Kriminalitätsbekämpfung

Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung

Modeerscheinung oder tatsächliche Herausforderung für die Polizei?

Warum sollte gerade wegen Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung ermittelt werden?


Stoßen Beamte auf Fälle von Arbeitsausbeutung, kann es auf den ersten Blick erfolgsversprechender sein, wegen Straftaten wie Lohnwucher, Betrug, illegaler Beschäftigung oder Sozialabgabenbetrug gegen die Täter vorzugehen. Das BKA vermutete ein häufiges Ausweichen auf leichter nachweisbare Taten.24 Schließlich könnte man argumentieren, dass es nicht relevant ist, wegen welchen Delikts es zu einer Strafverfolgung kommt, solange die Täter überhaupt verurteilt würden. Gerade der Tatbestand des Betrugs im Sinne des § 233 StGB ist häufig erfüllt.
Allerdings gibt es diverse Sonderrechte für Opfer von Menschenhandel zur sexuellen und zur Arbeitsausbeutung. Diese Rechte kommen den Betroffenen nicht zugute, wenn sie nur als Opfer anderer Delikte identifiziert werden. Ein Betrugsopfer erhält keine verlängerte Ausreisefrist im Rahmen einer Bedenkzeit vor der Aussage bei den Strafverfolgungsbehörden, wie sie § 59 Absatz 7 AufenthG für Betroffene von Menschenhandel vorsieht und keine Aufenthaltserlaubnis für die Zeit des Strafverfahrens im Sinne des § 25 Absatz 4 a Aufenthaltsgesetz. Die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Nebenklage am Verfahren zu beteiligen und die damit einhergehende Option der Inanspruchnahme eines anwaltlichen Beistands auf Kosten des Staates, der schon während der ersten Vernehmung durch die Polizei anwesend sein kann, bleibt den Betroffenen verwehrt, wenn sie nicht als Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung identifiziert werden. EU-Bürger, die Opfer von Menschenhandel wurden, haben einen leichteren Zugang zu Sozialleistungen nach dem SGB II25. Opfer von Menschenhandel aus Drittstaaten, die eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Absatz 4 a Aufenthaltsgesetz besitzen, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und haben gemäß § 31 Beschäftigungsverordnung Zugang zum Arbeitsmarkt, allerdings nur für die Zeit, in der sie als Zeugen im Strafverfahren gebraucht werden.
Nicht nur für Fälle von Menschenhandel, sondern generell bietet das Strafrecht auch Mittel, um den Tätern die Gewinne aus der Tat zu entziehen. Gerade in Menschenhandelsfällen können diese Gewinne sehr hoch sein. In einem Fall, der ein Urteil zu § 233 StGB zur Folge hatte, warb ein Mann 124 Menschen aus Tschechien an, zahlte keinerlei Abgaben und kaum Lohn. Die Opfer mussten, als die Lohnzahlungen ausblieben, von ihrem Ersparten leben, „standen so wirtschaftlich und persönlich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber und waren auf dessen Wohlwollen angewiesen.“26 Bis zu 14 Stunden täglich an 21 Tagen am Stück arbeiteten die LKW-Fahrer. Der Täter bereicherte sich pro Person und Monat um 1400 Euro. Erst wenn Menschenhandel sich nicht mehr lohnt, wird die Nachfrage sinken. Die Staatsanwaltschaften können dazu beitragen, indem sie Rückgewinnungshilfe leisten und damit arbeitsausbeuterischen Menschenhändlern die Gelder abschöpfen, die diese aus der Straftat ziehen.

