sierra Leone, Bangladesh und Tunesien. Anfang August des Jahres wurde in Deutschland ein Schleuser festgenommen, der zu einer Gruppe gehört, die das Flüchtlingsschiff „Blue Sky M“ mit 800 Migranten an Bord führerlos auf die italienische Küste zutreiben ließ und die sich beim Verlassen des Schiffes unter die Flüchtlinge mischte. Die Ermittlungen ergaben Hinweise auf eine kriminelle Organisation, die in der Türkei, in Syrien, im Libanon und in Rumänien tätig ist. Allein in Griechenland werden 200 Schleuserorganisationen vermutet.
Bei den Schleusergruppierungen handelt es sich meistens um lose dezentrale Netzwerke innerhalb sich abschottender ethnischer Gruppen, die sich über Anlaufstellen und Treffpunkte vernetzen und deliktsübergreifend inter- und transnational agieren. Gleichwohl verfügen sie über eine hochdifferenzierte Logistik, leistungsfähige Kommunikationsmittel und ein weitgespanntes Netz korrumpierter Mittelsmänner und Kontaktleute unmittelbar an den Schleusungsrouten, aber auch bis hinein in die Führungsebenen der Sicherheitsbehörden unterschiedlicher Länder. Die kriminellen Dienstleistungen unterscheiden sich jeweils danach, ob sie am Anfang, während oder am Ende der Route erbracht werden. So gibt es Gruppierungen, die für die Kontaktaufnahme mit Migranten zuständig sind, andere für die Logistik der Transportmittel, wieder andere für die Aktivierung von Mittelsmännern und Hilfspersonal und letztlich diejenigen, die die gesamte Finanzierung abwickeln.
Ihre weiträumige Verteilung in den Hauptherkunfts- und Transitländern ermöglicht eine rasche Verschiebung der jeweiligen kriminellen Anlaufstellen und erschweren die Fahndung. Auch reagieren sie virtuos, flexibel und reaktionsschnell bereits nach wenigen Tagen auf veränderte Strategien von Sicherheitsbehörden. Schwachstellen bei den Abwehrmechanismen und veränderte staatliche Gegenmaßnahmen werden schnell erkannt und konsequent ausgenutzt oder umgangen. Das Übersetzen von der türkischen Küste auf die die vorgelagerten griechischen Inseln und die Wahl der Balkanroute, zunächst über Ungarn, dann über Kroatien und Slowenien belegen die schnelle Anpassungsfähigkeit. Als Deutschland vorübergehend die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze wiedereinführte, wichen die Schleuser innerhalb einer Nacht auf die grüne Grenze und ungesicherte Nebengrenzübergänge aus.
Besonders perfide Methoden entwickelten die Schleuser im Mittelmeer. Die verstärkten Seenotrettungsbemühungen der EU haben den Strom der Migrationswilligen noch anschwellen lassen, spekulieren doch die Schleusernetzwerke damit, dass die von ihnen zusammengestellte Menschenfracht von einem Schiff aufgenommen wird. Die Seenotrettung wird provoziert. Dies führt dazu, dass die Schleuser keinen Wert mehr auf hochseetüchtige Boote legen und diese lediglich nur noch mit einem Treibstoffvorrat ausstatten, der für das Verlassen der libyschen Hoheitsgewässer oder zum Erreichender der Hauptschifffahrtlinien reicht. Allenfalls erfolgt eine Kurzeinweisung in Technik und Nautik. Der Kurs wird so gewählt, dass der Seeweg von Handelsschiffen gekreuzt wird, der vorher aufgeklärt wird. Ein Zusammentreffen mit den Staatsschiffen von Frontex oder der im Mittelmeer eingesetzten Marineschiffe soll vermieden werden, um dem Ermitteln von Schleusungsdaten z.B. durch Auslesen von Handy-Daten vorzubeugen. Bei größeren Schleuserschiffen wird das Automatische Identifikationssystem, das dem Austausch von Navigationsdaten dient, außer Betrieb gesetzt. Zusätzlich versucht man die Kommunikation von Hilfsorganisationen, die bei Notrufen von Schlepperbooten tätig werden, mit Störsendern zu unterbinden.
Das besondere Kennzeichen der Schleusungen neue Zeitrechnung ist die exzessive Verwendung moderner Kommunikationsmittel, die die ohnehin vorhandene Mundpropaganda am Ausgangs- und Zielort unheilvoll ergänzen. Sowohl Schleuser als auch Migranten verfügen über Smartphones und Notebooks mit Internetzugang, so dass aktuell bereits die Hälfte der Kontaktaufnahmen online erfolgt. Moderne Kommunikationsmittel garantieren Verbindungsaufnahme in Echtzeit zwischen dem Anwerber in Ägypten, dem Skipper an der türkischen Küste, dem Vermieter in Bulgarien und dem Kassierer in Österreich. Einige Organisationen wickeln die Terminabsprachen und ihr sonstiges Zeitmanagement für eine Etappenschleusung sogar über eine Hotline unter Inanspruchnahme von WhatsApp ab oder nutzen diesen Chat-Dienst zum Crowdsourcing. Bei diesem neuartigen Arbeitsmodell werden bestimmte eigentlich organisationsinterne Aufgaben wie zum Beispiel Bereitstellen von Fahrzeugen, Schleusungsbegleitung oder Übersetzungen kurzfristig und zeitlich limitiert an Externe vergeben.
