Mit Nigerianischem Voodoo-Zauber ans Bordell gefesselt

Vom harten Leben der Verzauberten als Prostituierte in Deutschland, vom Profit der sie ausbeutenden „Madames“, Menschenhändler und Schleuser, von Ermittlungsarbeit und von Statistiken

Von Kriminaloberkommissar Bernhard Busch, Landeskriminalamt Saarland

Rückläufige Fallzahlen, hohes Dunkelfeld


Beginnen wir mit dem letzten Teil der Überschrift, den Statistiken. Das Ende des vergangenen Jahres vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichte „Lagebild Menschenhandel 2012“ weist in seinem Überblick über die Entwicklung im Bereich „Menschenhandel in Deutschland“ für den Menschenhandel aus Nigeria rückläufige Zahlen aus: 13 Opfer von Menschenhandel aus Nigeria werden für 2012 verzeichnet, gegenüber 28 im Jahr 2011. Ein Rückgang um mehr als 50 Prozent!

Frauenhandel bringen wir in Europa häufig mit osteuropäischen Senderländern in Verbindung. Dabei wird oft vergessen, dass jedes Jahr auch tausende Frauen aus Afrika nach Europa verschleppt werden. Gerade der von Armut, Korruption, Bürgerkriegen und Flüchtlingsbewegungen geprägte Westen des Kontinents, hier insbesondere Nigeria, ist Ursprungsgebiet unzähliger Opfer.
Aber auch der „Lagebericht“ sieht diesem Rückgang nicht unbedingt als Erfolg:
„Trotz fortgesetzter Kontrollmaßnahmen ist die Anzahl der nigerianischen Opfer im Jahr 2012 in Deutschland rückläufig. Aufgrund des speziellen Modus Operandi und der im Vergleich zu Angehörigen anderer Nationalität geringeren Aussagebereitschaft der Opfer ist in diesem Deliktsbereich aber von einem vergleichsweise hohen Dunkelfeld auszugehen.“, heißt es im „Lagebericht Menschenhandel 2012“.
Nigeria ist mit seinen knapp 140 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des afrikanischen Kontinents und vereint in sich hunderte von Kulturen und Ethnien. Die Bevölkerung teilt sich in den muslimischen Norden und den christlichen Süden, einige hängen animistischen Religionen an. Nicht nur seine enorme Größe und wirtschaftliche Stärke, sondern auch ständige interne Konflikte um Ressourcen, Religion und die Korruption sind kennzeichnend für Nigeria. Es gehört zu den Ländern, die gehandelte Menschen senden, empfangen und gleichzeitig als Umschlagspunkt genutzt werden. Der südlich gelegene Staat Edo kann als Zentrum des Frauenhandels in Nigeria bezeichnet werden. Schätzungen gehen davon aus, dass über zehntausend Frauen bislang von hier aus allein nach Italien gehandelt worden sind. Dazu sind Holland, Spanien, Schweden, die Schweiz, Deutschland und Großbritannien Empfängerländer für Zwangsprostituierte aus Nigeria. Auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zählen dazu.

