Banker zwischen Bestrafung und Bewährung

Von Dr. Wolfgang Hetzer, Ministerialrat a. D., Wien

Einleitung


Im Dezember 2012 stand der Rechtsstaat, vertreten durch Polizeibeamte und Justizbedienstete, wieder einmal vor den Toren der Hauptniederlassung der Deutschen Bank in Frankfurt am Main und begehrte Einlass. Wenige Monate zuvor hatten die Herren Anshu Jain und Jürgen Fitschen die Führung dieses Geldhauses von Josef Ackermann übernommen, um „nach“ der Finanzkrise einen Neustart zu organisieren. Sehr frühzeitig kamen Bedenken auf, dass man zumindest mit der Ernennung von Jain den „Bock zum Gärtner“ gemacht hatte. Mittlerweile ist evident, dass diese Bedenken berechtigt waren. Nie zuvor stand die Führung der Deutschen Bank unter einem derartigen juristischen Beschuss. Die Frage, was die obersten Chefs wann wussten oder warum sie so wenig wussten, ist nach wie nicht zufriedenstellend und vollständig beantwortet Das ist besonders pikant, wenn man sich daran erinnert, dass der Vorstand einem der Beschuldigten, dem Londoner Händler Christian Bittar, für das Jahr 2008 einen Bonus von 80 Millionen Euro genehmigt hatte, der immerhin zur Hälfte auch ausgezahlt wurde. Die Bank hat im ganzen Jahr 2014 etwa 1,6 Milliarden Euro an Bußgeldern gezahlt. Zur Bilanzvorlage für 2014 war noch von 6000 anhängigen Prozessen gegen die Deutsche Bank die Rede. Nach anderen Angaben handelt es sich gar um 7000 Rechtsstreitigkeiten.

Für das erste Quartal 2015 waren Rückstellungen für Rechtskosten in Höhe von insgesamt 4,8 Milliarden Euro im Gespräch. Es sind inzwischen Zweifel daran aufgekommen, dass selbst dieser Betrag ausreicht. Bei vielen Beobachtern entstand der Eindruck, dass es sich bei der Deutschen Bank um eine „Rechtsabteilung mit angeschlossener Bank“ handelt. Der noch (voraussichtlich bis Mai 2016) amtierende Ko-Vorstandsvorsitzende Fitschen fand es seinerzeit (Dezember 2012) angemessen, beim Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Volker Bouffier (CDU), anzurufen, um sich darüber zu beschweren, dass es Beamte doch tatsächlich gewagt hatten, ihre Pflicht zu tun und eine richterliche Anordnung auszuführen.
Die Deutsche Bank ist aber nicht erst jetzt zum Schatten ihrer selbst geworden. In der Liga globaler Finanzkonzerne hat sie den Anschluss zu den vorderen Rängen schon längst verloren.1 Dieses Geldinstitut stand unter einer überforderten Führung. Deren Bemühen hätte darauf gerichtet sein müssen, die Bank aus einer Lage heraus zu bugsieren, in die sie die Verantwortlichen selbst hineingebracht hatten. Der vormalige Ko-Vorstandsvorsitzende Anshu Jain und sein Kollege Jürgen Fitschen hatten einen Neuanfang versprochen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es insbesondere der von Jain zuvor geführte Bereich des angelsächsisch geprägten Investmentbanking war, der den Abstieg der Deutschen Bank einleitete. Leitbild war seitdem nicht mehr das klassische Kreditgeschäft, sondern der schnelle „Deal“. Profit und Boni charakterisierten das Handeln. In den wilden Jahren vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise haben vor allem die Investmentbanker ihre Macht missbraucht. Sie haben über Jahre betrogen, manipuliert und sich die eigenen Taschen gefüllt. Ihr Anführer war Jain, ein britischer Staatsbürger indischer Herkunft, der das Erbe seines Vorgängers, des Schweizers Josef Ackermann, nach Kräften ausbaute. Man mag die Folgen der Übernahme der Deutschen Bank durch die Investmentbanker als „Sittenverfall“ bezeichnen. Das ist aber eine unangemessene Verniedlichung. Sie kann nicht verbergen, dass „Die Deutsche“ heute für systematisch betriebene kriminelle Aktivitäten Strafen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar und Euro bezahlen muss. Es ist auch nicht mehr zu bestreiten, dass die Bank mittlerweile in einer strategischen Sackgasse gelandet ist. Ihre Führer haben sich von jenen Händlern abhängig gemacht, die für einen Großteil der Gewinne verantwortlich waren und jetzt Strafen in astronomischer Höhe provozieren. Mittlerweile muss man mindestens am Realitätssinn des ehemaligen Angestellten der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, Paul Achleitner, zweifeln. Dieser österreichische Staatsbürger bemüht sich zwar immer noch darum, der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank zu sein. Seine Erwartung, dass ausgerechnet Jain im Investmentbanking konsequent hätte aufräumen können, weil er zuvor dafür verantwortlich war, ist – gelinde gesagt – abwegig. Achleitner scheint noch nicht ganz begriffen zu haben, was ihm mehrere nationale und internationale Aufsichtsbehörden bescheinigt haben: Die Deutsche Bank hat die Aufklärung der „Skandale“ immer wieder behindert. Bei dem Begriff „Skandal“ handelt es sich übrigens auch nur um eine Verniedlichung. Sie verdeckt die Tatsache, dass sich dieses Geldhaus schon jetzt als schadensträchtiger erwiesen hat, als jede in der Kriminalgeschichte bekannt gewordene Mafia-Organisation.
Fitschen sollte im Kreise der Experten und Führungskräfte das Bindeglied zwischen angelsächsischen Investmentbankern und deutschen Traditionalisten sein. Er könnte als derzeitiger Angeklagter immerhin die Verhandlungspausen im Verfahren vor dem Landgericht München dazu nutzen, sich mit den Nachbarn auf der Anklagebank, seinen Vorgängern Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer, nicht nur zum Thema der Anklage (Versuchter Prozessbetrug) zu verständigen, sondern sich auch über Kompetenz und Inkompetenz zur Führung einer Bank in historischer Perspektive zu unterhalten.
Selbst Achleitner könnte irgendwann auch verstehen, dass es den Bankangestellten Jain und Fitschen nicht darum ging, mit Hilfe einer gut durchdachten neuen Strategie die aktuellen Probleme der Deutschen Bank zu lösen, sondern sich an der Macht zu halten bzw. nicht von den Gehalts- und Boni-Trögen vertrieben zu werden. Sie haben offensichtlich nicht begriffen, dass Deutschland keine Deutsche Bank mit einem riesigen Handelsgeschäft braucht, die mit Hedgefonds und anderen Finanzkonzernen schnelle Geschäfte macht, bei denen Risiko und Ertrag in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Sie schienen ernsthaft geglaubt zu haben, dass die Probleme ihres Arbeitgebers dadurch entstanden sind, dass sich Ermittler, Regulierer und Medien gegen sie verschworen hatten. Das war nicht nur Larmoyanz. Im schlimmsten Fall ist es ein fachärztlich behandlungsbedürftiger Tatbestand. Es kann hier dahinstehen, in welchem Mischungsverhältnis geistige Verwirrung, fachliche Inkompetenz und kriminelle Energie auf den Führungsetagen und den nachgeordneten Ebenen der Deutschen Bank stehen.
Zwei Dinge sind immerhin sicher: Solch eine Führung hat die Deutsche Bank nicht verdient. Deutschland selbst hat aber eine bessere Bank verdient. Inzwischen wird sogar in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 23. April 2015 von dem Journalisten Stefan Willeke die Frage gestellt, ob die Deutsche Bank ein normales Geldinstitut oder eine kriminelle Vereinigung ist.2 Ehrenwerte Banker, soweit noch vorhanden, werden diese Frage natürlich empört zurückweisen. Die neuesten Entwicklungen in der Deutschen Bank zeigen aber, dass sie sehr aktuell und höchst berechtigt ist.

Gangsterwirtschaft und Governance


Sollten Vorwürfe Münchener Staatsanwälte zutreffen, dann hat man in der Deutschen Bank nicht nur gelogen und betrogen. Das Lügen und Betrügen wurde sogar trainiert. Lügner und Betrüger haben sich gegenseitig gedeckt. Das System der Täuschung war ganz oben, also im Vorstand, angekommen. Die Chefs scheinen dieses Geschäft glänzend beherrscht zu haben. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Staatsanwälte in der Anklage gegen einen noch amtierenden und vier ehemalige Vorstände der Bank nicht von „Lügen“, sondern von „Unwahrheiten“ sprechen. Die zuständige Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München nahm die Anklageschrift jedenfalls unverändert an. Seit dem 28. April 2015 wird in der Strafsache 401 Js 160239/11 vor dem Landgericht München gegen den Nochvorsitzenden Jürgen Fitschen, seine beiden Vorgänger Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer, den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Börsig und das ehemalige Vorstandsmitglied Tessen von Heydebreck verhandelt. Es geht in dem Verfahren um die 13 Jahre zurückliegende Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch und um die Frage, ob die Deutsche Bank sie mitverursacht hat, weil sie das milliardenschwere Imperium anschließend verkaufen wollte. Klärungsbedürftig ist, ob die verantwortlichen Banker dies wider besseres Wissen bestritten haben, nachdem Kirch sie auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt hatte. Es wird aber nicht nur über diese Ereignisse verhandelt. Zur Thematik gehören auch das Ansehen, der Ruf und die Glaubwürdigkeit der Deutschen Bank. Die Frage ist banal:


Kann man den Chefs der Deutschen Bank – und damit der Bank insgesamt – noch glauben oder ist diesem Institut der Gewinn wichtiger als die Wahrheit?


