Recht und Justiz

Deal – Verständnis für Verständigung im Strafverfahren?!

Von Staatsanwalt (GL) Dr. Heiko Artkämper, Dortmund, zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK)



6.3. Mitteilung vorangegangener Erörterungen


Der Vorsitzende teilt nach der Verlesung des Anklagesatzes und vor der Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht25 zunächst mit, ob Erörterungen stattgefunden haben, die sich auf die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO richteten, und – sofern dies der Fall ist – deren wesentlichen Inhalt. 

Im Ermittlungs- und Zwischenverfahren hat es eine Vielzahl von Kontakten zwischen den Verfahrensbeteiligten gegeben, die alle um eine konsensuale Verfahrenserledigung bemüht sind.

Wurde eine Verständigung in der Hauptverhandlung im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren vorbereitet und eine Einigung erzielt, sind die Erörterungen und deren wesentlicher Inhalt wegen des Öffentlichkeitsgrundsatzes und der materiellen Unmittelbarkeit (Schöffen) in der Hauptverhandlung bekanntzugeben. Diese Pflicht zur Transparenz26 besteht auch dann, wenn die Gespräche fehlgeschlagen sind. Sofern sich im Laufe der Hauptverhandlung Abweichungen von den vorangegangenen und mitgeteilten Erörterungen ergeben, sind diese bekanntzugeben (§ 243 Abs. 4 S. 2 StPO). Sämtliche Mitteilungen – also auch jene über eine Abweichung von einer vorausgegangenen Mitteilung – sind nach § 273 Abs. 1a S. 2 StPO zu protokollieren. Unterbleibt eine Protokollierung, können sich wegen der negativen Beweiskraft des Protokolls weder das Gericht noch andere Verfahrensbeteiligte auf eine stattgefundene Verständigung berufen;27 die Protokollierungspflicht sichert ein mögliches Revisionsverfahren ab.

6.4. Verständigung


Häufiger werden die Inhalte einer Absprache bereits in vorangegangenen Verfahrensstadien vorbesprochen und sollen in der Hauptverhandlung (lediglich) in die rechtliche Form einer Absprache im Sinne des § 257c StPO gegossen werden. 

6.4.1. Grenzen der Absprachen


In einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung findet ein Adhäsionsverfahren statt, bei dem die Geschädigte ein – in dieser Höhe angemessenes – Schmerzensgeld von 15.000 € fordert. Nach den üblichen Strafen der erkennenden Kammer wäre eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten schuld- und tatangemessen. Zwischen der Verteidigung und der Nebenklägerin findet eine Verständigung dergestalt statt, dass die Angeklagte bereit ist, 45.000 € Schmerzensgeld zu zahlen, wenn eine Freiheitsstrafe mit Bewährung verhängt wird.

Trotz der zahlreichen Bemühungen des Gesetzgebers, den Täter-Opfer-Ausgleich zu kodifizieren, sind in diesem Fall die Grenzen einer zulässigen Absprache überschritten. Auch die Verständigung im Strafverfahren ist an die Findung einer schuld- und tatangemessenen Strafe gebunden, mit der Folge, dass ein Freikaufen von Strafe und/oder eine im Zivilverfahren keinesfalls in dieser Höhe zu erreichende Schadensersatzleistung nicht in der Lage ist, eine Absprache zu legitimieren. 
Verfassungsrechtliche Grundsätze des Schuldprinzips, der Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit, eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, Unschuldsvermutung, Selbstbelastungsfreiheit und Neutralitätspflicht des Gerichts gelten unbedingt.
Wahrheitserforschung, rechtliche Subsumtion und Grundsätze der Strafzumessung stehen nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten.

6.4.2. Verständigung im Jugendstrafverfahren


Über § 2 JGG sind die Normen zur Erörterung und Verständigung auch in Jugendstrafverfahren anwendbar. Nicht geeignet im Sinne von § 257c Abs. 1 S. 1 StPO sind nach dem Jugendstrafrecht zu beurteilende Fälle jedenfalls, solange kein Verteidiger beteiligt ist.28 

Die Verfahrensbeteiligten kommen überein, dass auf den heranwachsenden Angeklagten Jugendrecht Anwendung finden soll, obwohl die Voraussetzungen nicht vorliegen. Man möchte eine Sanktion aus dem Jugendrecht anwenden.

