Ein Indikatoren-Faktoren-Modell zur Analyse rechtsextremistischer Terrorismusrelevanz

Von Dr. Michail Logvinov, Freier Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden

1. Einleitung


In Deutschland finden strenge, strafrechtliche Terrorismuskriterien Anwendung. Infolge der rechtspopulistischen Mobilisierung und steigenden Gewalt war jedoch erneut vom Rechtsterrorismus die Rede. In der Tat ist in vielen Fällen ein (vigilantistischer) Terrorismusansatz zu beobachten und zwar in jenen Fällen, wenn Gewalttaten zwecks Einschüchterung begangen werden. Das Abfackeln leer stehender Asylheime zwecks Verhinderung der Unterbringung von Flüchtlingen erfüllt allerdings nicht ohne weiteres die gängige Terrorismusdefinition. Der aktuelle rechtsextreme Slogan „Mut zur Tat!“ erinnert zugleich an „Taten statt Worte“ des rechtsterroristischen NSU.

Mark S. Hamm definiert seit spätestens Mitte der 2000er Jahre die amerikanischen Skinheads als „Terrorist Youth Subculture“. Die Bezeichnung „terroristisch“ treffe demnach auf Gruppen zu, die „das Überleben der eigenen Rasse“ erstens als ein politisch-soziales Motiv für ihre Gewaltorientierung angeben und zweitens innerhalb der letzten zwei Jahre mindestens einen gewaltsamen „Kampf“ gegen Personen der anderen Rasse ausgefochten hätten.1 Die Spezifik der rechtsextremistischen Militanz sieht Hamm in der Übernahme einer spezifischen Ideologie (Überlegenheit der „weißen Rasse“), die durch einen paramilitärischen Stil und Vermittlung der Ideologie sowie der subkulturellen Verhaltensnormen durch Musik gerahmt wird.2
Vor dem Hintergrund voranschreitender Radikalisierungsprozesse im rechten radikalen Milieu widmet sich diese Abhandlung Gefahrenfaktoren und terrorismusrelevanten Indikatoren im Rechtsextremismus.

2. Operationalisierungsdefizite der Gefahr des Extremismus für Leib und Leben


Eines der Probleme angewandter Extremismusforschung hängt mit der Schwierigkeit zusammen, die Gefahrendimensionen „des“ Extremismus zu operationalisieren. Die sicherheitsbehördlichen Kriterien sind hier nicht immer weiterführend. Matthias Mletzko wies bereits vor einigen Jahren darauf hin, dass die bloße Rechtsnormzuordnung nach gefährlicher und einfacher Körperverletzung „keine weiteren Einblicke in Handlungsqualitäten [bietet]. Insbesondere Zu- oder Abnahme von Brutalitäten – ein wichtiger Hinweis für Radikalisierungs- und Deradikalisierungsprozesse – entziehen sich so der Darstellung“.3 Es wurde vor dem Bekanntwerden des Falls NSU auch kein analytisches Modell entwickelt, welches es ermöglicht hätte, extremistische Akteure systematisch auf die von ihnen ausgehenden Gefahren hin zu prüfen.4 Nach wie vor sind gefahrenorientierte Analysen rar.
Ausnahmen stellen in Deutschland Abhandlungen von Armin Pfahl-Traughber dar, welche verschiedene Analyseschemas zur Diskussion stellen.5 Das AGIKOSUW-Schema beinhaltet folgende Analyseebenen bzw. erklärende Variablen: Aktivisten, Gewaltintensität, Ideologie, Kommunikation, Organisation, Strategie, Umfeld und Wirkung. Das Kriterium „Aktivisten“ ermöglicht es, „Determinanten für die Akzeptanz und Umsetzung eines gewalttätigen Politikverständnisses [zu] ermitteln“, wobei im Hinblick auf das delinquente Verhalten zu berücksichtigen sei, ob der Fanatismus einer Ideologie oder die allgemeine Gewaltakzeptanz am Beginn der Entwicklung stand. Mit dem Kriterium „Gewaltintensität“ lassen sich terroristische Tathandlungen nach ihren Durchführungsformen einordnen, wobei der Autor zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen, darunter Körperverletzungen, bewusste und gezielte Tötung (aus räumlicher Distanz – von Angesicht zu Angesicht) von Zielpersonen sowie einkalkulierte Tötung von Unbeteiligten unterscheidet. „Ideologie“ ist als „die inhaltliche politische Begründung und Zielsetzung einschlägiger Akteure“ relevant. Die Variable „Kommunikation“ richtet sich auf Kommunikate gegenüber positiven sowie negativen Bezugsgruppen. Dazu zählen die breite Bevölkerung, der Staatsapparat, die Angehörigen der Opfergruppe und das Sympathisantenumfeld. Die Variable „Organisation“ zielt auf die Größe und den Grad der Hierarchisierung der jeweiligen Akteure ab. Das Kriterium „Strategie“ hebt den Interaktionscharakter terroristischer Tathandlungen hervor, die an die erwähnten negativen und positiven Bezugsgruppen „adressiert“ sind. Das „Umfeld“ deutet der Autor als Ressourcenlieferant, wobei das Einstellungspotential breiterer Bevölkerungsschichten, das Einstellungspotential einer politischen Bewegung, die indirekte und legale Unterstützung durch politische Agitation und schließlich die direkte und illegale Hilfe für die terroristische Gruppe als Ressourcen gelten. Das Kriterium „Wirkung“ bezieht sich auf die Aktion-Reaktion-Spirale des Terrorismus und rückt Faktoren wie Aufmerksamkeit und die dadurch hervorgerufene Zirkulation in der breiten Öffentlichkeit sowie in den angesprochenen Zielgruppen in den Vordergrund.
Das AGIKOSUW-Schema kann der genauen und einheitlichen Erfassung der terroristischen Bestrebungen dienen und zur Erstellung eines präziseren Profils terroristischer Gruppen beitragen. Eine Grundlage für den Vergleich verschiedener Akteure und Bestrebungen scheint ebenfalls gewährleistet zu sein. Auch eine „analytische Basis für die Einschätzung des Gefahrenpotentials einer terroristischen Gruppe bezogen auf die konkreten Gewalttaten wie auf deren gesellschaftliche Wirkung“ ist gegeben. Der Autor benennt eine Reihe bedeutender Untersuchungsdimensionen, die bei der Einschätzung terroristischer Bestrebungen weiterführen. Allerdings besteht die analytische Herausforderung auch darin, neben den erklärenden Variablen plausible Determinanten und Gefahrenfaktoren zu identifizieren.
In seinem Zehn-Stufen-Modell der „Extremismusintensität“ operationalisiert Pfahl-Traughber eines der Kriterien des E-IOS-W-Schemas zur Analyse extremistischer Bestrebungen. Ab Stufe 6 (Gewalttätigkeiten gegen Sachen) unterscheidet er Gewalt gegen Personen ohne Tötungsabsicht (Stufe 7), Gewalt mit einkalkulierter Tötung (Stufe 8), Gewalttätigkeit mit bewusster Mordansicht (Stufe 9) und mit Massenmordabsicht (Stufe 10). „Je höher die erreichte Stufe, desto stärker der entwickelte Extremismus. Aus dieser Bewertung ergeben sich auch Erkenntnisse für die Einschätzung des jeweiligen Gefahrenpotentials“, postuliert der Autor und führt über die Ebene „Gewalt“ aus, „dass mit der Einstufung jeweiliger Handlungen auf einer relativ hohen Stufe auch relativ hohe Wirkungen verbunden sind“.6
International findet das „Seven-Stage Hate Model“7 Anwendung, welches folgende Abstufungen enthält: 1) das Zustandekommen einer Gruppe von Hassern, 2) das Entstehen einer Selbstdefinition mit entsprechenden Symbolen, Ritualen und (Gewalt-)Mythologien, 3) das Abwerten bzw. Herabwürdigen der Opfergruppen, 4) das Verhöhnen und Beschimpfen der Opfergruppen, 5) Angriffe auf Opfer ohne Waffen, 6) Angriffe auf Opfer mit Waffen und 7) die Vernichtung der Opfer.
Im Vergleich zum erwähnten Zehn-Stufen-Modell erscheint das „FBI-Modell“ als zu grobkörnig und kann inzwischen als überholt gelten, obgleich der Hinweis der Autoren auf die Spezifik der Gewaltanwendung durch Skinheads nach wie vor Aufmerksamkeit verdient. Schafer und Navarro wiesen zu Recht darauf hin, dass im Unterschied zu einigen Hassgewalttätern, die Feuerwaffen benutzen, Skinheads auf einfache Bewaffnung setz(t)en. Diese ermögliche dem Täter eine Nähe zu seinem Opfer und entsprechende intrinsische Befriedigung durch die Gewalttat, welche mit einer Schusswaffe nicht zu erleben sei. Denn der persönliche Kontakt zum Opfer befeuert Machtphantasien und genügt dem szenetypischen Dominanzstreben.8
In den rechten Subkulturen scheint der Faustschlag nach bekanntem Diktum von Michele Bianchi zur Theorie geworden zu sein. Für den SA-Mann stellte die Kompromisslosigkeit und „Lust am Kampf“ ebenfalls ein stilisiertes Ideal dar. Dass „die Faust [als] die Synthese der Theorie“ erschien, zeigte sich ebenfalls in den bevorzugten Waffen solcher Kampfbünde: Nahkampfwaffen wie Messer oder Knüppel verlängerten den Kampf und ließen ihn zu einem direkt wie intensiv erlebten körperlichen Ereignis werden. „Erst durch solche in der Propaganda überhöhten Gewaltmittel konnte das Zufügen von Körperverletzungen zu einem intensiven Gefühl werden.“9 Vor diesem Hintergrund scheint die einfache Bewaffnung rechter Täter gewaltsoziologisch einen tieferen Sinn zu ergeben. Zuweilen frappierende Überschneidungen zwischen fiktionaler (Hassmedien) und tatsächlicher Tatspezifik sind dafür ein aussagekräftiger Beleg: „Ich trete ihn zu Boden“ – „Wenn einer unsrer Gegner dann zerschlagen am Boden liegt / dann kannst du wetten, dass er’s jetzt so richtig kriegt“ – „Sein Kiefer ist zersplittert durch die Doc-Stahlkappe […] / er blutet aus dem Schädel und bewegt sich noch / da trete ich noch mal rein mit meinem 14-Loch / mit meinem 14-Loch immer auf den Kopf“ („Kraftschlag“, „Trotz Verbot nicht tot“, indiziert gemäß § 131 StGB). Die Rolle der gewaltaffinen Subkulturen als Sozialisationsinstanzen, die spezifische Interpretationsregime und Rechtfertigungsmuster zur Verfügung stellen, ist daher ausschlaggebend. Der Fall NSU sowie aktuelle Entwicklungen zeigen jedoch, dass auch „indirekte“ Aktionen zum rechten Gewaltrepertoire zählen.

