Polizei

Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex – Wallmeister der Festung Europas oder Garant für die Sicherheit der Außengrenzen?

Nicht unumstritten: European Border Surveillance System „Eurosur“


Das in der öffentliche Diskussion heftig umstrittene „European Surveillance System“ -abgekürzt Eurosur - ist ein Rahmenkonzept, das die nationalen Grenzüberwachungssysteme verknüpft, um durch den raschen Austausch von Daten ein zeitnahes Lagebild an den Land- und Seegrenzen zu erzeugen und um adäquate Einsatzmaßnahmen einzuleiten. Mit dem System sollen die Mitgliedstaaten unterstützt sowie Interoperabilität und einheitliche Grenzüberwachungsstandards gefördert werden. Es hängt weitgehend von der Mitarbeit der lokalen Grenzschutzbehörden ab. Der Terminus ist insoweit unzutreffend, weil eine europaweite Überwachung zurzeit technisch gar nicht möglich ist. Gleichwohl erscheint es unverständlich, dass die EU bisher noch nicht versucht hat, einer kritischen Öffentlichkeit den Mehrwert dieses System z.B . für Seenotrettungsmaßnahmen im Mittelmeer deutlich zu machen.


Frontex Situation Center in Warschau


Bei Eurosur handelt es sich um ein komplexes technisches Netzwerk von Satelliten, Radar, Sensoren, Kommunikationssystemen, Patrouillenbooten und unbenannten Flugzeugen, dem umfangreiche Entwicklungsprogramme der EU-Kommission zugrundliegen. Bis zum Jahre 2020 rechnet man mit Kosten bis zu rund 250 Millionen Euro. Rechtliche Grundlage für Eurosur bildet eine EU-Rechtsverordnung ( Regulation (EU) 1052/2013 of the European Parliament and of the Council of 22 October 2013 establishing the European Border Surveillance System ), die seit dem 2. Dezember 2013 in Kraft ist. Die Bewertung von Eurosur ist multivalent und schwankt je nach politischer Couleur des Betrachters zwischen dem humanitären Ziel der Rettung von Menschenleben aus Seenot, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität und der Abschottung der Außengrenzen durch den Einsatz von Hightech.
Der Wirkbetrieb von Eurosur und der Aufgabenvollzug von Frontex beeinflussen sich gegenseitig, wobei für die Agentur zwei Schwerpunkte gelten. Zum einen das Bereitstellen und die Unterhaltung der Technik und der Dienstleistungen für den koordinierten Einsatz der Überwachungssysteme, zum anderen die Erarbeitung eines Lagebildes in allen für die Grenzsicherheit relevanten Teilbereichen. Diese schließen deren Vorfeld in Nachbarstaaten unter besonderer Berücksichtigung einer Analyse von Schwachstellen in besonders als bedroht identifizierten Grenzabschnitten ein. Als Konsequenz aus den jeweiligen Lage- und Schwachstellenanalysen bewertet Frontex fortlaufend die Situation an den Außengrenzen und koordiniert bei herausragenden Lagen die Grenzschutzmaßnahmen an den ermittelten Brennpunkten.

Ein vorläufiges Fazit


Auch wenn Frontex offensichtlich erfolgreich Einsätze koordiniert und in den Mitgliedsstaaten Hilfestellungen für einen integrierten Grenzschutz initiiert, liegt der Schwerpunkt der Maßnahmen weiterhin bei den Mitgliedstaaten, die beim Abtreten hoheitlicher Souveränitätsrechte durchaus unterschiedliche Geschwindigkeiten fahren. So werden entsandte Beamte auch grundsätzlich nur nach dem Recht des aufnehmenden Landes tätig. Allerdings ist Deutschland insoweit Vorreiter und europäischer Musterknabe, als es in beispielhafter Weise Wirksamkeit über politische Sensibilitäten stellt, und alle Bestrebungen fördert, durch die grenzüberschreitende Hemmnisse abgebaut werden.
Die bedeutsamen Leistungen von Frontex im Bereich der Koordination von Einsätzen, bei der Integration des europäischen Grenzschutzes, im Bereich der Risikoanalyse und bei der Aus- und Fortbildung dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die europäische Grenzschutzarchitektur große Lücken aufweist. Abschiebungen aus Deutschland in viele Mitgliedstaaten der EU sind nicht möglich, weil u.a. der Europäische Gerichtshof dort grundsätzliche Defizite bei der Unterbringung und Behandlung von Asylbewerbern festgestellt hat. Es gibt aber noch andere Schwachstellen. Im ersten Halbjahr 2014 Stellten lediglich 25.000 Menschen in Italien einen Asylantrag, obwohl ein Vielfaches an Bootsflüchtlingen angelandet war. Die Masse dieser Flüchtlinge wanderte mit Duldung von Italien, aber auch durch die Transitländer Österreich und Schweiz, nach Deutschland ab.
Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Ländern auf dem Gebiet des Grenzschutzes ist eine Entwicklung denkbar, bei der künftig Frontex mit seiner Erfahrung im Auftrag der EU-Kommission Projekte durchführt, die mit EU-Mitteln finanziert und nicht an eine Nicht-Regierungsorganisation vergeben werden. Frontex kann seine Leistungsfähigkeit auch auf dem Gebiet der innerbehördlichen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten ausbauen, möglicherweise in Form einer veränderten Schwerpunktbildung und Umschichtung der vorhandenen Kapazitäten. Gerade in Zeiten begrenzter Ressourcen muss die Zusammenarbeit von Behörden, die unterschiedliche Aufgaben am gleichen Ort wahrnehmen, zur Nutzung von Synergien das Gebot der Vernunft sein. Eine aktuelle Herausforderung dürften Überlegungen sein, den Nahbereich der libyschen Küste zu überwachen, um bereits Schleusungsaktivitäten an der Wurzel zu unterbinden. Dies setzt jedoch eine enge Kooperation mit Libyen voraus, ein Staat, der sich im Zerfall befindet.
Frontex kann nachhaltige Erfolge erzielen, wenn die Agentur noch stärker als bisher die Bildung von Grenzkontrollkapazitäten („capacity building“) der Mitgliedstaaten im Auge behält und noch stärker im Vorfeld tätig wird. Dazu müsste die Dienstleistung stärker auf die Herstellung von „Qualität“ als auf bloße Unterstützungsmaßnahmen gerichtet sein. Parallel dazu muss Frontex aber gezielt seine eigenen Einsatzkapazitäten ausbauen, damit in Krisenlagen an den Außengrenzen oder bei anderen Anlässen mit großem Handlungsdruck schnell und effizient gehandelt werden kann. Ohnehin ist zu erwarten, dass bei weiterem Anstieg der illegalen Migration die Mitgliedstaaten stärker als bisher auf die europäische Karte setzten werden. Bundesinnenminister de Maizière hat bereits schon jetzt deutliche Signale gesandt. Mit Sicherheit sind jene Befürchtungen abwegig, die Frontex als Nucleus für die bereits unter dem vormaligen Bundesinnenminister Schily diskutierte EU-Grenzpolizei sehen. Lediglich in Italien fand er weiland einen Unterstützer. Gegen diese Entwicklung sprechen weiterhin vielfältige nationale Vorbehalte. Andererseits sprechen in Zeiten, in denen sogar eine Europäische Armee diskutiert wird, nichts gegen eine derartige Ressourcen sparende und Synergien fördernde Entwicklung, die die üblichen Schnittstellenprobleme und Koordinationsschwierigkeiten überwinden würde.


So erzwingen gewissenlose Schleuser Seenotrettungsaktionen

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