Zufallsbefund bei TkÜ führt von Saarbrücken nach Nigeria


Schon seit Jahren ist Saarbrücken eins der zahlreichen Mekkas an der deutsch-französischen Grenze für Männer, die schon immer mal oder auch immer mal wieder ein Bordell besuchen wollten. Frankreich ist für Freier ein schwieriges Pflaster. Bordellprostitution ist schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verboten; mit einer Gesetzesverschärfung 2003 wurde auch die Straßenprostitution weiter eingeschränkt, weitere Gesetzesänderungen durchlaufen zur Zeit die parlamentarischen Beratungen.
Nach dem EU-Beitritt neuer Mitgliedsländer kommen immer mehr und andere Frauen nach Saarbrücken. Viele von ihnen fallen auf die sogenannten Lover-Boys rein; das Ergebnis: Die Frauen arbeiten, die Männer nehmen ihnen das Geld ab. Menschenhandel spielt bei diesem „Zuzug“ vermutlich eine Rolle, ist aber oft schwer nachzuweisen.
Jedenfalls bestätigt sich die kapitalistische Erkenntnis, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Flatrate-Bordelle und Straßenstrich senken auch die Bordell-Preise. Viele der Frauen können sich die Miete im Bordell nicht leisten – das bringt den Straßenstrich nach vorn.
Insgesamt sind Ermittlungen im Zusammenhang mit Prostitution und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft, für die Polizei in Saarbrücken keine Seltenheit. Dabei hat es sich ergeben, dass mehrfach Nigerianerinnen im Zentrum dieser Ermittlungen standen.
Im Zuge einer TkÜ-Maßnahme bei einer Ermittlung gegen einen Bordellbetreiber führte bereits im Jahr 2005 ein Zufallsfund auf eine neue Spur: Unerwartet war plötzlich am Telefon eine afrikanische Sprache zu hören, wobei es zunächst nur eine Vermutung war, dass es sich um eine afrikanische Sprache handelte. Recherchen machten die Vermutung wahrscheinlicher, Letztlich bestätigte ein Wissenschaftler, es könne sich bei der Sprache um Edo handeln, eine afrikanische Sprache, die in Nigeria gesprochen wird.
Treibende Kraft für einen Weggang der Frauen und Mädchen ist oft die ausweglose Situation im eigenen Land: zunehmende Armut, sich verschlechternde Lebensumstände, hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Bildungsmöglichkeiten, ethnische oder religiöse Konflikte und daraus folgende unfreiwillige Umsiedlungen, soziale und wirtschaftliche Diskriminierungen von Frauen und die bis heute verbreitete Polygamie. Manche sind bereits in ihrer Heimat gezwungen, sich zu prostituieren. Da ist der Gedanke, nach Europa zu gehen, für viele gar nicht so abwegig. Manche wissen, welche Art Beschäftigung sie erwartet, andere hoffen auf eine bessere Arbeit. Oft wird die Vorstellung von Europa geradezu verherrlicht – die Erfolgsgeschichten zurückkehrender Frauen, die nicht die ganze Wahrheit erzählen, bestärken sie oft in ihrer Illusion. Die unwürdigen, ausbeuterischen und oft lebensgefährlichen Arbeitsverhältnisse, Gefahren wie HIV/AIDS und andere Geschlechtskrankheiten sowie die überwältigende Zahl der Misserfolge werden vernachlässigt und verdrängt.
Eine Internetrecherche führte schließlich zu einem Essener Studenten aus Nigeria, der bestätigte, dass Edo gesprochen wurde. Er war auch in der Lage zu dolmetschen und begleitete als Dolmetscher die gesamte Ermittlungsarbeit, die sich aus dem Zufallsfund entwickeln sollte.
Das Gespräch, das zufällig im Rahmen der TkÜ-Maßnahme abgehört wurde, hatte eine Prostituierte geführt. Wiederum zufällig und ganz untypisch von einem Telefon im Bordell aus – sie hatte nämlich ihr Handy vergessen. Am anderen Ende der Leitung war ihre „Madame“.
Gegen diese „Madame“ wurde ein getrenntes Ermittlungsverfahren eingeleitet, ebenfalls mit einer TkÜ. Daraus konnte man nach und nach erschließen, wie genau der spezifisch nigerianische „modus operandi“ aussieht, von dem im „Lagebericht“ die Rede ist.
Das Verfahren wurde später vom LKA Stuttgart übernommen. Es wurde das Verfahren „Voodoo“.

Eine nigerianische „Madame“


Eine Madame ist eine ehemalige nigerianische Prostituierte die, so würde sie selbst es vielleicht formulieren, „es geschafft hat.“ Sie hat die Schulden als Prostituierte abbezahlt, sie hat meist ein oder mehrere Kinder von einem deutschen Mann und damit auch einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Sie will einen bestimmten Lebensstandard sichern und hat folgende Finanzierungsquelle gefunden: Sie holt – gegen üppige Bezahlung, versteht sich – eine junge Nigerianerin nach Deutschland. Damit ist die Madame die erste Person in einer verhängnisvollen Reihe von Kriminellen, die eine harte Zeit im Leben ihres zukünftigen Opfers bestimmten werden.

