Kriminalitätsbekämpfung

Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung

Modeerscheinung oder tatsächliche Herausforderung für die Polizei?

Bekämpfung von Menschenhandel auf internationaler Ebene


Verschiedene internationale Rechtsinstrumente befassen sich mit Ausbeutung und Menschenhandel. Die Internationale Arbeitsorganisation führt die Abschaffung der Zwangsarbeit in ihren Kernprinzipien auf, die Vereinten Nationen verfassten das sogenannte Palermo-Protokoll mit dem Ziel, die Bekämpfung des Menschenhandels zu standardisieren. Auch auf Europäischer Ebene gibt es für die jeweiligen Mitgliedstaaten verbindliche Ansätze des Europarates und der Europäischen Union (EU). Internationale Verträge sind nicht immer mit Durchsetzungsmechanismen verbunden. Es gibt aber Regelwerke, deren Nichtbeachtung mit Konsequenzen für die Mitgliedstaaten verbunden sein kann, wie zum Beispiel EU-Richtlinien und die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates. Auch zur Bekämpfung von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung ergeben sich hier Pflichten für Staaten und Behörden.
Die EU-Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer hätte zum ersten April 2013 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Die damalige Bundesregierung brachte kurz vor Fristablauf einen Entwurf ein, in dem sie schrieb, dass das deutsche Recht den Anforderungen der Richtlinie bereits weitgehend entspreche. Für den § 233 StGB enthielt der Entwurf lediglich eine Änderung, der zufolge nunmehr auch Menschenhandel zum Zweck der Ausnutzung strafbarer Handlungen, der Bettelei und der Organentnahme erfasst sein soll28. Im Bundesrat scheiterte dieses Gesetz. Im Hinblick auf die wenigen Urteile zu § 233 StGB und die massive Kritik aus der Praxis muss die Umsetzung der Richtlinie ein Anlass für eine grundlegende Überarbeitung der strafrechtlichen Regelungen sein.
Andere EU-Länder haben praxistauglichere Regelungen implementiert. Im Belgischen Strafgesetz kann der Tatbestand des arbeitsausbeuterischen Menschenhandels auch erfüllt sein, wenn das Opfer mit der Ausbeutung einverstanden ist. Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung ist bereits gegeben, wenn der Täter das Opfer in menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigt oder eine solche Beschäftigung ermöglicht. Dass der Täter den Betroffenen dazu gebracht hat, sich ausbeuten zu lassen, ist für den Grundtatbestand nicht relevant, sondern führt zu höheren Strafen. Für die Opfer stehen umfassende Unterstützungsangebote bereit.
Gesetzesänderungen und rechtliche Möglichkeiten allein sind allerdings nicht ausreichend, um Menschenhandel effektiv zu bekämpfen. Sie müssen einhergehen mit einer hinreichenden Personalausstattung und entsprechender Schwerpunktsetzung. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel einer Telefonüberwachung, die bei einem Verdacht auf Menschenhandel möglich ist: Sowohl für die Durchführung als auch für die Auswertung der gesammelten Daten müssen Ermittler abgestellt werden.
Die Konsequenzen fehlender operativer Maßnahmen zeigen Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Dieser hat die Auslegungshoheit über die Europäische Menschenrechtskonvention, welche in Deutschland als einfaches nationales Gesetz gilt. Artikel 4 der Menschenrechtskonvention verbietet den Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung. Es entstehen daher Handlungspflichten für die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung dieses Phänomens. Es besteht dringender Handlungsbedarf: Denn sowohl fehlende Gesetze als auch mangelnde Kenntnisse des Themas vonseiten der Ermittler und dadurch bedingte Ermittlungsfehler führen dazu, dass Täter nicht belangt und Opfer nicht geschützt werden.
So verurteilte der EGMR Zypern, weil die Polizei in einem Fall Indikatoren für Menschenhandel nicht erkannte und das Opfer dementsprechend weder zu seiner Situation befragte noch Schutzmaßnahmen traf. Stattdessen wurde die Frau wieder zu ihrem Arbeitgeber zurückgeschickt. Der EGMR befand, dass sich die Pflichten Zyperns nicht auf die Ausgestaltung eines Gesetzes beschränkten, sondern dass dieses auch umgesetzt werden muss. Schon administratives Versagen wurde hier als Rechtsverletzung deklariert.29 Das Vereinigte Königreich wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil es gar kein Gesetz gab, das den Anforderungen des vierten Artikels der Menschenrechtskonvention entsprach30.
Der Europarat hat eine spezielle Konvention zur Bekämpfung des Menschenhandels erlassen, die seit 2012 geltendes Recht in Deutschland ist. Wie auch die EU-Richtlinie fordert die Konvention die Mitgliedstaaten auf, zum Thema Menschenhandel zu forschen, für das Thema zu sensibilisieren und professionelle Unterstützungsangebote für Opfer auszubauen. Alle Ermittlungs- und Beratungsstellen, die möglicherweise mit Opfern in Kontakt kommen, sollten hierfür speziell geschult sein. Auch regt die Konvention die Einrichtung einer nationalen Berichterstatterstelle an.
Ob Deutschland diesen Anforderungen gerecht wird, prüft in diesem Jahr eine eigens zur Kontrolle der Menschenhandelskonvention eingesetzte Kommission des Europarates.