In Facebook wimmelt es von Eintragungen, mit denen die kriminellen Transporteure ihre Dienste mit Telefonnummern anbieten. Die Kontaktaufnahme erfolgt über WhatsApp, Twitter oder Viber. Kaum ein Migrant, der nicht mit einer längeren Telefonliste den Weg ins Ungewisse antritt. Über die Internetplattformen werden aber auch frei von Verfolgungsbefürchtungen gefälschte Pässe, Ausweise und Visa angeboten. Laut Frontex werben Busunternehmen öffentlich damit, Angehörigen des Kosovo Möglichkeiten zum Missbrauch der Sozial- und Rückkehrhilfen in der EU verschaffen zu können.
Migranten tauschen Erfahrungsberichte über bestimmte Routen und offene Grenzübergänge aus, am Zielort Angekommene geben Tipps sowie Hinweise auf Unterstützungsleistungen durch helfende Hände beim Marsch durch Transitländer und warnen auch vor betrügerischen Schleusern. Besonders begehrte Informationen sind Hinweise auf Leistungen am Zielort, den Gang des Asylverfahrens und Tricks bei der Anerkennung. Im Gegenzug versuchen Schleuserorganisationen das ohnehin lukrative Geschäft dadurch zu beleben, dass sie Falschmeldungen über die Modalitäten und Chancen in möglichen Zielländern ins Netz stellen.
Neben den organisierten Schleusungen gibt es aber auch Spontan- und Selbsthilfeaktionen im Rahmen familiärer oder verwandtschaftlicher Beziehungen. Entlang der Schleusungsrouten existiert eine Heerschar von Gelegenheits- bzw. Zufallsschleusern und kurzfristig angeworbenen Hilfskräften, die aus Interesse am schnellen Geld den unter Zwang stehenden Migranten ihre Dienste anbieten. Es gibt im Gegensatz zum europäischen Binnenraum, in dem Europol z.B. in Frankreich im Bereich der illegalen Beschäftigung bereits geschlossene Syndikate ermittelt hat, keine geschlossenen Organisationen oder Hauptquartiere. Bei pauschaler Betrachtung lassen sich bei Schleusungen zwei Geschäftsmodelle unterscheiden. Zum einen der dezentrale und durch Zufallsfaktoren bestimmte Marsch ins Ungewisse, der zum Teil unter Inkaufnahme riesiger Umwege durch mehrere Länder führt. Zum anderen die finanziell aufwändig geplante Schleusung, an der Akteure und Kontaktpersonen im Herkunfts-, Transit- und Zielland beteiligt sind, die fallweise mit lokalen Residenten und Organisationen zusammenarbeiten. Dabei kann die erste Variante Jahre dauern, während bei der zweiten Variante dank der Spezialisierung der Schleuser bei einigen Routen – so zum Beispiel über den Balkan – das Verbringen über mehrere Landesgrenzen hinweg schon nach einer Woche abgeschlossen sein kann. Für die kriminelle Energie der Schleuserorganisationen spricht der Umstand, dass man Familienmitglieder trennt und erst im Zielland wieder zusammenführt, um solchermaßen Abhängigkeiten herzustellen.
Einige der involvierten Gruppierungen entsprechen wohl einem kriminellen Geschäftsmodell, das das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende Kriminalität in Artikel 2 als strukturierte Gruppe bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer Straftat gebildet wird und die nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für ihre Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur erforderlich macht. Dabei sind im Binnenraum der EU, wie die umfangreichen Ermittlungsaktionen der Strafverfolgungsbehörden beweisen, die Übergänge zur organisierten kriminellen Gruppe allerdings fließend. Dem Lagebericht 2014 des BKA zur Organisierten Kriminalität zufolge steht Schleusungskriminalität nach Rauschgiftkriminalität, Eigentumskriminalität, Wirtschaftskriminalität sowie Steuer- und Zollkriminalität an fünfter Stelle. Im ersten Halbjahr 2015 verdoppelte sich die Zahl gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Gruppierungen werden von Türken und Syrern dominiert, wobei zunehmend das Asylrecht von Georgiern missbraucht wird, um in Deutschland Wohnungseinbrüche zu begehen.Die wichtigsten Flüchtlingsrouten sind bekannt. Sie führen über die östlichen EU-Grenzen und das Mittelmeer aktuell mit Schwerpunkt über den Balkan. Die Routen des Elends werden hauptsächlich aus den Krisengebieten des Nahen und mittleren Osten und aus den den Staaten der Subsahara- Mali, Niger, Sudan und Eritrea- in Richtung Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten und Libyen gespeist. Anlaufpunkt für die Routen aus dem Subsahararaum vor der Durchquerung der Sahara sind Agadez in Niger und Adré im Tschad, von wo regelmäßig Konvois in Richtung Mittelmeer fahren. Die Südgrenze von Libyen ist offen wie ein Scheunentor, ein Zustand, der bereits zu Zeiten des gestürzten Diktators Gaddafi die Regel war. Wie viele Migranten beim Horrortrip durch die Sahara Opfer von Entbehrungen und marodierenden Banden wurden oder den Milizen in die Hände fallen, die die Bootsflüchtlinge als neue Einnahmequellen entdeckt haben und die mit den Schleuserorganisationen zusammenarbeiten, ist bisher nicht ermittelt worden. Bekannt sind lediglich die Knotenpunkte, an denen sich Migrationsbewegungen konzentrieren: Sabha, Tripolis und Benghasi in Libyen, Mersin und Istanbul in der Türkei und Athen, Rom, Mailand, München, Calais, Frankfurt(M) und Hamburg im EU-Binnenraum.