In einer Kultur mit einer solchen Tradition ist es nicht allzu weit zu dem Schritt, die Tochter nach Europa zu schicken, auch wenn es sich bei dem Angebot um Sexarbeit handelt. Wenn in einer Familie mit vielen Kindern nicht alle versorgt werden können, scheint es eine plausible Lösung, ein Kind fortzuschicken, wenn dadurch die Situation der anderen verbessert wird. Die Gefahren sind dabei nicht allen bewusst. Innerhalb des Landes werden Kinder und Jugendliche vor allem aus den östlichen und südlichen Staaten in die großen Städte, aber auch in andere westafrikanische Länder verschleppt. Man schätzt, dass allein innerhalb Nigerias etwa 12 Millionen Kinder und Jugendliche unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Dabei sind die Grenzen zwischen Menschenhandel und freiwilliger Prostitution fließend. Fast immer ist eine dritte Partei involviert, die an die Familien herantritt und die Frauen auffordert, sich auf die „Reise“ einzulassen.
Die Madame findet die junge Nigerianerin im Umfeld ihrer eigenen nigerianischen Familie oder ihres dortigen Lebensumfeldes. Wenn die junge Frau – nicht alle haben schon das 15. Lebensjahr erreicht – ein Leben in Deutschland attraktiv findet, wird sie zunächst angemessen vorbereitet. Hier kommt ein Voodoo-Priester in Spiel.

Ein nigerianischer Voodoo-Priester und sein Voodoo-Zauber


Vor der Abreise wird dann ein Ritual abgehalten, das die jungen Frauen und Mädchen an ihren Händler binden soll. Dieses Ritual wird von so genannten „Witch Doctors“ oder „Juju Priests“ durchgeführt. Sie lassen die Mädchen schwören, dass sie sich den Anweisungen des Händlers nicht widersetzen und erst wieder zurückkehren, wenn sie genug Geld verdient haben. Im Gegenzug schwört der Händler, das Mädchen wohlbehalten in sein neues Land zu begleiten. Es ist üblich, dass der Witch Doctor dazu eine Haarsträhne, Kopf und Schamhaare, einen Fingernagel oder auch ein wenig Blut des Mädchens aufbewahrt und damit den Bann besiegelt. Bei Nichteinhaltung des Paktes drohen beängstigende Strafen: Wahnsinn, Krankheit oder Tod von Familienmitgliedern sind nur einige Beispiele. Schon im Verlauf der Reise werden die Frauen Opfer von sexueller Gewalt, Vergewaltigung, Folter und anderem Missbrauch. Bei der Ankunft im Zielland werden den Opfern alle Papiere abgenommen, sie werden eingesperrt und müssen für die nächsten zwei bis drei Jahre unbezahlt arbeiten, um ihre angeblichen Schulden bei ihrer „Madame“ zu begleichen. Diese „Madames“ sind meist selbst noch sehr jung und kamen auf dem gleichen Weg nach Europa. Der Einsatz von Schwüren und Hexerei macht den Menschenhändlern den Umgang mit nigerianischen Frauen besonders leicht. Die Frauen sind eingeschüchtert durch die traditionelle Macht der Juju Priests und die Schreckensgeschichten anderer Frauen, und so haben die Madames leichtes Spiel mit ihnen. Die italienische Polizei berichtet von Razzien, bei denen Zwangsprostituierte aus Nigeria sich weigerten, ihre Unterkunft zu verlassen oder von Polizeirevieren wegliefen, aus Angst, den Pakt mit ihren Peinigern zu verletzen. Im Rahmen dieser aus europäischer Perspektive eher unappetitlichen Zeremonie müssen die jungen Frauen Tierblut trinken oder sie werden mit Tierblut übergossen, man bringt ihr mit einer Rasierklinge viele winzige Schnitte bei, kleine Büschel Kopf- und Körperhaare, Finger- und Fußnägel werden abgeschnitten und vom Voodoo-Priester in einem Beutel aufbewahrt. Der Inhalt dieses Beutels schafft eine feste Verbindung zwischen Priester und junger Nigerianerin. Sie muss einen Voodoo-Schwur leisten und versprechen, ihrer Madame zu gehorchen, zu tun, was sie verlangt, ihre Schulden abzubezahlen und vieles mehr. Die Schulden sind übrigens erheblich; etwa 50.000 Euro wird die junge Frau an ihre „Madame“ bezahlen müssen, dafür, dass sie sie nach Deutschland geholt hat. Sie glaubt, dass sie durch ihren Schwur fest gebunden ist. Erfüllt sie ihre Versprechen nicht, wird der Voodoo-Zauber gegen sie wirken.



Daran, das hat sich im Verlauf der Ermittlungen immer wieder bestätigt, glauben die jungen Frauen fest.