Sie stellt sich nicht nur wegen der des Falles Kirch. Das Umfeld der Bank ist auch durch Stichworte wie „Libor“, „Forex“, „CO2“ oder „Subprime“ charakterisiert. Es geht u. a. um die Manipulation von Zinsen und Devisenkursen, um Steuertricks beim Handel mit Verschmutzungsrechten3 und zweifelhafte Hypothekengeschäfte in den USA. Man scheint sich nicht mehr an einen Satz des ermordeten Vorstandssprechers der Deutschen Bank (1985 bis 1989) zu erinnern. Alfred Herrhausen hatte vorausgesagt hatte, dass ein Unternehmen an dem Tag zu sterben beginnt, an dem die Manager vergessen, dass es nicht weiter bestehen kann, wenn die Gesellschaft seine Nützlichkeit nicht mehr empfindet oder sein Gebaren als unmoralisch betrachtet.4 Es ist also klärungsbedürftig geworden, wieviel Unmoral sich die Deutsche Bank erlauben kann und was es bedeutet, wenn immer mehr Deutsche dieses Geldhaus nicht mehr als nützlich empfinden, weil es all die Ermittlungen, Skandale und Milliardenstrafen gibt. Die Unschuldsvermutung gilt natürlich für alle Angeklagten. Auf die Einzelheiten des Verfahrens soll deshalb vorerst auch nicht weiter eingegangen werden.
In einem weiteren Verfahren, das in Frankfurt betrieben wird, geht es um den Handel mit Verschmutzungsrechten (CO2-Zertifikate). Sieben Händler der Deutschen Bank und ihrer Mitarbeiter, die in diesem Bereich arbeiteten, waren Ende April 2015 bereits suspendiert. Mittlerweile wurden auch schon mehrere neue Anklagen erhoben. Der Handel mit diesen Zertifikaten sollte eigentlich den Ausstoß von Schadstoffen verteuern und so der Umwelt helfen. Stattdessen hintergingen kriminelle Banden aus Deutschland und anderen Staaten den Fiskus, indem sie sich Umsatzsteuern erstatten ließen, die sie gar nicht gezahlt hatten. Die teuren Emissionsrechte wurden über viele Stationen im In- und Ausland so schnell im Kreis an- und verkauft, teils innerhalb von Sekunden, so dass die Finanzbehörden gar nicht mehr durchblickten.Bei diesen Geschäften war die Deutsche Bank mittendrin. In einem ersten großen Prozess waren vor einigen Jahren sechs Geschäftsleute, die mit ihren Handelsfirmen den Staat ausnahmen, als erste von mehr als 150 Beschuldigten zu teils langen Haftstrafen verurteilt worden. Dies kam schon damals einer Abrechnung der Justiz mit der Deutschen Bank gleich, die übrigens früh vom britischen Fiskus vor entsprechenden betrügerischen Deals gewarnt worden war. Angeblich haben das Jain und andere Top-Leute auch gewusst.5
In einem anderen Bereich braucht man dagegen auf rechtliche Würdigungen und Entscheidungen nicht mehr zu warten. Am 23. April 2015 wurde bekannt, dass Aufsichtsbehörden aus Großbritannien und den USA gegen die Deutsche Bank eine Strafe von 2,5 Milliarden Dollar verhängt haben. Nach einer Erklärung des amerikanischen Justizministeriums haben deren Mitarbeiter rund um den Globus illegal Zinssätze manipuliert. Es handelt sich um die bislang höchste Strafe, die gegen eine Bank im Zusammenhang mit Absprachen bei der Festlegung von Referenzzinsen verhängt wurde (wie etwa beim Libor, dem Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen). Der Libor wird in London notiert und war leicht zu manipulieren, weil er aus einer Umfrage von acht bis 16 Großbanken ermittelt wurde, die täglich um elf Uhr an den Britischen Bankenverband meldeten, zu welchem Zins sie sich von anderen Banken Geld liehen. Dieser Zinssatz hat weltweit eine enorme Bedeutung, weil Finanzprodukte in Höhe von mehreren Hundert Billionen Euro an ihn gekoppelt sind. Es geht dabei auch um Derivate, also Wetten auf Aktien, Anleihen oder Währungen, die sich auf einen Basis-Zinssatz beziehen. Das gilt häufig auch für Sparprodukte von Banken mit einem flexiblen Zinssatz. Inzwischen wurde dem Britischen Bankenverband die Verantwortung für die Feststellung des Libor entzogen. Dafür ist jetzt seit gut einem Jahr eine unabhängige Organisation zuständig. Zudem drangen die internationalen Aufseher darauf, dass die Feststellung der Zinsen in den Banken besser kontrolliert wird. Angeblich hat die Deutsche Bank der Überwachung durch einen behördlich entsandten Aufpasser zugestimmt.6 Die einschlägigen Manipulationen haben sich mindestens in dem Zeitraum zwischen 2003 und 2011 abgespielt. Die Motive sind relativ klar: Zum einen wollten die Banker insbesondere auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 die eigene Situation beschönigen. Sie meldeten deshalb einen niedrigeren Zinssatz, als sie eigentlich zahlen mussten, da ein hoher Zins als Alarmsignal gilt. Zum anderen verfolgten sie schlicht eine Bereicherungsabsicht: Wer weiß, wie ein Zins sich entwickelt, kann die Handelsposition der Bank darauf abstellen und Wetten abschließen. Das nutzt natürlich auch den Händlern selbst: Je mehr Gewinn sie erzielen, umso höher ist ihr Bonus.
Die Bezifferung des dadurch entstandenen Schadens ist sehr schwierig. Es müsste bekannt sein, in welche Richtung der Libor in welchem Zeitraum manipuliert wurde. Erst dann könnten Bankkunden anhand ihrer damaligen Wertpapier-Positionen sagen, welchen Schaden sie erlitten haben. Eine Reihe von Investoren möchte klagen. Anwälte sind mit Analysen beschäftigt, wie sich der Libor ohne die Manipulationen entwickelt hätte. Nach Schätzungen soll Bankkunden ein Schaden von rund 17 Milliarden Dollar entstanden sein.
Der Deutschen Bank werden auch von der britischen Financial Conduct Authority (FCA) Fehlinformation und Verzögerungstaktik vorgeworfen. Sie hat sich bislang von zwölf Händlern getrennt, die mit der Feststellung des Zinssatzes Libor betraut waren. Neun weitere wurden versetzt. Im April 2015 drängten die Behörden darauf, dass die Bank mindestens sieben weitere Mitarbeiter entlässt. Für Rechtsrisiken musste die Deutsche Bank alleine im ersten Quartal 2015 etwa 1,5 Milliarden Euro aufwenden. Schon Ende 2013 hatte sie wegen Zinsmanipulationen 725 Millionen Euro an die EU-Kommission zahlen müssen.
Jenseits der Frage, ob der angekündigte „Kulturwandel“ ein notwendiges und schon lange überfälliges Zwischenstadium auf dem Weg zu einem auch nur halbwegs akzeptablen Compliance-Niveau im größten deutschen Geldinstitut ist, steht fest, dass die Vorwürfe internationaler Aufsichtsorgane nicht zu der hehren Absicht passen, auf diese Weise das Vertrauen unter den Kunden wiederherzustellen. Bei den Investmentbankern in London oder New York ist von einem Kulturwandel immer noch wenig zu spüren. Es ist bis jetzt nicht hinreichend deutlich geworden, dass man im Kreise der Investmentbanker eine Kultur einrichten konnte, die sich in nennenswerter Weise vom bisherigen Comment krimineller und pathologischer Bereicherungsgier unterscheidet. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn immer nur Händler aus den unteren Ebenen gefeuert werden, die Führungskräfte aber verschont bleiben, die letztlich sowohl für „Governance“ als auch für „Compliance“ verantwortlich sind. Ihr umfassendes Versagen hat die Deutsche Bank in geradezu strategische Nöte geführt.
Für Nachsicht ist kein Raum.7Jain hatte das Investmentbanking bis Juni 2012 verantwortet. Er hätte sich also auch um ordentliche Führung (Governance) und Regelbefolgung (Compliance) in diesem Bereich kümmern müssen. Das geht nicht ohne eine seriöse Kontrolle. Wie mittlerweile veröffentlichte E-Mail-Protokolle zeigen, war es damit nicht weit her. Aus den Unterlagen geht hervor, wie sich Händler der Deutschen Bank ohne jede Skrupel darüber abgesprochen hatten, in welche Richtung die Referenzzinsen getrieben werden sollten. Sie beruhten lange Zeit nur auf Meldungen der Banken zu ihren Finanzierungskonditionen und nicht auf unabhängigen Preisen wie Börsenkursen. Die Deutsche Bank behauptete aber weiterhin unverdrossen, dass kein gegenwärtiges oder ehemaliges Vorstandsmitglied Kenntnisse über das Fehlverhalten im Handelsbereich gehabt hätte. Eine Beteiligung an derartigen Aktivitäten habe man auch nicht feststellen können.
Ende Juni 2015 stellte sich die Sachlage schon etwas anders da. Die Frage, was der vor kurzem ausgeschiedene Ko-Vorstandsvorsitzende Jain über die Zinsmanipulationen wusste, brachte die Deutsche Bank noch mehr als bisher in Bedrängnis. Am letzten Wochenende des genannte Monats wiesen Jain und die Bank Vorwürfe zurück, wonach er die Bundesbank in einem Gespräch 2012 getäuscht habe. Damals soll Jain auf die Frage, wann er zum ersten Mal von Gerüchten über Manipulationen von Referenzzinsen wie dem Libor gehört habe, geantwortet haben: im Jahr 2011. Tatsächlich gab es erste Berichte über Absprachen aber schon drei Jahre zuvor. Die zuständige Abteilungsleiterin der Bafin wirft Jain schwerwiegende Verfehlungen vor. Er habe ein Umfeld geschaffen, in dem das Ausnutzen von Interessenkonflikten gefördert worden sei. Die bisherigen Antworten des früheren Chefs des Investmentbankings der Deutschen Bank können mindestens als irreführend angesehen werden, gab es doch schon 2008 Medienberichte über Absprachen bei der Festlegung von Interbankenzinsen. Jain hält die Vorwürfe aber immer noch unverzagt für „gegenstandslos“. Er habe die Bundesbank 2012 natürlich nicht täuschen wollen. Die ihm gestellte Frage auf mögliche Manipulationen habe er auf die Deutsche Bank bezogen, nicht aber auf allgemeine Manipulationsgerüchte am Markt. Jain scheint also dabei bleiben zu wollen, dass er über die Verwicklung von Mitarbeitern der Deutschen Bank in die Zinsmanipulationen erst im Jahr 2011 erfahren hatte.
In einem neueren Bafin-Bericht ist gleichwohl die Rede davon, dass ein Händler der Deutschen Bank zum Nachteil des Kunden Pimco, einer auf Anleihen spezialisierten Fondsgesellschaft, einen Referenzzins für Zinstauschgeschäfte manipuliert habe.
Der Nachfolger von Jain wird sich übrigens nicht nur mit diesen Hinterlassenschaften befassen müssen. Die Deutsche Bank wird demnächst womöglich von amerikanischen Aufsichtsbehörden wieder einmal wegen Hypothekenanleihen herangezogen werden, bei denen es um falsche Angaben gegenüber Investoren beim Verkauf dieser mit riskanten Immobilienkrediten unterlegten Wertpapiere geht.
Bemerkenswerterweise ist die Deutsche Bank in den Untersuchungen wegen Manipulationen am Devisenmarkt aber immer noch ungeschoren geblieben, obwohl Mitarbeiter in New York und London bereits entlassen wurden.8 Der Nachfolger Jains wird jedenfalls einige Zeit brauchen, um das desaströse Bild zu verarbeiten, das sein neuer Arbeitgeber bietet. Die Deutsche Bank stand in ihrer fast 150-jährigen Geschichte wohl noch nie so schlecht da wie heute. Alles liegt am Boden: das Ansehen der Bank in der Öffentlichkeit, der Aktienkurs, die Rendite, die Kapitalisierung, das Vertrauen der Investoren. Man spricht von einem „Ur-Fehler“, der die Bank dort hin gebracht habe:


Die Berufung des früheren Investmentbanking-Chefs Anshu Jain zum Gesamtchef vor drei Jahren.


