Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex – Wallmeister der Festung Europas oder Garant für die Sicherheit der Außengrenzen?


Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Die humanitären Katastrophen im Mittelmeer haben die Gremien der EU in eine Krise gestürzt. Offensichtlich wurden lange Zeit die irreguläre Migration und ihre sicherheitspolitischen Implikationen im Gegensatz zu den Warnungen von Fachleuten nicht als Weltordnungsproblem Nummer Eins erkannt oder einfach ignoriert. Im Fokus der nun aufbrandenden Diskussion um Migrationsdruck, Bekämpfung verbrecherischer Schlepperbanden und Erarbeitung einer neuen Flüchtlingsstrategie steht die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit ihrer Operation Triton vor den Küsten Italiens, der nun Funktionen zugeschanzt werden sollen, die sie nach bisheriger Lesart –wie nachstehend ausgeführt- nicht leisten kann.

Das Stockholmer Programm und die Folgen

Wesentliches Element des Programms war das „Integrierte Grenzmanagement für die Außengrenzen“, um illegale Einwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen und um damit ein hohes Maß an Sicherheit aufrechtzuerhalten. Ausdrücklich wurde die Stärkung der Rolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gefordert, um deren Fähigkeit zu verbessern, wirksamer auf sich verändernde Migrationsströme zu reagieren. Gleichzeit wurde die essentielle Rolle von Frontex für eine Bewertung eines Schengen-Raums ohne Binnengrenzkontrollen betont. Bei der langfristigen Weiterentwicklung von Frontex sollte auch die Möglichkeit der Schaffung einer Europäischen Grenzschutztruppe geprüft werden.

Offensichtlich hatte man im ursprünglichen europäischen Impetus nur bedingt die Schattenseiten eines grenzenlosen Binnenraums gesehen. Fallen Grenzen und Kontrollen weg, bedeutet dies Verwundbarkeit gegenüber grenzüberschreitender Kriminalität, Terrorismus, Drogenkriminalität, irregulärer Migration und Ausbreitung von Epidemien. Schengen, einst der Hermelinbesatz der europäischen Einigung, ist zwischenzeitlich in den Augen einer kritischen Öffentlichkeit zur Chiffre für grenzenlose Kriminalität und irreguläre Massenimmigration geworden. Frankreich und Deutschland sahen sich sogar gezwungen, im Schengener Grenzkodex eine Notfallklausel durchzusetzen, der die begrenzte Einführung von Grenzkontrollen bis zu maximal zwei Jahren für den Fall erlaubt, dass ein Schengenstaat trotz EU-Hilfen seine Außengrenzen nicht mehr schützen kann und die innere Sicherheit anderer Staaten massiv bedroht ist.