Anmerkungen
Bundeskriminalamt, Bundeslagebild Menschenhandel 2012, Seite 9.
Norbert Cyrus, Dita Vogel, Katrin de Boer (2010), Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung. Berlin, verfügbar unter www.gegen-menschenhandel.de/Downloads/BBGM%20Studie%20September%202010.pdf, S.14, zuletzt abgerufen am 14.04.2014.
Bundeskriminalamt, Bundeslagebild Menschenhandel 2012, Seite 10.
Renzikowski im Münchner Kommentar, §233, Rn. 1, S.1118.
Grundtatbestand des §233 Strafgesetzbuch, Absatz 1: Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Beschäftigung bei ihm oder einem Dritten zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, bringt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung einer in Satz 1 bezeichneten Beschäftigung bringt.
Heiner Schneider, Prof. Dr. Michael Schönhuth, Dr. Stephan Thiel (2013), Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Rheinland-Pfalz, Situationsbericht über Erscheinungsformen, Unterstützungsstrukturen und mögliche Handlungsfelder, Seite 44.
Armin Knospe, Arbeitsmigration im Mehrklassensystem, Zesar/ Ausgabe 01 2014, Seite 15.
Heiner Schneider, Prof. Dr. Michael Schönhuth, Dr. Stephan Thiel, (2013) Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Rheinland-Pfalz, Situationsbericht über Erscheinungsformen, Unterstützungsstrukturen und mögliche Handlungsfelder, Seite 39.
Rainer Wehaus, "CDU fordert Hilfe für ausgebeutete Zuwanderer", verfügbar unter www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.fuer-mannheim-cdu-fordert-hilfe-fuer-ausgebeutete-zuwanderer.1a8d0b96-9094-4a81-9511-cf8675127244.html , zuletzt abgerufen am 05.02.2014.
Evangelischer Pressedienst, „Wie moderne Sklaven“, abrufbar unter www.domradio.de/themen/soziales/2014-01-26/soziologe-beklagt-ausbeutung-von-osteuropaeern-deutschland, letzter Aufruf 05.02.2014.
www.stern.de, "Akkordarbeit zum Hungerlohn – Wie osteuropäische Zuwanderer ausgebeutet werden", www.stern.de/tv/sterntv/akkordarbeit-zum-hungerlohn-wie-osteuropaeische-zuwanderer-ausgebeutet-werden-2087503.html, letzter Aufruf 14.04.2014.
Stefan Reichert, „Wanderarbeit Arbeiter ohne Lohn“, Frankfurter Rundschau vom 26.02.2014, www.fr-online.de/frankfurt/wanderarbeit-arbeiter-ohne-lohn,1472798,26345038.html, letzter Aufruf 27.02.2014.
Eurostat Methodologies and Working Papers, Trafficking in Human Beings, abrufhttp://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-is-new/news/news/2013/docs/20130415_thb_stats_report_en.pdf verfügbar unter: ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-is-new/news/news/2013/docs/20130415_thb_stats_report_en.pdf, Seite 13, letzter Aufruf 09.04.2014.
Eisele in Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 28. Auflage, §233 StGB, Rn. 1, Seite 2085.
Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 12.03.2008, Aktenzeichen 3St Js 723/05, abrufbar unter www.kok-buero.de/uploads/tx_t3ukudb/ag_berlin_tiergarten_20_02_2008.pdf.
Renzikowski im Münchner Kommentar, §233 StGB, Rn. 19, Seite 1124.
Herbert Tröndle in Strafgesetzbuch und Nebengesetze; Fischer, Schwarz, Dreher, Tröndle, 61. Auflage, 2013, §232, Rn. 12, Seite 1583.
Eisele in Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 28. Auflage, §233 StGB, Rn. 11, Seite 2087.
Landgericht Augsburg, Urteil vom 26. Februar 2008, Aktenzeichen 9Kls 507 Js 121451/07, abrufbar unter www.kok-buero.de/uploads/tx_t3ukudb/lg_augsburg_18_02_2008.pdf, Seite 12.
Landgericht Augsburg, Urteil vom 26. Februar 2008, Aktenzeichen 9Kls 507 Js 121451/07, abrufbar unter www.kok-buero.de/uploads/tx_t3ukudb/lg_augsburg_18_02_2008.pdf.
André Thielmann, Olga Melyokhina (2013), Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Nordrhein-Westfalen – Erscheinungsformen, Unterstützungsstrukturen und Handlungsbedarf, Seite 27.
Pressemeldung der Gewerkschaft der Polizei vom 11.02.2014, Kampf gegen moderne Lohnsklaverei! Eine Aufgabe für den Zoll, www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/ID/CE2362BC5EE973E5C1257C7D003F5668, letzter Aufruf 27.02.2014.
Fallbeispiel auf der Homepage des Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung: www.buendnis-gegen-menschenhandel.de/search-result;
Bundeskriminalamt, Bundeslagebild Menschenhandel (2011), Seite 15.
Bundesagentur für Arbeit, "Zweites Buch Sozialgesetzbuch Fachliche Hinweise §7 SGB II Leistungsberechtigte", abrufbar unter: www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mdk1/~edisp/l6019022dstbai377919.pdf, letzter Abruf 27. 03. 2014, Randnummer 7.5g "EU-Bürger als Opfer von Menschenhandel", Seite 11.
Landgericht Trier, Aktenzeichen 8045 Js 9059/10.5 KLs, verfügbar unter www.kok-buero.de/uploads/tx_t3ukudb/lg_trier_02_11_2011.pdf, Seite 5.
Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 12.03.2008, Aktenzeichen 3St Js 723/05, verfügbar unter www.kok-buero.de/uploads/tx_t3ukudb/ag_berlin_tiergarten_20_02_2008.pdf, Seite 2.
Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz, verfügbar unter dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/137/1713706.pdf, Seite 1.
Christoph Lindner, Anspruch auf umfassenden Schutz vor Menschenhandel nach Art. 4 EMRK, ZAR 4/ 2010, Seite 142.European Court of Human Rights, Case of C.N.v.The United Kingdom, 13. November 2012, verfügbar unter www.kok-buero.de/uploads/tx_t3ukudb/EGMR_13_11_2012_English.pdf, letzter Aufruf 27. 03. 2014, Seite 4.

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