Das Modell der „Doppelspitze“ gilt als „komplett gescheitert“. Jain hatte Fitschen rasch an den Rand gedrängt, seine Leute aus London in zentrale Positionen gebracht und sich die Bank untertan gemacht. Fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise war er aber der falsche Mann. Jetzt gaben die Regulierer und Risiko-Begrenzer den Ton an. Jain schien aber geglaubt zu haben, dass er immer so weitermachen könne, wie er es gelernt hatte. Deshalb kam er auch zu der katastrophalen Fehleinschätzung, es sei mit einigen kosmetischen Korrekturen getan. Nun hält man es auf einmal für einen fatalen Irrglauben, dass Jain der Richtige hätte sein können, um die Bank in eine neue Zukunft zu führen. Tatsächlich hat er sie in eine völlig falsche Richtung bugsiert. Sein Nachfolger, der Brite Cyran, wird u. a. beweisen müssen, dass er verstanden hat, dass die Deutsche Bank ohne ein starkes Privatkundengeschäft, ohne ausreichende Filialen, ohne Kundenkontakt und ohne gesellschaftliche Verankerung nicht denkbar ist.9
Wie auch immer: Bereits im Sommer 2013 hatte die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin der Deutschen Bank vorgeworfen, die „Zinsaffäre“ mangelhaft aufgearbeitet zu haben. Die FCA berichtete sogar von einer bewussten Falschmeldung auf ihre Anfrage, ob die Systeme und Kontrollen für das Libor-Verfahren angemessen gewesen sind. Ein Mitarbeiter der Deutschen Bank hatte die Frage bejaht, obwohl er wusste, dass dies nicht der Fall war. Man habe auch bewusst wahrheitswidrig erklärt, dass die deutsche Aufsicht die Weiterleitung eines Zwischenberichts der Bafin untersagt hätte. Die Deutsche Bank habe (angeblich „irrtümlich“) die Zerstörung von Tonbändern veranlasst, auf denen Telefongespräche aufgezeichnet waren, deren Archivierung von der FCA verlangt worden war. Jain und Fitschen zeigten unterdessen einen erstaunlichen Großmut, indem sie erklärten, dass sie die Ergebnisse der Aufsichtsbehörden akzeptierten. Sie verwiesen auch auf inzwischen angeblich getroffene Maßnahmen wie etwa die Verbesserung der Kontrollprozesse oder die Archivierung von Aufzeichnungen. Sie behaupteten zwar, dass sie die Angelegenheit bedauerten. Gleichzeitig zeigten sie sich aber zufrieden, die Probleme gelöst zu haben.10
Die Zwischenbilanz war seit der Übernahme der Nachfolge von Ackermann durch Jain und Fitschen im Juni 2012 und dem gleichzeitigen Amtsantritt von Achleitner enttäuschend. Die Bank ist ungeachtet aller Ankündigungen jedenfalls bis jetzt nicht gerade ein „Highlight“ in Sachen Governance und Compliance geworden. Die Rückschläge überwiegen. An der Notwendigkeit grundlegender Neuausrichtungen besteht kein Zweifel. Das Investmentbanking soll nach den Vorstellungen von Achleitner dennoch eine entscheidende Bedeutung behalten. Die deutschen Unternehmen, die in der ganzen Welt (noch) eine führende Rolle spielen, bräuchten eine Partnerbank, die sie dorthin begleiten kann. Zudem soll das Geschäft an den Kapitalmärkten nicht allein den amerikanischen Banken überlassen werden.Vor diesem Hintergrund wird die Geduld erklärbar, die Achleitner für die „Sünden“ der Investmentbanker und deren Kostenfolgen bis dahin aufgebracht hatte.11 Es bleibt jedoch abzuwarten, ob er insoweit die notwendige strategische Intelligenz entwickelt. Sie ist bisher jedenfalls nicht besonders augenfällig geworden. Achleitner war von 2000 bis 2011 Finanzvorstand des Versicherungskonzerns Allianz. Sein Name steht in Verbindung mit der Übernahme der Dresdner Bank. Seine Idee zur Schaffung eines „Allfinanzkonzerns“, kostete seinen damaligen Arbeitgeber sehr viel Geld. Immerhin gelang ihm vor fünf Jahren der Verkauf der Dresdner Bank an die Commerzbank. Das ist übrigens die Bank, die später mit Hilfe vieler Milliarden Steuergelder aufgefangen werden musste.

Konsequenz und Korrumpierung


Am 24. April 2015 traf der damals noch amtierende Vorstand der Deutschen Bank weitreichende Entscheidungen. Der Aufsichtsrat stimmte dessen Vorschlag einstimmig zu, die Trennung von der Postbank in die Wege zu leiten. Dort war man erst 2008 eingestiegen. Die Filialen der Deutschen Bank werden zwar im Konzern bleiben, sollen aber zahlenmäßig erheblich schrumpfen. Unabhängig von der unternehmerischen Sinnhaftigkeit dieser und anderer Maßnahmen ist zukünftig jedoch vor allem qualifiziertere aber auch rechtstreue Führung nötig. Im ersten Quartal 2015 ist der Gewinn vor Steuern um zwölf Prozent auf 1,48 Milliarden Euro gefallen. Alleine für den Libor-Skandal mussten 1,5 Milliarden Euro für Rechtsstreitigkeiten aufgewendet werden. Die absehbar „entkonsolidierte“ Postbank hatte dazu 200 Millionen Euro beigesteuert.
Auf Seiten der Gewerkschaft besteht indessen die Hoffnung, dass die Postbank an die gute Entwicklung der letzten Jahre anknüpfen kann, ohne künftig den Restriktionen einer besonders regulierten global agierenden Bank zu unterliegen, weil andernfalls zu befürchten ist, dass das teure Investmentbanking durch Einsparungen bei der Postbank zu finanzieren wäre. Der von den Aufsichtsbehörden angesichts der entstandenen enormen Risiken weltweit ausgehende Druck zur Erhöhung des Eigenkapitals ist indessen ständig gestiegen. Es soll angeblich verhindert werden, dass wieder einmal die Steuerzahler die Rechnung begleichen, sollten die Geschäfte schiefgehen. Damit wurde vor allem der Handel mit Aktien, Anleihen und Währungen teurer.
Jain hoffte in seiner Amtszeit noch, vom deutlich verringerten Engagement anderer Großbanken wie Barclays oder UBS im Investmentbanking profitieren zu können. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, zumal auch die Minizinsen und die teuren Strafzahlungen die Gewinne belasten. Die Renditen der Deutschen Bank sollten bei zwölf Prozent liegen, betrugen aber zuletzt noch nicht einmal drei Prozent. In dieser Situation war die Einleitung eines Schrumpfungsprozesses wohl alternativlos. Auch im Investmentbanking sollen Geschäfte von bis zu 200 Milliarden Euro wegfallen. Das ist etwa ein Fünftel der gesamten Bilanzsumme. Gleichwohl gibt es Warnungen, dass sich durch den Verkauf der Postbank die Gewichte in Richtung Investmentbanking verschieben werden. Möglicherweise werden die bonussüchtigen Investmentbanker und die braven Betreuer der Privatkunden wieder in die gegenüber liegenden Gräben einziehen, wenn sie überhaupt jemals dort heraus gekommen waren.
Die Privatkunden-Sparte gilt als der eigentliche Verlierer. Aufgrund der beschlossenen strategischen Änderungen dürfte die Deutsche Bank zukünftig noch weniger deutsch sein und endgültig von London aus geführt werden. Im Lager der Privatkunden-Betreuer ist hier und da die Befürchtung aufgekommen, dass die einst stolze Deutsche Bank als Investment-Boutique oder in den Armen einer internationalen Großbank endet.12 Aufgrund des miserablen Aktienkurses hatten Fitschen und Jain seinerzeit aber möglicherweise keine andere Wahl. Sie mussten einen Prozess des Gesundschrumpfens einleiten.
Schon in der Ära Ackermann hatte man offensichtlich nicht verstanden, welche Lehren aus dem 15. September 2008 (Untergang der Lehmann Bank) und der sich daran anschließenden heißen Phase der Finanzkrise zu ziehen waren. Die Deutsche Bank schien damals die Krise zunächst zwar relativ gut zu überstehen. Man sah keine Veranlassung für eine Neuorientierung der Führung. Auch in Sachen Governance und Compliance glaubte man, die gewohnte Lethargie fortsetzen zu können. Unter dem Eindruck der Folgen der Finanzkrise ist inzwischen aber eine zornige Öffentlichkeit entstanden. Sie zwingt Politiker und Regulierer immer mehr, den Banken auf die Finger zu schauen. Sie waren von selbst bislang überwiegend nicht zu realitätsgerechten Einsichten gelangt und müssen jetzt u. a. durch neue Eigenkapitalregeln gezwungen werden, ihre Geschäfte besser abzusichern. Auch das ist eigentlich schon ein Gebot klassischer Governance- und Compliance-Regeln.
Die neuen Regeln betreffen global operierende große Banken natürlich härter als andere. Sie müssen mehr Reserven bilden als ihre kleineren Mitbewerber. Auch in der Deutschen Bank wird man lernen müssen, dass sich zudem die Einstellung der Regulierer selbst in Ländern mit langer Kapitalmarkttradition geändert hat. In den USA und Großbritannien hat sich eine „Null-Toleranz-Politik“ etabliert. Drakonische Strafen sind fast schon an der Tagesordnung. In den Handelsräumen wurden die zuständigen Behörden aber lange Zeit nicht ernst genommen. Insoweit wird die Deutsche Bank noch einen „sinnlichen“ Bezug zu Compliancefragen bekommen. Ihre Führung lernt anscheinend nur durch und unter Schmerzen. Dafür könnte die US-Finanzaufsicht sorgen. Die amerikanische Notenbank verhandelt bereits seit Jahren mit der Nordamerika-Tochter der Deutschen Bank, weil sie deren Finanzberichte für „von geringer Qualität, ungenau und nicht verlässlich“ hält.
Die Deutsche Bank fiel in der zweiten Runde der Stresstests der Federal Reserve wegen Mängeln im Berichtswesen durch. Das ist ein gefährlicher Tatbestand, wenn man weiter im globalen Geschäft der Investmentbanken vorne mitspielen möchte. Die neue Führungsmannschaft der Deutschen Bank wird schneller als die alte lernen müssen, dass sich im Zuge der Finanzkrise zudem beim Thema Zinsen einiges geändert hat. Die Fed und die Europäische Zentralbank glauben, durch die Flutung der Märkte mit billigem Geld eine Deflation verhindern zu können. Die Folgen sind evident: Sparer, die ihr Geld sicher anlegen wollen, bekommen keine Zinsen mehr und zahlen im Zweifel noch drauf. Auch für die Verantwortlichen der Deutschen Bank sollte es nicht allzu schwierig sein zu erkennen, dass in diesem Umfeld eine Postbank, zu deren Kunden überwiegend kleine Sparer und Kreditnehmer zählen, nicht gerade der Königsweg zum Geschäftserfolg ist. Der schrittweise Ausstieg nach nur sieben Jahren geschieht, weil man glaubt, dass nach der Trennung von dieser Tochter die Reservevorschriften leichter zu erfüllen seien. Das Ergebnis dieser Geschäftspolitik ist verblüffend: Die Deutsche Bank wird nach dem Umbau wieder genauso aussehen wie vor der Finanzkrise, nur ein bisschen kleiner. Sie wird wieder eine Investmentbank sein, die sich nebenbei ein Privatkundengeschäft für die gehobene Klientel hält.


