Recht und Justiz

Deal – Verständnis für Verständigung im Strafverfahren?!

Von Staatsanwalt (GL) Dr. Heiko Artkämper, Dortmund, zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK)

4. Ermittlungsverfahren


Das Zustandekommen einer Absprache kann bereits im Ermittlungsverfahren beginnen. Gemeint sind damit nicht konsensuale Verfahrensbeendigungen über § 153a StPO und/oder die konsentierte Beantragung eines Strafbefehls, um dem Beschuldigten die Stigmatisierung durch eine öffentliche Hauptverhandlung zu ersparen. In geeigneten Fällen „kann“ der Staatsanwalt darüber hinaus den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt jener Gespräche ist dabei (praktisch: in Vermerkform) aktenkundig zu machen (§ 160b S. 2 StPO), was unabhängig davon gilt, ob die Erörterung zu einer Einigung oder einem Dissens geführt hat.16 

Potenzielle Inhalte derartiger Erörterungen können

  • die Beschränkung der Strafverfolgung,
  • die (teilweise) Einstellung des Verfahrens,
  • deren jeweiliger Umfang,
  • ein Täter-Opfer-Ausgleich sowie
  • die Vorbereitung einer Absprache in der Hauptverhandlung

sein.

Verteidiger suchen eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Dezernenten, um Verhandlungsmasse auszuloten und auf eine Beschränkung des Prozessstoffs hinzuwirken. Eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, auf Gesprächsangebote der Verteidigung einzugehen, besteht nicht. 
Bei den Verfahrensbeteiligten handelt es sich neben dem Beschuldigten und seinem Verteidiger auch um nebenklageberechtigte Personen, obwohl deren Anschlusserklärung erst mit Erhebung der öffentlichen Klage wirksam wird. Erörterungen mit Verletzten, die nicht nebenklageberechtigt sind, deckt § 160b StPO nicht, weil ihnen lediglich Informations- und Schutzrechte zustehen (§ 406 f StPO), nicht aber prozessuale Gestaltungsrechte. Gleiches gilt für Zeugen und Sachverständige.17 
Der Voraussetzung der Geeignetheit zur Förderung des Verfahrens kommt keine erhebliche beschränkende Wirkung zu, weil diese ex ante kaum je auszuschließen ist. Insbesondere sind auch telefonische Erörterungen möglich; eine besondere Form ist nicht erforderlich. Erfüllen Verfahrensbeteiligte später den von ihnen zugesicherten Teil der Absprache nicht, entfällt die Bindung der anderen Verfahrensbeteiligten. 

Der Angeklagte gesteht in der Hauptverhandlung absprachegemäß, die Staatsanwaltschaft unterlässt es jedoch, einen Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO zu stellen.

Lässt sich der Angeklagte nicht geständig ein, ist die Staatsanwaltschaft auch nicht mehr gehalten, einen Verfahrenskomplex nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Blick auf die verbleibende anzuklagende Tat einzustellen.18 Wurde der Absprache jedoch Folge geleistet, kann sich der Kontrahent nicht ohne weiteres von seiner Verpflichtung lösen. Tut er dies gleichwohl, kommt eine wesentliche Strafmilderung in Betracht. 

5. Zwischenverfahren 


§ 202a StPO gestattet im Zwischenverfahren in ähnlicher Weise die Erörterung des Verfahrensstoffes mit den Beteiligten, wobei die Initiative in der Regel vom Gericht ausgehen wird (aber nicht muss). Es gilt dann, den Verfahrensstand zur Vorbereitung einer Absprache in der Hauptverhandlung zu erörtern. Auch hier sind die jeweiligen wesentlichen Inhalte aktenkundig zu machen. Soweit eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung durch eingehende Erörterung des Prozessstoffs oder eine Nachholung wesentlicher Teile des Ermittlungsverfahrens befürchtet wird,19 ist dies aus praktischer Sicht unbegründet. Die wesentlichen inhaltlichen Erfordernisse des Deals in der Hauptverhandlung regelt § 257c StPO abschließend, und ein verantwortungsvoller Staatsanwalt wird erst nach entsprechenden Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens Anklage erheben bzw. sich erst mit entsprechender Verhandlungsmasse auf Absprachen einlassen. Eine Mitwirkung der Schöffen ist im Zwischenverfahren – allgemeinen Grundsätzen folgend – nicht vorgesehen; ihnen ist die Ausübung des Richteramts nur in der Hauptverhandlung zugewiesen.20 Das Gericht kann bindende Zusagen, die protokolliert werden müssen, ohnehin erst in der Hauptverhandlung abgeben. 