3. Indikatoren und Gefahrenfaktoren im Rechtsextremismus


Da eine deduktive Herangehensweise, verbunden mit vergleichenden Untersuchungen verschiedener Gruppierungen mit unterschiedlicher Beschaffenheit, unter aktuellen Bedingungen kaum möglich ist, bietet sich der induktive Ansatz an, dessen Ergebnisse hypothesenprüfend falsifiziert werden können.
Nachfolgende Überlegungen betreffen vordergründig jene extremistischen Akteure, deren Strategien sich auf das Aktionsfeld „Gewalt“ beziehen.10 Zu den genannten Indikatoren11 des (Rechts-)Terrorismus lassen sich terrorismusrelevante Subindikatoren im Rechtsextremismus in ihren Zusammenhängen abbilden. Allerdings bedarf die theoriegeleitete Herleitung der Gefahrenfaktoren einer empirischen Überprüfung.12

1. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der Akteursebene

Ein einheitliches Profil des deutschen Rechtsterrorismus existiert nicht. Mit terroristischen Methoden haben sich bis jetzt sowohl (vermutete) Einzeltäter als auch (Klein-)Gruppen sowie netzwerkartige Formationen und Strukturen mit und ohne Verbindungen zu (parteiförmigen) Organisationen hervorgetan. Sie alle verbindet, dass sie sich bewusst für eine gewalttätige Lösung der vermuteten oder tatsächlichen sozialen Konflikte entschieden hatten. Ob die Gewaltanwendung für die politische Schwäche der Akteure spricht, sei an dieser Stelle dahingestellt.13
Im Sinne einer Risikoanalyse wäre es wichtiger zu plausibilisieren, aus welchen Konstellationen heraus sich die jeweiligen Akteure einer spezifischen Art der Gewalt bedienen und wie diese vorstrukturiert wird. Denn die Behauptung, terroristische Gewalt komme aus den rechtsextremistischen „Szenen“, bedarf der Präzisierung. Erstens distanzieren sich die legalistischen Strukturen zumindest verbal von militanten Praktiken.14 Die Militanz prägt zwar die gewaltbereiten Kameradschaften und losen Skinheadgruppen. Zugleich beschränkt sie sich des öfteren auf den alltäglichen „Terror“ bzw. „Straßenkampf“ mit dem „ideologischen Feind“. Ein Teil der extremen Rechten in Deutschland ist bereit, gemeinsame [Ziele] bzw. Gesellschaftsvisionen mit Gewalt durchzusetzen. Es bedarf jedoch eines Auslösers, um die Radikalisierung der Gewalt bis hin zu terroristischen Anschlägen zu akzeptieren. Diese Radikalisierungsstufe hebt die angehenden Terroristen vom radikalen Milieu und „Vigilantisten“ sowie marodierenden Jugendcliquen ab.
Gewalt als Alltags- und „Spaßerlebnis“ schwächt anscheinend den Willen zur Zuspitzung eines als politisch definierten Konflikts, wobei die Steigerung der Gewaltintensität nicht ausgeschlossen werden darf. Deshalb sind die regionalen Gelegenheitsstrukturen von hoher Relevanz. Die Selbstverwirklichung durch die szenetypische Gewalt löst nur in Ausnahmefällen die Initialzündung aus, um den herbeigeschworenen Kampf auf eine qualitativ neue Ebene zu verlagern. Für das epiphanische Erlebnis, sich nicht radikal genug für die Sache einzusetzen [Zielorientierung], ist ein Minimum an ideologisch-politischem Bewusstsein notwendig. Angehende Terroristen müssen zwar keine kontinuierliche politische Arbeit betreiben. Dennoch stellt eine kritische Distanz zu der „unnützen und untätigen“ Szene den Ausgangspunkt der terroristischen Radikalisierung dar. Somit zählt die Bereitschaft, die Ziele der Bewegung mit terroristischen Mitteln, d.h. mit Hilfe von Anschlägen unter Verwendung von Schusswaffen und Brenn- bzw. Sprengstoff umzusetzen, zur Ebene der Gefahrenfaktoren. Die „Zurückdrängung der Fremdrassigen“, die „Verhinderung der Vermehrung von Minderwertigen“ und Schutz „deutscher Volkssubstanz“ verdichtet sich zum ernst gemeinten Bestreben, „den Kampf zum Lebensinhalt zu machen“. Der Wille zum (terroristischen) Kampf entspringt nicht den szenetypischen Saufgelagen, sondern weit eher der „Verzweiflung“ „politischer Soldaten“, wie sie im Konflikt zwischen einem gemäßigten und einem radikalen Flügel entsteht.15 Aus dem Konglomerat von [Zielen], der [Zielorientierung] und der Bereitschaft, sich für den „Erhalt der deutschen Nation“ unter Rückgriff auf die über die szenetypischen Aktivitäten hinausgehenden Aktionsformen einzusetzen, resultiert die Bereitschaft, die terroristische Strategie anzuwenden. Der Entschluss, auf terroristische Aktionsformen zu setzen, mündet in der Herausbildung terroristischer Dispositionen, die an Planungen sowie angedachte Aktionsformen angepasst werden.
Im Hinblick auf die [Führung] und den [Zusammenhalt] lassen sich folgende konkretisierte Gefahrenfaktoren identifizieren: Das Vorhandensein hierarchischer bzw. integrierter Strukturen erhöht die Gefahr des Terrorismus, denn sie ermöglichen es, die Informationsflüsse (Befehlskette) und Kontrollmechanismen effizient zu gestalten. In der Realität erwies sich jedoch das Modell als nicht überlebensfähig. Hierarchische Organisationen der 1970er Jahre („Technischer Dienst“ der Wiking-Jugend, „Bund Heimatstreuer Jugend“, „Aktionsfront nationaler Sozialisten“, „Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland“) vermochten es nicht, undurchdringbare Außengrenzen zu ziehen. Als Steigerung kann das Vorhandensein desintegrierter Strukturen (auch mit einer gemeinsamen „Kommandozentrale“ oder Zielsetzung) gelten. Auch dieses Konzept konnte in Deutschland – zumindest ohne externe Hilfeleistungen – nicht umgesetzt werden.
