Salafismus als überstrapazierte Kategorie

Von Klaus Hummel (wissenschaftlicher Angestellter im Landeskriminalamt Sachsen) und Dr. Michail Logvinov, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden

Einleitung


Wie bereits frühere Fälle der Regimetransformation zeigen auch die Umwälzungen in der arabischen Staatenwelt, wie wenig die modernen Sozialwissenschaften befähigt sind, zuverlässige Prognosen über Umstürze oder grundlegende Veränderungen und ihre Folgen zu liefern. Das gilt nicht nur für den gefeierten „Arabischen Frühling“, der längst winterliche Züge trägt, sondern vor allem für die politische Landschaft im postrevolutionären Ägypten, in Tunesien oder in Syrien. Nur wenige Beobachter hatten dort eine politische Kraft auf der Rechnung, die von Ränke schmiedenden Autokraten und allgegenwärtigen Geheimdiensten lange als apolitisches Gegengewicht zum (militanten) Islamismus gefördert wurde: Die Salafisten, für deren verstorbene Galionsfigur Nasir al-Din al-Albani „die beste Politik“ noch darin bestand, sie sein zu lassen.1 Dennoch wurde gut ein Jahrzehnt nach seinem Ableben die salafistische „Partei des Lichts“ (Hizb al-Nur) ins ägyptische Parlament gewählt. In Nordafrika sollten die Dschihad propagierenden „Unterstützer der Scharia“ (Ansar al-Scharia) aufkommen, während sich in Syrien eine heterogene Front dschihadistischer Akteure mit ganz unterschiedlichem Tiefgang auf ideologische Bausteine salafistischer Lesart beruft.2 Selbst in Deutschland laufen inzwischen bärtige junge Männer mit knöchelfreiem Beinkleid und – immer häufiger – deutschen Namen Sturm gegen die Schmähung ihres Propheten Muhammad, wenn rechtspopulistische Gruppierungen mit Provokationen auf sich aufmerksam machen wollen – eine Entwicklung, die die Politik zum Anlass nahm, eine erst kürzlich identifizierte religiöse Gemeinschaft von Salafisten als besonders gefährlich zu etikettieren.

Der unter Wissenschaftlern uneinheitlich verstandene und von denen, die sich auf dem Weg der „frommen Vorfahren“ (al-salaf al-salih) wähnen, abgelehnte Salafismusbegriff ist als Aufhänger für ideologisierte Debatten bestens geeignet. Bislang dominiert auf der diagnostischen Ebene eine Tendenz, sich der Komplexität des Phänomens durch Generalisierung zu entziehen. Die Problemanalyse geht auf der „therapeutischen“ Ebene mit einem Lösungsansatz einher, der den Gefahren des Dschihadismus und Terrorismus durch „klare Kante“ gegen „salafistische Bestrebungen“ begegnen will.3 Kaum Beachtung findet demgegenüber eine konflikttheoretische Perspektive, die die Existenz salafistischer und islamistischer Tendenzen in Deutschland als Herausforderung sieht, sich als pluralistische, von Diversität geprägte Gesellschaft in Anbetracht weltpolitischer Umbrüche und des sozialen Wandels über gemeinsame Werte und Normen auszutauschen und zu verständigen.4 Dies geschieht nicht, um vorhandene Probleme kleinzureden, sondern um diese nicht noch größer als bisher werden zu lassen und damit dem nachzukommen, was moderne Gesellschaften auszeichnet: eine Fähigkeit zur Konfliktregulierung und -transformation, die sie bei neuen sozialen Phänomenen auch neu unter Beweis zu stellen hat.

Bedrohung Salafismus?


Dass eine religiöse Strömung mit Radikalisierung bzw. „Dschihadisierung“ in Verbindung gebracht wird, hätte noch vor wenigen Jahren kritische Fragen darüber gerechtfertigt, ob hier nicht eine Kategorie konstruiert und vorschnell mit der Frage politischer Gewalt korreliert wird. Heute aber ist die Situation längst eine andere: In verschiedenen und viel zitierten Varianten kursiert eine Formel, nach der zwar nicht jeder Salafist ein (islamistischer) Terrorist sei, aber alle (islamistischen) Terroristen Kontakt zu Salafisten hätten oder Salafisten seien. Angereichert wird diese Wendung zumeist mit sicherheitsbehördlichen Erkenntnissen, die in Form von Verfassungsschutzberichten, durchgesickerten oder frei zugänglichen Einschätzungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Auch zivilgesellschaftliche Akteure verschreiben sich dem Thema, warnen vor Salafisten und ihrer Gefahr für die Demokratie oder für das friedliche Zusammenleben. Medien greifen die Problematik dann oft anlassbezogen auf und verweisen auf das Treiben salafistischer „Hassprediger“ in entsprechenden Milieus. Die öffentliche und akademische Diskussion ist somit von der Gefahrenperspektive auf ein Phänomen geprägt, das zumeist ohne fundierte empirische Grundlage als „Nährboden der Radikalisierung“ oder „Einstiegsdroge“ in den islamistischen Terrorismus verstanden wird.
Die steile Karriere des Salafismusbegriffes macht nur wenige Beobachter der Szene skeptisch. Einer von ihnen ist der Islamismusexperte Yassin Musharbash. In seiner auch öffentlich geäußerten Zurückhaltung, sich in alarmistischer Weise über Salafismus auszulassen,5 ist eine wissenschaftlich gebotene Grundhaltung zu erkennen, welche sich eher fragend als allwissend gibt und sich in einer Frage widerspiegelt, die unlängst in Buchform gegossen wurde: „Salafisten: Bedrohung für Deutschland?“6 Aus Sicht der Autoren ist die vorschnell versicherheitlichte Frage mit „Ja“ zu beantworten. Denn je mehr ‚der‘ Salafismus mit dem islamistischen Terrorismus in Verbindung gebracht wird, desto mehr rückt das Phänomen in den Vordergrund der sicherheitspolitischen Kontroversen, was zusätzliche, über die eigentliche Gefahrendimension hinausgehende, unbedachte Risiken mit sich bringt. Einerseits wird damit die vereinfachte Vorstellung von einem salafistischen Kollektivakteur transportiert, die der Komplexität des zugrunde liegenden Phänomens nicht gerecht wird (s.u.). Andererseits erscheint die Unterscheidung von Gewalt befürwortenden und moderateren bzw. Gewalt ablehnenden Salafisten angesichts des beschworenen salafistischen Bedrohungsszenarios nachrangig. Die vermutete Nähe von Salafismus und Dschihadismus wird somit auch zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.7