Zwischenzeitlich hatten Jain, Fitschen und Achleitner knapp drei Jahre lang erklärt, sie wollten die größte deutsche Bank zur führenden globalen Universalbank machen. Es war ihr Ziel, dass die Deutsche Bank zu den drei größten und besten Banken der Welt gehört. Sie revidierten ihr Ziel aber etwas. Nach einiger Zeit hätte es ihnen genügt, wenn ihr Arbeitgeber unter den ersten fünf gelandet wäre. Dieses Ziel wurde zwar nicht erreicht. Man hat aber womöglich auch nicht komplett versagt, gehört das Institut in manchen Bereichen des Investmentbankings (Handel mit Anleihen, Währungen und Derivaten) global doch zu den drei führenden Instituten. In einer zentralen Hinsicht gilt die Führung jedoch als „krachend gescheitert“. In der Rangliste der wertvollsten Banken der Welt spielt die Deutsche Bank keine Rolle. Gemessen am Börsenwert können die Aktionäre froh sei, wenn ihre Bank unter den fünfzig wertvollsten Banken überhaupt auftaucht. Eines ist also klar: Die neue Strategie der Deutschen Bank ist die alte, vielleicht in etwas strafferer Form. Berechtigterweise wird daher die Frage gestellt, welche strategischen Probleme damit gelöst werden sollen. Für dieses Ergebnis hätten Aufsichtsrat und Vorstand die Bank in der Tat nicht monatelang lahmlegen müssen. Das dort verstreute Führungspersonal hat wohl immer noch nicht ganz verstanden, dass die Deutsche Bank zu wenig Kapital hat und dass die Börse wenig Neigung hat, ihr mehr Geld zu geben. Dennoch scheint das „Strategietheater“ einen Zweck erfüllt zu haben: Nachdem Anfang 2015 die Trennung von der Postbank durchgestochen worden war, kam der Aktienkurs auf Trab. Dieses Spiel über Bande von den Investmentbankern sorgte für Rückenwind an der Börse und entschied vorerst über den Ausgang der Debatte. Dafür dürfte es ab jetzt aber keine großartigen Kurssprünge mehr geben.
Die Absicht, das Geschäft an den Kapitalmärkten nicht alleine den amerikanischen Banken zu überlassen, mag berechtigt gewesen sein. Man sollte aber nicht verkennen, dass ein Großteil des Investmentbankings der Deutschen Bank den deutschen Unternehmen nur wenig dient, etwa der exzessive Handel mit Derivaten. Davon profitieren tatsächlich nur die „Boni-Banker“, nicht die Aktionäre oder Kunden. Wenn Governance, verstanden als Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Balance, nötig ist, dann hier. Jain und Fitschen hatten den Kapitalmarkt hingegen zweimal angepumpt, um höhere Eigenkapitalanforderungen der Aufsicht zu erfüllen und um zu investieren. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie in kurzer Zeit mehr als die fast 12 Milliarden Euro, die sie in zwei Kapitalerhöhungen aufgenommen hatten, verbrannten. Das Geld verdampfte in Rechtsstreitigkeiten, in Verlusten aus toxischen Wertpapieren und in Strafen für Betrug oder Manipulationen in so ziemlich allen Märkten und Ländern. Wie schon erwähnt: Ausgerechnet der vorher verantwortliche Chef der Investmentbanker sollte den „Saustall“ besser ausmisten können als andere. Diese Erwartung konnte jedoch nur solange tragfähig sein, wie Jain keine Kenntnis bestimmter Vorgänge nachzuweisen war. Das muss sich beispielsweise im Fall des Umsatzsteuerbetrugs im Handel mit Emissionszertifikaten aber erst noch zeigen.13 Wie auch immer: In Wahrheit ist eine Wette darauf abgeschlossen worden, dass die Bank das Geschäft mit Beratung, Wertpapieremissionen und Firmenfusionen besser beherrscht, als all die Konkurrenten. Der Erfolg dieser Strategie hängt davon ab, ob der ausgerufene Kulturwandel vor allem im Investmentbanking wirklich stattfindet.14 Alles wird sich danach entscheiden, ob man es schafft, in einem Milieu hemmungsloser Bereicherungssucht Rechtsgehorsam zu üben. Über die Wahrscheinlichkeit eines Gelingens lässt sich nur spekulieren. Damit ist man wieder bei der Kernkompetenz in diesem Bankgeschäft angelangt. Nach den bisherigen Erfahrungen besteht insoweit kein Anlass für Vertrauen in die Fähigkeiten der bis vor kurzem Verantwortlichen. Für sie waren „Governance“ und „Compliance“ bislang vorwiegend englisch beschriftete Etiketten, auf Hindernissen aufgeklebt, die den Weg zur Spitze imaginärer Geldberge unnötig beschwerlich machten. Das muss sich ändern. Inzwischen ist nämlich mehr ins Rutschen geraten als nur der Aktienkurs. Die britischen Aufsichtsbehörden stehen nicht allein, wenn sie die „inakuraten und irreführenden“ Statements als „waghalsig“ kritisieren und sich im Zusammenhang mit den Zinsmanipulationen „besonders beunruhigt“ zeigen, dass die Beteiligten hierarchisch recht weit oben stehen. Die Deutsche Bank hat auch sonst Fakten falsch, unvollständig oder mit Verzögerung weitergegeben. Unverdrossen behauptet Fitschen, Untersuchungen intensiv vorangetrieben zu haben. Über Konsequenzen will man aber erst nachdenken, wenn alle Berichte vorliegen. Die Verantwortlichen scheinen nicht verstanden zu haben, dass aus dem Umgang mit der Vergangenheit ein Problem der Gegenwart und sogar der Zukunft geworden ist.Die Kritik betrifft nicht nur Einzelfälle. Deutsche Staatsanwälte können ein Lied davon singen, wie die Deutsche Bank herumlaviert. Die sehr begrenzte Kooperationsbereitschaft der Bank war der Grund dafür, dass Razzien stattfanden und Verfahren immer länger wurden. Ihre Führung hat einen höchst eigenartigen Blick auf die Welt. Das Verhältnis der Manager drinnen zu den Menschen draußen ist offensichtlich gestört. Ihre Haltung ist neurotisch, wenn das Wesen der Neurose im Auseinanderfallen zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit liegt. Nach derzeitigen Erkenntnissen waren alleine in die Zinsmanipulationen 29 Mitarbeiter verwickelt, ein deutliches Zeichen für Kontrolldefizite und eine tief verwurzelte fragwürdige „Kultur“. Auch US-Behörden werfen Führungskräften vor, dass sie trotz Warnsignalen untätig geblieben sind und nennen u. a. Michele Faissola, Chef der Vermögensverwaltung und Mitglied des operativen Führungsgremiums, der als ein enger Vertrauter Jains gilt. Für diesen bedeutete Verantwortungsübernahme für (zu) lange Zeit allerdings nicht Rücktritt. Er wollte vielmehr sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht. Das kann man auch ganz anders sehen. Es liegt offensichtlich ein Verschulden der Organisation vor. Dann ist aber ein Verantwortlicher gefordert, egal, ob er etwas wusste oder nicht. Stattdessen posaunte Jain seinen Stolz auf die angeblich starke operative Leistung der Bank hinaus und beklagte, dass sie von den negativen Nachrichten, den Überschriften über frühere Rechtsverstöße und „unangebrachtes Verhalten Einzelner“ überdeckt und so der Anspruch, eine führende globale Bank zu sein, konterkariert werde.

Foto: Lemberger


Fitschen hatte seinerzeit noch erkannt, dass da noch einiges zu tun ist. Sein damaliger Kollege Jain hatte zwar eingeräumt, dass „Fehler“ gemacht wurden. Man habe aber daraus gelernt. Er erinnerte sich immerhin auch noch selbst daran, dass er Leiter des Investmentbankings war und wollte sich angeblich nicht im Nachhinein rausreden. Jain behauptete, dass er der Bank am besten dadurch dienen könne, indem er deren Probleme löst, sie neu aufstellt und ihre Leistung optimiert. Diese „Mission“ sei noch nicht zu Ende.15
Nach der Aufsichtsratssitzung vom 20. Mai 2015 und der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 war dagegen zunächst die Mission des einen oder anderen Kollegen beendet worden.
Weitere Konsequenzen traten wenige Tage danach ein. Zunächst musste aber der für das Privatkundengeschäft zuständige und allseits geschätzte Rainer Neske seinen Stuhl räumen, der künftig von Christian Sewing besetzt wird.16 Seinen Posten als Rechtsvorstand soll er allerdings auch noch behalten. Strategie- und Finanzvorstand Stefan Krause übernimmt die Verantwortung für den Zahlungsverkehr und die Handelsfinanzierung sowie die konzerninterne „Bad-Bank“. Seine bisherige Zuständigkeit für „Strategie“ sollte von Jain höchstselbst übernommen werden. Neuer Finanzvorstand ist Marcus Schenck. Insgesamt hat sich die Zahl der Vorstandsmitglieder von acht auf sieben verringert. Aus dem erweiterten Vorstand mussten Alan Cloete, Chef der Asien-Pazifik – Region und wegen seiner Rolle im Tatkomplex „Libor“ heftig kritisiert, der Großbritannien-Chef Colin Grassie sowie Christian Ricken, bis dahin Stellvertreter des Privatkundenvorstands Neske, ausscheiden. Nach diesen Rochaden schien es zunächst so, dass Jain maßgeblich gestärkt und Fitschen geschwächt wurde. Diese damals als bemerkenswert geltende Machtverschiebung entsprach dem bis dahin von Jain geprägten neuen Kurs der Deutschen Bank, die sich zukünftig stärker auf die Firmenkunden, vermögende Privatkunden und auf das Investmentbanking konzentrieren sollte. Sie sollte (dennoch) eine „Universalbank“ bleiben. Diese Personalentscheidungen wurden indessen so interpretiert, dass Jain nach dem Auslaufen des Vertrags von Fitschen, also in spätestens zwei Jahren, die Deutsche Bank eigentlich alleine führen sollte. Es war jedoch schon damals höchst zweifelhaft, ob dieser indisch stämmige in London sozialisierte und mit sehr überschaubaren Deutschkenntnissen ausgestattete Investmentbanker, in dessen Amtszeit sich existenzbedrohende Risiken aufgebaut hatten und enorme wirtschaftliche Schäden entstanden sind, der richtige Kandidat für eine derartige Aufgabe war.

