Politik - Innere Sicherheit

Piratenjagd durch Private

Der Zulassung privater Sicherheitsdienstleister zum Schutz deutscher Seeschiffe als Paradigma für den schleichenden Verfall des staatlichen Gewaltmonopols

Die Rechtslage – ein legislatorischer Flickenteppich


Dass die Diskussion um die Bekämpfung der Seepiraterie selbst von Fachleuten nur mit spitzen Fingern angefasst und äußerst divergierend geführt wird, liegt an der Unübersichtlichkeit und Diversifizierung der Rechtsmaterie, zumal das Kriminalitätsphänomen seit der Enthauptung von Störtebeker mitsamt seinen Vitalienbrüdern um 1400 als ausgestorben galt. Als es nun seit 2005 mit verstärkter Intensität wieder auflebte, reagierten die zuständigen Ministerien – es sind deren fünf – mit Unverständnis, Desinteresse und der Suche nach Möglichkeiten, den Schwarzen Peter bei der Problemlösung weiter zu schieben. Zwar muss bei der grundsätzliche Bewertung berücksichtigt werden, dass rund 75 Prozent der deutschen Schiffe nach § 7 Flaggenrechtsgesetz ausgeflaggt sind und unter dem Banner von Billigländern segeln. Dazu gehören z.B. Liberia und Antigua und Barbuda, aber auch Zypern und Malta. Es geht also lediglich um die rund 400 Handelsschiffe, die tatsächlich die deutsche Flagge führen. Auch wenn die Bundesmarine zurzeit im Rahmen der EU-Operation Atalanta im Rahmen eines EU-Mandates am Horn von Afrika eingesetzt wird, braucht ihr Einsatz hier nicht weiter betrachtet werden, da sie nach geltender Rechtslage nicht zum Vollzug polizeilicher Maßnahmen eingesetzt werden darf. Daran hat auch der kürzliche Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz nichts geändert.
Die internationale, aber auch die nationale Rechtslage zur Aufrechthaltung von Seesicherheit ist unübersichtlich, z.T. auch widersprüchlich und enthält gravierende Sicherheitslücken. Dies gilt in Sonderheit für die Bekämpfung und Verfolgung der Seepiraterie, da offensichtlich für klarstellende Regelungen (bisher) keine Notwendigkeit gesehen wurde. Nach Art. 92 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen fahren Schiffe unter der Flagge eines einzigen Staates und unterstehen auf Hoher See seiner ausschließlichen Hoheitsgewalt, mit Ausnahme der Fälle, die in internationalen Verträgen oder im Übereinkommen selbst vorgesehen sind. Die Hoheitsgewalt übt nach § 6 Bundespolizeigesetz (BPolG) die Bundespolizei aus. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es sich bei den Interventionsmaßnahmen gegen Piraten, soweit deutsche Schiffe betroffen, um polizeiliche Maßnahmen handelt, da Schiffe unter deutscher Flagge deutsches Hoheitsgebiet sind und insoweit deutsche Gesetze gelten. Aus den Regelungen der Artikel 107 und 110 des Seerechtsübereinkommens ergibt sich ferner , dass die Piratenabwehr keineswegs allein eine militärische Aufgabe ist. Der Teufel steckt im Detail, denn bei der Verfolgung der Seeräuberei außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes tritt durchaus eine Reihe von schwierigen Rechtsfragen auf, zum Bespiel dann, wenn ein Schiff, das einer deutschen Reederei gehört, unter der Flagge von Panama fährt, der Kapitän Deutscher ist, Wirtschaftsgüter für Frankreich befördert werden, die Mannschaft aus vier verschiedenen Ländern kommt und wenn die Kaperung durch ein US-Kommando beendet wird. Nach deutschem Rechtsverständnis handelt es sich bei seeräuberischen Handlungen um Straftaten. Damit ist die Zuständigkeit der Polizei und der Justizorgane gegeben. Sofern die Seepirateriebekämpfung als polizeiliche Aufgabe verstanden wird, liegt der Zuständigkeitsschwerpunkt bei der Bundespolizei, die fallweise