Gefährliche Nähe


Auf den ersten Blick ist die politische, mediale und zunehmend auch akademische Konjunktur des Salafismusthemas im Kontext des Dschihadismus bzw. Terrorismus verständlich, denn das öffentliche Interesse für Antworten auf brennende Frage wird immer größer: Warum gibt es so viele junge Deutsche mit unterschiedlichen biografischen Hintergründen, die in steigender Zahl mit islamistischen Gewaltgruppen kokettieren oder sich für den Dschihad engagieren, wobei sie andere zu Tode bringen, selbst zu Tode kommen bzw. nach ihrer Rückkehr eine schwer einschätzbare Gefahr darstellen? Tatsächlich zeigt sich, dass die Übergänge zwischen dem geforderten „Praktizieren“ des Islam und der Auswanderung in die Gebiete des Dschihad fließend geworden sind. Unbestreitbar ist auch die Nähe dschihadistischer Gewaltakteure aus Deutschland zu einem salafistisch geprägten Umfeld, dem sie entstammen und/oder dessen Sprache sie sprechen, und die Sprache des zeitgenössischen Dschihad ist zweifelsohne der des Salafismus zum Verwechseln ähnlich – Grund genug also, von einer gegebenen Nähe auszugehen?
Mit dem versicherheitlichten Paradigma der Salafismusanalyse ist die Annahme verbunden, dass Einstellungen (wenn auch nicht notwendigerweise) zu politisch motiviertem Gewalthandeln führen. Dabei sagt die Popularität salafistischer Ideologiefragmente in einem scheinbar rasch expandierenden einheimischen Milieu mit zahlreichen Predigern, Moscheen oder Hilfsorganisationen noch nicht viel über die ideologischen Ausrichtungen und die Strategien verschiedener Akteure oder ihre Gewohnheiten des Medienkonsums aus, die doch in Anbetracht von Online-Radikalisierung und Cyber-Dschihad so wichtig erscheinen. Zugleich erhält man kaum Aufschluss darüber, ob nicht umgekehrt „der“ Salafismus die anvisierte Zielgruppe der dschihadistischen Einflussnahme darstellt. Die Annahme, dass das Milieu von Neu- und Wiederbekehrten den zentralen Schauplatz dschihadistischer Bemühungen um Diskurshoheit und Mobilisierung darstellt, ist jedoch mehr als plausibel.
Daher scheint die Versicherheitlichung des Phänomens ohne fundierte empirische Forschungen auf eine falsche Fährte zu führen. Es suggeriert nämlich auf der einen Seite, dass politisch motivierte Gewalt nur aus einer Ideologie oder einer religiösen Gemeinschaft heraus erklärt werden kann, marginalisiert aber auf der anderen Seite die Bedeutung sozialer Radikalisierungsprozesse. Zudem bleibt die in anderen Phänomenbereichen längst erwiesene Tatsache ausgeblendet, dass Gewalt und Einstellungen auf verschiedene Art und Weise korrespondieren, weswegen Radikalisierungsprozesse unterschiedlich konturiert sein können.8 In der Folge entsteht eine konstruierte Nähe zwischen sozial-religiösen Deutungs- wie Verhaltensmustern und einer militanten Aktionsform, deren Bedrohung im politischen Diskurs nach dem 11. September 2001 praktisch allgegenwärtig ist. Die gefährliche Nähe zwischen Salafismus und Dschihadismus/Terrorismus erscheint in dieser Perspektive nicht mehr als empirisch belegter sozialer Fakt, sondern als sicherheitspolitisches Artefakt, als sozial gemachte Größe, die eine vermeintliche So-Sein-Relation zwischen der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit und dem zu untersuchenden Objekt herstellt.
Nicht das erste Mal in der Geschichte deutscher Terrorismusdebatten zeigt sich die Tendenz zur Politisierung und Dramatisierung sozialer Phänomene. Längst beschrieben ist der Effekt einer sogenannten Bedrohungs- und Bedeutungsspirale, die einerseits von unten nach oben wirkt, indem sie die Bereitschaft zur Regel-, System- und Normverletzung unterstellt, um in den Vorwurf der Gewaltbefürwortung oder der (ideellen) Unterstützung des Terrorismus zu münden. Das vermeintliche Ähnlichkeitsverhältnis wird zudem von oben nach unten durch die „verkehrte Kausalität“ produziert, die den Salafismus zum „geistigen Nährboden des Terrorismus“ macht.9 Auf diese Weise wird ein Alltagsmythos vom scheinbaren Nexus zwischen Salafismus und Terrorismus begründet, der beide Phänomene als zwei Seiten einer Medaille erscheinen lässt. Es ist die undifferenzierte Gleichsetzung bzw. das scheinbar alles erklärende Zueinander-in-Beziehung-Setzen, welches die Autoren mit der Wendung der gefährlichen Nähe im oben beschriebenen Sinne adressieren. Da eine theologisch unterlegte und auf unterschiedliche Akteure anwendbare Kategorie zum zentralen Erklärungsfaktor für Terrorismus avanciert, handelt es sich einerseits um eine konstruierte Nähe. Gleichzeitig handelt es sich um eine Nähe, die von populistischen und dschihadistischen Akteuren angesteuert und für eigene Zwecke instrumentalisiert wird. Auf einer weiteren Ebene wird gefährliche Nähe besonders durch das Internet scheinbar evident. Der Dschihad sei nur einen Mausklick entfernt und E-Mails oder Facebook-Einträge, die Attentäter wie Arid Uka oder Anders Breivik verschicken bzw. machen, bevor sie zur Tat schreiten, bringen virtuelle Freunde schnell in Misskredit und in Erklärungsnot. Bei beiden Einzeltätern waren es Internetbezüge, die im Falle Ukas den Salafismus und im Falle Breiviks die „English Defense League“ (EDL) als vermeintliche Netzwerke hinter den Tätern in die Schlagzeilen brachten. Somit wird die konstruierte Nähe auch gefährlich, wenn angebliche Sympathisantenszenen identifiziert werden, die als solche möglicherweise gar keinen Beitrag leisten bzw. dergestalt nicht existieren. Die Gefahr geht also nicht nur von der tatsächlichen Radikalisierung aus, sondern auch von der vorschnellen Etikettierung größerer Gemeinschaften.