Götterdämmerung


Auf der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 wurde die Frage nach der Eignung des Führungspersonals endlich sehr laut gestellt. Mächtige Fondsgesellschaften und Aktionärsgruppen hatten nicht nur Jain heftig angegriffen. Sie entzogen ihm und Fitschen gleichermaßen das Vertrauen. Die Attacken gingen weit über das in Hauptversammlungen Übliche hinaus. Jain mag ein hochintelligenter Manager gewesen sein. Viele bezweifeln aber, dass er ein politischer Kopf ist, der nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch jene des Landes im Blick hat. In Deutschland war dieser Banker jedenfalls nie angekommen.17 Es ist immer noch nicht erkennbar, ob dies jemals zu seinen leidenschaftlich verfolgten Ambitionen gehörte. Wie auch immer: Im Vorfeld der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 schien Achleitner als Aufsichtsratsvorsitzender erst einmal Handlungsstärke beweisen zu wollen. In Wahrheit reagierte er aber nur auf enormen Druck. Nicht nur die britische Aktionärsberatung „Hermes Equity Ownership Services“ hatte dem bis dahin amtierenden Vorstand das Misstrauen ausgesprochen. Wichtige Stimmrechtsberater wie „Institutional Shareholder Service“, „Glass Lewis“ und die deutsche „Ivox“ rieten den Anteilseignern, die Entlastung zu verweigern.
Die Ausgangslage war für das Management der Deutschen Bank unmittelbar vor der Hauptversammlung dennoch nicht ganz ungünstig. Anders als bei vielen anderen Dax-Unternehmen befinden sich bei der Deutschen Bank nennenswerte Anteile nicht in der Hand von Großaktionären. 94 Prozent der Aktien liegen in Streubesitz. Das Management musste für eine Entlastung gar nicht so viele Anteilseigner für sich gewinnen, weil in Deutschland bei Hauptversammlungen in der Regel nur 30 bis 40 Prozent des stimmrechtsfähigen Kapitals anwesend sind. Sind insgesamt nur 15 bis 20 Prozent der Aktionäre für eine Entlastung, reicht dies jedenfalls formal aus. Dies galt auch unmittelbar vor Beginn der Eröffnung der Hauptversammlung als ausreichend, da drei der großen Aktionäre, die als Unterstützer von Jain und Fitschen galten, schon zusammen rund 14 Prozent der Anteile halten. Dazu zählt die US-Fondsgesellschaft „Blackrock“, deren Chef Larry Fink mit Jain sehr befreundet sein soll. Die „Paramount Services Holding“ aus Katar und die „Deutsche Asset Management Americas“, die konzerneigene Vermögensverwaltung, schienen ebenfalls eng mit Jain verbunden gewesen zu sein.18
Einen Tag nach der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 verfiel die Deutsche Bank zunächst in Schweigen. Die Anteilseigner hatten ihrer Führung ein beispielloses Misstrauen ausgesprochen. Nie zuvor hatten 39 Prozent der Aktionäre dem Vorstand die Entlastung verweigert. Selbst langjährige Beobachter konnten sich an eine derartige Ohrfeige nicht erinnern.19 Als normal gelten Ablehnungsquoten von einem, zwei, höchstens einmal fünf Prozent. Schlimmer noch: Die Verweigerung kam diesmal nicht von ein paar krakeelenden Kleinaktionären, sondern von Großinvestoren und Aktionärsberatern, denen die ganze Richtung nicht passt. Das ist für die Deutsche Bank eine echte Bedrohung. Von dort kommt nämlich etwas für sie Unverzichtbares: Kapital. Jain und Fitschen konnten damals nur noch entlastet werden, weil so wenige Aktionäre anwesend waren. Bei dem Tagesordnungspunkt „Entlastung“ stimmten nur 30 Prozent mit. Ein großer Teil der Zustimmung kam von der Fondsgesellschaft „Blackrock“ und vom Scheich von Katar, bis dahin notorische Freunde des Managements.20 Kurz vor der Hauptversammlung hatte Jain noch zuversichtlich herumgetönt, dass die Unterstützung der Investoren stark sei. Am Tag danach war immerhin klar, dass es keine weitere Chance geben wird. Weder die Vorstandsvorsitzenden noch der Aufsichtsrat hätten sich auf einer Hauptversammlung eine weitere Schlappe erlauben können. Wenige Tage später forderten sowohl Mitarbeiter als auch Aktionäre auf einem Flugblatt den Rücktritt von Jain, weil er als ehemaliger Chef des Investmentbankings die vielen Rechtsrisiken und Milliardenstrafen zu verantworten habe.21
Die „Strategie 2020“ galt als demaskiert und wurde als Stärkung des Investmentbankings zu Lasten des Privatkundengeschäfts verstanden. Die Kritik an der Macht der angelsächsisch geprägten Investmentbanker innerhalb der Bank und den von ihnen verschuldeten hohen Strafzahlungen zog sich seinerzeit auf der Hauptversammlung durch die Redebeiträge fast aller Anteilseigner. Die Rekordstrafe wegen der Manipulationen am Referenzzinssatz Libor wurde als Schlag in das Gesicht des propagierten Kulturwandels bezeichnet.22 Die Aktionäre zahlten die Zeche für die Casino-Zockereien der Investmentbanker der Deutschen Bank. Man artikulierte die Furcht, dass die Bank den Investmentbankern dauerhaft in die Hände fällt, sie aber ihr Ertragsversprechen vor allem gegenüber sich selbst und nicht gegenüber der Bank einlösen. Folgt man einem Kommentator, dann drückte sich in dem Applaus für den scheidenden Privatkundevorstand Neske nicht nur Anerkennung für ein Vierteljahrhundert guter und loyaler Arbeit aus, sondern auch Wehmut angesichts des von ihm verlorenen Machtkampfs gegen die Investmentbanker. Berechtigt erschien dann auch die Frage, warum die Postbank noch ein Jahr früher als Bestandteil der Deutschen Bank gerühmt und nun als Fremdkörper beschrieben wurde. Furcht besteht auch insoweit, dass eine Bank, die in 7000 Rechtsstreitigkeiten verwickelt ist und unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, nicht nur schlecht geführt wird, sondern auch ihr in fast 150 Jahren aufgebautes Ansehen verspielt. Und natürlich kam auch die Furcht auf, dass die Deutsche Bank die versprochene Wende zum Besseren vielleicht nicht schafft. Bessere Jahresergebnisse und ein höherer Aktienkurs werden jedenfalls nicht genügen, um die Entfremdung zwischen der Deutschen Bank und einem nicht geringen Teil der deutschen Öffentlichkeit zu überwinden. Entscheidend war in der Tat die Frage, wie lange man Jain noch als den richtigen Mann betrachten würde, der die Reputation der Bank und ihrer Führung verbessern kann. Die Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 hat deutlich gemacht, dass viele Aktionäre nicht dieser Meinung waren.23 Jain und Fitschen schienen die Botschaft aber erst zwei Wochen später verstanden zu haben.

Finale


Am Sonntag, dem 7. Juni 2015 war der Paukenschlag nicht nur in der Bankenwelt zu hören. Am „Tag danach“ war den Titelseiten der Zeitungen zu entnehmen, dass Jain die Deutsche Bank zum Ende des gleichen Monats verlassen, aber von Juli 2015 bis Januar 2016 als „Berater“ zur Verfügung stehen würde. Fitschen hingegen soll bis zur nächsten Hauptversammlung im Frühjahr 2016 an Bord bleiben und dann die Bank verlassen.
John Cryan, wiederum ein Brite, wird wohl im Juli 2016 der alleinige Nachfolger werden. Der Aufsichtsratschef Achleitner konnte es sich nicht verkneifen, den bisherigen Vorstandsvorsitzenden dafür zu danken, dass die Deutsche Bank ihre (angeblich) weltweite Führungsposition aufgrund des jahrzehntelangen Einsatzes von Jain und Fitschen erreicht habe. Die Rücktrittsentscheidung zeige zudem auf beeindruckende Weise deren Einstellung, die Interessen der Bank vor ihre eigenen zu stellen. Es ist fraglich ist, ob Achleitner noch weiß, was er redet, hatte Jain doch – was inzwischen jeder wissen dürfte – zehn Jahre lang das Investmentbanking des Konzerns geleitet, also jene Sparte, in welcher der Großteil der „Skandale“ geschehen ist, deren juristische Aufarbeitung die Bank inzwischen annähernd einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet hat. Bis jetzt sind Jain allerdings immer noch keine persönlichen Verfehlungen nachzuweisen. Immerhin steht schon fest, dass es angesichts der hohen Strafzahlungen und der zu geringen Verringerung der Kosten im operativen Geschäft Jain und Fitschen nicht gelungen ist, die Ertragsschwäche der Deutschen Bank zu überwinden. Strategische Entscheidungen (z. B. Verkauf der Postbank; Schließung von ca. 200 Filialen; neue Aufgabenverteilung im Vorstand) blieben weitgehend wirkungslos.
Der Führungswechsel gilt als „überhastet und verkorkst“. Die Deutsche Bank erweckt den Eindruck, als ob sie fast hilflos nach einem neuen Geschäftsmodell sucht. Ein umfassender Neuanfang ist nicht in Sicht. Der in peinlicher Bemühtheit immer wieder propagierte „Kulturwandel“ ist nicht geglückt. Selbst konservative Mittelständler sprechen über die Deutsche Bank mit Hohn und Spott. Was soll man auch von einer Führungskraft wie Jain halten, der immer wieder darüber herumfaselte, dass er für das Verhalten der von ihm zu führenden Mitarbeiter im Investmentbereich die Verantwortung trägt, aber selbst keinerlei Konsequenzen ziehen wollte. Mit dieser Einstellung hätte er auch als Politiker eine veritable Karriere machen können.
Auch der Aufsichtsrat scheint den Schuss noch nicht gehört zu haben. Der Verbleib des Vorstandsvorsitzenden Fitschen im Amt zeigt, dass jedenfalls zunächst kein Neuanfang stattfindet. Das alte System wird einfach nur fortgesetzt. Eine „lahme Ente“ (Fitschen) soll einen international geprägten Manager mit britischem Pass, der in der „Welthochfinanz“ zu Hause ist, einarbeiten und sich gleichzeitig für den Vorwurf des versuchten Betrugs vor einem deutschen Strafgericht verantworten. Insoweit wird teilweise die Tradition des Vorgängers Josef Ackermann fortgesetzt, der im „Mannesmann-Prozess“ vor einem Strafgericht in Düsseldorf seinen Mann gestanden hatte. Anders als Ackermann haben seine Nachfolger aber nicht durchgehalten. Ihre Ablösung erfolgte in einem kommunikativen Durcheinander ziemlich abrupt. Das passte allerdings zu dem Wirklichkeitsverlust, den mindestens Jain erlitten haben muss, da er – wie bereits angedeutet – wenige Tage vor der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 tatsächlich noch behauptete, dass er auf dieser Veranstaltung eine starke Unterstützung der Investoren erwartete. Deren Trommelfeuer hat aber wenig später hoffentlich auch bei diesem Manager einen Lerneffekt ausgelöst. Es steht jedoch zu vermuten, dass dieser nicht allzu lange andauern wird. Immerhin kann Jain seine auch nicht sehr überzeugenden Versuche einstellen, die deutsche Sprache zu erlernen. Dann wird er auch seinen angeblich „angegriffenen Gemütszustand“24 besser konsolidieren können. Der 52 Jahre alte Manager wird sich in jedem Fall mit seinen Karrieraussichten trösten können. Er ist in der britischen und amerikanischen Finanzszene gut vernetzt und könnte ohne weiteres einen eigenen Hedgefonds gründen. Jain verfügt – wie schon erwähnt – über besonders enge Beziehungen zum Vorstandsvorsitzenden des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock und zu dem „Starinvestor“ Warren Buffet.25 Um Jain muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen. Das ist beim Geisteszustand des Aufsichtsrats der Deutschen Bank schon wieder anders. Einen Tag vor der verheerenden Abstimmung auf der Hauptversammlung vom 21. Mai 2015 hat es diesem Gremium noch gefallen, diesem (ehemals) führenden Mitarbeiter sogar noch die Zuständigkeit für das Ressort „Strategie“ zu übertragen. Die Erarbeitung einer Strategie war zuvor verpatzt worden, obschon deren Notwendigkeit seit dem vergangenen Jahr offensichtlich war.26