6. Hauptverfahren


Im Hauptverfahren sind Verständigungen – als Kernstück der Regelungen zum Deal – vorgesehen.
Das Verständigungsgesetz stellt eine abschließende Regelung dar und sichert die Einhaltung der genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben. 
Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende (sogenannte „informelle“) Absprachen sind unzulässig.

6.1. Erörterung des Verfahrensstandes außerhalb der Hauptverhandlung


Nach Eröffnung des Hauptverfahrens erklärt § 212 StPO die Regelung über das Zwischenverfahren für entsprechend anwendbar. Dies gilt nicht nur für Zeitabschnitte vor Beginn der Hauptverhandlung, sondern auch zwischen einzelnen Verhandlungsterminen, unabhängig davon, ob es sich dabei um die Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung handelt.21 Die Mitwirkung von Schöffen ist ebenso wenig vorgesehen wie im Zwischenverfahren. Dies wird kritisiert, weil nicht selten entscheidende Weichenstellungen vor oder parallel zur Hauptverhandlung getroffen werden,22 ist nach der gesetzlichen Systematik aber unabweisbar.

6.2. Erörterung des Verfahrensstandes in der Hauptverhandlung


Der Verteidiger fragt bereits vor Beginn der Hauptverhandlung oder nach der Verlesung der Anklageschrift nach, ob „man nicht erst einmal ein Rechtsgespräch führen“ könne.

Richter und Staatsanwälte können sich mehr sicher sein, vor Sitzungsbeginn oder während einer Verhandlungspause mit dem Ansinnen „belästigt“ zu werden, dass sich der Angeklagte mit einem bestimmten Urteilsspruch einverstanden erkläre, im Hinblick darauf ein (Teil-)Geständnis ablege und sich daher eine weitere Beweisaufnahme erledige. Das „Bedürfnis nach konsensualer, rechtlich und sachlich reduzierter Verfahrensbewältigung“23 scheint groß. 
Nach § 257b StPO kann das Gericht in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Eine Verpflichtung zu derartigen Gesprächen, die regelmäßig eine Absprache über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens im Sinne des § 257c StPO vorbereiten können, besteht nicht. Werden Verständigungsgespräche unter Sachleitung des Vorsitzenden durchgeführt, sind wesentliche Ergebnisse nach § 273 Abs. 1a S. 2 StPO zu protokollieren. Gericht in § 257b StPO meint dabei den gesamten Spruchkörper einschließlich der Schöffen.
Als typische Inhalte kommen in Betracht 

  • Strafrahmen im Falle eines (Teil-)Geständnisses auszuloten,
  • die Erforderlichkeit weiterer Beweiserhebungen und die vorläufige Bewertung bereits erhobener Beweise oder 
  • die rechtliche Bewertung von Tatvorwürfen zu erörtern sowie regelmäßig
  • eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO vorzubereiten.

Der Angeklagte ist mit den möglichen Inhalten einer Verständigung nicht einverstanden. Deswegen lehnt er die Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Ist die Verteidigung oder der Angeklagte mit den vorgenannten Inhalten nicht einverstanden, verspricht ein Befangenheitsantrag nach § 24 Abs. 1 2. Alt. StPO keinen Erfolg, weil das Gesetz dem Gericht ausdrücklich die Möglichkeit einer Erörterung einräumt.24