Ermittlung und Fahndung im Spannungsfeld zwischen Zuständigkeitsgrenzen und Souveränitätsvorbehalten


Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität sind ein ubiquitäres und damit grenzüberschreitendes Phänomen. Sowohl diese Feststellung als auch die damit verbundene Forderungen nach Optimierung der nationalen und internationalen Kooperation, die nicht an Zuständigkeitsgrenzen und Souveränitätsvorbehalten scheitern darf, sind Binsenweisheiten. Wer allerdings lautstark den Abbau der grenzüberscheitenden Schnittstellenprobleme und Ermittlungsbarrieren fordert, muss zunächst vor der eigenen Tür kehren. Weder besteht zurzeit national ein länderüberreifendes polizeiliches Fallbearbeitungsprogramm noch ein einheitliches polizeiliches Informationssystem. Viele Migranten sind unregistriert unterwegs oder werden mehrfach erfasst oder wegen Parallelzuständigkeiten zweimal erkennungsdienstlich behandelt. Ein unmittelbarer Datenaustausch zwischen den Polizeien von Bund und Ländern und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist wegen Inkompatibilität der Datenverarbeitungsgeräte nicht möglich, erfolgt papiermäßig und ist damit wesentliche Ursache für die Überlänge der Asylverfahren. Gleiches gilt für die Registrierstellen der Länder, die nur in wenigen Fällen wegen fehlender Vernetzung einen Datenabgleich mit dem Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämter oder mit der euroweiten Eurodac-Datei in Luxemburg vornehmen können. Ähnliche Defizite gibt es auch in anderen Bereichen. Wenn der Bundesinnminister jetzt eine europäische Küstenwache zum besseren Schutz der EU-Außengrenzen fordert, ist dies nicht ohne eine gewisse Prise Blauäugigkeit, scheitert doch die seit den fünfziger Jahren u.a. auch von Bundesrechnungshof geforderte Einrichtung einer nationalen Küstenwache an Ressorteitelkeiten und kleinlichen Vorbehalten der beteiligten Einrichtungen.


Seenotrettungseinsatz im Mittelmeer (Mediathek Bundeswehr)