Die Schleuserbande – gut organisiert und flexibel


Für die Einreise nach Deutschland braucht die junge Frau zunächst mal einen Pass. In Nigeria gibt es keine allgemeine Registrierung der Bevölkerung; Ausweisdokumente werden nur bei Bedarf ausgestellt. Ein in Deutschland lebender Nigerianer übernimmt die Rolle des angeblichen Verwandten, der seine Verwandte aus Nigeria einlädt und die dafür notwenige Verpflichtungserklärung unterzeichnet. Auf einen die Verwandtschaft dokumentierenden fiktiven Namen wird von den nigerianischen Behörden ein Pass ausgestellt, mit diesem Dokument dann ein Visum bei der Deutschen Botschaft in Nigeria beantragt.
Die Reise wird von den Schleusern organisiert. Früher war der Landweg über Libyen und das italienische Lampedusa der Weg der Wahl, inzwischen gibt es auch andere Möglichkeiten. Schleuserorganisationen stellen sich immer wieder schnell auf neue Möglichkeiten ein.
So nutzten sie beispielsweise die Tatsache, dass ein Nigerianer in Polen bei einer Schießerei ums Leben kam. Für angebliche Verwandte wurden in Nigeria Pass und Visum beantragt, um ihnen die Teilnahme an der Beerdigung des vorgeblichen Verwandten zu ermöglichen. Vom polnischen Ankunftsflughafen wurden sie ohne Umweg oder Aufenthalt direkt nach Hannover gefahren und dort in ihrem zukünftigen Beruf als Prostituierte verdingt.
Oder sie nutzen folgenden Weg: Ein in Deutschland lebender Nigerianer spricht bei einer deutschen Klinik wegen der Operation eines angeblich erkrankten angeblichen Verwandten vor. Er erfragt die Kosten der OP und erklärt sich bereit, diese zu übernehmen. Nachdem er eine entsprechende Vorauszahlung geleistet hat, erhält er ein Schreiben der Klinik, das er den Behörden in Nigeria vorlegt. Daraufhin erhält die vorgebliche Verwandte Pass und Visum und kann nach Deutschland einreisen. Die Klinik bekommt sie dort allerdings nicht zu sehen, sondern statt dessen ihre „Madame“. Die Vorauszahlung wird übrigens von der Klinik in der Regel zurückerstattet, wenn der angebliche Verwandte berichtet, dass aus den Gründen x und y die OP doch in Nigeria habe stattfinden müssen. Bei einzelnen Kliniken gibt es hunderte solcher Fälle.
In Deutschland angekommen müssen die eingeschleusten jungen nigerianischen Frauen in jedem Fall ihren Pass bei den Schleusern lassen. Dieser Pass ist das einzige Dokument, das nachweist, wer die Verpflichtungserklärung für die junge Frau unterschrieben hat.

Frauenhandel – ein lukratives Geschäft


Neben den Zuständen im eigenen Land spielen auch die Empfängerländer eine große Rolle. Die Menschenhändler befriedigen mit der konstanten Zufuhr an Frauen eine steigende Nachfrage nach billigem und schnellen Sex mit immer jüngeren Prostituierten in europäischen Ländern.
Studien haben ergeben, dass der Profit aus einer Frau mindestens 20-mal soviel Gewinn einbringt wie der Preis, zu dem sie gekauft wurde. Im Gegensatz zu Drogen können Frauen wiederverkauft werden, und die Gefahr, dabei entdeckt zu werden, ist um ein Vielfaches geringer als im Waffen- und Drogengeschäft. Auch in den Staaten, die internationale Konventionen gegen Menschenhandel ratifiziert haben, ist die Umsetzung aus Kapazitätsgründen bei Polizei und Gerichtsbarkeit meist so mangelhaft, dass die organisierten Händler ungehindert arbeiten können. In Nigeria kommt erschwerend die weit verbreitete Korruption hinzu. Migrationsbehörden und die Polizei in Europa und Afrika stehen vor großen Herausforderungen, wenn es um Beweise für diese Verbrechen geht.

