Kriminalität

Mit Nigerianischem Voodoo-Zauber ans Bordell gefesselt

Vom harten Leben der Verzauberten als Prostituierte in Deutschland, vom Profit der sie ausbeutenden „Madames“, Menschenhändler und Schleuser, von Ermittlungsarbeit und von Statistiken

Ein nigerianischer Voodoo-Priester und sein Voodoo-Zauber


Vor der Abreise wird dann ein Ritual abgehalten, das die jungen Frauen und Mädchen an ihren Händler binden soll. Dieses Ritual wird von so genannten „Witch Doctors“ oder „Juju Priests“ durchgeführt. Sie lassen die Mädchen schwören, dass sie sich den Anweisungen des Händlers nicht widersetzen und erst wieder zurückkehren, wenn sie genug Geld verdient haben. Im Gegenzug schwört der Händler, das Mädchen wohlbehalten in sein neues Land zu begleiten. Es ist üblich, dass der Witch Doctor dazu eine Haarsträhne, Kopf und Schamhaare, einen Fingernagel oder auch ein wenig Blut des Mädchens aufbewahrt und damit den Bann besiegelt. Bei Nichteinhaltung des Paktes drohen beängstigende Strafen: Wahnsinn, Krankheit oder Tod von Familienmitgliedern sind nur einige Beispiele. Schon im Verlauf der Reise werden die Frauen Opfer von sexueller Gewalt, Vergewaltigung, Folter und anderem Missbrauch. Bei der Ankunft im Zielland werden den Opfern alle Papiere abgenommen, sie werden eingesperrt und müssen für die nächsten zwei bis drei Jahre unbezahlt arbeiten, um ihre angeblichen Schulden bei ihrer „Madame“ zu begleichen. Diese „Madames“ sind meist selbst noch sehr jung und kamen auf dem gleichen Weg nach Europa. Der Einsatz von Schwüren und Hexerei macht den Menschenhändlern den Umgang mit nigerianischen Frauen besonders leicht. Die Frauen sind eingeschüchtert durch die traditionelle Macht der Juju Priests und die Schreckensgeschichten anderer Frauen, und so haben die Madames leichtes Spiel mit ihnen. Die italienische Polizei berichtet von Razzien, bei denen Zwangsprostituierte aus Nigeria sich weigerten, ihre Unterkunft zu verlassen oder von Polizeirevieren wegliefen, aus Angst, den Pakt mit ihren Peinigern zu verletzen. Im Rahmen dieser aus europäischer Perspektive eher unappetitlichen Zeremonie müssen die jungen Frauen Tierblut trinken oder sie werden mit Tierblut übergossen, man bringt ihr mit einer Rasierklinge viele winzige Schnitte bei, kleine Büschel Kopf- und Körperhaare, Finger- und Fußnägel werden abgeschnitten und vom Voodoo-Priester in einem Beutel aufbewahrt. Der Inhalt dieses Beutels schafft eine feste Verbindung zwischen Priester und junger Nigerianerin. Sie muss einen Voodoo-Schwur leisten und versprechen, ihrer Madame zu gehorchen, zu tun, was sie verlangt, ihre Schulden abzubezahlen und vieles mehr. Die Schulden sind übrigens erheblich; etwa 50.000 Euro wird die junge Frau an ihre „Madame“ bezahlen müssen, dafür, dass sie sie nach Deutschland geholt hat. Sie glaubt, dass sie durch ihren Schwur fest gebunden ist. Erfüllt sie ihre Versprechen nicht, wird der Voodoo-Zauber gegen sie wirken.



Daran, das hat sich im Verlauf der Ermittlungen immer wieder bestätigt, glauben die jungen Frauen fest.