Kategorien als Teil des Problems


Im Hinblick auf die Begriffe „Radikalisierung“ und „Terrorismus“ gebe es ein wissenschaftliches Konsensdefizit.10 Diese Einschätzung von Alex P. Schmid, einem Doyen der Radikalisierungsforschung, trifft auch auf den Terminus Salafismus und seine Aufteilung in verschiedene Subkategorien zu.11 So findet er weder unter Muslimen Zustimmung und Anerkennung, noch gibt es unter Wissenschaftlern Einigkeit darüber, nach welchen Kriterien dessen Definitionsbereich zu erfassen ist. Obendrein, so der Islamkenner Bernhard Haykel, lässt eine übermäßige Fokussierung auf die Differenzen zwischen den verschiedenen salafistischen Flügeln zugleich übersehen, warum das salafistische Heilsmodell für viele „attraktiv, ja sogar unwiderstehlich“ ist.12 Dergestalt erscheint die überstrapazierte Salafismuskategorie eher als Teil des Problems – vor allem dann, wenn in das Salafismusphänomen sicherheitspolitisches Allerlei hineinprojiziert wird. Entstand der Begriff ursprünglich zum Zweck der Identifizierung einer bestimmten Strömung im sunnitischen Islam, mutierte er mittlerweile zu einer Projektionsfläche für Bedrohungsängste und vermeintliche oder tatsächliche sozial-kulturelle Spannungen. Der Begriff bleibt zwar nach wie vor nützlich, um den partikularen Charakter bestimmter Islamvorstellungen hervorzuheben und den Versuchen der Salafisten zu begegnen, sich als die Muslime in Szene zu setzen, jedoch ist die Salafismuskategorie als Reservoir für die oben beschriebenen dramatisierten und politisierten Stigmata eher kontraproduktiv.
Besonders deutlich wird das bei der hybriden Wortfindung dschihadistischer Salafismus (al-salafiyya al-jihadiyya), die mit ähnlich lautenden Konstruktionen wie Dschihad-Salafismus, salafistischer Dschihadismus, Salafi-Dschihadismus konkurriert. Sie bringt die Formel von der gefährlichen Nähe auch begrifflich auf den Punkt, weil hier zwei Dimensionen ineinander verschwimmen. Die erste Dimension ist eine kognitive oder ideologische, bei der die Ablehnung dessen, was neben Allah verehrt wird (kufr bit-taghut), selbst eine militante Umsetzung der Glaubensvorschrift (manhaj) rechtfertigt. Die zweite Dimension betrifft dschihadistisches Verhalten, das von der Propagandaverbreitung im Internet über die Auswanderung in die Gebiete des Dschihad als Auslandskämpfer bis hin zum terroristischen Gewaltaktivismus im Inland reichen kann.13
Während in meinungsführenden Publikationen auch militant-terroristische Gruppierungen wie Al-Qaida unter dem Begriff des dschihadistischen Salafismus gefasst werden, verstehen die Verfasser den Dschihad-Salafismus im Gegensatz zum Dschihadismus primär als Da’wa-Aktivismus.