In Deutschland sind Ermittlungen im Phänomenfeld Schleusungskriminalität wegen der häufig mit anderen Deliktsfeldern verbundenen Begehungsweise Mischfälle und daher auf unterschiedliche Polizeien und Staatsanwaltschaften verteilt, wodurch es häufig zu Parallelermittlungen kommt. Die zwischenzeitlich eingerichteten gemeinsamen Ermittlungsgruppen, in denen unterschiedliche Sicherheitsbehörden mit beachtlichem Erfolg zusammenarbeiten, haben sich als probates Korrektiv im Zuständigkeitsdschungel erwiesen. Auch länderübergreifend wurde man tätig. Zur Koordinierung und Steuerung länderübergreifender Fahndungsmaßnahmen gegen Schleusernetzwerke und zur schnelleren Umsetzung von Ermittlungserkenntnissen wurde in der ersten Septemberhälfte die „Gemeinsame Informationssammel- und Auswertestelle“ (GISA) bei der Kriminalpolizeiinspektion Passau eingerichtet. In dieser Fachdienststelle arbeiten Experten der bayerischen Polizei, der deutschen Bundespolizei, des österreichischen Bundeskriminalamtes und des Schweizer Grenzwachtkorps zusammen, die auf die Informationen ihrer jeweiligen Datenbanken zurückgreifen können.
Für die Strafverfolgung bei Straftaten nach den Vorschriften des Passgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes oder des Asylverfahrensgesetzes, die im Zusammenhang mit einem Grenzübertritt stehen, ist nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Bundespolizeigesetz die Bundespolizei zuständig. Obwohl jüngst erst wieder ein Vertreter einer Standesorganisation im Bundeskriminalamt der Bundespolizei die Ermittlungsreife im Bereich der Schleusungskriminalität absprach und eine Zuständigkeit des BKA reklamierte, fand dieser Ruf in der Fachwelt keinen Widerhall, zumal sich die Bundespolizei im Bereich der ihr obliegenden Kriminalitätsbekämpfung einen vorzüglichen Ruf erworben hat. Selbst der Bundesnachrichtendienst ist in die Bekämpfung Schleusungskriminalität eingebunden. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 Artikel 10-Gesetz darf er unter bestimmten Voraussetzungen Informationen zum gewerbs- oder bandenmäßig organisierten Einschleusen von ausländischen Personen in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland sammeln.
Anders die Situation in Österreich, das schon vor Jahren sein Polizeiwesen vereinheitlicht hat. Für Schleusungsermittlungen ist die Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität, des Menschenhandels und des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels im österreichischen Bundeskriminalamt zuständig. Diese Organisationseinheit, deren Leiter übrigens als leitender Kriminalbeamter die Amtsbezeichnung Oberst trägt, hat ein vierstufiges Modell zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität – so der österreichische Terminus – entworfen. So entsendet Österreich Dokumentenberater in Drittstaaten, beteiligt sich an Grenzeinsätzen der EU-Agentur Frontex und setzt österreichische Polizisten in bi- und multinationalen Streifen in Kooperation mit den Nachbarländern ein. Die vierte Stufe sind Ausgleichsmaßnahmen, bei denen über 1.300 Polizisten in 36 Dienststellen eingesetzt sind. Die Umsetzung obliegt dem Operativen Zentrum für Ausgleichsmaßnahmen, das ganzheitlich Daten zur Bekämpfung der illegalen Migration, der Schlepperei, des illegalen Suchgiftschmuggelns und Waffenhandels erfasst und analysiert und auf Grundlage der Analyseergebnisse landesweit zielgerichtete Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen initiiert.
Auf EU-Ebene strebt man nunmehr an, zur Generierung belastbarer Informationen die Koordination und einen effizienter Informationsaustausch mit alle systemrelevanten Institutionen, von der UN über die Arabische Liga bis hin zu anderen Drittstaaten unter Einbindung von Europol, Interpol, Eurojust und Eurosur sowie relevanten EU-Auslandsoperationen zu vertiefen. Dies wird in vielen Fällen nur ein Treffen auf dem kleinsten Nenner sein, denn viele Staaten kennen die in der EU üblichen Straftatbestände im Bereich des Ausländer-, Pass- und Asylrechts gar nicht. Die vorgesehenen Operationen können auf auf dem Joint Operation Team (JOT) MARE aufbauen. Dieses europäische Projekt steht unter der Leitung von Europol und vereinigt ein Team nationaler Experten der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU Policy Cycle-Empact, einer Kooperationsplattform, die sich mit der Bedrohung durch die internationale schwere und organisierte Kriminalität beschäftigt. Ein Schwerpunkt ist die Erkenntnissammlung in Bezug auf kriminelle Organisationen, die für die Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die EU und die anschließende illegale Binnenmigration verantwortlich sind. Die enge Zusammenarbeit mit Frontex und Interpol ist Teil der Strategie. Das Unternehmen dient der Gewinnung von Erkenntnissen, hat aber keine Ermittlungszuständigkeiten für den exekutiven Schutz der Außengrenzen. Hierfür bleiben die Mitgliedstaaten verantwortlich. Aktuell wird der kapriziöse Vorschlag geprüft, dass Europol zusätzlich im Internet nach Werbung für Schleusungsmöglichkeiten recherchieren und für deren Entfernung sorgen soll. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die überwiegende Organisation von Schleusungen über das Darknet, der Dunkelkammer des Internets, abgewickelt wird. Hierbei handelt es sich um einen privaten und überschaubaren Verbund mehrerer Computer, in denen der Datenaustausch mehrfach verschlüsselt erfolgt. Der mehrfach abgesicherte Zugriff ist nur über geheime Internet-Protokoll-Adressen unter Nutzung spezieller Software möglich ist und garantiert die Anonymität der Verbindungsdaten.
Die eigentliche Crux liegt jedoch woanders. Grundsätzlich fehlt es an einem internationalen Kooperationsgerüst. Eine Zusammenarbeit generell, speziell aber im Bereich der Strafverfolgung, mit Staaten ohne stabile und zuverlässige Regierungen ist weder politisch noch tatsächlich möglich. Auch wenn z.B. der italienische Geheimnisdienst Erkenntnisse über Schleusergruppierungen in Libyen gesammelt hat, fehlt es den europäischen Ermittlungsbehörden an Ansprech- und Kooperationspartner in den Brennpunktbereichen. Im Dreiländerdreieck Mali, Algerien und Niger, in dem sich viele Anlaufpunkte für irreguläre Migranten aus der Subsahara befinden, ist ein rechtsfreier Raum entstanden, in dem Schleuserorganisationen unterschiedlicher Provenienz und rebellierende Tuareg lageabhängig die unterschiedlichsten Allianzen zur Förderung krimineller Aktivitäten eingehen.
Auch hinsichtlich der Rechercheergebnissen von Verbindungsbeamten in Ausgangs- und Transitländern ist Vorsicht geboten. Ihre Erkenntnismöglichkeiten sind beschränkt, da sie weitgehend auf das Entgegenkommen der Gastländer und ihre eigene Findigkeit angewiesen sind. Hingegen sind eigene Nachforschungen kaum möglich, die Zusammenarbeit mit teilkorrupten Sicherheitsbehörden nicht immer erfolgreich.
Auch gestalten sich Finanzermittlungen und die Verfolgung von Geldströmen „rückwärts“ schwierig, wobei nach deutschen Vorstellungen eine stärkere Einbindung von Interpol als Plattform für Informationen über Herkunfts-, Transit- und Zielländer wünschenswert wäre. Allerdings muss bei den Finanzermittlungen berücksichtigt werden, dass ein Großteil der Geldflüsse im Schleusermilieu über Hawala abgewickelt wird, ein bis ins Mittelalter zurückreichende und über 1000 Jahre altes vertrauliches, kostengünstiges und informelles Überweisungs- und Zahlungssystem, bei dem aufgrund fehlender Aufzeichnungen bei den Beteiligten eine staatliche Nachverfolgung der Geldflüsse nicht möglich ist, da die Kundenidentität und der Verlauf der Transaktionen nicht festgestellt werden kann. Bei der Transferierung bedienen sich zwei Personen einer dritten Person, meistens Kleinhändler, die sich durch absolute Diskretion und Zuverlässigkeit auszeichnen. Folglich erfreut sich das „Underground Banking“, das in der Mehrzahl der Länder illegal ist, aber auch keiner Finanzaufsicht unterliegt, bei Terrororganisationen und der russischen Mafia großer Beliebtheit. Polizeiliche Befragungen irregulärer Migranten sind häufig ergebnislos, da die Betreffenden kein sonderliches Interesse für eine Zusammenarbeit mit der Polizei zeigen, ihre Schleuser häufig als Wohltäter empfinden, sie zur Nachholung von Familienmitgliedern nutzen wollen und selten die eigentlichen Zusammenhänge ihrer Verbringung kennen. Überdies befürchten sie, sich selbst zu belasten oder in ihre Heimatländer oder in einen der Transitsaaten auf ihrem Fluchtweg abgeschoben zu werden. Ohnehin werden bei den polizeilichen Kampagnen nur die Letzten in einer langen Kette gefasst. Es sind die sogenannten Transportschleuser: Der auf das schnelle Geld fixierte Taxifahrer im Zielland, Kleinkriminelle, kurzfristig angeworbene Hilfskräfte, die den Kleinbus steuern, Landsleute, die bei ihrem langen Marsch hängengeblieben sind oder jene Mittelmeeranrainer, die für die Zusage freier Überfahrt die Schlauchboote steuern oder bei größeren Schiffe eine Summe erhalten, die ihr jämmerliches Jahresgehalt übersteigen. Alle haben sie ein Merkmal gemeinsam: Bei einem Ausfall werden sie umgehend ersetzt. So täuscht der knallige Titel „Zahl der Schleuser auf Rekordniveau“, mit der die Bundespolizei für das erste Halbjahr 2015 die Festnahme von 1420 Tatverdächtigen meldet und von über 800 in Untersuchungshaft einsitzenden Schleusern nur vordergründig einen echten Mehrwert bei der Bekämpfung dieses Kriminalitätsphänomens vor. Viele werden erst auch gar nicht dem Haftrichter vorgeführt, da es sich um ahnungslose Taxifahrer oder zur Abholung bestellte Verwandte handelte. Ohnehin sind in Bayern die Justizbehörden schon wegen Überfüllung der Haftanstalten nicht mehr in Lage, alle festgenommenen Schleuser in Untersuchungshaft zu nehmen. Dies wird vielmehr auf besonders schwere Fälle beschränkt, z.B. wenn Schleuser Leib und Leben der Geschleusten gefährdet haben.