Zeugenaussagen trotz Zeitmangels – Kooperation mit Vertrauenspersonen in Beratungsstellen


Bis eine Tat vor Gericht verhandelt wird, sind viele Vorarbeiten zu leisten. Beamte, die sich bemühen, Opfer von Ausbeutung zu identifizieren und zu unterstützen, werden regelmäßig die frustrierende Erfahrung machen, von denjenigen, denen sie helfen wollen, belogen zu werden. Im Baugewerbe gibt es den Begriff des „Gedichts für den Zoll“: Bei Kontrollen geben Arbeitnehmer an, dass sie bei angemessenen Arbeitszeiten den Mindestlohn verdienen, die nötigen Begriffe lernen sie auswendig, falls die deutschen Sprachkenntnisse nicht ausreichen.
Menschen, die unter dem Druck ihrer Arbeitgeber stehen oder befürchten, dass ihnen selbst Bußgelder drohen, die (vermeintliche) Schulden abarbeiten, sich für ihre Lage schämen oder Angst vor den Behördenmitarbeitern haben, scheuen sich oft, die Wahrheit zu sagen, obwohl sie es vielleicht gerne täten. Ermittlungsbeamten, die eine Uniform und eine Dienstwaffe tragen, wirken bereits bedrohlich und es wird dadurch schwerer, ein Vertrauensverhältnis zu den Zeugen aufzubauen. Hinzu kommt, dass sie mit manchen Personen nicht einmal kommunizieren können. Eine umfassende Zeugenbetreuung kann schnell zu einem Full-Time-Job werden. Arbeitgeber schüren gezielt die Angst vor Behörden. In einem Fall von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung drohten die Täter beispielsweise der Betroffenen, dass die deutschen Behörden rassistisch seien und sie zumindest ins Herkunftsland ausweisen oder sogar foltern und töten würden27.
Die Zeugenbetreuung und den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses müssen die Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden jedoch nicht allein leisten, wenn sie sich mit kompetenten Partnern vernetzen. Mitarbeiter in Migrationsfachdiensten, Gewerkschaften, Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel und gewerkschaftsnahe Beratungsstellen für Migranten treffen im Rahmen ihrer täglichen Arbeit häufig auf eben die Personen, die den Behörden nicht vertrauen. Die Berater können ein Vertrauensverhältnis aufbauen, auf Arbeits- und Opferrechte aufmerksam machen und auch die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden nahelegen. Letzteres werden sie jedoch eher dann tun, wenn sie die Beamten der Polizei und des Zolls kennen. Es ist für Behörden und Beratungsstellen sinnvoll, sich im Vorfeld zu vernetzen und regelmäßig Kooperationsmöglichkeiten zu besprechen, um im Ernstfall schnell und ressourcenschonend handeln zu können. Im Bereich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung gibt es Kooperationskonzepte zur Zusammenarbeit von Frauenberatungsstellen und Behörden. Für Fälle von Arbeitsausbeutung, in denen häufig Männer betroffen sind, müssen Kooperationen zum Teil noch etabliert werden.

Gesamtschau der Umstände – Kooperation mit Aufsichtsbehörden


Um ausbeuterische Strukturen aufzudecken kann eine über die Arbeitsbedingungen hinaus gehende Betrachtung der Lebensverhältnisse nötig sein. Dass Menschen sich in einer desolaten Wohnsituation befinden, kann auch daran liegen, dass die Kosten für die Unterkunft vom Lohn abgezogen werden und Arbeits- und Mietverhältnis zusammen hängen. Es bietet sich eine enge Kooperation zwischen Polizei, Zoll, Gewerbeaufsicht und Ordnungsamt an, die eine Gesamtschau der Umstände erlaubt. Im Gegensatz zu den Beratungsstellen hat die Gewerbeaufsicht auch ein Zutrittsrecht und kann so Arbeitsbedingungen in den Betrieben dokumentieren. Eine frühzeitige Zusammenarbeit kann ein schnelles, unkompliziertes und die personellen Kapazitäten schonendes Handeln im Einzelfall ermöglichen. Ein gutes Beispiel ist Belgien. Hier ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit institutionalisiert. In jedem der 27 Gerichtsbezirke gibt es auf Menschenhandel spezialisierte Staatsanwälte, die sich mindestens dreimal jährlich mit Vertretern der Polizei, Arbeitsinspektion und teilweise auch Mitarbeitenden der in Belgien bestehenden Aufnahmezentren für Betroffene von Menschenhandel treffen, um laufende Verfahren und neue Fälle zu besprechen.