Die vergessene Schlacht


Der dschihad-salafistische Da’wa-Aktivismus ist analytisch in vielen Fällen schwer zu fassen. Das liegt darin begründet, dass er sich eines salafistischen Vokabulars bedient, dessen dschihadistische Implikationen sich noch nicht einmal notwendigerweise dem Szenegänger erschließen müssen und gleichzeitig die Grenze zur Straffälligkeit unterschreiten. Deshalb bestand und besteht eine zentrale sicherheitsbehördliche (analytische) Herausforderung darin, dschihad-salafistische Akteure zu detektieren und ihre Netzwerke als möglichen Umschlagpunkt zwischen Missionierung und dschihadistischem Aktivwerden zu markieren, ohne eine weitergehende Radikalisierung des Umfeldes zu bewirken.
Diese Aufgabe ist gerade deshalb von zentraler Bedeutung, weil an der Schnittstelle von Salafismus und Dschihadismus die zentrale Schlacht im Kampf gegen den Terrorismus ausgetragen wird, die, obwohl vor vielen Jahren von Politikern, Analysten und Dschihadisten gleichermaßen ausgerufen, in Anbetracht von Militärkampagnen und repressivem Vorgehen zwischenzeitlich in Vergessenheit geriet. Gemeint ist die „Schlacht um die Herzen und Köpfe“, die seit einiger Zeit wieder neu ins Bewusstsein rückt, insbesondere dann, wenn verstärkt darüber nachgedacht wird, wie wichtig es ist, dem dschihadistischen Diskurs über einen vermeintlich religiös gebotenen Kampf gegen den Unglauben mit einer überzeugenden Gegenerzählung zu begegnen. Vor diesem Hintergrund fordern Terrorismusexperten vermehrt ein „westliches alternatives Narrativ“, das sich zur Eindämmung von Al-Qaida & Co auf Ideale besinnt, die von Anti-Diskriminierung bis zur Dialogbereitschaft reichen.14
Die Schlacht um die Herzen und Köpfe sowie alternative bzw. Gegen-Narrative erübrigt allerdings keine Analyse der zentralen Akteure, ihrer Strategien und möglicher Dynamiken auf dem breiten Feld salafistischer, islamistischer oder dschihadistischer Formationen. Das verdeutlicht eine Aussage von Abu Muhammad al-Maqdisi, einem der einflussreichsten Dschihad-Ideologen und dem geistigen Mentor des Terrorchefs al-Zarqawi, der 2005 auf ein zentrales Nutznießverhältnis hinwies. Ihm zufolge waren es die weithin akzeptierten Scheichs des traditionellen und des reformistischen Salafismus, die der „gesegneten dschihadistisch-salafistischen Strömung den Boden bereiteten“.15 Es habe erst der „Bewusstwerdung der Jugend“ (Sahwa) bedurft, damit die eigene Botschaft erfolgreich sein konnte. Dschihad-Salafisten können also von den Moderaten profitieren bzw. deren Netzwerke instrumentalisieren. Diese Gefahr dürfte allerdings noch größer werden, wenn „die“ Salafisten in Sippenhaft genommen, stigmatisiert, ausgegrenzt und dadurch in die Hände der radikalen „Versteher“ und „Kümmerer“ getrieben werden.
Wenn heute immer mehr junge Muslime ihr Interesse am militanten Dschihad artikulieren, dann stellt sich auch die Frage, wer am besten geeignet ist, eine alternative „Erzählung“ zu verbreiten, die bei diesen Dschihadbegeisterten Gehör zu finden vermag. Die Empfehlung, dass man dabei auch auf die einflussreichen Gewalt ablehnenden Salafisten vertrauen sollte, mag manchem sehr weit gehen. Fraglich ist aber auch ein Vorgehen, das gerade jene Akteure des Spektrums, die notwendige Kontrapunkte setzen (können), in die Nähe von Extremisten und Gefährdern rückt, denn die Gefahr ist groß, dass moderate Positionen geschwächt werden und es zur Erosion innerer Milieugrenzen kommt. Das ist besonders dann der Fall, wenn Salafismus von politischer Seite gleich zur „größte[n] sicherheitspolitische[n] Herausforderung des 21. Jahrhunderts“ erklärt wird.16 Die Religionswissenschaftlerin Ulrika Mårtensson sieht in der einseitigen Kommunikation staatlicher Stellen mit salafistischen Akteuren in Norwegen ein Demokratiedefizit und spricht sich deshalb für einen öffentlichen Dialog aus.17 Das ist weit gegriffen und nicht unbedingt übertragbar, lenkt aber den Blick darauf, dass eine glaubhafte Botschaft oftmals bereits in der Form und nicht im Inhalt liegt. In jedem Fall setzt der Umgang mit dem Phänomen aber auch voraus, über die Eigenlogik und Strategien verschiedener Akteure im Bild zu sein, wenn es gelingen soll, den westlichen Diskurs zu stärken und Erfolg versprechende Maßnahmen gegen den Dschihadismus und Terrorismus zu entwickeln.

Blinde Flecken der Forschung


Zu den zentralen Fragen der Radikalisierungsforschung gehört folgende: Wie lässt es sich erklären, dass sich einige Aktivisten einer militanten Gruppierung anschließen, zur Waffe greifen und Gewalt mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderung anwenden, während andere, die ähnliche Wahrnehmungen von den vermeintlichen Missständen dieser Welt haben, sich damit ‚begnügen‘, zu argumentieren, zu bloggen oder ‚nur‘ aufzuhetzen?
Gerade das Umschlagen von Sympathie mit dem Dschihad in „besetzten Gebieten“ in Gewaltakzeptanz und anschließende -praxis ist forschungsmäßig – wie so ziemlich das ganze Feld – auch seit mehr als einem Jahrzehnt im Krieg gegen den Terrorismus noch unerforscht.18 So zumindest sieht es der international renommierte Psychologe und Al-Qaida-Spezialist Marc Sageman, der sogar von einer Stagnation des Forschungszweiges spricht.19 Immerhin sei die Hysterie um eine übermächtige Al-Qaida der Erkenntnis gewichen, dass man es jetzt mit hausgemachten Neo-Dschihadisten zu tun habe. Der Nachsatz, dass über deren Motivation, politisch motivierte Gewalt anzuwenden, aber nur wenig bekannt sei, verrät viel über das bisherige Erkenntnisinteresse. Der herkömmliche Forschungsansatz ist stärker an (individuellen) Ursachen orientiert als an dem Wachstum, den Strukturen und Dynamiken dschihadistischer Grauzonen und lässt den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. So kann man auch die Sicht von Alex P. Schmid zusammenfassen, welche, in den Jargon der Radikalisierungsforschung gehüllt, die langjährige Konzentration auf die Mikroebene individueller Radikalisierungsverläufe infrage stellt. Notwendig erscheint dem Terrorismuskenner eine Kurskorrektur, die sich anschickt, die Meso- und Makroperspektive zu stärken, wobei er zwei Forschungsdesiderate hervorhebt: zum einen das „radikale Milieu sogenannter nicht militanter Extremisten“, dessen Rolle als Einfallstor (gateway) oder Schutzwall (firewall) oftmals unklar ist, und zum anderen die Zweiseitigkeit des Radikalisierungsprozesses, die nicht ausblendet, „was Regierungen daheim und im Ausland machen.“20Eine verallgemeinernde Sicht auf ‚den‘ Salafismus als „Nährboden des islamistischen Terrorismus“ steht somit der Erkenntnis im Weg, dass bereits seit über einem Jahrzehnt eine steigende Zahl einheimischer Muslime im Sinne des globalen Dschihad aktiv wird. Dass sich die Anzahl der Ermittlungsverfahren gegen islamistische Terroristen (inkl. Dschihadisten) im Jahr 2010 im Vergleich zu 2002 (72 Fälle) verfünffachte, wird oft mit der Verbreitung der salafistischen Ideologie und einer wachsenden salafistischen Infrastruktur in der Bundesrepublik in Verbindung gebracht. In der Tat spielen diese Faktoren eine Rolle, deren eigentliche Relevanz allerdings weitgehend im Verborgenen bleibt, solange weitere Aspekte, wie das Zusammenspiel von lokalen und globalen Ereignissen, Propagandamittel und einschlägige Themen, der Umgang mit Muslimen in der Mehrheitsgesellschaft oder die Beschaffenheit des radikalen Milieus, ausgeblendet werden. Zugleich ist es naheliegend, dass auch andere Variablen für die dschihadistische Mobilisierung von Bedeutung sind: die mediale Inszenierung des Krieges gegen den Terror als Kreuzzug, der Irak-Krieg und Vorgänge im Gefängnis „Abu Ghraib“, die Parteinahme zugunsten der irakischen Schiiten, die Kooperation des Westens mit brutalen afghanischen Kriegsherren und zentralasiatischen Diktatoren, das Erstarken der Taliban infolge einer nicht effektiven Aufstandsbekämpfung am Hindukusch, das den Mudschaheddin-Mythos aufleben ließ, und nicht zuletzt der Anstieg ziviler Opfer einschließlich Kinder. All diese Inkonsistenzen der Terrorismusbekämpfung, flankiert durch den erfolgreichen dschihadistischen Appell an die „Verteidiger der Umma“, spiegeln sich in Radikalisierungsprozessen wider.

