Kriminalität

Die Frauen der Hamas: Wer sie sind und warum sie partizipieren.

Partizipation bei der Hamas: Wege, Motive und Anlässe


Wenn man der Frage nachgehen möchte, warum diese Frauen bei der Hamas partizipieren, ist es sinnvoll nach Wegen, Motiven und Anlässen zu differenzieren. So stellt man bereits für die Wege fest: Bei nahezu allen Frauen ist ein entsprechender familiärer Hintergrund zu finden, der Ausdruck findet in der familienübergreifenden Sympathie mit oder eines Engagements für die Hamas. Lediglich eine Aktivistin aus dem Gaza-Streifen berichtete, dass ihr Vater bis zu seinem Tod vor einigen Jahren sehr engagiert für die Fatah war. Väterliche Einwände gegen das Engagement der Tochter bei der Hamas habe es anfänglich gegeben: „‘Wie kannst du gehen und kommen und mit denen arbeiten wollen?‘ – Aber nachdem sie sahen, dass ich diese Arbeit und diesen Aktivismus mag, gaben sie mir die Freiheit.“ Bei den meisten Frauen, die noch in ihren Herkunftsfamilien lebten, gab es ähnliche Entwicklungen, obwohl diese Familien mindestens als Hamas-nah einzustufen sind. Eine Aktivistin des Islamischen Blocks aus dem Westjordanland berichtete, dass ihre Eltern zunächst Angst um sie hatten und vom palästinensischen Geheimdienst bedroht wurden. Die Frauen, die bereits verheiratet waren, wurden von ihren Ehemännern hingegen von Anfang an unterstützt. Eine Parlamentarierin gab an, dies bereits im Vorfeld der Ehe mit dem zukünftigen Ehemann vereinbart zu haben. Eine andere nennt dies eine „Kooperation“, die bei vielen palästinensischen Männern fehlen würde: „Wenn mein Mann nicht kooperativ wäre, hätte er mir erst gar nicht gestattet, zu studieren. So wie viele der Männer es ihren Frauen nicht erlauben, zu studieren und zu arbeiten.“
Etliche Frauen gaben an, sich aufgrund des entsprechenden familiären Hintergrundes, im Alleingang für Dienste bei der Hamas angeboten zu haben: „Als ich an die Universität kam, war es das naheliegendste für uns und unser Milieu, die Umgebung des Islamischen Blocks zu suchen.“ Eine Parlamentarierin berichtete, dass sie bereits in der Schule von Frauen aus der Muslimbruderschaft angesprochen und angeworben wurde. Vor allem für Frauen aus dem formalen politischen Sektor und hier speziell bei der Übernahme von Posten oder Ämtern kommen auch Rekrutierungsszenarien in Frage, wobei die Frauen im Voraus diesbezüglich keine Ambitionen geäußert haben. Bekannt ist dies unter anderem von Isra Mudallal, die für den Posten der Regierungssprecherin angefragt wurde, zunächst ablehnte und dann doch annahm. Andere Frauen berichten von Ermutigungen aus dem nahen Umfeld.
Bei den Motiven stellt die Identifikation der Frauen mit der Hamas einen zentralen Punkt dar. Für meine Interviews konnte ich feststellen, dass es hier erhebliche qualitative Unterschiede gibt, was die Reflexion der Identifikation betrifft. So finden sich Aussagen, die sehr allgemein und wenig tiefsinnig klingen: „Ich glaube an die Prinzipien der Islamischen Bewegung und die hohen Ziele, die sich die Hamas-Bewegung gesteckt hat. Ich mag diesen Weg, den die Hamas-Bewegung eingeschlagen hat.“ Oder: „Jeder, der die Idee der Hamas studiert, wird ihr folgen.“ Andere Frauen konkretisierten, sprachen über die politischen Ziele, die die Hamas erreichen will und mit denen sie d’accord sind: „Der Grund ist meine Überzeugung, dass wir ein unterdrücktes Volk sind, geflohen von unserem Land im Jahr 1948. Wir haben unser Land verlassen und wir denken, dass wir es für uns zurückholen müssen. Die Hamas-Bewegung gleicht für mich dieser Hoffnung, sie organisieren das Richtige. Weil alle anderen Optionen gescheitert sind. Ich, als ein Mensch, denke, dass die Verhandlungsoption eine Option ist, die uns niemals ermöglicht, unser Land zurückzubekommen. Die Hamas-Bewegung hat sich die Dschihadi-Arbeit zu Eigen gemacht und meiner Meinung nach, ist sie der Weg zur Rückkehr nach Palästina.“ Oder: „Und in ihrer ganzen Einfachheit ist diese Bewegung ein Ideal für mich, weil sie mehr Rechtschaffenheit besitzt als alle anderen Bewegungen und sie dem Aktivismus für die Bürger und der Befreiung der Heimat am nächsten kommt.“
Neben diesen politischen Motiven gibt es auch religiöse Ziele, bei denen die Interviewpartnerinnen eine große Übereinstimmung mit der Hamas angaben: „Weil die Islamische Bewegung versucht, die islamische Religion in alle Bereiche auszuweiten.“ Nicht selten wurde die religiöse Orientierung der Bewegung als Garant für politische Erfolge gesehen: „Ich fühlte, dass im Islam die Lösung für alle Probleme der Welt liegen.“
Zudem scheint Identifikation in vielen Fällen über konkrete Personen zu laufen: Mitglieder und Aktivisten der Hamas, zu denen die Frauen hoch schauen, die sie inspirieren, denen sie nacheifern wollen. Genannt wurden häufig eigene Familienmitglieder, wie ältere Geschwister, die mit ihrem Engagement Eindruck auf die Frauen gemacht haben. Überdies führten sie Namen aus den Führungsreihen der Hamas an, darunter sehr häufig Ahmad Yassin. Argumentiert wurde mehrmals mit seiner Lähmung. „Weil er ein körperlich schwacher Mensch war und trotzdem etwas großes hervorbrachte.“ Und sein Beitrag auf spiritueller Ebene: „Er gab uns intellektuelles und spirituelles Bewusstsein. Er gab uns viel, um unseren Geist und unsere Gedanken zu entwickeln.“
Neben der Identifikation mit der Bewegung, mit ihren politischen und religiösen Zielen, nannten die Frauen weitere Motive, aufgrund derer die Hamas offenbar attraktiv für sie ist. Einer der wichtigsten hier genannten Anziehungspunkte ist das Verhältnis der Geschlechter innerhalb der Hamas. „Sie gehört zu den fortschrittlicheren Bewegungen, die mit der Frau kooperiert.“ Die Frauen sprachen häufig von einem gleichberechtigten Status von Mann und Frau innerhalb der Hamas, mit gleichen Rechten und Pflichten. Die Frauen aus dem Islamischen Block betonten zudem den gleichwertigen Einfluss bei Entscheidungen, Mann und Frau würden hier eine Einheit bilden. Einige Frauen sahen in der Hamas „die Bewegung, die sich am meisten um die Frauen kümmert“ und bemüht ist, etwaige Status-Unterschiede zwischen Mann und Frau zu beseitigen. So schwer nachvollziehbar dies für westliche Beobachter sein mag, entspricht dies der Wahrnehmung der Frauen.