Im Einsatzraum Triton beschlagnahmte Schlepperschlauchboote


Unverändert besteht das Problem der europäischen Migrationspolitik darin, dass die Interessenlagen im Bereich der Migrations- und Asylpolitik höchst unterschiedlich sind. Weder werden die damit zusammenhängenden Probleme als Querschnittsaufgabe verstanden noch ist Entwicklung geeigneter Interventionsstrategien erkennbar. Das Gesamtbild wirkt eher disparat. Auch wenn die Kommission und insbesondere die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström auf eine wirkungsvolle gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik, stärkere Kontrollen an den EU-Außengrenzen und wirkungsvollere Anwendung der Schengenregeln pocht, sind signifikante Auswirkungen nicht erkennbar. Im Gegenteil: Führende griechische Politiker drohten Anfang März 2015 sogar, 300.000 Immigranten, darunter möglicherweise auch Dschihadisten, Papiere auszustellen und damit Europa zu überfluten.
Unter diesen Vorzeichen sind Schleusungen zum Millionengeschäft geworden, zumal sie als „high profit-low risk“-Geschäftsmodell gelten. Geisterschiffe, bei denen mit Flüchtlingen vollgestopfte ausgemusterte Seelenverkäufer unter der Flagge von Billigländern ohne Treibstoff und mit blockierter Steuerung von der Crew verlassen und ihrem Schicksal überlassen werden, sind der aktuelle Höhepunkt des Geschäfts mit dem Elend dieser Welt. Der zwischenzeitlich eingestellte Versuch der italienischen Marine, mit der Aktion „Mare Nostrum“ Flüchtlinge aus Seenot zu retten, hatte die Schleusungsaktivitäten eher verstärkt, konnten doch die Hintermänner der kriminellen Machenschaften damit rechnen, dass ihre Elendsfracht im Bedarfsfall aus Seenot gerettet wird. Gleiches gilt für die Nachfolgeaktion „Triton“ von Frontex, die allerdings vorrangig einen Grenzschutzauftrag hat.
Was eine Zeitlang als Vermutung galt, hat sich zwischenzeitlich erhärtet. Menschenschmuggel ist nach dem Drogenhandel das lukrativste Geschäft innerhalb der Organisierten Kriminalität. Der Reingewinn wird weltweit auf bis zu 5 Milliarden Dollar geschätzt, allein die Schleuserringe, die sich auf Afrika spezialisiert haben, erwirtschaften einen jährlichen Reingewinn von 150 Millionen Dollar. Immer deutlicher werden Querverbindungen zu terroristischen Gruppierungen sowie die Beteiligungen am Waffen- und Drogenschmuggel. Die Presse wurde erst hellhörig, als aus einem Strategiepapier des sogenannten Islamischen Staates hervorging, dass dieser die Flüchtlingsströme nutzen will, um Europa mit Terroristen zu infiltrieren. Dazu wollen die Dschihadisten die zentrale geographische Lage von Libyen nutzen und sich der Flüchtlingsboote gleichsam als trojanische Pferde bedienen.
Großrazzien gegen Schleusergruppierung sowie die Einrichtung gemischter Ermittlungsgruppen haben inzwischen Hochkonjunktur. Ende Januar 2015 fanden zeitgleich in neun Bundesländern Großrazzien gegen Schleusergruppierungen statt, bei der über 500 Bundespolizisten einschließlich der GSG 9 der Bundespolizei, 200 Beamte der Landespolizeien und Ermittler der Bundeszollverwaltung beteiligt waren. Elf Haftbefehl wurden vollstreckt. Ausgangspunkt waren fünf Ermittlungsverfahren, an denen auch Beamte von Europol sowie der niederländischen und bulgarischen Polizei beteiligt waren. Den kriminellen Banden konnten über 200 Schleusungen nachgewiesen werden, die neben den 3.500 Euro für gefälschte Visa bis 8.000 Euro pro Schleusung verlangten. Bei einer weiteren Großrazzia in sieben europäischen Ländern ebenfalls Ende Januar 2015 unter Federführung von Europol, das nunmehr eine Spezialeinheit gegen Menschenschmuggel eingerichtet hat, wurden 46 Personen unter dem Verdacht festgenommen, über 10.000 Kosovaren illegal in die EU verbracht zu haben, wobei für eine Familie z.B. Schleuserkosten von 7.000 Euro entstanden.
Während sich die deutsche Gazetten im Frühjahr weitgehend den Krisen in Griechenland und in der Ukraine widmeten, hatten renommierte europäische Blätter schon längst eine für Europa wesentlichere Bedrohung ausgemacht. So titelte der französische Figaro „Illegale Zuwanderung nach Europa: die Explosion“ und wartete auf drei Seiten mit Zahlen und Fakten über dies kommende Weltordnungsproblem Nummer 1 auf. Immer deutlicher wird, dass die gemeinsamen Regeln des Schengen- und Dublin-Aquis nur noch Programm sind und von einigen EU-Mitliedstaaten unterlaufen werden. So registrieren Italien und andere Staaten an den Außengrenzen die Flüchtlinge nicht mehr und lassen sie weiterziehen. Über 3.000 unbegleitete Minderjährige sind spurlos aus italienischen Aufnahmeeinrichtungen verschwunden. Unterdessen sind die Warnzeichen auch im deutschen Blätterwald angekommen, denn die Alarmzeichen werden immer bedrohlicher. Während das Mittelmeer zunehmend zur Todesfalle für die Karawane des Elends wird, die von skrupellosen Schleuserbanden mit immer neuem Nachschub gefüttert wird, rechnen Experten mit bis zu einer Millionen migrationswilligen Personen allein aus Afrika. Die Politik wirkt hilflos, obwohl die Alarmglocken schon seit Jahren schrillen.
Breit wurden Anfang April des Jahres die Ausführungen des Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums Romann thematisiert. Nach seinen Angaben registrierte die Bundespolizei allein 2014 57.00 unerlaubte Einreisen, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 75 Prozent, und erfasste 27.000 illegal Lande aufhältige Personen. Außerdem nahm die Bundespolizei 2014 mehr als 2.100 Schleuser fest. Bei seinen Ausführungen ließ der Behördenleiter deutliche Zweifel an der Wirksamkeit der europäischen Mechanismen zur Steuerung der Zuwanderung erkennen, denn die Lenkung und Kontrolle der irregulären Menschenströme über das Mittelmeer ist eigentlich eine Angelegenheit der gesamten EU und nicht nur der Mittelmeeranrainer. Hierfür fehlen allerdings die finanziellen Mittel, eine belastbare Strategie und ein gemeinsamer politischer Wille.
Nicht zuletzt durch die Zunahme der dschihadistischen Bedrohung als Folge innerstaatlicher ethnischer Auseinandersetzungen gewinnen effektive Außengrenzkontrollen einen zusätzlichen Stellenwert, tragen sie doch dazu, radikale Rückkehrer frühzeitig zu identifizieren oder an der Ausreise zu hindern. Um die Rückkehr von Kämpfern aus Krisengebieten und um die Einreise anderer als gefährlich geltender Personen bei der Einreise in die EU zu erschweren oder zu verhindern, hat EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos strengere Grenzkontrollen unter Verwendung einer Liste mit Risikoindikatoren angekündigt, die aus naheliegenden Gründen nicht bekanntgegeben werden, aber die Wirksamkeit von Außengrenzkontrollen nunmehr weiter in den Fokus der sicherheitspolitischen Überlegungen rücken. Durch die prekäre Lageentwicklung wird die europäische Grenzschutzagentur Frontex, ehedem eher im Halbschatten einer europäischen Sicherheitsstrategie stehend, zunehmend deutlicher zu einem Hauptakteur im Ensemble europäischer Sicherheitsdienstleister, was letztendlich in einer verbesserten Finanzausstattung und in einer Erweiterung ihres Einsatzspektrums deutlich wird. Ihr eigentliche Funktion und Aufgabenwahrnehmung ist jedoch nur wenigen bekannt. Dies wird allein dadurch deutlich, dass selbst Fachleute in Unkenntnis der Fakten Frontex auffordern, die Rettungsaktion der „Mare Nostrum“ der italienischen Marine fortzusetzen. Hierzu wurde Frontex weder geschaffen, noch ist es materiell und personell in der Lage, diese Sisyphusarbeit zu leisten.