Marine auf Schleuserjagd – eine fragwürdige Alternative


Da gemeinhin die Schleusungskriminalität der Organisierten Kriminalität zugerechnet wird, sollte man annehmen, dass die Interventionsstrategien zuvörderst kriminalpolizeilicher, allenfalls nachrichtendienstlicher Art sind. Der Ansatz der EU indes sieht indes anders aus. Die verzweifelte Suche der Akteure europäischer Sicherheit nach Strategien, die zumindest eine Kontrolle der irregulären Migration ermöglichen, gipfelte letztendlich in einem Beschluss, gegen die Schleusungsaktivitäten im Mittelmeer mit einer militärischen Operation im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) vorzugehen. Hierzu entwickelte die EU-Außenbeauftragte Mogherini auf Grundlage von Art. 42 Abs. 4 und 43 Abs. 3 des EU-Vertrages ein Krisenmanagementkonzept, das mit Ratsbeschluss vom 18. Mai 2015 umgesetzt wurde.2 Die militärische maritime Operation unter dem Titel EUNAVFOR MED3 wurde mit Beschluss (GASP) 2015/972 des Rates am 22. Juni 2015 eingeleitet und deckt das Seegebiet südlich Siziliens vor der Küste Libyens und Tunesien innerhalb der Region des mittleren und südlichen Mittelmeeres und den dortigen Luftraum ab. Sie beinhaltet einen Stufenplan, der in der ersten Phase neben Seenotrettungsmaßnahmen Patrouillen auf Hoher See zur Beobachtung und Aufdeckung der Schleusungslage im Mittelmeer umfasste. In der zweiten Phase sollen neben der Aufdeckung und Beobachtung von Migrationsnetzwerken als Tatobjekte identifizierte Schiffe auf Hoher See oder in Hoheitsgewässern angehalten, durchsucht, beschlagnahmt und umgeleitet werden. Hierzu sollen auch Aufklärungsflugzeuge, U-Boote, Satellitenüberwachung und Drohnen eingesetzt werden. In der dritten Phase letztlich sollen auf dem Hoheitsgebiet des betroffenen Küstenstaates alle erforderlichen Maßnahmen bis hin zur Unbrauchbarmachung oder Zerstörung von Schleusungsbooten und der dazugehörigen Infrastruktur getroffen werden. Für die letzte Phase wäre allerdings eine Resolution des UN-Sicherheitsrates und die Zustimmung des betroffenen Küstenstaates bzw. bei Schiffen der beteiligter Flaggenstaaten erforderlich.
Die Beteiligung Deutschlands erfolgte in der ersten Phase mit zwei Schiffen der Deutschen Marine aufgrund einer bilateralen Vereinbarung mit Italien, in der folgenden Phase als Teil eines Systems gegenseitiges kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG. Hierzu war nach §§ 1, 2 Abs.1 Parlamentsbeteiligungsgesetz die Zustimmung des Bundestages erforderlich, da der bewaffnete Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland zu erwarten war. Unter dem Eindruck der sich zum Menetekel auswachsenden Flüchtlingskrise beschloss die Bundesregierung, wohl um Entschlossenheit zu demonstrieren, am 16. September 2015 durch Kabinettsbeschluss, der durch das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium vorbereitet wurde,4 ein Bundestagsmandat zur Ausweitung des Einsatzes zu erwirken. Nunmehr sollen in der zweiten Phase durch Entsendung von bis 950 Soldaten in internationalen Gewässern vor der nordafrikanischen Küste Schmuggelschiffe identifiziert, aufgebracht, beschlagnahmt und zerstört oder umgeleitet werden. Es handelt sich nach Afghanistan und Kosovo um den personaldrittstärksten Einsatz der Bundeswehr. Die Zustimmung des Parlaments erfolgte am 1.10.2015.
Bis jetzt blieb wohl der Zunft schreibwütiger Vertreter der reinen Lehre, die bei jeder Gelegenheit die Trennung von Polizei und Streitkräften im Bereich der Eingriffsverwaltung beschwören, verborgen, dass nunmehr Soldaten die Wahrnehmung polizeilicher Eingriffsbefugnisse übertragen werden, die von der Durchsuchung und Beschlagnahme von Schleusungsbooten als Tatmittel bis zur Erhebung personenbezogener Daten und ED-Behandlung reichen. Die hierzu erforderlichen Ermächtigungen zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben sind den veröffentlichten Papieren, die lediglich pauschal auf UN-Konventionen und EU-Ratsbeschlüsse verweisen, nicht zu entnehmen.


Das aktuelle Bild der Grenzkontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze (Bundespolizdirektion München)