Ankunft und Erstausstattung bei der nigerianischen „Madame“


Nach wenigen Tagen wird die junge Nigerianerin an „ihre Madame“ übergeben. Von ihr bekommt sie ihre Erstausstattung für den zukünftigen Einsatz.
Dazu gehört zunächst ein anderer Pass. Er gehört einer anderen Nigerianerin, die dauerhaft in Deutschland lebt, etwa das Alter der neu Angekommenen hat und die dann ihren Pass als verloren meldet. Mit diesem Pass wird sich die junge Frau zukünftig bei Kontrollen und anderen Gelegenheiten ausweisen.
Dass die beiden Frauen sich nicht unbedingt zum Verwechseln ähnlich sehen, spielt keine Rolle. „Die Weißen können uns sowieso nicht unterscheiden“, meint eine der Betroffenen. Damit hat sie offensichtlich nicht ganz unrecht. Für den „ausgeliehenen“ Pass muss eine erhebliche Summe bezahlt werden, zusätzlich monatliche Leihgebühren.
Zur „Erstausstattung gehört darüber hinaus Reizwäsche als Berufskleidung. Die „Madame“ kümmert sich auch um den ersten ‚Einsatzort’. Das ist in der Regel ein Zimmer in einem Bordell, in dem möglichst auch andere Afrikanerinnen arbeiten und in dem die junge Frau auch schlafen kann. Denn es geht ihr – und, ganz uneigennützig, ihrer „Madame“ – darum, die Nebenkosten möglichst gering und den Reinertrag möglichst hoch zu halten, damit die Schulden möglichst schnell abgezahlt werden. Sie setzen sich zusammen aus dem ursprünglich vereinbarten Betrag für die Beschaffung des Arbeitsplatzes in Deutschland, der Bezahlung von Pass und Nebenkosten, diversen anderen Kosten und belaufen sich letztlich auf 70 000 bis 80 000 Euro.

Lebenswirklichkeit und Alltag der nigerianischen Prostituierten in Deutschland


Die jungen nigerianischen Frauen in Deutschland haben Angst. In Nigeria wird man für fünf Euros von korrupten Polizisten umgebracht; das weiß dort jede und jeder. Entsprechend groß ist die Angst vor der Polizei auch in Deutschland. Außerdem haben die Mädchen Angst vor Weißen, Angst vor Behörden aller Art, besonders vor Ausländerbehörden, denn sie fürchten die Abschiebung. Die Mädchen arbeiten oft rund um die Uhr, um ihre Schulden schnell abbezahlen zu können. Eine von ihnen erzählt, dass sie ihr Bordell in Köln, in dem sie arbeitete, neun Monate lang nicht verlassen hat. Sie ist nicht ein einziges Mal vor die Tür gekommen. Ihre Madame hat ihr Essen, die notwendige Kosmetik und was sie darüber hinaus brauchte, gebracht. Und sie hat am Fließband Freier empfangen, einen nach dem anderen, rund um die Uhr.



Ein anderes Mädchen hat innerhalb von neun Monaten 40.000 Euro an „seine Madam“ zurückgezahlt. Bedenkt man die Kosten für Miete, Essen, Kleidung und so weiter, weiß man, dass sie rund 80 000 Euro verdient haben muss – in neun Monaten!

Ermittlungen wegen Menschenhandels


Bei einem bundesweiten Nigeria-Kontrolltag, zu dem das BKA aufgerufen hatte, nahm die Polizei in Saarbrücken ein schwarzes Mädchen in einem Bordell fest. Die junge Frau gab zunächst an, aus Togo zu stammen. Andere Hinweise deuteten aber auf den Namen einer aus anderen Verfahren bekannten nigerianischen „Madame“ hin und diese Tatsache legte nahe, dass die junge Frau aus Nigeria stammte.
Die Polizei nahm Kontakt mir der Ausländerbehörde auf und erreichte eine dreimonatige Frist für die Vernehmung der jungen Frau. Sie wurde in Kontakt mit einer Frauenorganisation untergebracht und die Ermittler bemühten sich darum, das Vertrauen der jungen Frau zu gewinnen.
Nach und nach machte diese dann ihre Aussage: Sie war eingeschleust worden und erinnerte sich an den Namen, der auf dem Pass stand, mit dem sie eingeschleust worden war. Dieser Name stand im Zusammenhang mit einer in Berlin ansässigen Schleuserorganisation. Am gleichen Tag waren bundesweit zwei weitere Mädchen mit Bezug zur gleichen „Madame“ festgenommen worden. Die drei Verfahren wurden in Saarbrücken zusammengefasst; Ermittlungen gegen die „Madame“ wurden, unter anderem mit TkÜ-Maßnahmen, eingeleitet.
Dabei erfuhr man, dass die betreffende „Madame“ gerade bei der Berliner Schleuser-Bande ein neues „Mädchen“ aus Nigeria bestellt hatte. Die Polizei hätte am liebsten dessen Einschleusung beobachtet, um anschließend handfeste Beweise gegen alle an diesem Menschenhandel Beteiligten in der Hand zu haben. Damit konnte das Auswärtige Amt sich allerdings nicht einverstanden erklären; so war dieser Weg blockiert.
Auch ohne die neue Schleusung zu beobachten, gelang es, genügend Beweise für eine Anklage gegen die „Madame“ und die Schleuser zusammenzutragen. Ein Verfahren gegen sie wurde 2012 beim Landgericht Berlin eröffnet.