Zur Biographie von Frontex


Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex mit Sitz in Warschau wurde mit Ratsbeschluss (Verordnung (EG) 2007/2004) vom 26. Oktober 2004 errichtet, der Wirkbetrieb wurde am 01. Oktober 2005 aufgenommen. Derzeitiger Exekutivdirektor ist seit Januar 2015 der Franzose Fabrice Leggeri. Agenturen sind eigenständige von den Organen der Gemeinschaft unabhängige Einrichtungen des europäischen Rechts, die die Politiken der EU unterstützen sollen. Unter den derzeit über 30 EU-Agenturen ist Frontext mit Sicherheit eine der wichtigsten, weil die Agentur das Kernstück der europäischen Grenzpolitik und zugleich wichtigster Akteur bei der Koordination des Schutzes der EU-Außengrenzen ist. Ursprünglicher Geburtshelfer war die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen durch das Schengen-Regime Mitte der neunziger Jahre und die Notwendigkeit, ein zusätzliches Element zur Verstärkung des Schutzes der Außengrenzen gegen grenzüberschreitende Kriminalität und irreguläre Migration zu schaffen. Gestaltete sich die Arbeit von Frontex zunächst problemlos, geriet die Agentur nach den Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer in den Fokus einer meist unsachlichen Medienkampagne und Berichterstattung.
Die offizielle Bezeichnung lautet „ European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union”, die sperrige deutsche Bezeichnung ist „Europäische Grenzschutzagentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen.“ Das Akronym Frontex ist vom französischen „frontières extérieures“ gleich Außengrenzen abgeleitet.
Die Agentur hatte Ende 2014 eine Personalstärke von 310 Mitarbeitern, das Budget betrug 114 Millionen EUR, von denen mehr als 70 % unmittelbar für einsatzbezogene Aktivitäten verwendet wurden. In der Zentrale in Warschau war Deutschland Ende 2014 mit 13 Bediensteten vertreten Außerdem beteiligt sich Deutschland jährlich mit rund 100 Bundespolizisten und unterschiedlichen Führungs- und Einsatzmitteln an Frontex koordinierten Einsatzmaßnahmen.