Am Sinn des Unternehmens bestanden von Anfang veritable Zweifel. So ist z. B. für die letzte Phase, die einen Einsatz auf libyschen Hoheitsgebiet vorsieht, eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, das Maßnahmen bei Bedrohungen oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen regelt, sowie das Einvernehmen mit der hauptbetroffenen libyschen Regierung erforderlich. Die zurzeit von der EU anerkannte Regierung Libyens hat bereits erklärte, einen Einsatz auf libyschem Hoheitsgebiet als Verstoß gegen die eigene Souveränität zu bewerten.
Trotz aller Medienwirksamkeit hat das Szenario einen Schönheitsfehler. Es ist lediglich ein Herumdoktern an den Symptomen und beschränkt sich auf eine aktuelle Schleusungsroute, die sich sich alsbald ändern kann. Außerdem suggeriert es, dass ein konsequentes Vorgehen gegen Schleuser die irreguläre Migration eindämmt, eine Illusion, der selbst der Kommissionspräsident Juncker erlegen ist. Die Reaktionen sind entsprechend und reichen vom spöttischen „Schiffe versenken im Mittelmeer“ bis hin zum hämischen „Ratlosen retten Hilflose“. Durch die Zerstörung der Boote einen nach haltigen Unterbrechungseffekt zu erreich, ist eine verzweifelte Illusion. Zum einem können sie in nennenswertem Umfang nicht aufgeklärt werden, zum anderen sind sie im Falle der Zerstörung schnell ersetzt, zumal unverändert hohe Gewinnmargen locken.
Aus sicherheitspolitische Sicht am schwersten wiegt aber der Zweifel, ob die eingesetzten Kräfte ihrem Auftrag gerecht werden können, durch Patrouillen auf hoher See Informationen zur Aufdeckung von Schleusernetzwerken zu sammeln, um damit zu einer „Lagebildverdichtung“ beizutragen.5 Nicht nur der Fachmann fragt sich, warum die kriminalpolizeilichen Maßnahmen auf den Einsatzschiffen nicht durch die Spezialisten der Bundespolizei mit ihrem reichen Erfahrungsschatz bei Schleuserermittlungen abgearbeitet werden, zumal auch das Bundeskriminalamt nicht mit der Mission zusammenarbeitet. Lediglich der Bundesnachrichtendienst hat ein Unterstützungselement Militärisches Nachrichtenwesen bereitgestellt. Durch den Verzicht des Einsatzes auf kriminalpolizeiliche Spezialisten werden evidente Chancen vertan, bereits bei der Erstbefragung echte Erkenntnisse über die vorangegangenen Modi Operandi zu gewinnen, straffällige Personen, z.B. Schleuser, zu identifizieren und etwaige strafprozessuale Maßnahmen z.B. bei Verdacht der Teilnahme an Straftaten einzuleiten. Immerhin waren Schleuser in mehreren Fällen für den Tod von Migranten verantwortlich. So wurden Mitte August bei einer Seenotrettungsoperation vor der italienischen Küste über 50 Personen festgestellt, die im Laderaum eines überladenen Bootes erstickten.
Alles in allem muss befürchtet werden, dass die vorgesehene Operation über kurz oder lang zur bloßen Drohgebärde verkommt, deren geringer sicherheitspolitischer Mehrwert die Schleuserorganisationen in ihrem Tun noch bestärken wird. Weder seitens des UN-Sicherheitsrates, der beteiligten Länder und letztlich Russland besteht Bereitschaft, einen Einsatz in den Ausgangsländern zuzulassen. Die verstärkten Seenotrettungseinsätze werden vielmehr als zusätzlicher Pull-Faktor den Strom der Migrationswilligen noch anschwellen lassen, wird ihnen doch vermehrt von den Schleusern suggeriert, dass sie von einem Schiff aufgenommen werden.
Allein sinnvoll wäre gewesen, wie vom italienischen Außenmister Gentiloni vorgeschlagen, das Auslaufen der Schleuserboote durch eine Seeblockade zu verhindern. Spanien hatte dies bereits erfolgreich im Zusammenwirken mit mehreren westafrikanischen Staaten im Rahmen der Operation Seahorse praktiziert und den Strom der Migranten hauptsächlich von Mauretanien auf die Kanarischen Inseln zum Versiegen gebracht. Überlagernd dazu wurden gemeinsame See- und Landpatrouillen in den Hoheitsbereichen von Mauretanien, Senegal, Kap Verde, Gambia und Guinea-Bissau abgesprochen.

Schengen auf dem Prüfstand


Die Regelwerke von Schengen versprachen den Wegfall der Binnengrenzkontrollen ohne Sicherheitseinbußen und freie Fahrt für 400 Millionen Bürger. Vieles hat sich jedoch zum Schlechten gekehrt, die Akzeptanz bei der Bevölkerung ist gefährdet. Erste Warnzeichen waren die Kollateralschäden bei der vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nach Artikel 32 Schengener Grenzkodex aus Anlass des G-7-Gipfels in Elmau. Die Polizei kontrollierte 362 25 Personen, nahm 3.517 Personen vorläufig fest, stellte 13 800 Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht fest, vollstreckte 151 Haftbefehle und stellte 237 Drogendelikte sowie 151 Urkundenfälschungen fest. Dabei waren lediglich 3.000 Beamte des Gesamteinsatzvolumens von 18.000 Personen für wenige Tage zur Grenzkontrolle eingesetzt. Mit der politischen Entscheidung, Flüchtlinge aus Ungarn unkontrolliert und unregistriert einreisen zu lassen, geriet die Entwicklung außer Kontrolle. Insbesondere Bayern stellte zunächst Schengen auf den Prüfstand und fordert dann eine Auszeit. Auch intern schaffte der Freistaat vollendete Tatsachen. Nachdem Innenminister Herrmann bei der letzten Innenministerkonferenz mit seinem Vorschlag, die Schleierfahndung bundesweit einzuführen, bei den SPD-Innenministern nicht durchdrang, besann sich der Freistaat auf seine eigenen Fähigkeiten und stellte bereits frühzeitig 500 Polizeibeamte aus dem Bereich der Bereitschaftspolizei und der Ermittlungsgruppen im Inland zur Verstärkung der ohnehin mit großem Erfolg in Bayern betriebenen Schleierfahndung ab. Allerdings blieb das Grollen des bayerischen Löwen nicht ohne Wirkung auf die Bundesregierung. Am 13. 9.2015 verkündete Bundesinnenminister de Maizière vollkommen überraschend als Reaktion auf die außer Kontrolle geratene Zuwanderungsflut die vorübergehende Aussetzung des Schengener-Abkommens und die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an den südlichen Landesgrenzen. Als Begründung wurde die Begrenzung des Zustroms nach Deutschland und die Rückkehr zu einem geordneten Einreiseverfahren angegeben, da dies aus Sicherheitsgründen erforderlich sei. Für diese überraschende Kehrtwendung musste die Bundespolizei, ohnehin schon im Dauereinsatz, die letzten Reserven mobilisieren und setzte mehrere Hundertschaften und Mobile Überwachungs- und Kontrolleinheiten an die Südostgrenze in Marsch. Für die anderen Grenzen wurden Stichprobenkontrollen angeordnet. Für die gebeutelten Beamten war es nur ein schwacher Trost, dass die Große Koalition in großer Eile die Bereitstellung von zusätzlichen 3.000 Planstellen in den nächsten drei Jahren ankündigte, ist doch in Gewerkschaftskreisen die personelle Unterbesetzung der Bundespolizei ein Dauerthema und wird mit mindestens 2.000 Polizeivollzugsbeamten beziffert.
Besonders professionell wurden die temporären Grenzsicherungsmaßnahmen nicht verkauft, denn der überwiegende Tenor „Deutschland mach die Grenzen dicht“ in den Schlagzeilen der meisten Medien traf den Sachverhalt höchst unvollkommen. Die Grenzen wurden weder geschlossen noch die nach Deutschland strebenden und Asyl begehrenden Personen abgewiesen. Vielmehr wurde an den Hauptübergängen wieder systematisch, aber nur an den Hauptverkehrsadern kontrolliert, Ausländer, die kein Asylbegehen vortrugen, zurückgewiesen und beweissicher nach Schleusern gefahndet. Die Hauptarbeit leisteten die Bundespolizisten jedoch als Verwaltungshelfer für das überlastete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, indem sie die Asylsuchen nach den Maßnahmen des Ersten Angriffs, Registrierung und Erstbefragung den eingerichteten „Bearbeitungsstraßen“ zuführten, in der die weitere Sachbearbeitung, die erforderlichen Datenabgleiche und die nach dem Asylverfahrensgesetz vorgeschriebene erkennungsdienstliche Behandlung erfolgte und mit der Aushändigung einer Anlaufbescheinigung zu einer Erstaufnahmerichtung endete.