Wenngleich eine Verständigung eher selten dem Erziehungsgedanken Rechnung tragen wird,29 hat der BGH vor der StPO-Novelle entschieden, dass bei einem Heranwachsenden die Entscheidung, ob Jugend-30 oder Erwachsenenstrafrecht31 Anwendung findet, verständigungsfähig ist. Dies wird mit Blick auf die erweiterten Absprachemöglichkeiten für zulässig erachtet,32 dürfte jedoch zweifelhaft sein. 

6.4.3. Sonstige Inhalte 


War es dem Gericht früher möglich, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eine Strafobergrenze zuzusichern,33 ist nach § 257c StPO nunmehr eine Vereinbarung des Gerichts mit den weiteren Verfahrensbeteiligten erforderlich. Dabei weisen die §§ 257c Abs. 1 S. 2, 244 Abs. 2 StPO das Gericht an, nicht bloß eine abgesprochene Rechtsfolge für ein nicht näher aufgeklärtes Geschehen zu verhängen.34 

Der bestreitende Angeklagte wird von seinem Verteidiger darauf hingewiesen, dass – im Falle der Nachweisbarkeit der angeklagten Taten – die angebotene Freiheitsstrafe mit Bewährung kein schlechtes Angebot sei. Der Angeklagte gibt daraufhin folgende Erklärung ab: „Ich gebe das, was in der Anklageschrift steht, zu, mir wird hier ja sowieso nicht geglaubt.“ Auf die Nachfrage, ob dieses Geständnis alle Anklagevorwürfe betrifft: „Ja, was anderes glaubt mir eh keiner.“35

Im Interesse des Angeklagten ist die Verteidigung vor dem Hintergrund der neuen Regelungslage gehalten, in jedem Falle auszuloten, ob und unter welchen Bedingungen Gericht und Staatsanwaltschaft zu einer Verständigung bereit sind. 
Taugliche Inhalte einer Absprache können 

  • die zulässigen Rechtsfolgen des Urteils,
  • dazugehörige Beschlüsse,
  • verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren und
  • das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten
  • sein, wobei von Seiten des Angeklagten regelmäßig ein
  • Geständnis abgelegt werden soll.

Die Rechtsfolgen des Urteils betreffen dabei lediglich den Sanktionsausspruch. Der Schuldspruch und die Rechtsfolgen der Maßregeln der Besserung und Sicherung sind keine tauglichen Inhalte einer Absprache (§ 257c Abs. 2 S. 3 StPO). Die Maßregeln der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Führungsaufsicht sind wegen der zugrundeliegenden Gefährlichkeit ohnehin nicht verhandelbar. Gleiches gilt für das Berufsverbot und den Entzug der Fahrerlaubnis nebst Sperrfrist.36 
Demgegenüber können die dem Strafausspruch zuzurechnenden Rechtsfolgen des Fahrverbots, der Einziehung und des Verfalls sowie die formlose Einziehung von Vermögensgegenständen37 etwa zum Zweck der Vermögensabschöpfung Gegenstand der Absprache sein. Die Gesetzesbegründung nennt ferner ausdrücklich Einstellungsentscheidungen des Gerichts und Beweiserhebungen (letztere in den Grenzen der §§ 244 Abs. 2, 257c Abs. 1 S. 2 StPO).38 In Betracht kommen auch der Inhalt der Anrechnungsentscheidung nach § 51 StGB, die Zustimmung des Gerichts zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG, die Strafrestaussetzung bei einem auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten sowie Entscheidungen zur Untersuchungshaft;39 ferner ist an den Inhalt des Bewährungsbeschlusses zu denken.40

Sämtliche Verfahrensbeteiligten erörtern in öffentlicher Hauptverhandlung die Sach- und Rechtslage und sind einig, dass für die angeklagten (und vorläufig eingestellten) Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren schuld- und tatangemessen ist. Die Kammer sagt nach einer Zwischenberatung eine derartige Strafe zu und schließt einverständlich die Beweisaufnahme.