Die Agentur setzt hauptsächlich das EU-Konzept für integriertes Grenzmanagement um, das unter der finnischen EU-Ratspräsidentschaft im Dezember 2006 verabschiedet wurde. Ihr Hauptauftrag - die Unterstützung der Mitgliedstaaten beim Schutz der Außengrenzen- schließt gemeinsame Operationen an den Außengrenzen ein. Sie plant und führt gemeinsame Schwerpunkteinsätze der Mitgliedstaaten an besonderen Brennpunkten und Migrationsrouten durch und koordiniert und harmonisiert die Fortbildungsprogramme zur Bekämpfung der Schleusungskriminalität und weiterer Formen grenzbezogener Kriminalität zu Wasser, zu Land und in der Luft. Vor welchem Massenproblem die Agentur steht, erhellt allein die Tatsache, dass im kontrollfreien Binnengrenzraum über 400 Millionen Unionsbürger und eine wachsende Anzahl von Drittstaatangehörigen unterwegs sind. Dass der politisch gewünschte Wegfall der Binnengrenzkontrollen übereilt war, erhellt allein die Tatsache, dass einzelne Länder zunehmend häufiger die nach dem Schengener Grenzkodex mögliche vorübergehende Grenzkontrollen bei gefahrengeneigten Großereignissen praktizieren. Großbritannien hat gerade wieder die vollständige Passkontrolle bei der Ausreise eingeführt, um sowohl die irreguläre Migration als auch die grenzüberschreitende Kriminalität zu kontrollieren. Noch ist der Beweis nicht erbracht, dass der Schengenraum auch bei massiven Störungen oder bei unvorhergesehenen Großereignissen den Belastungstest bestehen wird. Unter den Augen kritischer Beobachter besteht die Hauptherausforderung für Frontex, den Spannungsbogen zwischen der Freizügigkeit im Binnenraum und der Gewährleistung von Grenzsicherheit an den Außengrenzen immer wieder neu zu justieren. Allein quantitativ ist die Herausforderung gewaltig: Die Landgrenzend des Schengenraums sind 7.700 km lang, die Seegrenzen 42.700 km.