Das radikale Milieu des deutschen Dschihad


Mit Guido Steinberg meldet der hierzulande profundeste Kenner des islamistischen Terrorismus Zweifel daran an, dass Sicherheitsbehörden imstande sind, die außerordentlich dynamische Szene des deutschen Dschihad zu erfassen und nachzuvollziehen, wann „Jugendliche in das dschihadistische Milieu abrutschen.“21 Auch die akademische Terrorismusforschung weist ähnliche Defizite auf, die nicht zuletzt in einer „diffusen Analysekapazität“ begründet liegen, und zeigt wenig Neigung, die unterschiedlichen islamischen Strömungen zu differenzieren.22 Umso wichtiger erscheinen deshalb Forschungsvorhaben wie das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Teras-Index“, das sich eingehend mit der Frage beschäftigt, wie westliche Interventionen in islamischen Ländern zur Radikalisierung von Muslimen in „radikalisierten Milieus“ von Dschihadisten, Islamisten und vulnerablen Jugendlichen beitragen. Zu den Projektergebnissen zählt, dass 80 Prozent23 der in Deutschland aktiv gewordenen Dschihadisten Bezüge zu äußeren Konflikten hatten, weshalb die Vorstellung vom Homegrown-Terrorismus zu relativieren sei.24 Eine etwas andere Argumentationsebene findet sich bei dem international renommierten Dschihadismus-Experten Thomas Hegghammer. Für ihn steht nämlich fest, dass islamistische Attentäter, die sich in völliger Isolation („Lone-Wolf-Paradigma“) radikalisieren, eher die Ausnahme darstellen. Entweder hätten sich Dschihadisten, die Anschläge im Inland planen, aufgrund ihrer Kampferfahrung im Ausland oder im Kontakt mit Veteranen oder Gleichgesinnten im Inland radikalisiert.25
Beide Einschätzungen verdeutlichen Ähnliches. Zum einen untermauern sie, dass individuelles Verhalten nicht losgelöst von sozialen Bezügen zu verstehen ist. Zum anderen wird daran die Bedeutung der grenzüberschreitenden Verpflichtung oder der imaginierten Solidargemeinschaft deutlich, die angesichts der Durchdringung des Alltags mit modernen Kommunikationsmitteln (Mediatisierung) ganz neue Formen der Vergemeinschaftung hervorbringen kann. Selbst scheinbar isolierte und primär virtuell vernetzte Täter wie Arid Uka agieren deshalb in einem Umfeld, dem eine eigene Semiotik und ein spezifischer Deutungsrahmen (bspw. diagnostischer wie prognostischer Frame) zu eigen sind. Obwohl der erste dschihadistische Attentäter in Deutschland in seiner Tatplanung und -begehung zwar anscheinend ohne Hintermänner und Unterstützer auskam (und auch sein Handlungsmotiv keineswegs ideologisch motiviert gewesen sein muss), konnte er sich dennoch in ein Netzwerk von Gleichgesinnten eingebunden fühlen, die seine Überzeugungen teilen und in deren Auftrag er möglicherweise zu handeln glaubte. Umgekehrt bot Ukas Tat innerhalb dschihad-salafistischer Kreise Anlass, sich die Tat anzueignen, seinen „Mut“ zu preisen und zum Adressaten islamistischer „Gefangenenhilfe“ zu machen.26 Neu ist das Phänomen der einsamen Wölfe lediglich dahingehend, dass in der früheren Forschung die Rolle der Strukturen bzw. „Schläferzellen“ sowie Rekrutierer und „Rattenfänger“ überbewertet wurde, während der mobilisierende Diskurs, der seine Wirkung vor dem Hintergrund in- und ausländischer sozialer Konflikte entfaltet, meist unterschätzt blieb. Zugleich scheint das Problem des Lone-Wolf-Terrorismus übertrieben bzw. nicht immer korrekt eingeordnet zu sein.27
Auf die Notwendigkeit, die Umfelder terroristischer Gewaltakteure zu untersuchen, macht bereits seit mehreren Jahren der Terrorismusforscher Peter Waldmann aufmerksam, der kürzlich ein zusammen mit Stefan Malthaner ausgearbeitetes Konzept des radikalen Milieus28 vorgelegt hat, das einige besonders relevante Vorteile bietet: Es schärft das Verständnis von Wachstums- oder Schrumpfungsprozessen des (engeren) Umfelds terroristischer Vereinigungen und erlaubt eine differenziertere Beschreibung jener (dynamischen) Gruppen, die im Hinblick auf terroristische Gewaltstrategien genauso unterstützend wie hemmend sein können. Diese Perspektive kann helfen, Salafismus – oder besser: das engere und weitere soziale Umfeld entsprechender Gewaltgruppen – nicht eindimensional als „terroristischen Nährboden“ oder „Sympathisantensumpf“ zu verstehen und damit etwa resiliente Potenziale vom Erkenntnisinteresse auszuschließen.

