Kriminaltechnik und -Wissenschaft

Forensische Sprecher-Erkennung

Aktuelle Untersuchungsmöglichkeiten in der gutachterlichen Praxis

Untersuchung zum Stimmenvergleich


Die eigentliche Untersuchung bei einem Stimmenvergleich erstreckt sich auf die drei wesentlichen Bereiche sprachlichen Verhaltens des Menschen: Stimme, Sprache und Sprechweise.
Bei der Analyse von Merkmalen der Stimme richtet sich zunächst das Augenmerk auf die Schwingungsvorgänge der Stimmlippen im Kehlkopf. Der hier erzeugte primäre Stimmklang wird beim Passieren des Vokaltraktes, also des Rachen-, Mund- und Nasenraumes, der infolge anatomisch-physiologischer Eigenheiten bei jedem Menschen individuell ausfällt, resonatorisch weiter überformt. Dabei entsteht der sekundäre Stimmklang. Primäre stimmliche Merkmale können beispielsweise Rauigkeit, Behauchtheit, Gepresstheit oder Knarrstimme im Bereich der Stimmgebung im Kehlkopf sein. Zu den sekundären stimmlichen Merkmalen zählen etwa eine charakteristische Nasalität oder ein dunkler bzw. heller oder sonstiger spezifischer Stimmklang. Grundsätzlich werden die für jeden Sprecher typischen Abweichungen von der Normal- bzw. Modalstimme und deren Ausprägungsgrad, einschließlich pathologischer Auffälligkeiten, beschrieben.

Foto: Thomas Hofem


Jeder Sprecher erfährt seine regionalsprachliche Prägung üblicherweise innerhalb der Zeit des Schulbesuches. Die daraus resultierenden dialektalen Eigenheiten stellen eine wesentliche Komponente des zweiten Bereiches zu analysierender Merkmale dar, dem der Sprache. Selbst wenn eine Person ihren Wohnort nach Beendigung der Schulausbildung wechselt, bleiben erworbene regionaltypische Merkmale erhalten. Andere, der neuen Umgebung entstammende Einflüsse können zwar hinzukommen, behalten aber im Allgemeinen einen eher peripheren Charakter. Ferner werden individualtypische Besonderheiten auf den sprachlichen Ebenen der Wortwahl, Grammatik, Semantik und Stilistik analysiert.Der dritte Bereich, die Sprechweise, umfasst zwei Komplexe. Zum einen richtet sich der Fokus auf charakteristische Merkmale der Lautbildung. Hierzu gehören auch pathologische Auffälligkeiten, wie z.B. das Lispeln. Der zweite Komplex umfasst Merkmale, die nicht als primär sprachlich bezeichnet werden können, für das Verständnis aber von großer Wichtigkeit sind, insbesondere da sie Äußerungen gliedern, differenzieren und werten. Zu ihnen gehören solche Parameter wie z. B. Sprechmelodie, Akzentuierung, Sprechgeschwindigkeit, -rhythmus, -pausengestaltung, -lautstärke und Atemverhalten.

UNTERSUCHUNGSMATERIALIEN


Häufig stellen sich zwei miteinander verknüpfte Fragen im Zusammenhang mit Untersuchungsmaterialien im Bereich der Sprecher-Erkennung:

  • Welche Materialien können überhaupt untersucht werden?
  • In welcher Form sollten sie zur Untersuchung eingesandt werden?

Für das Sachgebiet Sprecher-Erkennung im Landeskriminalamt Brandenburg lautet die kurze Antwort darauf:
Jedes Material, welches einen relevanten Audioanteil beinhaltet, kann eingesandt und hinsichtlich seiner Eignung bezüglich der entsprechenden Fragestellung untersucht werden.
Die längere Antwort erfordert eine etwas differenziertere Betrachtung. Zunächst muss zwischen analogen und digitalen Trägermedien unterschieden werden.
Analog vorliegendes Material umfasst die ganze Bandbreite an historisch gewachsenen Magnetband-Tonträgern. Angefangen beim Spulen-Tonband, über verschiedene Diktiergerät- und Audio-Kassettentypen bis zur Tonspur von VHS- oder Hi8-Videobändern. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Grundlage für eine Analyse mit aktuellen Digital-Audio-Workstations im digitalen Vorliegen der Untersuchungsmaterialien besteht. Um eine solche hochwertige Analog-Digital-Wandlung zu gewährleisten, ist grundsätzlich die Einsendung der Originalmedien erforderlich. Nochmals um Einiges vielfältiger als die Anzahl analoger Trägermedien ist die Landschaft digitaler Dateistandards. Durch den Einsatz professioneller Softwarelösungen können jedoch auch weniger gebräuchliche Formate verlustfrei der Analyse zugänglich gemacht werden. Zu beachten ist generell, dass Änderungen des Dateiformats, beispielsweise aus Speicherplatzerwägungen heraus, immer kritisch zu bewerten sind und nicht auf Seiten des Einsenders durchgeführt werden sollten. Wenn ein geschlossenes System vorliegt, aus dem die Aufzeichnungen zum Versand extrahiert werden müssen, so sind unkomprimierte Formate, wie etwa das .wav-Format in PCM-Kodierung, stets zu bevorzugen.


Die aus der Untersuchung resultierende Merkmalskonfiguration wird für jede einzelne Sprachprobe separat erhoben.
Es gibt Menschen, die aufgrund besonderer und seltener Merkmale einen höheren Wiedererkennungswert haben. Für andere Personen hingegen sind eher allgemeine stimmliche und sprachliche Eigenschaften kennzeichnend, die auf eine größere Anzahl weiterer Sprachteilhaber ebenfalls zutreffen und somit wenig spezifisch ausfallen. Phoniert beispielsweise ein männlicher deutscher Muttersprachler in einer mittleren Sprechstimmlage von 120 Hz und wird beim Vergleichssprecher ein sehr ähnlicher Wert gemessen, so besteht hier zwar eine prinzipielle Merkmalsübereinstimmung. Allerdings lässt sich bei ca. 50% der Männer deutscher Herkunft ebenfalls ein vergleichbares Messergebnis erzielen. Der individualisierende Charakter einer derartigen Merkmalskongruenz ist somit als sehr gering zu bewerten. Liegt hingegen eine Sprachaufzeichnung eines deutschsprachigen Mannes mit einer mittleren Sprechstimmlage von 200 Hz vor, einer Frequenz, die schon im unteren Bereich der weiblichen mittleren Sprechstimmlage rangiert, dann haben wir es mit einem in der männlichen Bevölkerung sehr seltenen Messwert zu tun. Die Aussagekraft dieses Merkmals besitzt also einen viel höheren Stellenwert für eine sich anschließende Identitätsaussage. Es muss somit in jedem Einzelfall gewichtet werden, welches Merkmal welche Bedeutung für das Gesamtergebnis besitzt.