Dem Nachfolger Cyran wird indessen bescheinigt, dass er sich auf kommenden Hauptversammlungen in deutscher Sprache mitteilen könne, sehr intelligent, sehr ruhig, sehr ehrlich, ja sogar „anständig“ sei, überlegt handele und viel Vertrauen bei den Investoren genieße, das er sich in seiner Zeit als Finanzchef der UBS erarbeitet habe.27 Damit hätte er einiges, was der Deutschen Bank fehlt.28 Angeblich hat er mit seinen bohrenden, aber im Ton sachlichen Fragen in jüngerer Zeit mehr und mehr die Hochachtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Achleitner gewonnen und galt deshalb, obwohl er noch nie eine Bank geführt hat, seit mindestens einem Jahr als Kandidat für den Sprung von der Kontrolleursbank auf die Vorstandsbank.29 Damit haben sich auch immer wieder kehrende Gerüchte erledigt, dass der Verwaltungsratsvorsitzende der UBS, Axel Weber, einen Ruf von der Deutschen Bank erhalten könnte.30
Der Österreicher Achleitner hat den Engländer Cyran jedenfalls nicht aus dem Hut gezaubert. Er ist angeblich davon überzeugt, dass nur eine Rückkehr zu den Wurzeln der Deutschen Bank, der internationalen Finanzierung von Unternehmen, die Zukunft sichern kann.31 Damit stellt sich die Frage, ob ausgerechnet die schweizerische Großbank UBS, die vor dem Ausbruch der Finanzkrise als eine der besten Banken der Welt galt und die der Schweizer Ackermann als „Vorbild“ für die Deutsche Bank bezeichnet hatte, die aber nach Beginn der Finanzkrise ihren vorbildhaften Charakter schnell verloren hatte, weil ihr global aufgestelltes Investmentbanking zu schwer getroffen worden war, jetzt wieder exemplarisch sein kann.
Der deutsche Staatsbürger und ehemalige Chef der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, hat sich bei der UBS hingegen für eine klare Schwerpunktsetzung entschieden. Diese Bank ist einer der führenden Vermögensverwalter der Welt. Sie agiert nicht nur in der Schweiz als Universalbank und betreibt global Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarktgeschäfte, hat aber ihren früheren Anspruch aufgegeben, eine der führenden Banken zu sein. Eine derartige zukunftsorientierte Schwerpunktsetzung ist bei der Deutschen Bank nicht erkennbar. In der Vermögensverwaltung ist sie zwar sehr gut vorangekommen. Sie ist aber global keine erstrangige Kraft. Bei der Abwicklung von Finanzgeschäften („Global Transaction Banking“) gilt „Die Deutsche“ indessen als „mindestens respektabel“, aber nicht als „Weltspitze“. Sie betreibt Filialgeschäfte nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Italien und Spanien. Im Investmentbanking wird ihr in erster Linie die Ausrichtung und die Mentalität eines sehr großen, global agierenden Handelshauses zugeschrieben, wohlwissend, dass gerade das Handelsgeschäft durch neue Regulierungen an Attraktivität verloren hat.
Die Deutsche Bank steht jetzt vor der Herausforderung, ihren Geschäftsbetrieb effizienter zu gestalten. Bislang ist sie niemals primär über die Kostenseite gesteuert worden. Das entsprach der Attitüde einer Bank in der Expansion, die bereit war, mit Blick auf die erhofften Erträge und Marktanteile hohe Kosten zu akzeptieren. Das ist – in Verbindung mit der Händlermentalität großer Teile der Mitarbeiter – aus der Sicht der Aktionäre ein Grund, warum das Investmentbanking viel weniger erbracht hat als erhofft. Manche sehen den Grund für das Scheitern von Jain und Fitschen vor allem darin, dass sie einer Konsolidierung das Wort redeten, sie aber nicht konsequent lebten.
Als „das“ Problem der Deutschen Bank gilt, dass sie nicht sehr viel margenstarkes Geschäft besitzt. Höhere Erträge würden eine erhebliche Geschäftsausweitung erfordern, die aber durch die Eigenkapitalausstattung beschränkt ist. In solch einer Situation bleibt in der Tat wohl nur Kostenoptimierung. Für eine Reduzierung überzogener Ansprüche ist eine bodenständige Führung erforderlich, die im Idealfall auf Deutsch und Englisch „Nein“ sagen kann. Der Deutsche Axel Weber hat das vorexerziert. Der Engländer Cyran wird diesem Beispiel folgen müssen – bei der „Deutschen“ Bank.32 Sie wird sich entscheiden müssen: Will sie eine an die Realwirtschaft gekoppelte international orientierte Bank der deutschen Wirtschaft sein oder endgültig zu einem „globalen Spieler“ mutieren, der zwischen London, New York, Tokio und Hongkong das ganz große Rad dreht?33 Es gab einmal eine Zeit, in der sich diese „Deutsche“ Bank dem Land, also der Nation, verpflichtet fühlte. Jain ist auch deshalb gescheitert, weil er mit Deutschland und dessen Sprache allzu sehr gefremdelt hat. Er und sein (deutscher) Mittäter wollten anscheinend die durch das Land geprägte Geschichte dieser Bank hinter sich lassen und ein „deutsches Goldman Sachs“ schaffen, also eine international tätige Investmentbank ohne große nationale Bindung.34 Das ist gescheitert. Und das ist auch gut so. Immerhin gab es unmittelbar nach den Rücktrittsankündigungen ermutigende Zeichen. Der Aktienkurs ist einen Tag später in der Spitze um 8 Prozent nach oben gesprungen. Das mag man als Vorfreude auf die neue Führung auslegen. Es ist aber sicher auch eine Ohrfeige für die alte Führung der Deutschen Bank, die damit ihren Unternehmenswert kurzfristig um fast 3 Milliarden Euro gesteigert hatte. Vor allem für Jain, der wie kein Zweiter das Urteil der Kapitalmärkte für unfehlbar und maßgeblich hält, dürfte das bitter gewesen sein. Keine Nachricht in seiner drei Jahre währenden Amtszeit als Ko-Vorstandsvorsitzender hatte den Aktienmarkt mehr begeistert als sein Rücktritt. Am Abend des 8. Juni 2015 lag der Kurs immer noch 3, 6 Prozent im Plus.35Mit dem Wechsel an der Spitze hat sich die Deutsche Bank bei dem Versuch, verlorenes Ansehen zurückzugewinnen zwar vielleicht etwas Luft verschaffen können. Das dürfte aber nichts daran ändern, dass sich die Mitarbeiter der größten Bank in Deutschland weiter wie Ausgestoßene fühlen müssen. Als „gute“ Bank wird sie schnell profitabler werden und ihre Strategie konkretisieren müssen. Dazu gehört insbesondere eine Neuausrichtung des Investmentbankings, das sich geradezu als kriminogenes Milieu darstellt. Die Bank wäre auch gut beraten, wenn sie sich stärker um ihre deutschen Kunden bemühte, statt auch noch dem letzten Hedgefonds in New York gefallen zu wollen. Die Verantwortlichen sollten auch sehr rasch ihr (Nicht-)Kooperationsverhalten gegenüber den Ermittlungsbehörden ändern. Sie sollten auch alles tun, um zu vermeiden, dass ständig neue Vorwürfe, wie etwa die jüngeren wegen Geldwäsche, erhoben werden. Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, dass dem neuen Co-Chef John Cryan schon so viele Vorschusslorbeeren zuteil werden.36 In der obersten Etage der Bank gilt dieser Engländer gar als „eierlegende Wollmilchsau“.37 Man wird vielleicht schneller als es manchem lieb ist, erfahren, ob diese Klassifikation zutrifft.
Tatsächlich wollen nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Investoren, Kunden und letztlich die gesamte deutsche Öffentlichkeit wissen, wie Cyran die Deutsche Bank aus der größten Krise ihrer Geschichte herausführen will. Er machte in einem veröffentlichten Brief anlässlich seines Dienstantritts am 1. Juli 2015 deutlich, dass dies kein Spaziergang wird und die 100 000 Mitarbeiter sich auf weitere Personalentscheidungen einstellen müssen. Er verzichtete bei dieser Gelegenheit auf den Begriff „Kulturwandel“, den Jain und Fitschen wie eine Monstranz vor sich herzutragen pflegten. Das „Narrativ“, dass man mit ein paar Mitarbeiterseminaren der partiell kriminellen Geschäftspraxis ein Ende bereiten könnte, hat also ausgedient. Aus der Sicht des neuen Chefs hatte man sich zu sehr nach innen ausgerichtet und war dadurch noch bürokratischer geworden. Cyran sprach von „schwerwiegendem Fehlverhalten“, „hohen Strafzahlungen“ und „langsamen Entscheidungsprozessen“. Er scheint dennoch an der umstrittenen „Strategie 2020“ festhalten zu wollen. Weitere Details zu dieser Strategie sollen aber erst im Oktober 2015 veröffentlicht werden. In jedem Fall sollen das Geschäftsmodell vereinfacht und die Kosten gesenkt werden. Selbst der Investmentbereich soll verkleinert werden. Aus dem Antrittsschreiben von Cyran ging jedenfalls hinreichend deutlich hervor, dass der Rücktritt seines Vorgängers Jain auch etwas mit den Feststellungen zu tun gehabt haben muss, die in dem Bericht der Bafin über die bekannten Zinsmanipulationen enthalten sind. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass Jain auch eine Mitverantwortung für den schon erwähnten obszön hohen Bonus (80 Millionen Euro!!!) für den „Starhändler“ Christian Bittar trägt, auch wenn die Deutsche Bank sich unverdrossen bemüht, diesen Vorwurf zurückzuweisen.38