Das sonstige Repertoire – viele Überlegungen, wenig Wirkung


Das derzeitige Arsenal an Gegenstrategien hat einen gemeinsamen Schönheitsfehler: Es ändert nichts an der Grundproblematik oder benötigt wie zum Beispiel die Beseitigung der Fluchtursachen in den Ausgangsstaaten einen langen Atem. Die Forderung nach Verstärkung des Grenzschutzes an den Außengrenzen selbst unter Einbeziehung des ungeliebten Nato-Partners Türkei zur Abriegelung der Ägäis ist wohlfeil. Boote der türkischen und griechischen Küstenwache sollen gemeinsam unter der Koordination von Frontex die östliche Ägäis überwachen, gegen Schleuser vorgehen und Migranten zurückführen. Wenn die Bundeskanzlerin der Forderung nach einem Aufnahmestopp für Migranten mit dem Hinweis begegnet, die Sicherheitskräften reichten für eine lückenlose Kontrolle der deutschen Grenzen nicht aus, so gilt das erst recht für die ausgedehnten Außengrenzen, wobei insbesondere die Seegrenzen im Mittelmeer die eigentliche Achillesferse sind. Dies gilt auch vor den medienwirksamen Vorstoß des Bundesinnenministers, Aufnahmezentren mit integrierten EU-Außendienststellen in Nordafrika zu errichten, in denen über den Zugang nach Europa entschieden werden und Fluchtwilligen angeblich ein legale Zugangsweg eröffnet werden soll. Diese Auffanglager, euphemistisch als „Willkommens- und Ausreisezentren“ bezeichnet, werfen viele Fragen auf. Diese reichen von den Finanzierungsmöglichkeiten bis hin zum Umstand, dass auch dann die abgelehnten Bewerber den illegalen Weg nach Europa suchen werden.
Erfolgversprechender scheint die Einrichtung sogenannter Hot Spots in Griechenland und Italien zu sein. Hierbei handelt es sich um Anlaufstellen, die von nationalen Experten sowie Vertretern von Europol, Frontex und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) gemeinsam betrieben werden sollen, und der Identifizierung und Registrierung von Migranten dienen sollen. Allerdings sind weder Organisation noch Rechtsfragen geklärt, noch ist sicher, ob sich Migranten freiwillig dem Verfahren unterwerfen. Insbesondere ist nicht geklärt, wer die zusätzlich erforderlichen 775 Grenzschutzbeamten stellen soll. Die Bundespolizei konnte bei einer ersten Anfrage lediglich ein Kontingent von 30 Beamten melden. Besondere Turbulenzen erwarten den Innenminister bei seinen Ambitionen, als Konsequenz aus den bayerischen Forderungen nach Eindämmung der Zuwanderungsflut die Flughafenregelung nach § 18a Asylverfahrensgesetz auch in Transitbereichen an der Landgrenze einzuführen. Die Regelung besagt, dass bei Ausländern, die aus sicheren Herkunftsstaaten auf dem Luftwege einreisen oder sich nicht ausweisen können, das Asylverfahren vor der Einreise durchzuführen ist.
Auch der Aufbau von Informationszentren in den Fluchtländern, mit denen Migrationswillige von der Vergeblichkeit ihres Tuns unterrichtet werden sollen, verspricht allenfalls nur punktuelle Erfolge. Ähnliches wird bereits mit teilweisem Erfolg von Spanien praktiziert, das durch bilaterale Gespräche mit Senegal und Marokko unter Einsatz von Streitkräften und Guardia Civil erfolgreich irreguläre Migration gestoppt hat. Nun prüft die EU hauptsächlich auf Betreiben von Deutschland und Frankreich die Einrichtung eines multifunktionalen Zentrums in Agadez in Niger, einem der ärmsten Staaten der Welt. Nach Beobachtungen der Internationalen Organisation für Migration laufen meisten Routen aus Westafrika über diesen Staat. In dem Zentrum sollen die Migranten über die Chancen und Risiken einer möglichen irregulären Migration aufgeklärt werden.