SAR-Aktion von Frontex-koordinierten Einsatzkräften


Den besonderen sensiblen Kontext, in dem sich die Aktionen von Frontex bewegt, verdeutlicht die Mission „Triton“ im Mittelmeer, mit der bis 50 km vor den südlichen Küstenlinien der EU die illegalen Migration über See unterbunden werden soll. Zwangsläufig werden die Einsatzkräfte auch mit Seenotrettungseinsätzen konfrontiert, da die skrupellosen Schleusergruppierungen die Migranten in hochseeuntaugliche und schrottreife Seelenverkäufer pressen und die überladenen Booten mit blockiertem Ruder den Elementen überlassen. Nicht selten werden daher Kontrollfahrten zu Rettungseinsätzen umfunktioniert, wenn die Gesetze der See die Rettung von Menschenleben fordern. Dabei ist es selbst zu Schusswechseln mit hochkriminellen Schleusergruppierungen gekommen. Diese Aktionen haben Frontex ein wohlwollendes Presseecho eingetragen bis zu dem Zeitpunkt, als das ohnehin polizeikritische TV-Magazin Panorama meinte, mit dem Tenor „Wie Frontex die Wahrheit verdreht“ die Öffentlichkeit überraschen zu müssen. Anlass war eine Recherche, in der nachgewiesen werden sollte, dass es sich bei dem vor Süditalien festgestellten Geisterschiff „Blue Sky M“ nicht -wie Frontex unter Bezug auf regionale Quellen feststellte- um einen „neuen Grad der Grausamkeit“ handelte, sondern angeblich ein von professionellen syrischen Seeleuten gesteuertes Frachtschiff, mit dem Landsleute in Sicherheit gebracht werden sollten. Nicht thematisiert wurde die Tatsache, dass jeder der 700 „Passagiere“ bis zu 6.000 Dollar für die Passage zahlte, ein Gruppenrabatt gewährt wurde und die Crew, die sich vor der Anlandung unter die Flüchtlinge mischte, von Schleuser angeheuert wurde. Überdies bildet dieser Einzelfall gegenüber der Vielzahl tatsächlicher Geisterschiffe die absolute Ausnahme.

 

Form follows functions: Organisation und Hauptaufgaben von Frontex


Die Organisation von Frontex folgt grundsätzlich der Gliederung klassischer Sicherheitseinrichtungen. Die Agentur ist neben einer Unterstützungsabteilung für die Leitung in 3 Abteilungen (Divisions) gegliedert:

  • Einsatzangelegenheiten: Gemeinsame Einsätze, Lagezentrum, Risikoanalyse
  • Ausbaus der Grenzschutzkapazitäten: Aus- und Fortbildung, Poolbildung bei personellen und materiellen Ressourcen, Forschung und Entwicklung
  • Verwaltung: Finanzen und Beschaffungswesen, Personal und Dienstleistungen, Rechtsangelegenheiten, Informationstechnik.