Es steht fest, dass Zusammenschlüsse um einen ideologisierten „Führer“ und Strippenzieher häufiger instrumentell agieren als jugendliche Schlägercliquen. Das Vorhandensein abgeschotteter rechtsextremistischer Kleingruppen, die eine sektenähnliche Entwicklung durchlaufen können, steigert die Gefahr rechtsextremistischer Akteure. Überdies sind feste und lose Gewaltgruppen mitAufnahmeritualen, welche die „Härte“ der Aspiranten auf den Prüfstand stellen, unter die Lupe zu nehmen. Schwer identifizierbare, ideologisierte Einzelgänger können die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stellen.
Die [Führung] und der [Zusammenhalt] in rechtsterroristischen Gruppen variier(t)en somit je nach Organisationstyp und Handlungskonzept. Feste Strukturen, Netzwerke sowie Zellen und Einzeltäter weisen verschiedene Führungsrollen, Gruppenbildungen und Formen des Zusammenhalts sowie Organisationgrade auf. Einige Erkenntnisse scheinen dabei im Blick auf den Rechtsextremismus relevant zu sein. Das „Abdrängen“ der Rechtsextremisten in die Illegalität verkürzte im Unterschied zum NSU die Lebensdauer vieler Gruppen. Denn die Rechtsterroristen nach 1945 vermochten es nicht, einen illegalen Untergrund aufzubauen und abzusichern.16 Die polizeiliche Verfolgung der Rechtsterroristen führte daher nur selten zur Entstehung ideologischer Gruppen, die es verstanden, Stabilität nach innen und Attraktivität nach außen gleichzeitig herzustellen. Der sektenähnliche Zusammenhalt infolge der Selbstreferenzialität konnte somit nur unter Vorbehalt gewährleistet werden. Die von solchen Personenzusammenschlüssen ausgehenden Gefahren sind hoch. Die Geschlechterzusammenstellung spielt in dieser Hinsicht ebenfalls eine Rolle, denn reine Männerbünde können sich im Unterschied zu solchen Formationen, in denen erotische Bedürfnisse intern befriedigt werden (können), nur unter Vorbehalt abschotten. Die Anwesenheit beider Geschlechter wie im NSU-Fall erlaubt nämlich Autarkie, so dass die Gruppen unter anderem keine konkurrierenden Loyalitäten zu befürchten haben.17
Dass verschiedene Akteure auf unterschiedliche Strategien setzen, lässt sich unter anderem mit ihren [Fähigkeiten] erklären. Für terroristische Zwecke können auch einfachste Mittel eingesetzt werden. Der Rechtsterrorismus kann mit Messer, Schlagstock und Molotow-Cocktail ausgeübt werden. Trotzdem setz(t)en die Rechtsterroristen in vielen Fällen auf Sprengstoff und Schusswaffen. Der Umgang mit diesen komplexeren Waffen muss gelernt werden. Ein Beobachtungsobjekt sollten daher die rechts motivierten, gewaltaffinen Akteure mit besonderen Fertigkeiten wie Kenntnisse des Sprengstoffwesens und der militärischen Taktiken sowie mögliche Zugänge zu strategischen Ressourcen sein. Konzepte mit einschlägigen Handreichungen wie beispielsweise Bombenbauanleitungen und taktischen Anweisungen verbessern die terroristischen Fertigkeiten. Daher gelten das Experimentieren mit Explosivstoffen und Waffentraining als mögliche Gefahrenfaktoren. Den (ehemaligen) Angehörigen der Bundeswehr bzw. anderer Armeen sowie den Söldnern ist dabei eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Besondere Personenkonstellationen, bei denen „Ideologen“ auf „Aktivisten“ und „Macher“ mit hoher krimineller Energie treffen, legen eine bedeutende Terrorismusrelevanz an den Tag. Auch die konspirativen Fähigkeiten steigern die Überlebenschancen terroristischer Akteure (vgl. die Analyseebene „Rahmenbedingungen“). Im Hinblick auf den NSU ist zu bedenken, dass die ostdeutschen rechtsextremen Szenen über solche Fähigkeiten verfügten.
Hinsichtlich der vorhandenen [Ressourcen] sind die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden besorgniserregend. Die Gewaltbereitschaft von knapp 10.000 Szeneangehörigen im Zusammenhang mit der Affinität von Rechtsextremen zu Waffen und Sprengstoff ergibt eine nicht zu ignorierende Brisanz. Denn immer wieder findet die Polizei bei Razzien gegen rechte Kameradschaften zahlreiche (Schuss-)Waffen und Sprengmittel. Zwar haben wir es im Rechtsextremismus nicht mit „Tschechows Gewehr“ – „Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert“ – zu tun, aber die zur Verfügung stehenden Ressourcen verkürzen den Weg zum Terrorismus und somit die Reaktionszeit der Sicherheitsbehörden. Daher stellen die finanziellen Ressourcen und Möglichkeiten bzw. Fähigkeiten zu ihrer Beschaffung sowie die notwendigen (Kampf-)Mittel wie (Schuss-)Waffen und Sprengstoff ein wichtiges Beobachtungsobjekt der Sicherheitsbehörden dar. Obwohl die Durchschnittskosten eines Anschlages vergleichsweise gering sein können, trifft dies nicht auf die Lebenshaltungskosten im Untergrund zu. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Beschaffenheit der Akteure mit ihren Aktionsformen und den notwendigen Ressourcen wie Fähigkeiten korrespondiert.
Grenzüberschreitende Kontakte zu Militaria-Fans in Ostmitteleuropa bzw. Verbindungen in die Länder mit vergleichsweise laschen Waffenkontrollen erleichter(te)n die Waffenbeschaffung. Aus diesem Grund kommt der Überwachung der Beschaffungsaktivitäten eine große Bedeutung zu. Da verschiedene Beschaffungsformen denkbar sind, obliegt es den Sicherheitsbehörden, richtige Schlüsse über Beschaffungsmodi und mögliche Urheber krimineller Tathandlungen zu ziehen.

2. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der ideologischen Ebene

Obwohl die militante Rechte bisher als ideologiefeindlich, affektgeladen und bezüglich der Strategien für terroristische Aktivitäten eher konzeptlos galt, ist festzuhalten, dass die rechten Ideologeme und Mythologeme im Hinblick auf die [Reichweite] und [Verankerung] der Ziele einen geeigneten Interpretations- und Handlungsrahmen zur Verfügung stellen. Die [Gewalttoleranz] scheint dabei ein invariantes, die rechten Szenen prägendes Kriterium zu sein. Auch die NPD öffnete sich Mitte der 1990er Jahre für gewalttätige Gruppen. Unterschiede zwischen den rechtsextremistischen Akteuren liegen auf der taktischen Ebene.

Trotz der gesellschaftlichen und gesetzlichen Sanktionierung der politisch motivierten Gewalt und insbesondere der PMK-rechts verhilft der rechtextreme Deutungsrahmen den Tätern dazu, die Mehrheitsgesellschaft bzw. den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren. Mehr noch: Täter entwickeln neben moralischen Rechtfertigungsdiskursen und -ritualen eine Art ideologisierten Fanatismus im Kampf für die machtpolitische Bedeutung und kulturelle „Größe“ der konstruierten, von „Kolonialisten“ und „deutschen Marionetten“ sowie Zionisten angeblich manipulierten und unterdrückten Volksgemeinschaft.Die ideologischen Grundsätze sind im Rechtsextremismus jedoch unterschiedlich ausgeprägt und verankert. Die positive Bezugnahme auf die „Volksgemeinschaft“ bildet ein verbindendes Element und ist in Teilen der Bevölkerung anschlussfähig. In solchen Gruppen kann von einer relativen [Attraktivität der Ziele] (eine kulturell und ethnisch homogene Volksgemeinschaft) gesprochen werden. Im Sinne der [Nachvollziehbarkeit] wird den Fremden und „denen da oben“ die Schuld für soziale Konflikte und „Systemüberlastung“ in die Schuhe geschoben. Daraus resultiert ein gewisses Mobilisierungs- und Rekrutierungspotenzial der Akteure, deren ideologische Deutungsrahmen und Sinnangebote in bestimmten sozialen Gruppen Anklang finden.
Je nach Aktionsform der Akteure – kulturelle Subversion, Kampagnenorientierung („Volkstod“), rechtsextreme Gewalt – variieren die Bestandteile des zentralen Deutungsrahmens im Hinblick auf die strategische Umsetzung der Ziele. Gewaltbereite Kameradschaften sowie ein Teil der Szenen, die sich am Ethos des „politischen Soldaten“ orientieren, legen folgende Gefahrenfaktoren an den Tag: Notwendigkeit radikaler Lösungen einschließlich eines „Krieges gegen das System“, Dehumanisierung und/oder Dämonisierung der „Feinde“, Glorifizierung der Aufopferung für das Vaterland, Legitimation/Habitualisierung politischer Gewalt und effiziente Vermittlung ideologischer Angebote durch Hassmedien.

3. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der Bezugsgruppen-Ebene

Terroristische Anschläge sollen laut Waldmann „allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen“.18 Neben der Mobilisierung von Sympathisanten stellt die Radikalisierung des eigenen Milieus ein zweites strategisches Motiv dar. Daher wirft die „Zweigleisigkeit ihrer Motivation und Zielsetzung“ die Frage nach den Bezugsgruppen terroristischer Akteure auf.19
Terroristen agieren im Interesse eines als interessiert unterstellten Dritten, wobei sie sich unabhängig von verfolgten Zielen oder vertretenen Ideologien als Vorkämpfer für die „Unterdrückten“ verstehen, woraus sich das Bewusstsein moralischer Überlegenheit speist. „Botschaften“ in Form von Terroranschlägen sollen den positiven Bezugsgruppen veranschaulichen, dass Widerstand nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sein kann. Auf dieser Ebene ist aus der Perspektive der Akteure und im Sinne der Bezugsgruppentheorie von der Identifizierung mit dem Legitimationsspender die Rede.20 Zugleich zielt das strategische Kalkül darauf ab, potentielle Unterstützer zu gewinnen. Aus dem Zusammenspiel von Identifizierungsprozessen terroristischer Akteure mit ihren positiven Bezugsgruppen entstehen komplexe Interaktionsmuster.
Es gilt allerdings zu bedenken, dass der Einfluss der Aversion gegen Fremde auf das Entstehen rechtsextremer und terroristischer Gewalt untererforscht ist. Zudem existieren zahlreiche Schwellen bzw. Grenzen oder Schleusen und Filter zwischen den radikalen Milieus und Terrorgruppen sowie zwischen den radikalen Milieus und den „latenten Rechtsextremisten“, deren Funktionsweise nach wie vor nur wenig untersucht worden sind.21
Die „Laborbedingungen“, unter denen Einstellungen abgefragt werden, machen es zugegebenermaßen einfacher, den rechtsextremen Items zuzustimmen,22 denn die Zustimmung zieht meist keine Konsequenzen auf der Verhaltensebene nach sich. Der Sachverhalt weist auf Diskrepanz zwischen Einstellungen und Verhalten hin. Ein Beispiel: Unter den 14,4 Prozent der sehr ausländerfeindlichen Jugendlichen, die gegebenenfalls das Reservoir für die militanten Szenen bilden könnten, verbindet sich die Einstellung nur bei 5,2 Prozent der Befragten mit entsprechenden Verhaltensweisen (szenetypische Kleidung, Musik, verbales Verhalten oder Gewalttaten).23 Eine weitere Studie arbeitete heraus, dass 2002 ca. vier Prozent der Jugendlichen mit rechtsextremen Einstellungen ausländerfeindliche Gewaltakzeptanz an den Tag legten.24
Zugleich besteht der Unterschied zwischen der Mitte der Gesellschaft zu extremistischen Rändern auch darin, dass „die Angehörigen der ‚Mitte‘ nicht nur vielfach dieselben Vorstellungen wie die Rechten vertreten, sondern sie auch die andere Seite sehen und für Gegenargumente offen sind. Sie halten die Ambivalenz aufrecht“.25
Aus den diffusen Sympathien von Teilen der Bevölkerung in Form von Ressentiments gegen Ausländer lassen sich keine tragfähigen Schlüsse auf die [Ideologisierung] und die [Größe] sowie [Verbreitung] in der Bezugsgruppe ziehen. Dies trifft mit hoher Plausibilität ebenfalls auf die [Verankerung] terroristischer Akteure in der Bevölkerung zu. Trotz verhältnismäßig hoher Zustimmungswerte für ausländerfeindliche Aussagen scheint wenig wahrscheinlich, dass mordende Neo-Nationalsozialisten Zuflucht und Unterstützungsleistungen außerhalb des radikalen Milieus erhalten würden. Im Sinne der Co-Radikalisierung26 scheint „das Feuerwerk alarmierender Impressionen, Emotionen und Phantasien“,27 das wenig differenzierende Einstellungsstudien durch ihre Interpretation produzieren, kontraproduktiv zu wirken. Denn die skandalisierende Darstellung und Berichterstattung über „fast jeden sechsten Ostdeutschen“ mit einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ füllt die rechtsextremistischen Konstruktionen ihrer positiven Bezugsgruppe mit Leben.
Das Helferpotential ist überdies nicht mit den rechtsextremen Szenen, also mit den 0,03 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, deckungsgleich. Denn auch radikale Milieus sind nicht bedingungslos bereit, für Terroristen Unterstützung zu leisten. Bereits in den 1980er Jahren stellten Soziologen fest, dass sie den terroristischen Akteuren gegenüber mehr oder weniger unsicher oder ablehnend gegenüberstehen: „Selbst an den militanten Rändern des Links- und Rechtsextremismus stößt Terrorismus eher auf Ablehnung und Ambivalenz als auf Sympathie“.28 So fiel beispielsweise die Kritik an der aus der Münchener „Kameradschaft Süd“ hervorgegangenen terroristischen Vereinigung um Martin Wiese symptomatisch aus: Der „Möchtegernführer“ und „seine Idioten“ in der „Hauptstadt der Bewegung“ hätten nur „verbrannte Erde hinterlassen“.29 Daran ist unter anderem das taktische Kalkül des Spektrums abzulesen, eine „ausgewogene“ Militanz einzusetzen.30
Die sozialkulturelle Struktur gewaltaffiner bzw. terroristischer Gruppen31 bedingt zudem, dass es neben der ideologischen Ambivalenz auch strukturelle Restriktionen gibt, die rechtsterroristische Akteure vor große Herausforderungen stellen. Denn mit Blick auf die Mobilisierung von Sympathisanten und Helfern – vorausgesetzt, dass Terroristen auf Unterstützung angewiesen sind, – ergibt sich ein schwer zu lösendes Problem. Bekanntlich sind terroristische Akteure auch darauf bedacht, ihre Außengrenzen geschlossen zu halten, um Infiltrierung und Zerschlagung zu vermeiden. Daher kommt nicht jeder Anhänger der Szene als Unterstützer in Frage. Grundsätzlich bestehen jedoch Gefahren darin, dass das vorhandene Helfer- bzw. Sympathisantenumfeld indirekte und legale Unterstützung leisten sowie geographische Rückzugs-, Schutzräume und ökonomische Ressourcen zur Verfügung stellen könnte. Es handelt sich somit konkret um die Fähigkeit der Szenen, terroristische Aktionsformen zu flankieren. Auch der psychisch-symbolische Beistand spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. [Unterstützungsbereitschaft] entsteht jedoch öfter aus Freundschaften, Liebschaften und Verwandtschaften, weshalb es wichtig ist, soziale Netzwerke von terrorismusrelevanten Personen zu kennen und dieses Wissen gezielt für Risikoanalysen einzusetzen.
Darüber hinaus darf die psychologische Sogwirkung terroristischer Gewalt nicht unterbewertet werden. Zwar erfreut sich das terroristische Handeln im Rechtsextremismus keineswegs so großer Akzeptanz wie das Märtyrertum im Islamismus. Dennoch ist die Gewaltanwendung in den Szenen alles andere als verpönt. Daher können die Minderwertigkeitsgefühle von Sympathisanten, die sich mit den eigentlichen „Helden“ solidarisieren, zur Aktion führen.
Auf der Ebene der negativen Bezugsgruppe ist hervorzuheben, dass ein Teil des Rechtsextremismus unter einer Art „Kriegssyndrom“ leidet. Hartes Durchgreifen des staatlichen Machtapparats und der Sicherheitskräfte kann die imaginierte Bedrohung durch das System bestätigen und das radikale Milieu um die terroristischen Gruppen herum zusammenschweißen.32 So lösen polizeiliche Sanktions- und Kontrollmaßnahmen unter Umständen Radikalisierungsschübe aus.

4. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der Ebene der Rahmenbedingungen

Neben den Push- („soziale Empörung“) und Pull-Faktoren (angestrebte Ziele, erhoffte Gratifikationen und Nutzenkalküle) lassen sich auch [Ermöglichungsfaktoren] und [Prozessbedingungen] des (Rechts-)Terrorismus unterscheiden. Die „soziale Empörung“ als Antriebskraft des Rechtsextremismus resultiert dabei aus der perzipierten, fraternalen Deprivation bzw. Abstiegsangst, die das Gefühl der Unterprivilegierung und „Unsicherheit“ steigert, so die Annahme.
Es bestehen zwar keine Zweifel daran, dass die gefühlte sowie die objektive Benachteiligung und Desintegrationserfahrungen psychosoziale Impulse im Sinne einer verstärkten Hinwendung zu rechtsextremen Identitätskonstruktionen freisetzen können.33 Zugleich bestehen aber zahlreiche Gründe für die Annahme, dass „die Wahrnehmung der Benachteiligung […] eher einen Ausdruck der fremdenfeindlichen Ressentiments als deren Erklärung darzustellen“34 scheint, denn die in zahlreichen Untersuchungen hervorgehobene Korrelation deutet nicht zwangläufig auf ein kausales Verhältnis zwischen den beiden Variablen hin. Nach einer detaillierten Auswertung verschiedener quantitativer und qualitativer Studien kam Sommer zu dem Schluss, dass die im Untersuchungszeitraum festgestellte Zunahme des Prekarisierungsniveaus „nicht in einer allgemeinen Zunahme des rechtsextremen Einstellungspotentials mündet“.35 Ein ausgeprägter statistischer Zusammenhang zwischen Prekarisierung und rechtsextremen Einstellungen liegt somit nicht vor. Eher handelt es sich bei der Verbreitung rechtsextremer Ideologeme um spezifische Sinn- und Identitätsangebote, die sich des „psychologischen Rohstoffs“ bedienen. Diese Sinnangebote definieren soziale „Bedrohungen“ und bieten gleichzeitig Mittel zur Selbstwertstabilisierung durch Aufwertung der Eigengruppe und Teilhabe am Gruppencharisma.36 Im makrosozialen und historischen Kontext zeigt der Autor der zitierten Studie, wie „eine vergleichsweise starke Trennung zwischen ‚Deutschen‘ und sog. Ausländern reproduziert wurde“, um auf die Rolle der institutionellen Arrangements und des gelebten Wissens hinzuweisen: „Nicht eine Ideologie der Minderwertigkeit liegt der Ausgrenzung und Abwertung von bestimmten Gruppen zugrunde, sondern eine bestimmte soziale Praxis begründet die Ressentiments“,37 so sein Fazit.Somit nimmt die extreme Rechte ressentimentgeladene Themen für sich in Anspruch, um einen Deutungsrahmen aufrechtzuerhalten, in dem die vorhandenen sowie teilweise institutionalisierten sozialen Konflikte verabsolutiert werden. Es scheint unumstritten, dass die extreme Rechte zu reüssieren vermag, wenn das rechtsextreme Framing unintendierte Unterstützung durch die Politik erfährt. Vor dem Hintergrund der „Asylantendebatte“ Anfang der 1990er Jahre oder infolge der Instrumentalisierung politischer Vorurteile in den Leitkultur- und „Multikulti“-Diskursen erscheinen die rechtsextremen Problemdefinitionen anschlussfähig an politische Diagnosen. In solchen Kontexten können die Sinnangebote von rechtsaußen mit dem psychosozialen Potential der (vermeintlich) Benachteiligten umso stärker übereinstimmen. Ihre Mobilisierungswirkung resultiert aus dem Aufeinandertreffen der salonfähigen Problemdefinitionen mit den ideologisierten, d.h. verallgemeinerten, problemverschärfenden Diagnosen und Lösungsvorschlägen.
Damit sind auch jene [politischen Ermöglichungsfaktoren]angesprochen, die dem demokratischen Verfassungsstaat im Allgemeinen eigen sind: Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantieren im Unterschied zu totalitären Herrschaftspraktiken politische Frei- und Schutzräume für sozialen Protest. Zudem vermögen Terroristen vor allem in Gesellschaften zu schockieren, in denen Gewalt nicht alltäglich ist.38 Einerseits gelten die politischen Ermöglichungsfaktoren als Risiken, da die Radikalisierungsprozesse in rechtsextremen Milieus unerkannt bleiben können. Andererseits „stellt ein solches ambiente, in dem der friedliche Protest normal ist, – in der Regel [M.L.] – den gewaltsamen, terroristischen Protest in Frage“.39 Davon zu unterscheiden sind radikalisierungsfähige gesellschaftliche Konstellationen sowie soziale Praktiken, die die rechtsextreme Gewalt fördern. Planungen gewalttätiger Aktionen können im Windschatten des allgemeinen „Verbalradikalismus“ voranschreiten. In den 1990er Jahren entstanden Konstellationen, die zu einem „Klima des permanenten Kleinkrieges“40 und einer „Atmosphäre alltäglichen Terrors gegen linke Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund“41 führten. Die Überforderung der Politik und der Sicherheitsbehörden, denen Ressourcen und Konzepte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus fehlten, trug ebenfalls dazu bei, dass der Rechtsextremismus sich als Bewegung etablieren konnte, von der sich radikalere Gewaltgruppen abspalteten. Nicht minder kontraproduktiv sind jedoch Überreaktionen der Politik und der Sicherheitsbehörden, die zur massiven Stigmatisierung führen.


