Recht und Justiz

Deal – Verständnis für Verständigung im Strafverfahren?!

Von Staatsanwalt (GL) Dr. Heiko Artkämper, Dortmund, zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK)

7. Fazit


Der Vollzug der gesetzlichen Regelungen ist in der Tat in erheblichem Maße defizitär, was (jedenfalls derzeit noch) nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung führt. Das Vollzugsdefizit beruht nicht auf Regelungslücken, sondern auf einer mangelhaften Umsetzung und fehlenden vollständigen Verinnerlichung der Regelung. Die Befürchtungen Fischers, dass der Deal das Recht zerstört, das BVerfG die Praxis des Geständnishandels abgesegnet hat und damit Macht vor Recht gehe,76 sind berechtigt, aber durch einen verantwortungsvollen Umgang der Verfahrensbeteiligten mit der lex lata zu entkräften. Die Gefahr des Missbrauchs ist jedem Recht und jedem Rechtsinstitut immanent.
Der Vollzug des Verständigungsgesetzes ist in erheblichem Maße defizitär, was (jedenfalls derzeit noch) nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung und Praxis führt. Das Vollzugsdefizit beruht nicht auf Regelungslücken, sondern auf der mangelhaften Umsetzung und fehlenden vollständigen Verinnerlichung der Regelungen.

Erste Entscheidungen der Obergerichte nach dem Entscheid des BVerfG setzen dessen Vorgaben in unterschiedlicher Weise um: So wird zum einen erörtert, ob die Verständigung bezüglich der Annahme eines unbenannten minder schweren Falles als förmliche Absprache denkbar ist77 und damit – wie Deutscher es ausdrückt – nach einem Schlupfloch gesucht.78 Der 1. Strafsenat des BGH postuliert hingegen für den Fall einer Verständigung, dass eine fehlende Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO dazu führt, dass das Urteil regelmäßig auf die Revision des Angeklagten hin aufzuheben sein wird.79 In diese Richtung geht auch eine Entscheidung des OLG München, das erklärt, dass Verstöße gegen die geltende gesetzliche Regelung den Angeklagten in seinen Rechten auf ein faires Verfahren und dem des nemo-tenetur-Grundsatzes verletzt.80
Es steht zu befürchten, dass die Praxis die (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben (weiterhin) missachtet und so selbst – insoweit allerdings zu recht – diesen Deal zu Grabe trägt. Dem Ansehen und der Reputation der Strafjustiz wäre damit ein Gefallen getan, ist doch ein kontradiktorisches (Straf-)Verfahren im Sinne eines ritualisierten Konfliktes eben mehr als nur lárt pour lárt.