Die Agentur unterhält ein Verbindungsbüro in Brüssel und eine Außenstelle zur Einsatzunterstützung in Piräus/GR. Bei den Mitarbeitern werden drei Kategorien unterschieden: ca. 150 Zeitbeamte der EU mit einem Fünfjahresvertrag mit Verlängerungsoption, ca. 80 Angestellte ohne Leitungs- oder Spezialfunktionen und ca. 80 Angehörige der Grenzschutzbehörden der Mitgliedstaaten, die für 2 – 6 Jahre der Agentur als Seconded National Experts zugewiesen werden und die operative Arbeit von Frontex optimieren sollen.
Grundsätzlicher Ansprechpartner für die regelmäßige Zusammenarbeit von Frontex mit einem Mitliedstaat ist der „National Frontex Point of Contact“ (NFPoC). Unter den unterschiedlichen Behörden mit Grenzaufgaben fungiert der NFPoC als offizielle Ansprech- und Schnittstelle. In Deutschland nimmt diese Funktion die Abteilung 4 (Referat 41) des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam wahr.
Frontex hat, obwohl landläufig angenommen, keine Exekutivbefugnisse, da sich die Mitgliedstaaten unverändert sperren, Teile der nationalen Sicherheitsgewährung als Kernstück souveräner Staatlichkeit an eine übergeordnete Institution abzutreten. Gleichwohl ist Frontex kein zahnloser Tiger. Vielmehr fungiert die Agentur als Synergien bildende und Einätze optimierende Serviceeinrichtung. Das Aufgabenprofil, das im Laufe der Jahre ständig erweitert wurde, ergibt sich aus der Frontex-Verordnung und deren Überarbeitung (VO EU 118/2011). An erster Stelle steht unverändert die Koordinierung der Zusammenarbeit der Grenzpolizeien der Mitgliedstaaten zum Schutz der Außengrenzen. Ziel ist die synergetische Zusammenführung der vorhandenen Kapazitäten, um irreguläre Migration und schwerwiegende grenzüberschreiende Kriminalität besser bekämpfen zu können. Hauptherausforderung ist die zeitgerechte Koordination und Steuerung bei plötzlich auftretenden Sonderlagen an den Außengrenzen. Grundlage hierfür sind Risikoanalysen und die Bewertung der Grenzschutzkapazitäten der Mitgliedstaaten. Ein wichtiges Instrument der Lagebewältigung ist die Bereitstellung von European Border Guard Teams (Europäische Grenzschutzteams), die sich aus Grenzschutzbeamten verschiedener Staaten zusammensetzen und nach dem Recht des Einsatzlandes tätig werden. Gekennzeichnet sind sie auf ihren nationalen Uniformen mit einem Frontex-Logo oder einer blauen Armbinde. Für Ausnahmesituationen sieht das Einsatzkonzept den Einsatz von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke (RABIT gleich Rapid Border Intervention Teams) auf Anforderung eines Mitgliedstaates vor, sofern dieser sich zur Bereinigung einer Konfliktlage außerstande sieht. Für die Mitliedstaaten besteht grundsätzlich Beteiligungspflicht. Ein Team besteht aus Grenzschutzbeamten mehrerer Mitgliedstaaten unter Führung des anfordernden Staates. Derartige Teams wurden vom November 2010 bis März 2011 unter Beteiligung deutscher Bundespolizisten an der griechisch- türkischen Grenze eingesetzt, als sich der dortige Grenzabschnitt zum Hot Spot der irregulären Migration entwickelte. Allerdings sollte man wie bei ähnlichen Einrichtungen der EU auch keine übertriebenen Anforderungen an Schnelligkeit eines Einsatzes stellen. In der Regel bedarf es eines Vorlaufes von zehn Tagen bis zum aktiven Einsatz eines Teams.
Weiterhin koordiniert Frontex die grenzpolizeifachlichen Aus- und Fortbildung, wirkt bei der Entwicklung von Technologien auf dem Gebiet der Grenzsicherheit (z.B.automatisierte Grenzkontrolle, Nutzung von Reisedokumenten mit biometrischen Daten oder moderne Grenzüberwachungstechnik) mit und unterstützt die EU – Kommission mit fachlicher Expertise in allen Fragen europäischer Grenzsicherheit.

Risikoanalyse als Grundlage der Einsatzplanung


Frontex ist zusammen mit Europol Vorreiter bei der erkenntnisgestützen Analyse (intelligence-led policing), ein Verfahren, das nicht nur bisherige Entwicklungslinien retrospektiv analysiert, sondern auch dem Erkennen von Trends dient, um daraus Prognosen für eine wirkungsvolle Kriminalitätsprävention abzuleiten. Die zurzeit diskutierten Formen des Predictive Policing verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Frontex setzt hierzu CIRAM ( Common Integrated Risk Analysis Model) ein, das 2002 entwickelt und zuletzt 2012 fortgeschrieben wurde. In dem Verfahren werden alle Daten gesammelt, die die Sicherheitslage an den Außengrenzen berühren, verdichtet, analysiert und in Einsatzmaßnahmen umgesetzt.
Gleichzeitig wurde ein Netzwerk der Analysten der Mitgliedstaaten gebildet, das sich viermal jährlich zur gemeinsamen Arbeit an den Auswerteprodukten trifft. Es umfasst mittlerweile drei regionale Zusatznetzwerke, mit denen Nicht-EU-Ländern einbezogen wurden: westliche Balkan- Region, Länder an den östlichen Landgrenzen und relevante Länder in Afrika. Die Analysen beziehen sich nicht nur auf die Lage an den Außengrenzen, sondern beschäftigen sich auch mit Migrationsrouten, Migrationsfaktoren und modi operandi der Menschenhändler. Allerdings ist die massenhafte Verarbeitung personenbezogener Daten an den Außengrenzen wie z.B. Registrierungsprogramme für Reisende, Fluggastdatensätze und vorherige Reisegenehmigungen im Parlament nicht ohne Kritik geblieben, da man qualitätsbezogene Probleme befürchtet.
Die Risikoanalyse ist Ausgangspunkt und substantielle Grundlage für Frontex-Handlungsempfehlungen und Vorschläge sowohl in Hinblick auf die die nationalen Grenzbehörden als auch in Bezug auf koordinierte gemeinsame Einsatzmaßnahmen an Brennpunkten. Die Planungen gipfeln in den alljährlich im Herbst stattfindenden „Annual Bilateral Talks“, bei denen allen Mitgliedstaaten und Vertretern der beobachtenden Nicht-EU Länder der Katalog der Einsatzvorhaben für das kommende Jahr vorgestellt wird. Gleichzeitig geben die Mitgliedstaaten ihre Optionen für eine Beteiligung bekannt.