Geografische Ermöglichungsfaktoren sorgen dafür, dass terroristische Akteure über geographische Rückzugs-, Schutz- und Mobilisierungsräume verfügen, in denen sie ihren Planungen nachgehen und sich der Strafverfolgung entziehen können. Unter den ökonomischen Ermöglichungsfaktoren lassen sich Finanzierungsmöglichkeiten terroristischer Aktivitäten subsumieren. Neben der Beschaffungskriminalität sind Zuwendungen aus dem Milieu sowie milieuübergreifende kriminelle Aktivitäten (beispielsweise Verflechtungen der rechten Szenen mit dem Rocker- bzw. Hooliganmilieu) hervorzuheben.
Die verschiedenen Strömungen der extremen Rechten in Deutschland sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Doch ist eine rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit immer noch bedeutsam, auch wenn ein ethnopluralistisch grundierter Kulturalismus in intellektuellen Zirkeln an Bedeutung gewonnen hat. Am Topos des jüdisch-christlichen Abendlandes, wie er von muslimfeindlichen Rechtspopulisten verfochten wird, scheiden sich die Geister. Alte Konfliktlinien finden so in gewandelten Formen ihre Fortsetzung.42 Verbindend bleibt das Motiv der Abwehr eines „Volksfeindes“, wobei Freund wie Feind als homogene Einheiten gefasst sind. Unterschiedlich sind wiederum die zur Abwehr der Feinde propagierten Mittel. Rechtsterroristen zogen es vor, neben Sachen und Personen fremder Herkunft („Deutsche Aktionsgruppen“) und Vertretern der Politik und US-Soldaten (die „Hepp-Kexel-Gruppe“) vor allem „andersstämmige“ Personen und Gruppen anzugreifen. Der Fokus des Rechtsterrorismus auf weiche Ziele, deren Schutz im Fall eines gefassten Tatentschlusses enorm schwierig ist, macht die „Gegner“ des Rechtsterrorismus und somit den demokratischen Verfassungsstaat verwundbar. Einzeltäter bzw. Kleingruppen erwiesen sich als eine schwer zu meisternde Herausforderung für Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden. Netzwerke wurden hingegen schnell Observations- und Infiltrationsobjekt des Verfassungsschutzes und der Polizei. Zwar können Rechtsterroristen generell mit Unterstützung durch Einzelpersonen und einschlägige Netzwerke rechnen; auch ist nicht auszuschließen, dass Verbindungen in die allgemeinkriminellen Milieus ihren Beitrag zur Verbesserung der Ressourcenlage rechtsextremer Akteure leisten können. Doch das Unterstützerumfeld sowie seine Kapazitäten waren in der Vergangenheit vergleichsweise bescheiden, weshalb die Verfügbarkeit strategischer Ressourcen grundsätzlich als gering einzuschätzen war und ist.
Zu den relevanten [Prozessbedingungen] terroristischer Gewalt zählen Trigger, organisatorische Faktoren, Eigendynamik und Veränderung der Rahmenbedingungen.43Trigger, die als Provokation oder Zwang gedeutet werden, seien es Übergriffe duch den (vermeintlichen) „politischen Feind“, seien es staatliche Reaktionen auf den rechten Aktionismus, seien es die mediale und/oder öffentliche Präsenz einer zum Feindbild deklarierten Person/Gruppe, gelten dabei als Initialzündung der (terroristischen) Gewalt. Vor allem die Konfrontation mit den Sicherheitsbehörden erwies sich oft als Auslöser für die Radikalisierung und das Abtauchen der (halblegalen) Gruppen in den Untergrund. Organisatorische Faktoren beeinflussen die Gewaltdynamik terroristischer Akteure, wobei selbst irrational anmutende Aktionen aus organisationssoziologischer Sicht Sinn ergeben. Die „Gewaltdosierung“ hängt vor allem mit der internen Dynamik der Gruppe zusammen. Auch die Eigendynamik des Gewaltgeschehens sowie die zirkuläre Kausation der Gewaltereignisse (Spirale von Gewalt und Gegengewalt) führ(t)en dazu, dass Terrorgruppen immer tiefer in einem Strudel der Gewalt versinken. Infolge der sich entwickelnden Selbstreferenzialität entstehen am Ende „Kampfsekten“, die eine besondere Art der Rationalität und Moral aufweisen. Die Frage, welche Auswirkungen verschiedene Rahmenbedingungen bzw. ihre Veränderung auf das Gewaltgeschehen ausüben, sind in der Rechtsextremismusforschung stiefmütterlich behandelt worden.44

4. Ausblick


Obwohl das vorgestellte Untersuchungsmodell der terrorismusrelevanten Indikatoren und Gefahrenfaktoren im Rechtsextremismus lediglich als eine erste Annäherung an das komplexe Phänomen zu verstehen ist, kann das Analyseraster dazu beitragen, entsprechende (Entstehungs-)Bedingungen im Sinne einer Risikoanalyse multikausal und multidimensional auszuleuchten. Der Vorteil des entwickelten Analysemodells besteht darin, dass es einerseits die Gefahren des Rechtsterrorismus beinhaltet, andererseits dazu verhelfen kann, mögliche Entwicklungen der rechtsextremen Szenen hin zum Terrorismus im Risikokontext zu identifizieren. Die risikoanalytische Vorgehensweise sollte von der Ebene der Subindikatoren bzw. Gefahrenfaktoren ausgehen, um anschließend mögliche relevante Konstellationen auf der Indikatorenebene zu berücksichtigen und abschließend Aussagen über die vier Analysedimensionen zu treffen.
Es versteht sich von selbst, dass das Analyseschema einer weiteren, auf die Spezifika des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Geschichte und Gegenwart zugeschnittenen Verfeinerung bedarf. Überdies ist wichtig zu eruieren, welche konkreten Konstellationen von Gefahrenfaktoren zu terroristischen Entwicklungen im Rechtsextremismus führen können. Daher wäre eine holistische vergleichende Untersuchung von rechtsterroristischen Akteuren mit Blick auf die vorgestellten Analysedimensionen und (Sub-)Indikatoren notwendig. Im zweiten Untersuchungsschritt sollten Gewaltgruppen analysiert werden, die sich trotz instrumenteller Gewaltanwendung nicht-terroristischer Methoden bedienten, um mögliche Schutzfaktoren („Resilienz“) zu bestimmen. Im Anschluss daran hätte eine vergleichende Abhandlung über ähnlich verfasste Gruppen, die sich jedoch durch das Kriterium „Gewaltanwendung“ unterscheiden, die logische Abfolge der Radikalisierungsstufen zu bestimmen. Ein dergestalt aufgelegtes Forschungsprogramm würde Aussagen darüber ermöglichen, unter welchen Bedingungen Akteure auf politisch motivierte Gewalt zurückgreifen und die Schwelle zum Terrorismus überwinden. Trotz möglicher vorhandener Lücken bzw. Verzerrungen scheint das Indikatoren-Gefahrenfaktoren-Modell ein vielversprechendes Analyseinstrument zu sein, da es die Logik und Gefahrenpotentiale rechtsterroristischer Akteure sowie rechtsextremistischer Gruppierungen besser einzuschätzen ermöglicht.