Das informelle islamische Milieu


Salafismus in Deutschland wird zumeist als soziale Bewegung mit drei Flügeln dargestellt: puristische, politisierte und dschihadistische Salafisten. Trotz der Fragmentierung des Phänomens gilt Salafismus paradoxerweise oftmals als monolithische Bewegung. Selbst taktische Differenzen und Konflikte wie der Zwist zwischen „Die Wahre Religion“ um Ibrahim Abou-Nagie und dem Verein „Einladung zum Paradies“ um Pierre Vogel im Jahr 2008 führten nicht zur notwendigen Differenzierung der Szene. In Ermangelung der gebotenen Unterscheidungen wurde der salafistische Mainstream mit dem gewaltbereiten Extremismus einer radikaleren Gruppe gleichgesetzt, weshalb Salafisten verstärkt zum Gegenstand sicherheitsbehördlicher Maßnahmen wurden.29
Im verallgemeinernden Verständnis von Salafismus, Salafisten oder salafistischen Bestrebungen wird eine organisationszentrierte Sicht auf die Gruppen und Strömungen des fundamentalistischen Formenkreises in Deutschland fortgeschrieben.30 So benennt der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2012 16 islamistische und dschihadistische Gruppierungen, deren Personenpotenzial der Nachrichtendienst auf 42.550 Islamisten taxiert. Darunter befinden sich neben altbekannten Gruppierungen wie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (31.000) oder der Muslimbruderschaft (1.300) auch neuere dschihadistische Netzwerke wie Al-Qaida, Islamische Dschihad-Union oder Boko Haram, deren Anhängerzahl unbestimmt bleibt.31 Darüber hinaus existiert eine 2011 eingeführte (entpersonalisierte) Kategorie salafistische Bestrebungen, der 4.500 Anhänger zugerechnet werden.
Die zentrale Entwicklung der zurückliegenden Dekade lässt sich mit solchen Messinstrumenten nur bedingt erfassen: Die Entstehung eines facettenreichen einheimischen Milieus von Predigern, Gruppen und Anhängerschaften, unter denen die Vorstellung von einem vermeintlich wahren Islam auf dem Weg der frommen Vorfahrenum sich greift, den es zu „praktizieren“ gilt und für den ein Muslim ‚aktiv‘ werden müsse. Obwohl sich dabei besonders salafistische Verkünder hervortun, wird hier statt einer organisationszentrierten Konzeption von Salafismus ein Milieuansatz favorisiert, der auch nicht salafistische Formationen konzeptionell einbezieht.32 Damit ist das Ziel verbunden, einen Gegenentwurf zu einer nach wie vor dominanten Sichtweise einzuführen, die vom Nebeneinander verschiedener Gruppen und Strömungen ausgeht. Demgegenüber gilt es in Anbetracht organisationsübergreifender Mobilisierung, Einflussnahme, Allianzbildung und fließender Übergänge, den informellen Prozessen islamisch-fundamentalistischer Vergemeinschaftung stärker Rechnung zu tragen. Der Ansatz basiert auf der Annahme, dass das infrage kommende Milieu primär durch seine Informalität gekennzeichnet ist, sich also weniger durch Organisationsgrenzen als durch fließende Übergänge und netzwerkartige Beziehungen zwischen diversen Gruppen, fluktuierende und multiple ‚Mitgliedschaften‘ sowie konkurrierende und instabile Hierarchien auszeichnet. Darüber hinaus deuten sich Prozesse der Re- und Neustrukturierung älterer oder verbotener (auch ausländischer) Formationen genauso an wie szeneartige Vergemeinschaftung entlang der Themen Bildung, Doktrin, Protest oder Dschihad. Diese kann sich in einem milieuspezifischen Medienkonsum, der Akzeptanz und Übernahme entsprechender Kleidungsstile und Verhaltensweisen genauso wie in der Teilnahme an szenetypischen Veranstaltungen zeigen.
Während für diese Strömungen mehrheitlich die Verbreitung und Etablierung einer spezifischen Islamauffassung im Vordergrund steht, zeigt die im Jahr 2007 aufgedeckte Sauerlandzelle, dass sich auch dschihadistische Akteure mit terroristischer Strategie dem informellen islamischen Milieu hierzulande zurechnen lassen. Genau genommen zeichneten sich die Mitglieder der Sauerlandzelle durch multiple und dynamische Gruppenbezüge aus, die für das informelle islamische Milieu geradezu charakteristisch sind.
Inwiefern auch das im Jahr 2011 entstandene Netzwerk Millatu Ibrahim den Übergang von dschihad-salafistischer Missionierungsarbeit zu dschihadistischem Gewaltaktivismus vollzogen hat, bleibt abzuklären. Festzuhalten ist jedoch, dass mit dem Verbot der Millatu Ibrahim-Gruppe, einzelne Radikalisierungsprozesse nicht unterbunden, sondern möglicherweise sogar befördert wurden - weshalb immer dann, wenn von Radikalisierung die Rede ist, die Rolle des Staates oder des politischen Gegners nicht unberücksichtigt bleiben kann.
Innerhalb der zurückliegenden Dekade hat sich im Rahmen der Ausdifferenzierung eines informellen islamischen Milieus eine von Ambivalenzen und Grauzonen geprägte einheimische „Szene von Dschihadbegeisterten“ etabliert. Die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung besteht deshalb darin, der Attraktivität von dschihad-salafistischen und populistischen Predigern, webbasierten klandestinen Gruppen à la Millatu Ibrahim oder dubiosen Aktionsplattformen wie der „Lies“-Kampagne sowie der „grünen“ Gefangenenhilfe entgegenzusteuern. Diese Schlacht um die Herzen und Köpfe lässt sich mit der Stigmatisierung des Salafismus nicht gewinnen. Was es braucht, ist ein konziseres Verständnis von den Akteuren, Strukturen, Dynamiken und Strategien innerhalb eines einheimischen Milieus, in dem der Wille, den „wahren Islam“ zu praktizieren, legitim ist und noch gar nichts darüber aussagt, wann, warum und wie er zum Sicherheitsproblem werden kann.