Das andere Gesicht der "Krise" (Bundesbereitschaftspolizei)


Zwischenzeitlich hat man auch von Australien gelernt, das mit großangelegten Informationskampagnen mit Hilfe von Multimedia, Anzeigen in Zeitung und Internetauftritten von der Rigorosität des Landes kündet, Flüchtlinge vom Betreten des Kontinentes abzuhalten. Boote werden entweder auf hoher See zum Umkehren gezwungen. Im Seenotfall werden Fluchtwillige gezwungen, auf bereitgehaltene seetüchtige Boote umzusteigen und die Rückfahrt anzutreten. Hilft dies alles nichts, werden sie außerhalb des Landes in Lagern auf Nauru oder in Papua-Neuguinea interniert.
Auch Deutschland setzt jetzt auf abschreckende Botschaften. Die Bundespolizei stellt im Auftrag des Bundesinnenministeriums einen fünfminütigen Videospot zum Einsatz in den deutschen Auslandsvertretungen auf dem Westbalkan her. Er soll potentiellen Migranten verdeutlichen, dass sie in der Regel keine Chance auf Asyl in Deutschland haben und Schleuserorganisationen ihnen unter Vortäuschung falsche Versprechen die letzten Habseligkeiten abnehmen. Ob derartige Kampagnen unter dem Aspekt, dass z.B. der Landkreis Lörrach eine „Rückkehrprämie“ von 600 Euro zahlt und bei den mehrmonatigen Asylverfahren eine Sozialhilfe gezahlt wird, die das Monatsgehalt eines albanischen Polizisten deutlich übersteigt, muss bezweifelt werden zumal im Internet Tabellen kursieren, in denen die Aufnahmebedingungen und die Sozialleistungen in skandinavischen Ländern und in Deutschland mit anderen Ländern verglichen werden.
Auch vom sogenannten Khartoum-Prozess, an dem 58 Staaten aus Europa und Afrika beteiligt sind und der am 28. November 2014 unterzeichnet wurde, kann nicht allzu viel erwartet werden. Er soll der Bekämpfung der irregulären Migration, des Menschenhandels und der Schleusungskriminalität in den Herkunftsländern Äthiopien, Eritrea, Sudan, Somalia und Kenia und in den Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien dienen. Gesprächspartner auf Augenhöhe sind damit Eritrea, eine Militärdiktatur, und Somalia, ein failed state, in dem die staatliche Organisation völlig zusammengebrochen ist. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass nunmehr der Auslagerungsprozess des europäischen Grenzschutzes bis zum Extrem betrieben wird und dabei das Zusammengehen mit Staaten in Kauf genommen wird, die weder die Menschenrechte respektieren noch die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben.

Ein eher negatives Fazit


In der aktuellen Fortschreibung des Programm Innere Sicherheit wird zwar zutreffend festgestellt, dass angesichts offener Grenzen auch künftig ein wesentlicher Augenmerk auf den internationalen Terrorismus, die grenzüberscheitende Kriminalität sowie die illegale Migration und die damit einhergehenden Kriminalitätsfelder zu richten ist. Auch die richtigen Schlussfolgerungen werden gezogen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und der grenzüberschreitende Informationsaustausch sollen intensiviert und die Grenzsicherheit soll zum Inhalt von Forschungsprojekten werden. Ferner soll die Zusammenarbeit der EU-Mitliedstaaten in den Bereichen Polizei, Grenzschutz, Aufenthalts- und Asylfragen sowie in der Visapolitik verstärkt werden, wobei insbesondere die Fortentwicklung von FRONTEX insbesondere im deutschen Interesse liegt.
Die derzeitige sogenannte Flüchtlingskrise zeigt jedoch, dass abermals die Realität die Theorie blamiert hat. Europa ist weit davon entfernt, die honorigen Selbstverpflichtungen einzulösen, die einst in vielen Papieren niedergelegt wurden; vielmehr zeigen sich allerorten Risse im Gebälk einer Sicherheitsarchiekur, die lange Zeit für zukunftsfähig gehalten wurde. Der Schengenprozess, der den Grenzschutz an die Außengrenzen verlegte, weist erste Erosionserscheinungen auf, die Dublin-III-Verordnung, die die Bearbeitung von Asylanträgen dem ersten sichereren Aufnahmeland zuweist, hat sich als Ernstfall untauglich erwiesen. Die Mindeststandards des vom Europaparlament im Jahre 2013 verabschiedeten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems werden nicht eingehalten. Überlagert werden diese Dilemmata durch eine disparate europäische Flüchtlingspolitik, in der politischer Wille zur gemeinsamen Problemlösung nicht erkennbar ist. Das endlose Gezerre um eine mögliche Quotierung von Flüchtlingen hat den mangelnden Reifegrad europäischer Solidarität hinreichend bewiesen. Nunmehr soll in aller Eile repariert werden, was lange Jahre bei der Kommission, im Rat und auch beim Europäischen Parlament als ausreichend bewertet wurde, aber den Bruchtest nicht bestanden hat. Besser wäre gewesen, man hätte den alten Gemeinspruch beherzigt, wonach man Krisen am besten dadurch beherrscht, dass man ihnen zuvor kommt.

Anmerkungen


  1. Art. 3 Zusatzprotokoll v. 15. November 2000 gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der VN vom 15. November 2000 gegen die grenzüberscheitende organisierte Kriminalität
  2. Beschluss (GASP) 2015/778 des Rates vom 18. Mai 2015 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED) AB l. l 122/31 v. 19.5.2015.
  3. European Union Naval Force – Mediterranean.
  4. BT-Drs. 18/6013So die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE BT-Drs. 18/5543 v. 6.7.2015, S. 5.