Anmerkungen

  1. Vgl. Hamm, Apocalyptic Violence; vgl. Möller/Schuhmacher, Rechte Glatzen, S. 83 f.
  2. Hamm, Apocalyptic Violence, S. 326.
  3. Matthias Mletzko, „Gewalthandeln linker und rechter militanter Szenen“, unter: www.bpb.de/apuz/32414/gewalthandeln-linker-und-rechter-militanter-szenen (28. Oktober 2010).
  4. Vgl. Michail Logvinov, „Terrorismusrelevante Indikatoren und Gefahrenfaktoren im Rechtsextremismus“, in: Kriminalistik (2013) 12, S. 747-754.
  5. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Von den „Aktivisten“ über die „Kommunikation“ bis zur „Wirkung“. Das AGIKOSUW-Schema zur Analyse terroristischer Bestrebungen. In: Jahrbuch Terrorismus 2012/2013. Hg. vom ISPK, Opladen 2013.
  6. Armin Pfahl-Traughber, „Das Zehn-Stufen-Modell der „Extremismusintensität“. Kategorien zur Analyse und Einordnung politischer Bestrebungen“, in: Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2014 (I),
  7. Vgl. John R. Schafer / Joe Navarro, „The Seven-Stage Hate Model. The Psychopathology of Hate Groups”, unter: www.au.af.mil/au/awc/awcgate/fbi/7stage_hate_model.htm (11. Mai 2015).
  8. Ebd.
  9. Ebd.
  10. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Extremismusintensität, Ideologie, Organisation, Strategie und Wirkung. Das E-IOS-W-Schema zur Analyse extremistischer Bestrebungen. In: ders. (Hg.), Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2011/2012 (I), Brühl 2012, S. 7-27.
  11. Vgl. dazu: Johannes Urban, Die Bekämpfung des Internationalen Islamistischen Terrorismus, Wiesbaden 2006.
  12. Im Folgenden werden die Indikatoren kursiv und in eckige Klammern gesetzt [Indikator], während Gefahrenfaktoren durch Kursivschrift hervorgehoben werden.
  13. Vgl. Pfahl-Traughber, Extremismusintensität, S. 17.
  14. Vgl. Backes, Bleierne Jahre, S. 113.
  15. Vgl. Andreas Klärner, Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit, Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten, Hamburg 2008, S. 304: „Der Radikalitätsanspruch und das Umsturzversprechen des Rechtsextremismus werden immer wieder zu Enttäuschungs- und Radikalisierungsphänomenen führen, wenn die hochgesteckten Erwartungen der Anhänger nicht erfüllt werden. Die Enttäuschten werden abspringen oder sich in Einzelfällen radikalisieren und mit Gewaltexzessen reagieren, die Treuen werden sich entweder auf sich selbst zurückziehen, sektenartige Strukturen ausbilden oder sich ebenfalls radikalisieren“.
  16. Vgl. Neidhardt, Linker und rechter Terrorismus, S. 458.
  17. Vgl. Neidhardt, Linker und rechter Terrorismus, S. 450.
  18. Peter Waldmann, Terrorismus und Bürgerkrieg, München 2003, S. 10.
  19. Vgl. Stefan Malthaner, Terroristische Bewegungen und ihre Bezugsgruppen. Anvisierte Sympathisanten und tatsächliche Unterstützer. In: Peter Waldmann (Hg.), Determinanten des Terrorismus, Weilerswist 2005, S. 85-138, hier S. 85.
  20. Vgl. ebd., S. 87.
  21. Vgl. Peter Waldmann, Vorläufiges Resümee. In: Stefan Malthaner/Peter Waldmann (Hg.), Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen. Frankfurt a.M./New York 2012, S. 369-386.
  22. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Autoritarismus- wie Antisemitismuswerte in Ostdeutschland nicht von einer rechtsextremen Einstellung herrühren müssen. Anhänger der PDS/Linkspartei/Linken zeigen sich ebenfalls nicht immun gegenüber Antisemitismus- und Autoritarismus-Items.
  23. Vgl. Dirk Baier, Rechtsextremismus unter deutschen Jugendlichen. In: Britta Bannenberg (Hg.), Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe, Mönchengladbach 2011, S. 167-184.
  24. Vgl. Carsten Wippermann/Astrid Zarcos-Lamolda/Franz Josef Krafeld, Auf der Suche nach Thrill und Geborgenheit. Lebenswelten rechtsradikaler Jugendlicher und neue pädagogische Perspektiven, Heidelberg 2002, S. 22.
  25. Birgit Rommelspacher, Der Rechtsextremismus und die „Mitte“ der Gesellschaft. Ein dominanztheoretischer Ansatz. Vortrag auf der Tagung: Rechtsextremismus in NRW. Herausforderung für Gesellschaft und Politik von Bündnis 90/die Grünen, Düsseldorf 2006, S. 10.
  26. Mit dem Begriff der Co-Radikalisierung werden hier nicht intendierte, negative Auswirkungen der Auseinandersetzung mit dem Phänomen auf das zu bekämpfende Phänomen bezeichnet.
  27. Vgl. Backes, Rechtsextremismus, S. 30.
  28. Vgl. Neidhardt, Linker und rechter Terrorismus, S. 457.
  29. Vgl. Michail Logvinov, „... denn neun sind nicht genug“. Der neue alte Rechtsterrorismus, unter: www.kriminalpolizei.de/themen/kriminalitaet/detailansicht-kriminalitaet/artikel/denn-neun-sind-nicht-genug.html; 15.03.2012.
  30. Durch den Unterscheidbarkeitsfaktor ist im Übrigen zu erklären, dass gewisse Angriffsschwellen im Rechtsterrorismus wirken. Aktionen gegen „Volksgenossen“ werden nur in seltenen Fällen durchgeführt.
  31. Vgl. Thomas Grumke, Die Rechtsextremistische Bewegung. In: Roland Roth/Dieter Rucht, Die Sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a.M./New York 2008, S. 475-492, hier 482.
  32. Vgl. Waldmann, Vorläufiges Resümee, S. 373.
  33. Vgl. Bernd Sommer, Prekarisierung und Ressentiments. Soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Wiesbaden 2010, S. 288.
  34. Ebd., S. 289.
  35. Ebd., S. 288.
  36. Vgl. ebd., S. 236-238.
  37. Ebd., S. 291.
  38. Vgl. Krumwiede, Ursachen des Terrorismus, S. 39
  39. Ebd., S. 40 (Hervorhebung im Original).
  40. Rainer Erb, Der „Nationalsozialistische Untergrund“. Beobachtungen und vorläufige Überlegungen. In: Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 21, Berlin 2012, S. 393-421, hier 395.
  41. Julia Jütter, Der Nationalsozialistische Untergrund. In: Andrea Röpke/Andreas Speit (Hg.), Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Berlin 2013, S. 61-93, hier 65.
  42. Vgl. Uwe Backes, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland und die muslimische Welt – eine Entwicklungsskizze. In: Alexander Gallus/Thomas Schubert/Tom Thieme (Hg.), Deutsche Kontroversen. Festschrift für Eckhard Jesse, Baden-Baden 2013, S. 393-408.
  43. Vgl. Krumwiede, Ursachen des Terrorismus, S. 39-40.Krumwiede, Ursachen des Terrorismus, S. 39: „Es versteht sich von selbst, dass in der Prozessanalyse sorgfältig geprüft werden muss, wie sich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen im Prozessablauf entwickeln. Generell kann man vermuten, dass die Rahmenbedingungen, die für die Entstehung von politischen Gewaltorganisationen wichtig waren, im Prozess selbst an Bedeutung verlieren, weil das initiierte Gewaltgeschehen eine Eigendynamik annimmt und organisatorische Faktoren an Gewicht gewinnen“.