Die Schleuserbande – gut organisiert und flexibel


Für die Einreise nach Deutschland braucht die junge Frau zunächst mal einen Pass. In Nigeria gibt es keine allgemeine Registrierung der Bevölkerung; Ausweisdokumente werden nur bei Bedarf ausgestellt. Ein in Deutschland lebender Nigerianer übernimmt die Rolle des angeblichen Verwandten, der seine Verwandte aus Nigeria einlädt und die dafür notwenige Verpflichtungserklärung unterzeichnet. Auf einen die Verwandtschaft dokumentierenden fiktiven Namen wird von den nigerianischen Behörden ein Pass ausgestellt, mit diesem Dokument dann ein Visum bei der Deutschen Botschaft in Nigeria beantragt.
Die Reise wird von den Schleusern organisiert. Früher war der Landweg über Libyen und das italienische Lampedusa der Weg der Wahl, inzwischen gibt es auch andere Möglichkeiten. Schleuserorganisationen stellen sich immer wieder schnell auf neue Möglichkeiten ein.
So nutzten sie beispielsweise die Tatsache, dass ein Nigerianer in Polen bei einer Schießerei ums Leben kam. Für angebliche Verwandte wurden in Nigeria Pass und Visum beantragt, um ihnen die Teilnahme an der Beerdigung des vorgeblichen Verwandten zu ermöglichen. Vom polnischen Ankunftsflughafen wurden sie ohne Umweg oder Aufenthalt direkt nach Hannover gefahren und dort in ihrem zukünftigen Beruf als Prostituierte verdingt.
Oder sie nutzen folgenden Weg: Ein in Deutschland lebender Nigerianer spricht bei einer deutschen Klinik wegen der Operation eines angeblich erkrankten angeblichen Verwandten vor. Er erfragt die Kosten der OP und erklärt sich bereit, diese zu übernehmen. Nachdem er eine entsprechende Vorauszahlung geleistet hat, erhält er ein Schreiben der Klinik, das er den Behörden in Nigeria vorlegt. Daraufhin erhält die vorgebliche Verwandte Pass und Visum und kann nach Deutschland einreisen. Die Klinik bekommt sie dort allerdings nicht zu sehen, sondern statt dessen ihre „Madame“. Die Vorauszahlung wird übrigens von der Klinik in der Regel zurückerstattet, wenn der angebliche Verwandte berichtet, dass aus den Gründen x und y die OP doch in Nigeria habe stattfinden müssen. Bei einzelnen Kliniken gibt es hunderte solcher Fälle.
In Deutschland angekommen müssen die eingeschleusten jungen nigerianischen Frauen in jedem Fall ihren Pass bei den Schleusern lassen. Dieser Pass ist das einzige Dokument, das nachweist, wer die Verpflichtungserklärung für die junge Frau unterschrieben hat.

Frauenhandel – ein lukratives Geschäft


Neben den Zuständen im eigenen Land spielen auch die Empfängerländer eine große Rolle. Die Menschenhändler befriedigen mit der konstanten Zufuhr an Frauen eine steigende Nachfrage nach billigem und schnellen Sex mit immer jüngeren Prostituierten in europäischen Ländern.
Studien haben ergeben, dass der Profit aus einer Frau mindestens 20-mal soviel Gewinn einbringt wie der Preis, zu dem sie gekauft wurde. Im Gegensatz zu Drogen können Frauen wiederverkauft werden, und die Gefahr, dabei entdeckt zu werden, ist um ein Vielfaches geringer als im Waffen- und Drogengeschäft. Auch in den Staaten, die internationale Konventionen gegen Menschenhandel ratifiziert haben, ist die Umsetzung aus Kapazitätsgründen bei Polizei und Gerichtsbarkeit meist so mangelhaft, dass die organisierten Händler ungehindert arbeiten können. In Nigeria kommt erschwerend die weit verbreitete Korruption hinzu. Migrationsbehörden und die Polizei in Europa und Afrika stehen vor großen Herausforderungen, wenn es um Beweise für diese Verbrechen geht.

Ankunft und Erstausstattung bei der nigerianischen „Madame“


Nach wenigen Tagen wird die junge Nigerianerin an „ihre Madame“ übergeben. Von ihr bekommt sie ihre Erstausstattung für den zukünftigen Einsatz.
Dazu gehört zunächst ein anderer Pass. Er gehört einer anderen Nigerianerin, die dauerhaft in Deutschland lebt, etwa das Alter der neu Angekommenen hat und die dann ihren Pass als verloren meldet. Mit diesem Pass wird sich die junge Frau zukünftig bei Kontrollen und anderen Gelegenheiten ausweisen.
Dass die beiden Frauen sich nicht unbedingt zum Verwechseln ähnlich sehen, spielt keine Rolle. „Die Weißen können uns sowieso nicht unterscheiden“, meint eine der Betroffenen. Damit hat sie offensichtlich nicht ganz unrecht. Für den „ausgeliehenen“ Pass muss eine erhebliche Summe bezahlt werden, zusätzlich monatliche Leihgebühren.
Zur „Erstausstattung gehört darüber hinaus Reizwäsche als Berufskleidung. Die „Madame“ kümmert sich auch um den ersten ‚Einsatzort’. Das ist in der Regel ein Zimmer in einem Bordell, in dem möglichst auch andere Afrikanerinnen arbeiten und in dem die junge Frau auch schlafen kann. Denn es geht ihr – und, ganz uneigennützig, ihrer „Madame“ – darum, die Nebenkosten möglichst gering und den Reinertrag möglichst hoch zu halten, damit die Schulden möglichst schnell abgezahlt werden. Sie setzen sich zusammen aus dem ursprünglich vereinbarten Betrag für die Beschaffung des Arbeitsplatzes in Deutschland, der Bezahlung von Pass und Nebenkosten, diversen anderen Kosten und belaufen sich letztlich auf 70 000 bis 80 000 Euro.