im Bereich der Ermittlungen, Tatortarbeit und bei Verhandlungen mit Geiselnehmern durch das Bundeskriminalamt unterstützt werden kann. Die Zuständigkeit der Bundespolizei für präventive und repressive Maßnahmen seewärts des Küstenmeeres, die in Spezialgesetzen geregelt sind, ergibt sich aus § 1 Abs. 2 BolBG. Zu diesen Spezialgesetzen zählen u.a. das Seeaufgabengesetz, die Seeschiffahrtsaufgaben-Übertragungsverordnung sowie die Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See. Die Zuständigkeiten für allgemeinpolizeiliche Maßnahmen in diesem Bereich ergeben sich aus § 6 BPolG. Sofern es sich um Strafverfolgungsmaßnahmen im Rahmen dieser Aufgabenzuweisung handelt, ergeben sich diese aus § 12 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 1 letzter Halbsatz BPolG. Auch wenn § 6 BPolG vordergründig den Eindruck erweckt, dass es sich lediglich um Parallelzuständigkeiten handelt, da die Bundespolizei unbeschadet der Zuständigkeit anderer Behörden oder der Streitkräfte tätig wird, ist die Formulierung im Grunde leerlaufend. Für polizeiliche Maßnahmen auf Hoher See gibt es zurzeit keine eingriffsfähige Organisation außer der Bundespolizei. Von den potenziellen Möglichkeiten kommt allenfalls die Bundeswehr in Betracht, doch für deren polizeilichen Einsatz bedarf es einer Grundgesetzänderung. Sofern es sich um die Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben handelt, ist auch aus § 8 Abs. 2 BPolG. einschlägig. In Hinblick auf die Beistandspflichten gegenüber im Ausland in Not geratenen deutschen Staatsangehörigen ist überdies § 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Auswärtigen Dienst zu berücksichtigen.
Das Strafgesetzbuch kennt im Gegensatz zu den Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens einen Tatbestand der Seeräuberei nicht. Je nach Tatbegehung verstoßen die Akte gegen § 316 c StGB (Angriff auf den Luft- oder Seeverkehr), § 239 StGB (erpresserischer Menschenraub), § 239 b StGB (Geiselnahme) oder § 250 StGB (schwerer Raub). Dazu gesellen sich allerdings je nach Tatbegehung eine Fülle von sonstigen Straftaten gegen das Leben, die körperlicher Unversehrtheit und persönliche Freiheit sowie eine Fülle von Eigentumsdelikten, wobei die kriminellen Verbindungen zur Organisierten Kriminalität und zum internationalen Terrorismus bisher kaum umfassend aufgeklärt wurden. Hierdurch sind weitere Straftatbestände berührt.
Die Zuständigkeiten zur Verfolgung der Straftaten ergeben sich aus den allgemeinen Regeln nach §§ 4, 6 Nr. 3, 7 StGB in Verbindung mit §§ 7,10, 10 a StPO. Allerdings sind die Strafverfolgungszuständigkeiten immer noch uneinheitlich auf Bundespolizei, Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter verteilt. Das Bundesinnenministerium hat zwischenzeitlich die Zuständigkeit seiner Polizeien für Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Piraterie geregelt. Geiselnahmen zum Nachteil deutscher Staatsbürger werden durch das Bundeskriminalamt bearbeitet. Die Zuständigkeit ergibt sich aus § 4 Abs. 1 Nr. 3 a BKA-Gesetz. Der Bundespolizei obliegt die Bearbeitung aller anderen Fallkonstellationen, insbesondere bei Piraterievorfällen mit deutschen Flaggenstaatbezug und bei Geiselnahmen nichtdeutscher Staatsangehöriger. Immerhin haben sich die Innenminister auf der der 193. Sitzung der Innenministerkonferenz dahingehend verständigt, die Länder künftig von Ermittlungsverfahren bei Piraterievorfällen außerhalb deutscher Hoheitsgewässer zu entlasten und diese der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt zu übertragen. Hierzu seien allerdings gesetzliche Novellierungen erforderlich.