Der BGH hatte dargelegt, dass die Zusage einer genauen Strafe mit den Prinzipien des Strafverfahrensrechts nicht vereinbar ist, da in einem derartigen Fall die Strafe (möglicherweise) nicht aus der im Rahmen der Urteilsberatung vollzogenen richterlichen Strafzumessungsentscheidung, die die §§ 260, 261 StPO und § 46 StGB voraussetzen, resultiert, sondern auf einer vorangegangenen Absprache der Verfahrensbeteiligten41. Zulässig war daher nur die Mitteilung einer Strafobergrenze, zu deren Einhaltung das Gericht bei unveränderter Geschäftsgrundlage grundsätzlich verpflichtet ist. Aus § 257c Abs. 3 S. 2 StPO ergibt sich, dass auch eine bestimmte Strafe nicht Gegenstand einer Absprache sein kann;42 es ist kumulativ eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben.43 Demgegenüber ist – in der Regel bei einem Geständnis, in Ausnahmefällen aber auch ohne ein solches – die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung absprachefähig.44 Zu bedenken, nach dem systematischen Zusammenspiel der §§ 35a S. 3, 302 Abs. 1 S. 2 StPO jedoch eindeutig, ist, dass die Ankündigung eines Rechtsmittelverzichts nicht verständigungsfähig ist.
Sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sind insbesondere Einstellungsentscheidungen und Beweiserhebungen. Wird über eine Beweiserhebung disponiert, kann dies nur in engen Grenzen geschehen, da die Sachaufklärungspflicht nicht verletzt werden darf. Das Prozessverhalten der Beteiligten meint die Wahrnehmung prozessualer Rechte durch Angeklagten, Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Nebenklagevertreter. Dabei kommen insbesondere der Verzicht auf Beweis- oder Befangenheitsanträge oder die Zusage einer Schadenswiedergutmachung in Betracht. Dabei darf allerdings keine unsachgemäße Verknüpfung zwischen prozessualem Konformitätsverhalten und Rechtsfolgenausspruch hergestellt werden, etwa der Verzicht auf einen Beweisantrag unmittelbar mit einer Strafreduktion belohnt wird.45

Der Verteidiger versucht, eine Absprache davon abhängig zu machen, dass sein Mandant die Strafe in einer heimatnahen JVA verbüßen wird/sofort in den offenen Vollzug kommt/zum Halbstrafenzeitpunkt in sein Heimatland abgeschoben werden wird.

Derartige Absprachegegenstände sind in der Praxis beliebt, da sie – droht die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung – in die Zukunft gerichtet sind und vollzugsmäßige Perspektiven eröffnen. Der lautere Staatsanwalt wird der Versuchung derartiger Zusagen allerdings widerstehen, da sie nicht in seine Zuständigkeit fallen: Die zuständige JVA ergibt sich aus Belegungsplänen, die Ausgestaltung der konkreten Haftbedingungen erfolgt durch den Vollzug und für eine Abschiebung nach § 456a StPO ist der Rechtspfleger zuständig.
Zulässig sind aber der Verzicht auf weitere Anträge im Prozessverlauf durch Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Allerdings dürfte die Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, sich gegenüber dem zuständigen (§ 31 Abs. 2 S. 1 RpflG) Rechtspfleger für die Abschiebung des Angeklagten gemäß § 456a StPO nach Ablauf einer bestimmten Haftzeit (idR mit Ablauf des Halbstrafentermins) einzusetzen, unter das Merkmal „Prozessverhalten“ zu subsumieren sein.46 Zulässig sollten weiterhin Verständigungen über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in anderen Verfahren (etwa nach § 154 Abs. 1 StPO), um eine „Gesamtbereinigung der gegen den Angeklagten anhängigen Ermittlungs- und Strafverfahren47 zu erzielen: „Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, wie z. B. eine Einstellung nach § 154 StPO, abgibt. Solche Zusagen können aber naturgemäß nicht an der Bindungswirkung teilnehmen, die eine zustande gekommene Verständigung nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 für das Gericht entfaltet.48 Dem hat das BVerfG nunmehr eine klare Absage erteilt.
Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere anhängige Ermittlungsverfahren – etwa nach § 154 Abs. 1 StPO – einzustellen, lösen weder eine Bindungswirkung noch schutzwürdiges Vertrauen aus. Verständigungen dürften sich ausschließlich auf das zugrunde liegende, aktuelle Erkenntnisverfahren beziehen.