Nicht unumstritten: European Border Surveillance System „Eurosur“


Das in der öffentliche Diskussion heftig umstrittene „European Surveillance System“ -abgekürzt Eurosur - ist ein Rahmenkonzept, das die nationalen Grenzüberwachungssysteme verknüpft, um durch den raschen Austausch von Daten ein zeitnahes Lagebild an den Land- und Seegrenzen zu erzeugen und um adäquate Einsatzmaßnahmen einzuleiten. Mit dem System sollen die Mitgliedstaaten unterstützt sowie Interoperabilität und einheitliche Grenzüberwachungsstandards gefördert werden. Es hängt weitgehend von der Mitarbeit der lokalen Grenzschutzbehörden ab. Der Terminus ist insoweit unzutreffend, weil eine europaweite Überwachung zurzeit technisch gar nicht möglich ist. Gleichwohl erscheint es unverständlich, dass die EU bisher noch nicht versucht hat, einer kritischen Öffentlichkeit den Mehrwert dieses System z.B . für Seenotrettungsmaßnahmen im Mittelmeer deutlich zu machen.


Frontex Situation Center in Warschau


Bei Eurosur handelt es sich um ein komplexes technisches Netzwerk von Satelliten, Radar, Sensoren, Kommunikationssystemen, Patrouillenbooten und unbenannten Flugzeugen, dem umfangreiche Entwicklungsprogramme der EU-Kommission zugrundliegen. Bis zum Jahre 2020 rechnet man mit Kosten bis zu rund 250 Millionen Euro. Rechtliche Grundlage für Eurosur bildet eine EU-Rechtsverordnung ( Regulation (EU) 1052/2013 of the European Parliament and of the Council of 22 October 2013 establishing the European Border Surveillance System ), die seit dem 2. Dezember 2013 in Kraft ist. Die Bewertung von Eurosur ist multivalent und schwankt je nach politischer Couleur des Betrachters zwischen dem humanitären Ziel der Rettung von Menschenleben aus Seenot, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität und der Abschottung der Außengrenzen durch den Einsatz von Hightech.
Der Wirkbetrieb von Eurosur und der Aufgabenvollzug von Frontex beeinflussen sich gegenseitig, wobei für die Agentur zwei Schwerpunkte gelten. Zum einen das Bereitstellen und die Unterhaltung der Technik und der Dienstleistungen für den koordinierten Einsatz der Überwachungssysteme, zum anderen die Erarbeitung eines Lagebildes in allen für die Grenzsicherheit relevanten Teilbereichen. Diese schließen deren Vorfeld in Nachbarstaaten unter besonderer Berücksichtigung einer Analyse von Schwachstellen in besonders als bedroht identifizierten Grenzabschnitten ein. Als Konsequenz aus den jeweiligen Lage- und Schwachstellenanalysen bewertet Frontex fortlaufend die Situation an den Außengrenzen und koordiniert bei herausragenden Lagen die Grenzschutzmaßnahmen an den ermittelten Brennpunkten.