Nach § 4 Abs. 1 SeeAufgG seewärts des Küstenmeeres bei der Strafverfolgung zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen gelten die Bestimmungen der StPO entsprechend. Beamte der Bundespolizei sind im Ermittlungsverfahren nach § 4 Abs. § 2 SeeAufgG i.V.m. § 1 Nr.2 a) ZustBV-See Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. In aller Regel trifft die Bundespolizei bei Ermittlungshandlungen im Zusammenhang mit Straftaten außerhalb des Küstenmeeres keine Abgabepflicht selbst bei Ermittlungshandlungen auf deutschem Hoheitsgebiet, sofern die Staatsanwaltschaft nichts anderes bestimmt. Für Ermittlungshandlungen besteht bei der Bundespolizei eine spezialisierte Ermittlungsgruppe See; ferner wurde in Neustadt/Holstein ein Piraterie-Präventionszentrum mit dem Auftrag eingerichtet, national die erforderlichen kriminalpräventiven Maßnahmen zu koordinieren. Das Zentrum offeriert neben Workshops für die maritime Wirtschaft Optimierungsmöglichkeiten bisheriger Verfahrensweisen und betreibt mit einer Vielzahl in- und ausländischer Kooperationspartner ein seespezifisches polizeiliches Informationsmanagement.
Alles in allem kann festgestellt werden, dass die Sicherstellung des Strafverfolgungsanspruches bei seeräuberischen Aktivitäten außerhalb deutscher Hoheitsgewässer nur durch die Bundespolizei gewährleistet werden kann, für deren allfälligen Einsatz die entsprechenden logistischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Bei der Bundespolizei See stehen die entsprechenden Spezialisten zur Verfügung. Dabei kann nicht vertieft werden, dass die Beachtung der Regelungen der StPO bei Strafverfolgungsmaßnahmen auf Hoher See veritable Schwierigkeiten bereitet. Angefangen von der Vorführung vor den Haftrichter über die Verteidigerkonsultation bis hin zur Erwirkung der Anordnung der Durchsuchung eines Piratenschiffes.
Dass in Deutschland das Legalitätsprinzip die Staatsanwaltschaft und die Polizeien verpflichtet, bei Kenntnis von einer Straftat ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen (§§ 152 Abs. 2, 160, 163 StPO), sofern kein reines Antragsdelikt vorliegt und hierbei der Polizei keinerlei Ermessen eingeräumt ist, braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Ein Strafverfolgungsinteresse ist auf jedem Fall anzunehmen, wenn deutsche Staatsbürger Opfer von Straftaten werden, ein Schiff unter deutscher Flagge angegriffen wird oder deutsche Reedereien oder Versicherungen erpresst werden. Bestimmte Ausnahmen betreffend die Durchbrechung des Legalitätsprinzips bei Auslandsstraftaten regeln die §§ 153 c Abs. 1 und § 154 b Abs. 1 StPO.
Ob deutsche Strafverfolgungsbehörden tatsächlich an einer effizienten Verfolgung der Seeräuberei interessiert sind, darf nach den Ergebnissen des ersten und einzigen Prozesses in diesem Kriminalitätsphänomens vorm hamburgischen OLG bezweifelt werden. Er richtete sich gegen 10 Somalier, die 2010 an dem Überfall auf den deutschen Frachter Taipan beteiligt waren. Er dauerte über zwei Jahre, erst am 41. Prozesstag ließ sich überhaupt erst einer der Angeklagten zum Gegenstand der Klage ein. Der Prozess geriet zur Farce, wurde von den Verteidigern jahrelang verschleppt und kostete allein für 20 Verteidiger und 2 Dolmetscher über eine Million Euro. Drei angeblich jugendliche Piraten, deren Alter nicht zweifelfrei festgestellt werden konnte, wurden wegen der zweijährigen Dauer der Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt und gehen berufsfördernden Maßnahmen nach. Den restlichen Verurteilten wird wohl, da sie nicht nach Somalia abgeschoben werden dürfen, nach vorzeitiger Entlassung Asyl gewährt. Familiennachzug steht im Raum. Einer der Verurteilten hat zwei Ehefrauen und neuen Kinder.