Polizeiliches Ermittlungsverfahren wird von Berlin übernommen


Allerdings musste letztlich das polizeiliche Ermittlungsverfahren von Saarbrücken nach Berlin abgegeben werden. Die „Madame“, gegen die ermittelt wurde, wohnte in Bremen. Die Schleuser wohnten in Berlin. Da passte es schlecht in das Konzept der Umstrukturierung der saarländischen Polizei, dass ausgerechnet in Saarbrücken, wo lediglich eine der Zeuginnen des Verfahrens festgenommen worden war, die Ermittlungen geführt wurden. Schließlich entstehen bei diesen Ermittlungen erhebliche Kosten, unter anderem alleine deshalb, weil fast alle relevante abgehörten Gespräche und alle Vernehmungen nigerianischer Zeuginnen von einem Dolmetscher übersetzt werden müssen.
Die Kollegen bei der Berliner Polizei taten sich zunächst schwer mit der Entscheidung, ob bei den Ermittlungen das Delikt „Schleusung“ oder das Delikt „Menschenhandel“ im Vordergrund steht. Letztlich übernahm dann die das Bundespolizeipräsidium das Ermittlungsverfahren gegen die Schleuserorganisation und eröffnete zusätzlich ein Verfahren gegen die Angestellten der Deutschen Botschaft in Nigeria wegen des Verdachts, falsche Pässe und Visa ausgestellt zu haben. Zunächst wurde das Verfahren wegen Menschenhandel weiterhin in Saarbrücken geführt.
Die zusammenfassende Konsequenz aus diesem Bericht soll Klaus Hiller überlassen bleiben, der als Präsident des BKA Baden-Württemberg in einem Vortrag schon 2006 bei der BKA-Herbsttagung feststellte: „Die Bekämpfung des Menschenhandels als besonders menschenverachtende Form der Schleusungsfolgekriminalität verdient ... eine strategische Schwerpunktsetzung. Ich glaube, dass dies und die damit verbundenen langfristigen Auswirkungen nicht wirklich wahrgenommen werden.

  • Menschenhandelsverfahren sind schwierig, zeitlich und personell aufwändig und teuer. Die Abläufe des Menschenhandels tangieren jeweils Teilzuständigkeiten von Bundespolizei, Landespolizei und FKS. Diese Voraussetzungen zwingen zu einer Bündelung unserer Ressourcen bei der Bekämpfung dieses Kriminalitätsfeldes.
  • Fachberatungsstellen für Menschenhandelsopfer sind konsequent einzubinden. Nur durch deren begleitende Maßnahmen kann eine Verbesserung des Schutzes von Menschenhandelsopfern erreicht werden.
  • Die Aufnahme der Grundtatbestände des Menschenhandels in den Katalog des § 100a StPO und die Wiedereinführung des mit dem Prostitutionsgesetz 2002 abgeschafften Tatbestandes der „Förderung der Prostitution“ sollte aufgrund der vor Ort gemachten Erfahrungen angestrebt werden.
  • Deshalb ist es wichtig, das Bund und Länder die Rechtstatsachensammelstelle (RETASAST) beim Bundeskriminalamt nachhaltig unterstützen. Hier müssen die Erfahrungen aus der Praxis dokumentiert und zusammengefasst werden.“

Hillers Vortrag „Herausforderungen und Problemlagen bei konkreten Ermittlungsverfahren – Handlungserfordernisse im Bereich Menschenhandel / Schleusung“ ist in Kurzfassung in der Dokumentation der BKA-Herbsttagung auf der BKA-Webseite nachzulesen. Seine Forderungen haben unverändert Gültigkeit.

Mehr Informationen:


Der Film „Ware Frau“ berichtet über nigerianische Zwangsprostituierte in Deutschland. Er ist abrufbar in der ARD-Mediathek: www.ardmediathek.de/wdr-fernsehen/die-story/die-story-ware-frau-als-zwangsprostituierte-in
Der Vortrag von Klaus Hiller bei der BKA-Herbsttagung 2007 sowie das zitierte Urteil sind als PDF-Dateien unter diesem Artikel hinterlegt.