Endlosschleife


Der erwähnte Paukenschlag war noch nicht ganz verhallt, als nur zwei Tage danach, am 9. Juni 2015, wieder einmal Staatsanwälte und Polizisten mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss um Einlass in die Frankfurter Zentrale der Deutschen Bank baten, ein Vorgehen, an das man sich jetzt vielleicht schon etwas gewöhnt hat. Nun finden aber zum ersten Mal wegen „Cum-Ex-Aktiendeals“ Ermittlungen in der Deutschen Bank statt. Bei diesen Geschäften soll der Fiskus systematisch betrogen worden sein. Ihre heutigen Beschäftigten gehören nach dem bis jetzt bekannten Ermittlungsstand zwar nicht zu den Beschuldigten. Das Institut als solches scheint aber dennoch in den Fall verwickelt zu sein. Einige frühere Manager der Deutschen Bank sollen sich mit einer Gesellschaft in Luxemburg selbständig gemacht und dort die genannten Deals betrieben haben. Daran soll auch die Filiale der Deutschen Bank in London beteiligt gewesen sein. Die Bank hat angeblich einer an dem Handel beteiligten Firmen bescheinigt, Kapitalertragssteuern an den Fiskus abgeführt zu haben, die gar nicht gezahlt worden seien. Nun ist der Verdacht aufgekommen, dass die Beschuldigten versucht hätten, sich mit Hilfe dieser Bescheinigungen nicht entrichtete Abgaben vom Fiskus erstatten zu lassen.
Beim Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende haben sich in der Vergangenheit allerdings zahlreiche Banken und Fonds eine nur ein Mal gezahlte Kapitalertragssteuer von den Finanzämtern mehrmals zurückgeben lassen. Der dadurch entstandene Schaden für die Allgemeinheit soll sich auf mehr als 10 Milliarden Euro belaufen. Erst nach 2012 wurde die Gesetzeslücke geschlossen, die solche Geschäfte ermöglichte. Nun haben bei mehreren Banken, nicht nur bei der Deutschen Bank, Prüfungen zur Strafbarkeit solcher Geschäfte begonnen. Die zuständige Finanzbehörde hatte die Deutsche Bank schon vor einigen Jahren gebeten, Auskünfte zu bestimmten Aktiendeals zu erteilen, um zu klären, ob auch diese Bank ihren Kunden zu Unrecht bescheinigte, Kapitalertragssteuern abgeführt zu haben. Die Bank hat schon im März 2012 behauptet, dass sie in bestimmten Fällen weder prüfen konnte noch musste, ob diese Steuern auch an den Fiskus überwiesen wurden. Sie ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber bis 2012 die Gesetzeslücke billigend in Kauf genommen habe und deshalb insoweit die Politik verantwortlich sei. Auf Behördenseite wird hingegen die Meinung vertreten, dass die Bank ihre Geschäfte viel konsequenter hätte untersuchen müssen. An der Börse war man über das erneute Auftreten von Polizei und Justiz jedenfalls nicht amüsiert. Nach den Meldungen über die Razzia sank der Aktienkurs deutlich und verlor bis kurz vor Handelsschluss 3,3 Prozent.

Schlussbemerkungen


Ende Mai 2015 wurde bekannt, dass sich sechs der weltgrößten Banken mit dem Justizministerium in Washington und weiteren amerikanischen sowie britischen Behörden wegen ihres rechtswidrigen Verhaltens beim Handel mit Devisen auf die Zahlung von zusammen rund 5,8 Milliarden Dollar geeinigt haben. Diese „Geldbußen“ sind den Strafen hinzuzurechnen, die in Höhe von 4,3 Milliarden Dollar schon im November 2014 in den USA, Großbritannien und der Schweiz verhängt worden waren.
Die Banken hoffen, dass sie mit diesen exorbitant hohen Zahlungen einen weitgehenden Schlussstrich unter die seit 2013 laufenden Ermittlungen im Devisenmarkt ziehen konnten. Citigroup, JP Morgan Chase, Barclays und RBS haben sich schuldig bekannt, die Wechselkurse von Euro und Dollar manipuliert zu haben. Zwischen Dezember 2007 und Januar 2013 trafen Devisenhändler dieser Banken in einem nur für Mitglieder zugänglichen elektronischen „Chatroom“ illegale Absprachen zur Beeinflussung der Devisenkurse. Erstaunlicherweise ist die Deutsche Bank an den jüngsten „Vergleichen“ (noch) nicht beteiligt, obschon sie einer der größten Devisenhändler der Welt ist. Immerhin wurden schon einige ihrer Mitarbeiter wegen Fehlverhaltens aus dem Devisenhandel entlassen. Dennoch ist die Bank von den Aufsichtsbehörden bisher noch nicht in die erste Reihe der Verdächtigen befördert worden. Nun ermittelt aber die Bankenaufsicht von New York seit Dezember 2014 wegen des Verdachts, dass auf den Handelsplattformen ein Algorithmus eingesetzt wurde, der „Tricksereien“ erleichtern konnte. Dieser Verdacht trifft allerdings nicht nur die Deutsche Bank, sondern auch Barclays.
Die Briten haben sich im Devisenfall bereit erklärt, 2,3 Milliarden Dollar zu zahlen, der bislang höchste Tribut. Zudem müssen sie 115 Millionen Dollar für Manipulationsversuche im Geschäft mit Zinsswaps („Isdafix“) berappen und sich von insgesamt acht Mitarbeitern trennen.
Die Schweizer (USB) müssen eine Strafe von insgesamt 545 Millionen Dollar bezahlen. Im November 2014 hatten sie bereits 800 Millionen Dollar herausrücken müssen. Von der neuen Geldbuße wegen der Manipulationen am Devisenmarkt fließen 342 Millionen Dollar an die amerikanische Notenbank.
Unter all den Strafzahlungen war jene für die Manipulation am Devisenmarkt zwar nicht die höchste (die Rede ist von neun Milliarden Dollar). Unter all den Betrügereien der Banken war diese Manipulation dafür aber sicher die unverschämteste. Dabei haben Händler einzelne Kunden mit großer Kaltschnäuzigkeit herausgepickt und in den Verlust manövriert. Sie hatten den besten Überblick über die Auftragslage am Markt zumal sie sich – aus mehreren Banken kommend – verständigten. Diese organisiert operierenden kriminellen Banker gruppierten Kundenaufträge über den Tag so, dass der Preis, zu dem das Devisengeschäft für einen besonders großen Kunden abgerechnet wurde, systematisch in die für diesen Kunden verlustreiche Richtung gedrückt wurde. Im Falle einer Vorbereitung besonderer Gegengeschäfte seitens der Kunden, die so potenzielle Verluste begrenzen wollten, führten die Händler sogar die Verluste gezielt herbei, um beim nun fälligen Gegengeschäft abzukassieren. Hier taten sich die Gangster der Bank of America, von Barclays, J. P. Morgan, RBS und UBS besonders hervor. Angeblich gehörte die Deutsche Bank aber nicht zu diesem „erlauchten“ Kreis. Der Betrug lief über Jahre fast täglich, auch nachdem die Manipulation des Geldmarktzinses Libor aufgeflogen war, die Banken Besserung gelobt und einen „Kulturwandel“ beschworen hatten. Manipulierte Wechselkurse, getürkte Zinssätze, Beihilfe zur Geldwäsche und Steuerhinterziehung sind Teile eines langen „Sündenregisters“ zahlreicher Geldhäuser. Neueren Berechnungen von Analysten der amerikanischen Bank Morgan Stanley zufolge werden die 25 größten Institute in Europa und den USA in den Jahren 2015 und 2016 über die genannten Zahlen hinaus weitere 70 Milliarden Dollar (ca. 59 Milliarden Euro) für Strafen und Entschädigungszahlungen aufwenden müssen. Damit würden die Gesamtkosten seit 2009 auf 300 Milliarden Dollar steigen.
In Europa steht die Deutsche Bank indessen in anderer Hinsicht an vorderster Front. Neben den britischen Konkurrenten Barclays und Royal Bank of Scotland hat sie nach Einschätzung der amerikanischer Analysten die höchsten ungedeckten Rechtsrisiken. Ihr drohen bis 2016 weitere Rechtskosten von 5,1 Milliarden Dollar, zusätzlich zu den bisher schon aufgelaufenen 8,5 Milliarden Dollar. Neben den 6000 - 7000 Rechtstreitigkeiten ist die größte deutsche Bank in 180 aufsichtsrechtliche Untersuchungen verwickelt. Allein im dritten Quartal 2014 entstand ihr dadurch ein Aufwand von 894 Millionen Euro, der sie in die Verlustzone drückte. Ihre nicht auszuschließende Verwicklung in die Manipulation von Devisenkursen zählt zu den großen Unwägbarkeiten. Im November 2014 hatten immerhin schon sechs andere Banken wegen organisierter und systematischer „Tricksereien“ im Währungshandel Geldbußen in Milliardenhöhe gezahlt. In diesem Bereich ist die Deutsche Bank einer der globalen Marktführer! Neueren Pressemeldungen zufolge wächst im Skandal um die weitreichenden Manipulationen am Devisenmarkt der Druck auf die Deutsche Bank. Der New Yorker Anwalt Michael Hausfeld teilte Mitte August 2015 mit, dass andere Marktteilnehmer die Deutsche Bank als einen der Beteiligten an unerlaubten Absprachen genannt haben. Die Identität der Belastungszeugen wollte Hausfeld aber (noch) nicht preisgeben. Wie üblich war die Deutsche Bank zunächst nicht bereit, die neuen Vorwürfe zu kommentieren. Allerdings hat sich die Bank seit Bekanntwerden des Skandals von einer Reihe von Währungshändlern getrennt.39Neben dem Fehlverhalten bei den Devisenkursen und dem Zinssatz Libor werden die Geschäfte mit Hypothekenpapieren für die Bankbranche zukünftig jedenfalls noch teurer werden. In Europa und Amerika rechnet man wegen der genannten Rechtsrisiken bis 2016 mit Kosten von mehr als 30 Milliarden Dollar. Die juristischen Probleme im Hypothekenmarkt haben die Banken bis Ende 2014 schon rund 90 Milliarden Dollar gekostet. Der größte Anteil entfiel auf die amerikanischen Institute „Bank of America“, „Merill Lynch“ und „JP Morgan“. Es kursieren Zahlen, wonach sich die Strafzahlungen für all den Lug und Trug, den sich die Banken über viele Jahre geleistet haben, mittlerweile auf mehr als 230 Milliarden Dollar summieren.40 Diese Beträge kommen für die Stärkung des Eigenkapitals und für Kreditvergaben nicht mehr in Betracht.
Nach der jüngsten jährlichen Studie des britischen Instituts „CCP Research Foundation“ sind den 16 größten Banken der Welt zwischen 2010 und 2014 für Strafzahlungen, Vergleiche sowie andere Rechtsfälle Kosten in Höhe von 205,6 Milliarden Pfund (214 Milliarden Dollar) entstanden. Das entspricht im Vergleich zur Vorjahresstudie einer Steigerung von fast 20 Prozent. Vor diesem Hintergrund sind Zweifel an der These aufgekommen, dass es sich bei den Strafzahlungen nur um Nachwehen der Finanzkrise handelt. Die Bank of America und JP Morgan Chase stemmen mit 100 Milliarden bzw. 50 Milliarden Dollar fast die Hälfte der Gesamtsumme.
Diese Zahlen offenbaren eine Symptomatik, die daran zweifeln lässt, dass sich das Verhalten der Banken zum Besseren verändert hat. Im Gegenteil: Die nächsten Wellen rollen heran.41 Wie auch immer: Die Zukunft der Deutschen Bank ist in ein diffuses Licht getaucht. Gerade ist es politisch fast unmöglich, etwas Gutes über diese Bank zu sagen, weil sie mit ihren Affären und Prozessen die Erinnerung an die Zockerei vor der Finanzkrise wachhält. Ökonomisch ist kaum ein positives Urteil zu fällen, weil sie an der Börse stagniert und viele Belastungen vor sich hat.42 Die Deutsche Bank ist in einem schlechten Zustand und droht abhandenzukommen. Das versetzt diejenigen in Sorge, die der Überzeugung sind, dass Deutschland eine Bank von Weltrang braucht. Fraglich ist aber, ob gerade die Deutsche Bank mit dem gegenwärtigen Zuschnitt die bestehenden Bedürfnisse befriedigen kann. Zu den damit verbundenen Fragen wird man eine politische Haltung entwickeln müssen, in der sich ausnahmsweise einmal Kompetenz und Gemeinwohlorientierung verbinden. Geduld ist schon deshalb vonnöten.