Anmerkungen
Vgl. Stéphane Lacroix: Between Revolution and Apoliticism: Muhammad Nasir al-Din al-Albani’s Influence on the Shaping of Contemporary Salafism, in: Roel Meijer (Hg.): Global Salafism: Islam’s New Religious Movement. London/New York 2009, S. 69.
Vgl. International Crisis Group ICG (Hg.): Tentative Jihad: Syria’s Fundamentalist Opposition, Middle East Report Nr. 131 unter: www.crisisgroup.org/en/regions/middle-east-north-africa/egypt-syria-lebanon/syria/131-tentative-jihad-syrias-fundamentalist-opposition.aspx (12. Oktober 2012).
Vgl. das Interview mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen: „Wenn der Staat gegenüber salafistischen Bestrebungen nicht klare Kante zeigt, besteht die Gefahr, dass diese Gruppen weiter wachsen“, unter: www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/interviews/int-2013-03-11-focus (11. März 2013).
Diese Perspektive wurde bereits in Anbetracht der Verbotsverfügungen gegen den Kalifatsstaat des Metin Kaplan und die Hizb ut-Tahrir aus den Jahren 2001 bzw. 2002 eingebracht. Vgl. Werner Schiffauer: Das Schweigen am Rande, unter: www.taz.de/1/archiv/archiv/ (30. April 2003).
Der Kurzbeitrag von Yassin Musharbash bei dem Berliner Symposium „Inspire, YouTube & Co.“ vom 27. März 2012 im Rahmen der Initiative Sicherheitspartnerschaft brachte genau diese Skepsis zum Ausdruck. Vgl. auch: Yassin Musharbash: Salafisten-Phänomen verwirrt Sicherheitsexperten, unter: www.spiegel.de/politik/deutschland/verfassungsschutzbericht-salafisten-phaenomen-verwirrt-sicherheitsexperten-a-771825.html (1. Juli 2011).
Vgl. Ulrich Kraetzer: Salafisten: Bedrohung für Deutschland? Gütersloh/München 2014.
Vgl. Alex P. Schmid: Al-Qaeda’s “Single Narrative” and Attempts to Develop Counter-Narrative: The State of Knowledge, ICCT 2014, S. 7, unter: www.icct.nl/download/file/AP-Schmid-Al-Qaedas-Single-Narrative-January-2014.pdf (20. Februar 2014).
Möglich sind folgende Verlaufsmuster: 1) Gewalt vor Einstellung (Ideologie spielt lediglich insofern eine Rolle, als sie Gewaltpotenziale kanalisiert und in eine den Feindbildern entsprechende Richtung steuert), 2) Gleichlauf (miteinander verbundene Entwicklung von Gewalt und Einstellung überwiegend nach Kontakt mit einschlägigen Tätern/Gruppen), 3) unabhängiges Nebeneinander und 4) Einstellung vor Gewalt (feinbildzentrierte Ideologie schafft Gewaltpotenziale). Vgl. ausführlich dazu: Christine Krüger: Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen allgemeiner Gewaltbereitschaft und rechtsextremen Einstellungen. Eine kriminologische Studie zum Phänomen jugendlicher rechter Gewaltstraftäter, Mönchengladbach 2008, S. 78ff.
Vgl. dazu: Hubert Treiber: Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Die Inszenierung ‚symbolischer Kreuzzüge‘ zur Darstellung von Bedrohungen der normativen Ordnung von Gesellschaft und Staat, in: Analysen zum Terrorismus, Bd. 4/2: Protest und Reaktion, Opladen 1984, S. 320–365, hier 347.
Vgl. Alex P. Schmid: Radicalisation, De-Radicalisation, Counter-Radicalisation: A Conceptual Discussion and Literature Review, unter: www.icct.nl/download/file/ICCT-Schmid-Radicalisation-De-Radicalisation-Counter-Radicalisation-March-2013.pdf (29. März 2013).
Unter der Überschrift „Salafistische Missionare“ werden mitunter sogar nicht salafistische Gruppen wie Hizb ut-Tahrir oder Tablighi Jamaat gelistet. Vgl. Claudia Dantschke: Die muslimische Jugendszene, unter: www.bpb.de/politik/extremismus/islamismus/36402/jugendorganisationen (5. Juli 2007). Vgl. darüber hinaus die Diskussion eines bislang nicht etablierten Takfir-Salafismus bei Dirk Baehr: Salafistische Propaganda im Internet. Von der reinen Mission bis zum globalen Jihad – Die wesentlichen ideentheoretischen Unterschiede unter den salafistischen Strömungen in Deutschland, in: Magdeburger Journal für Sicherheitsforschung, 4 (2012) 2, S. 236-269.
Vgl. Bernhard Haykel: On the Nature of Salafi Thought and Action, in: Roel Meijer (Hg.): Global Salafism: Islam’s New Religious Movement. London/New York 2009, S. 33-57.
Vgl. zur differenzierten Erfassung dschihadistischer Akteure: Thomas Hegghammer: Should I Stay or Should I Go? Explaining Variation in Western Jihadists’ Choice Between Domestic and Foreign Fighting, in: American Political Science Review, February 2013, S. 1-15.
Vgl. dazu Schmid: Al-Qaeda’s “Single Narrative”, S. 28.
Vgl. das Interview mit Abu Muhammad al-Maqdisi auf al-Jazeera: Abu Muhammad al-Maqdisi: al-Salafiyya al-Jihadiyya, unter: www.aljazeera.net/channel/archive/archive (10. Juni 2005).
Vgl. Innenminister Boris Rhein: „Salafismus größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts“, unter: hmdis.hessen.de/presse/pressemitteilung/innenminister-boris-rhein-salafismus-groesste-sicherheitspolitische (30. August 2013).
Vgl. dazu Ulrika Mårtensson, Harakî Salafism in Norway: ‘The Saved Sect’ Hugs the Infidels, Tidsskrift for islamforskning, Ausgabe 8/1, 2014, S. 217, unter: islamforskning.dk/files/journal/2014/FIFO-2014-1-del7.pdf (4. März 2014).
Immerhin liegt mit dem Buch German Jihad. On the Internationalization of Islamist Terror von Guido Steinberg (New York 2013) ein Standardwerk zum Dschihadismus in Deutschland vor. Ähnliches gilt für eine Sammelstudie zum jihadistischen Internet in Deutschland von Guido Steinberg/Florian Peil/Nico Prucha/Asiem El Difraoui/Rosaviola Frohneberg: Jihadismus und Internet. Eine deutsche Perspektive, SWP-Studien 2012/S 23, Oktober 2012, 94 Seiten.
Vgl. Marc Sageman: The Stagnation of Research on Terrorism, unter: chronicle.com/blogs/conversation/2013/04/30/the-stagnation-of-research-on-terrorism/ (30. April 2013).
Schmid: Radicalisation, S. 54, 37.
Vgl. Guido Steinberg: Die neuen Internationalisten – Organisationsformen des islamistischen Terrorismus, in: Der Bürger im Staat, (2011) 4, S. 228–234.
Vgl. Sebastian Huhnholz: Das Spannungsverhältnis von Dschihadismus- und Terrorismusanalyse in Wissenschaft und Sicherheitspolitik der BRD, in: Terrorismusforschung in Deutschland, Wiesbaden 2011, S. 203–227, hier 224.
Vgl. auch: The EU Terrorism Situation and Trend Report 2011, Den Haag 2012, S. 16.
Vgl. „Triebfedern des Extremismus“, unter: de.qantara.de/content/interview-mit-matenia-sirseloudi-triebfedern-des-extremismus (20. März 2013).
Vgl. Hegghammer: Should I Stay or Should I Go?
Vgl. den Aufruf der dschihad-salafistisch inspirierten Webseite Ansaar ul-Aseer (Unterstützer der Gefangenen), unter: www.ansarul-aseer.com/asraa-die-gefangenen/brueder/item/arid-u (19. April 2012).
Vgl. Lisa Lundquist: Another Look at a French ‘Lone Wolf’, unter: www.longwarjournal.org/threat-matrix/archives/2014/03/another_look_at_a_french_lone.php (24. März 2014).
Vgl. Stefan Malthaner/Peter Waldmann (Hg.): Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen, Frankfurt am Main 2012.
Vgl. zu „negative radical flank effect“: Nina Wiedl: The Making of a German Salafiyya, The Emergence, Development and Missionary Work of Salafi Movements in Germany, Aarhus 2012, S. 43.
Vgl. zum Anspruch verschiedenster, auch dschihadistischer Bewegungen, die Fundamente des Islam wiederzubeleben, Sadiq al-Azm: Unbehagen in der Moderne, Frankfurt am Main 1993, S. 88f.
Bundesministerium des Innern (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2012, Berlin 2013, S. 233.
Dieser Milieuansatz geht zurück auf den Bewegungsforscher Dieter Rucht: Das alternative Milieu in der Bundesrepublik. Ursprünge, Infrastruktur und Nachwirkungen, in: Sven Reichardt/Detlef Siegfried (Hg.): Das Alternative Milieu. Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepublik Deutschland und Europa 1968–1983. Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 47. Göttingen 2010, S. 61–86, hier.Vgl. zur Einbindung in unterschiedliche lokale Szenen salafistischer Prägung, in ein radikales Milieu in Deutschland sowie in eine transnationale dschihadistische Gruppe: Stefan Malthaner/Klaus Hummel: Die ‚Sauerland-Gruppe‘ und ihr soziales Umfeld, in: Stefan Malthaner/Peter Waldmann (Hg.):Radikale Milieus – Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen, Frankfurt am Main, 2012, S. 245–278.