Anmerkungen

  1. Urteil vom 19.3.2013, NJW 2013, 1058 ff.; vgl. dazu u.a. Kudlich, Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit – die Entscheidung des BVerfG zur strafprozessualen Verständigung, NStZ 2013, 379 ff.; Meyer, Die faktische Kraft des Normativen – Das BVerfG und die Verständigung im Strafverfahren, NJW 2013, 1850 ff.
  2. Zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. auch Artkämper, Die „Gestörte“ Hauptverhandlung, 4. Aufl. 2013, S. 379 ff.
  3. Vgl. Meyer-Goßner, § 257c Rn 24.
  4. Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107, 109; krit. Schünemann, ZRP 2009, 104, 105 f., 106.
  5. Darauf machen Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 77 f. aufmerksam.
  6. Fischer, NStZ 2007, 433.
  7. BT-Drs. 16/11736, S. 5; ebenso BR-Drs. 65/09, S. 5; vgl. a. den Strafrechtsausschuss der BRAK, ZRP 2005, 235: „Unverzichtbare Entlastungswirkung für die Strafrechtspflege“.
  8. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 72.
  9. Vgl. zuletzt BVerfG StRR 2012, 184f.
  10. BGHSt 43, 195 ff. 
  11. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1445 f., 1446.
  12. BGH, Beschluss vom 31.5.2012 – 2 StR 610/11 m. Anm. Putzke/Putzke, Legal Tribune online vom 6.6.2012.
  13. So auch Meyer-Goßner, § 257c Rn 4.
  14. Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425, 426.
  15. Nobis, StRR 2012, 84, 85f. 
  16. Meyer-Goßner, § 160b Rn 8.
  17. Meyer-Goßner, § 160b Rn 4.
  18. Meyer-Goßner, § 160b Rn 9.
  19. Meyer-Goßner, § 202a Rn 3.
  20. Meyer-Goßner, § 202a Rn 4; krit. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 74.
  21. Meyer-Goßner, § 212 Rn 1.
  22. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 75.
  23. Dahs, NStZ 2005, 580.
  24. BR-Drs 65/09, S. 21; Meyer-Goßner, § 257b Rn 3.
  25. Meyer-Goßner, § 243 Rn 18b.
  26. BT-Drs 16/11736, S. 7; BR-Drs 65/09, S. 8; krit. zu derartigem Vorgehen Weigend, NStZ 1999, 57, 60.
  27. Meyer-Goßner, § 243 Rn 18c f.
  28. Siehe Meyer-Goßner, § 257c Rn 7.
  29. Meyer-Goßner, § 257c Rn 7.
  30. BGH NStZ 2001, 555, 556; Eisenberg, NStZ 2001, 556, 557; ders., NStZ 2003, 124, 132.
  31. BGH NStZ-RR 2006, 187, 188.
  32. Meyer-Goßner, § 257c Rn 7.
  33. Eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft war erforderlich, vgl. BGH LNR 2003, 21882; a.A. Meyer-Goßner52, Vor § 213 Rn 12.
  34. Meyer-Goßner, § 257c Rn 4.
  35. Nach Nobis, StRR 2012, 84, 85.
  36. Meyer-Goßner, § 257c Rn 9.
  37. Meyer-Goßner, § 257c Rn 10, Vor § 430 Rn 4a.
  38. BT-Drs 16/11736, S. 11.
  39. Vgl. Strafrechtsausschuss der BRAK, ZRP 2005, 235, 239.
  40. Vgl. hierzu einerseits BGH NJW 1999, 373, 375 und andererseits OLG Dresden NStZ-RR 2007, 267.
  41. BGHSt 43, 195, 205 ff.
  42. So auch Meyer-Goßner, § 257c Rn 11.
  43. BGH StRR 2010, 465 f. m.w.N. pro und contra.
  44. Meyer-Goßner, § 257c Rn 12.
  45. BT-Drs 16/11736, S. 11; BR-Drs 65/09, S. 22.
  46. Krit. BT-Drs 16/4197, S. 9, da Umstände zu berücksichtigen seien, die im Erkenntnisverfahren nicht beurteilt oder vorweggenom-men werden könnten; vgl. dazu auch Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, Aufgabenfelder der Staatsanwaltschaft, Rn. 712 ff.
  47. BT-Drs 16/4197, S. 9.
  48. BT-Drs 16/11736, S. 11; BR-Drs 65/09, S. 22.
  49. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1442; BT-DrS 16/11736, S. 12; vgl. a. Meyer-Goßner, § 257c Rn 17.
  50. Nobis, StRR 2012, 84, 85.
  51. BGH StRR 2010, 465 f.; Meyer-Goßner, § 257c Rn 11, 19; s.a. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2009, 71, 73 f.
  52. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2009, 71, 78; Meyer-Goßner, ZRP 2009, 109; ders., § 257c Rn 19.
  53. Schöch, NJW 2004, 3462, 3465; Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107, 109.
  54. BGH NStZ 2008, 170 f.; zuvor BGH NJW 1998, 86, 89; LNR 2004, 27083; (GS) NJW 2005, 1440, 1442; NStZ 2007, 655, 656 f., 657: „unzulässiger Geständniszwang“; Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2009, 71, 73 f.
  55. Vgl. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 73: „In dieser Situation wird das Gericht nicht den Konsens aufs Spiel setzen, indem es eine deutlich hinter der Obergrenze bleibende Strafe auswirft und das Risiko einer Revision der Staatsanwaltschaft eingeht.“; a.A. Meyer-Goßner, § 257c Rn 20 f.
  56. BGH LNR 2010, 26844; vgl. auch StRR 2010, 465 f.
  57. BGH LNR 2010, 26844.
  58. BT-Drs 16/11736, S. 11.
  59. BGH NJW 2009, 690, 691 f; krit. Meyer-Goßner, § 257c Rn 27a.
  60. Vgl. Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425, 428.
  61. BGH, Urteil vom 21.6.2012 – 4 StR 623/11.
  62. BGH, Urteil vom 21.6.2012 – 4 StR 623/11; BT-Drs 16/11736, S. 13.
  63. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.10.2010 – III 4 RVs 60/10, BeckRS 2010, 27064.
  64. BGH LNR 2010, 26792.
  65. BGH LNR 2010, 27170; s.a. Leipold, NJW-Spezial 2010, 760f.
  66. Meyer-Goßner, § 267 Rn 23a.
  67. BGH NStZ-RR 2010, 151; Meyer-Goßner, § 267 Rn 23a.
  68. Nach Nobis, StRR 2012, 84, 86f.
  69. Vgl. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1445 f., wodurch der BGH ferner die Protokollierung der qualifizierten Belehrung als wesentliche Förmlichkeit gemäß § 273 Abs. 1 StPO anordnete.
  70. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1446; s.a. BT-Drs 16/11736, S. 9.
  71. Vgl. schon BGH NJW 2010, 2294; Roggenwallner/Herrmann/Jansen, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Rn. 380.
  72. BGH StV 2010, 346; vgl. auch Burhoff, StRR 2011, 248, 253.
  73. Meyer-Goßner, § 257b Rn 26c f.
  74. BGH 5 StR 594/10 vom 19.2.2011.
  75. BR-Drs 65/09, S. 18; vgl. a. bereits BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1446.
  76. Die Zeit vom 27.3.2013.
  77. Vgl. dazu BGH StRR 2013, 343 f.
  78. StRR 2013, 343.
  79. Vgl. dazu BGH StRR 2013, 344.
  80. OLG München, Urteil vom 28.8.2013, 4 StRR 174/13, zitiert nach Jurion News StR 38/2013 vom 19.9.2013.