Derzeit sind nur einige allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen:
Die anhaltende Finanzkrise ist auch die Folge eines strategischen Versagens, das in Gestalt klientelorientierter Deregulierung der Finanzmärkte etlichen Akteuren der Finanzindustrie zahllose Gelegenheiten für organisierte kriminelle Taten eröffnet hat, die von den gegebenen Governance- und Compliance-Strukturen nicht verhindert werden konnten.
In durch Inkompetenz korrumpierten Bereichen der Politik haben Amtsträger ein Milieu der Gefälligkeit geschaffen, in dem die Gemeinwohlorientierung verloren ging.
Die sich über viele Jahre hinziehenden Verstöße gegen wichtige Vorschriften in zahlreichen großen Geldinstituten überall auf der Welt haben dazu geführt, dass sich systematischer Rechtsbruch in ein kommerzielles Prinzip verwandelt hat.
Auch die Floskeln politischer Korrektheit und eine mit Anglizismen gespickte verniedlichende Sprache können nicht verdecken, dass in vielen privaten und öffentlichen Banken eine Erosion der rechtlichen Gesinnung stattgefunden hat, an der das modische Geschwätz über „Governance“ und „Compliance“ natürlich nichts ändert.
Angebliche Finanzexperten haben etwas geschafft, wozu nicht einmal die abgefeimtesten Wirtschaftskriminellen in der Lage sind, nämlich die Bedrohung der gesamten marktwirtschaftlichen Ordnung durch selbstsüchtiges und riskantes Verhalten.
Die natürliche Intelligenz von Gangstern ist der vieler Banker überlegen, soweit sie verstanden haben, dass man eine Ordnung nicht zerstören darf, wenn man weiter Gewinne aus ihr ziehen möchte.
Die Bedrohungen und Gefahren für die globale Marktwirtschaft kommen nicht aus ärmlichen sizilianischen Schafställen, sondern aus großen Gebäuden aus Stahl und Glas, wo Begriffe wie Governance und Compliance ganz langsam und in angemessener Lautstärke auf jeder Etage vorzulesen und nötigenfalls in eine Sprache zu übersetzen sind, die jeder versteht.
Banken verstehen aber nur die Sprache des Geldes, weshalb weniger philologische Kleinkrämerei als vielmehr der Einsatz des einzig wirksamen Hebels, also des Eigenkapitals nötig ist, um die von angeblich „systemrelevanten“ Banken ausgehenden Gefahren zu verkleinern.
Während in der Industrie eine hohe Eigenkapitalquote als Ausweis von Solidität gilt und Banken von ihren Kunden bei Kreditgeschäften ein Fünftel Eigenkapital verlangen, war die Deutsche Bank bis jetzt immer wieder erfolgreich darum bemüht, dem Rest der Welt weiszumachen, sie müsse mit etwa 97 Prozent Fremdkapital arbeiten, weil sie in einer besonderen Branche angeblich besonders gut sei.
Eine Bank ist eine Bank. Eine kriminelle Vereinigung ist kriminell. Die Tatsache, dass die Deutsche Bank eine Bank ist, bedeutet nicht, dass sich die Usancen in manchen ihrer Geschäftsbereiche von den Handlungsmustern organisierter Krimineller immer hinreichend deutlich unterscheiden lassen.
Inkompetenten wie gestaltungsunfähigen Politikern und asozialen wie raffgierigen Finanzverbrechern gelingt es immer wieder, ihre gemeinsamen Interessen zum Schaden der Allgemeinheit und außerhalb der Reichweite von Polizei und Justiz zu koordinieren und durchzusetzen.
Mittlerweile dürften die meisten „Capos“ jedweder Mafia-Organisation bewundernd zu manchen Finanzverbrechern in der Deutschen Bank und in vielen anderen Geldhäusern aufschauen.
Polizei und Justiz werden der in der Deutschen Bank und in vielen anderen Geldhäusern auf den Führungsetagen verbreiteten Unfähigkeit und kriminellen Energie bis auf weiteres nicht wirksam entgegentreten, weil sie sich in dem weiten Feld zwischen Versagen und Verbrechen nicht orientieren können.
Angesichts des in der Deutschen Bank und in der Finanzbranche insgesamt erreichten Niveaus professionellen Könnens, des ethischen Standards und der zu Tage getretenen kriminellen Energie, wird es höchste Zeit, endlich auch in Deutschland die Bestrafung juristischer Personen zu ermöglichen.
Vor allem müssen die Bankaufsichtsbehörden unverzüglich weiter ertüchtigt und unterstützt werden, damit sie rechtzeitig die notwendigen personellen Maßnahmen treffen können.

Anmerkungen

  1. So die Bewertung von Martin Hesse, Die falsche Deutsche Bank, in: Der Spiegel, 2. Mai 2015.
  2. Vgl. dazu schon: Wolfgang Hetzer, Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?, Die Kriminalpolizei 1/2014, 26 ff.
  3. Im Skandal um den Umsatzsteuerbetrug im Handel mit Emissionszertifikaten erwartet die Deutsche Bank angeblich keine neue Ermittlungen gegen den Vorstand, da von der Generalstaatsanwaltschaft angeblich eine entsprechende Mitteilung gekommen sei, eine Behauptung, die von der Behörde zunächst nicht kommentiert wurde. Gegen Fitschen und den (ehemaligen) Strategievorstand Stefan Kraus wird indessen weiter ermittelt, weil sie eine Steuererklärung unterschrieben haben, die sich später als falsch herausgestellt habe.
  4. Zitiert nach: Claus Hulverscheidt/Klaus Ott/Ulrich Schäfer, Die Anklagebank, in: Süddeutsche Zeitung, 28. April 2015, S. 3.
  5. Zitiert nach: Klaus Ott, Schmutzige Geschäfte, in: Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2015, S. 12.
  6. Zitiert nach: Harald Freiberger, Prügel von der Aufsicht, in: Süddeutsche Zeitung, 24. April 2015, S. 12.
  7. So zutreffend auch: Markus Frühauf, Deutsche Bank im Soll, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. April 2015, S. 17.
  8. Vgl. Markus Frühauf, Aufsicht wirft Jain Falschaussage vor, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Juni 2015, S. 22.
  9. Harald Freiberger, Ende eines Irrwegs, in: Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2015, S. 12.
  10. Zitiert nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. April 2015, S. 17 („Rekordstrafe für die Deutsche Bank in der Zinsaffäre“).
  11. Vgl. dazu: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. April 2015, S. 22 („Überzeugter Investmentbanker“).
  12. Vgl. Harald Freiberger/Stephan Radomsky/Meike Schreiber, Radikaler Schnitt, in: Süddeutsche Zeitung, 27. April 2015, S. 12.
  13. Zutreffend: Steltzner, ebd.
  14. Nikolaus Piper, Gesundschrumpfen, in: Süddeutsche Zeitung, 27. April 2015, S. 12.
  15. Anshu Jain/Jürgen Fitschen, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. Mai 2015, S. 22 („Was nun, Deutsche Bank?“).
  16. Zur Person: Markus Frühauf, Das Eigengewächs der Deutschen Bank, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Juni 2015, S. 20.
  17. So empfindet das Ulrich Schäfer, Jain, der Mächtige, in: Süddeutsche Zeitung, 22. Mai 2015, S. 4.
  18. Vgl. dazu: Harald Freiberger/Meike Schreiber, Ein paar Opfer für die Zukunft, in: Süddeutsche Zeitung, 21. Mai 2015, S. 12.
  19. Helga Einecke, Seltener Aufstand, in: Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2015, S. 12.
  20. So Harald Freiberger/Meike Schreiber, Nicht mehr kreditwürdig, in: Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2015, S. 12.
  21. Vgl. dazu: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Mai 2015, S. 21 („Anshu Jain gerät unter Beschuss“).
  22. Zitiert nach: Markus Frühauf/Tim Kanning, Die Aktionäre rechnen mit Jain und Fitschen ab, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Mai 2015, S. 26.
  23. Vgl. Gerald Braunberger, Die Entfremdung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Mai 2015, S. 17.
  24. Harald Freiberger/Ulrich Schäfer, Das Beben, in: Süddeutsche Zeitung, 8. Juni 2015, S. 12.
  25. Zitiert nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2015, S. 19 („An der Wall Street bedeutet Scheitern nicht das Ende“).
  26. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Juni 2015, S. 19 („Das Ende eines Führungsduos“).
  27. Zu weiteren Stationen der beruflichen Entwicklung dieses Aspiranten: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Juni 2015, S. 15 („Der Hoffnungsträger der Deutschen Bank“).
  28. Ulrich Schäfer/Meike Schreiber/Charlotte Theile, Der Neue, in: Süddeutsche Zeitung, 9. Juni 2015, S. 11.
  29. Hanno Mussler/Johannes Ritter, Achleitners Joker, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2015, S. 20.
  30. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2015, S. 15 („Der Hoffnungsträger der Deutschen Bank“).
  31. Holger Steltzner, Aufseher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Juni 2015, S. 8.
  32. So insgesamt Gerald Braunberger, Model UBS?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2015, S. 15.
  33. Vgl. Marc Beise, Wechsel auf Raten, in: Süddeutsche Zeitung, 8. Juni 2015, S. 4.
  34. Ulrich Schäfer, Das D im Namen, in: Süddeutsche Zeitung, 9. Juni 2015, S. 4.
  35. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2015, S. 15 („Börse feiert Wechsel in der Deutschen Bank“).
  36. Arne Storn, Kreditwürdig?, in: Die Zeit, 11. Juni 2015.
  37. Zitiert nach: Uwe Jean Heuser, Es wurde nur schlimmer, in: Die Zeit, 11. Juni 2015.
  38. Zitiert nach: Meike Schreiber, Auf Distanz zu Jain, in: Süddeutsche Zeitung, 2. Juli 2015, S. 13.
  39. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. August 2015, S. 15 („Vorwürfe gegen Deutsche Bank im Devisenskandal“).
  40. Bettina Schulz, Der Devisenbetrug, in: Die Zeit, 28. Mai 2015.
  41. Zu den Einzelheiten: conductcosts.ccpresearchfoundation.com.
  42. So sieht das Uwe Jean Heuser, Abschied vom Idyll, in: Die Zeit, 28. Mai 2015.