Ein vorläufiges Fazit


Auch wenn Frontex offensichtlich erfolgreich Einsätze koordiniert und in den Mitgliedsstaaten Hilfestellungen für einen integrierten Grenzschutz initiiert, liegt der Schwerpunkt der Maßnahmen weiterhin bei den Mitgliedstaaten, die beim Abtreten hoheitlicher Souveränitätsrechte durchaus unterschiedliche Geschwindigkeiten fahren. So werden entsandte Beamte auch grundsätzlich nur nach dem Recht des aufnehmenden Landes tätig. Allerdings ist Deutschland insoweit Vorreiter und europäischer Musterknabe, als es in beispielhafter Weise Wirksamkeit über politische Sensibilitäten stellt, und alle Bestrebungen fördert, durch die grenzüberschreitende Hemmnisse abgebaut werden.
Die bedeutsamen Leistungen von Frontex im Bereich der Koordination von Einsätzen, bei der Integration des europäischen Grenzschutzes, im Bereich der Risikoanalyse und bei der Aus- und Fortbildung dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die europäische Grenzschutzarchitektur große Lücken aufweist. Abschiebungen aus Deutschland in viele Mitgliedstaaten der EU sind nicht möglich, weil u.a. der Europäische Gerichtshof dort grundsätzliche Defizite bei der Unterbringung und Behandlung von Asylbewerbern festgestellt hat. Es gibt aber noch andere Schwachstellen. Im ersten Halbjahr 2014 Stellten lediglich 25.000 Menschen in Italien einen Asylantrag, obwohl ein Vielfaches an Bootsflüchtlingen angelandet war. Die Masse dieser Flüchtlinge wanderte mit Duldung von Italien, aber auch durch die Transitländer Österreich und Schweiz, nach Deutschland ab.
Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Ländern auf dem Gebiet des Grenzschutzes ist eine Entwicklung denkbar, bei der künftig Frontex mit seiner Erfahrung im Auftrag der EU-Kommission Projekte durchführt, die mit EU-Mitteln finanziert und nicht an eine Nicht-Regierungsorganisation vergeben werden. Frontex kann seine Leistungsfähigkeit auch auf dem Gebiet der innerbehördlichen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten ausbauen, möglicherweise in Form einer veränderten Schwerpunktbildung und Umschichtung der vorhandenen Kapazitäten. Gerade in Zeiten begrenzter Ressourcen muss die Zusammenarbeit von Behörden, die unterschiedliche Aufgaben am gleichen Ort wahrnehmen, zur Nutzung von Synergien das Gebot der Vernunft sein. Eine aktuelle Herausforderung dürften Überlegungen sein, den Nahbereich der libyschen Küste zu überwachen, um bereits Schleusungsaktivitäten an der Wurzel zu unterbinden. Dies setzt jedoch eine enge Kooperation mit Libyen voraus, ein Staat, der sich im Zerfall befindet.
Frontex kann nachhaltige Erfolge erzielen, wenn die Agentur noch stärker als bisher die Bildung von Grenzkontrollkapazitäten („capacity building“) der Mitgliedstaaten im Auge behält und noch stärker im Vorfeld tätig wird. Dazu müsste die Dienstleistung stärker auf die Herstellung von „Qualität“ als auf bloße Unterstützungsmaßnahmen gerichtet sein. Parallel dazu muss Frontex aber gezielt seine eigenen Einsatzkapazitäten ausbauen, damit in Krisenlagen an den Außengrenzen oder bei anderen Anlässen mit großem Handlungsdruck schnell und effizient gehandelt werden kann. Ohnehin ist zu erwarten, dass bei weiterem Anstieg der illegalen Migration die Mitgliedstaaten stärker als bisher auf die europäische Karte setzten werden. Bundesinnenminister de Maizière hat bereits schon jetzt deutliche Signale gesandt. Mit Sicherheit sind jene Befürchtungen abwegig, die Frontex als Nucleus für die bereits unter dem vormaligen Bundesinnenminister Schily diskutierte EU-Grenzpolizei sehen. Lediglich in Italien fand er weiland einen Unterstützer. Gegen diese Entwicklung sprechen weiterhin vielfältige nationale Vorbehalte. Andererseits sprechen in Zeiten, in denen sogar eine Europäische Armee diskutiert wird, nichts gegen eine derartige Ressourcen sparende und Synergien fördernde Entwicklung, die die üblichen Schnittstellenprobleme und Koordinationsschwierigkeiten überwinden würde.


So erzwingen gewissenlose Schleuser Seenotrettungsaktionen