Wichtiges in Kürze

Von Gunhild v. d. Groeben, Journalistin, Mainz

Rassismus: Zukünftig härtere Strafen


Als eine der Konsequenzen aus der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen soll das Motiv „Rassismus„ bei der Begehung von Straftaten zukünftig mit in das Strafmaß einfließen. Die Neuerung ist eine Präzisierung des § 46 Abs. 2 StGB : Motive wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Menschenverachtung werden nun ausdrücklich im StGB erwähnt. Der Richter muss also abwägen, ob dergleichen als Beweggrund vorgelegen hat – und kann dann eine schärfere Strafe verhängen. Mit dem Gesetzentwurf wird eine Verabredung der Koalitionsvereinbarung der die Bundesregierung tragenden Parteien umgesetzt Während Kritiker von einer „Schaufenstergesetzgebung sprechen, will Justizminister Heiko Maas mit den geplanten Änderungen die Ermittlungsbehörden frühzeitig für Motive wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sensibilisieren und dazu bringen, dass diese Motive im Zuge der Ermittlungen schon früh in den Blick genommen werden. Mehr: www.bmjv.de

Rechtsextremismus: Erfahrungen mit Ausstiegshilfe-Programmen


Die Zahl der Akteure, die Ausstiegshilfen für Rechtsextremisten anbieten, hat in den letzten Jahren zugenommen. In Heft 1 2014 von „forum kriminalprävention„ beschreibt Frank Buchheit, Mitarbeiter der Landesprävention beim LKA Baden-Württemberg, am Beispiel des Programms „Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus„ (BIG REX) die komplexen Tätigkeiten der Ausstiegshilfen. Er geht dabei insbesondere auf das sogenannte Logische Modell ein, das im Verlauf des BIG REX-Programms entwickelt wurde und sich im vielschichtigen Ausstiegsprozess als ein hilfreiches Analysewerkzeug erwiesen hat. Mehr: www.kriminalpraevention.de

Folter: Bericht 30 Jahre gebrochene Versprechen


Vor 30 Jahren wurde die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen verabschiedet; 155 Staaten sind ihr beigetreten. Umso mehr alarmiert ein Bericht der Organisation Amnesty International: In den vergangenen fünf Jahren habe man aus 141 Ländern Berichte über Misshandlungen und Folter gesammelt, so Amnesty in dem Bericht „Dreißig Jahre gebrochene Versprechen„. Die Folter werde eingesetzt, um unter anderem Geständnisse zu erpressen und politische Gegner einzuschüchtern. Folterer würden fast nie zur Rechenschaft gezogen. Die einzig wirksame Strategie gegen Folterungen sei weitestgehende Transparenz bei Gerichtsverfahren und Haftbedingungen. Mehr: www.amnesty.de