Die Abgeordnete Huda Naim war im Gaza-Parlament Fraktionsvorsitzende der Hamas.
Quelle: Hamas-Internetpräsenz



Überdies erörterten einige Frauen eine Art Sicherheit, die sie in der Hamas-Bewegung spüren: Ein respektvoller Umgang unter den Geschlechter, wobei die weibliche Privatsphäre geachtet wird. Viele Frauen stehen der Geschlechtersegregation positiv gegenüber. In den Bereichen, in denen Mann und Frau jedoch zusammen agieren, sollten bestimmte Normen herrschen, die den Umgang der Geschlechter regeln, um moralische Verstöße vorzubeugen. Diese Normen sehen sie in der Hamas realisiert.
Ein weiterer Anziehungspunkt ist die organisatorische Stütze, die die Hamas den Frauen bietet: „Ich fühlte, dass ich meiner Gesellschaft diene. Wenn du etwas tun willst, musst du es mit jemanden oder einer Bewegung tun, damit du unterstützt wirst und Rückhalt bekommst.“ Ein paar Frauen gaben an, explizit der palästinensischen Frau dienen zu wollen – mit der Annahme die besten Ergebnisse unter dem Banner der Hamas zu erreichen: „Als es um die Wahlen ging, empfand ich es als passend, an ihnen teilzunehmen, um die Situation der Frauen zu verändern. Ich empfand, dass die engagierte muslimische Frau, wie ich, jemanden braucht, der sie vertritt, besonders weil wir hier in Palästina unter Besatzung leben und die Frau hier in vielen Bereichen marginalisiert ist.“


Propagandabild der Hamas im Zuge des jüngsten Gaza-Konfliktes. Rechts oben zu sehen das Emblem der Izz ad-Din al-Qassam Brigaden. Unten auf Hebräisch und Arabisch zu lesen: „Alle Städte sind nahe Gaza” Quelle: Hamas-Internetpräsenz   


Zudem kann man feststellen, dass die Frauen durch ihr Engagement Selbstbewusstsein und für ihr Leben einen höheren Sinn gewinnen. Die Frauen zeigten sich im Gespräch mit mir insgesamt sehr selbstbewusst, jede von ihnen konnte eigene Stärken beschreiben und tat dies mit Nachdruck. Viele suggerierten, angesehene Mitglieder zu sein: „Ich denke, dass ich bekannt in der Islamischen Bewegung bin, weil ich mich auf meinem Gebiet auszeichne.“ Oder: „Ich fühle, dass sie zufrieden sind mit dem, was ich meine und mit dem, was ich diskutiere. Ich wandle theoretische Reden in Realität um und das ist speziell an meiner Persönlichkeit. Das ist, weshalb sie mir vertrauen, weil ich meine Ziele realisieren kann.“ Um diese Aussagen einordnen zu können, muss man sich vor Augen führen, dass diese Frauen aus einer traditionellen Gesellschaft kommen, wo Männer über den Zeitpunkt des Abstillens entscheiden oder der Ehefrau verbieten ein Hotel zu betreten, weil dieses scheinbar dazu einlädt mit anderen Männern auf ein Zimmer zu verschwinden. Ein höherer Lebenssinn tritt deutlich zu Tage in den Worten einer Studentin, die ihren Aktivismus als Dienst beschreibt, „durch den man Gott näher kommt.“
Viele Frauen gaben überdies konkrete Anlässe an, nach denen sie ein Engagement bei der Hamas forcierten. Meistens waren diese Anlässe mit dem Schicksal von Familienangehörigen und Freunden verbunden, wie die Tötung oder Inhaftierung durch das israelische Militär. Einige Frauen nannten überschüssige Energien, die sie in der Jugendzeit bei sich beobachteten und die sie sinnvoll katalysieren wollten.