Kriminalitätsbekämpfung

Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung

Modeerscheinung oder tatsächliche Herausforderung für die Polizei?

Unsichtbare Verletzlichkeit


Die Mittelosigkeit der Opfer sowie fehlenden Sprach- und Rechtskenntnisse können Strafverfolgungsbehörden relativ schnell erkennen. Andere Faktoren, die zu einer Abhängigkeit vom Arbeitgeber führen, ergeben sich zum Beispiel aus der aufenthaltsrechtlichen Lage der Opfer und sind nicht auf den ersten Blick sichtbar. Bestimmte Zuwanderer müssen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachweisen, um ihren Aufenthaltstitel zu behalten, andere haben gar keinen legalen Zugang zum Arbeitsmarkt, da ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung nicht erlaubt ist. Für Spezialitätenköche, Schaustellergehilfen oder Au Pair – Beschäftigte ist das Aufenthaltsrecht nach §§ 11 ff. Beschäftigungsverordnung an ein bestimmtes Arbeitsverhältnis gebunden. Kündigen sie, entfällt der Aufenthaltsgrund. Menschen, die ohne Aufenthaltstitel in Deutschland leben, können ihre Rechte kaum mit Hilfe von öffentlichen Stellen wahrnehmen, ohne Angst vor einer Meldung bei den Ausländerbehörden zu haben und machen sich durch die unterlassene Ausreise gemäß § 95 Aufenthaltsgesetz schon wegen ihrer bloßen Anwesenheit im Bundesgebiet strafbar.
Dass die Ausländerbehörden in Deutschland Betroffene von Ausbeutung über ihre Rechte informieren müssen, wissen viele Zuwanderer nicht. Aus Angst vor einer Ausweisung scheuen sie den Kontakt. Indem Menschenhändler mit einer Meldung bei den Behörden drohen, auf aufenthaltsrechtliche Konsequenzen hinweisen oder auch Fehlinformationen über bevorstehende Maßnahmen verbreiten, können sie Zwang ausüben, um die Opfer in unangemessenen Arbeitsverhältnissen zu halten. Im Fall angeworbener und entsandter Arbeitnehmer aus EU-Staaten spielt das Aufenthaltsrecht in der Praxis eine kleinere Rolle. Sie können aber abhängig von Vermittlern sein, die Auszahlung der Löhne ist nicht ausreichend sicher gestellt und die Verantwortlichkeiten in den Subunternehmerketten ist unzureichend geregelt.21 Eine besondere Abhängigkeit der Zuwanderer vom Arbeitgeber kann aus wirtschaftlicher Not, aus fehlenden Sprach- und Rechtskenntnissen und bereits aus dem Arbeits- und Aufenthaltsrecht resultieren und zu einer Hilflosigkeit im Sinne des § 233 StGB führen.

Opfer oder Täter?


Die besondere Verletzlichkeit von Zuwanderern zu erkennen, ist der erste Schritt, um Fälle von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sichtbar zu machen. Im zweiten Schritt folgt die Bewertung der Situation. Zur Frage, warum Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung selten strafrechtlich geahndet wird, äußerte sich in diesem Zusammenhang kürzlich die Gewerkschaft der Polizei – Bundesfinanzpolizei selbst. Die Opfer würden von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu häufig nur als Täter verfolgt, da sie nicht in die Sozial- und Steuerkassen einzahlen. Das sei aber im Hinblick auf die wirksame Bekämpfung illegaler Beschäftigung der falsche Schwerpunkt. Die GdP fordert das Bundesfinanzministerium auf, „die Bekämpfung illegaler Beschäftigung als für einen sozialen Rechtsstaat unverzichtbaren Kampf gegen Menschenhandel, Ausbeutung und das Elend der Opfer“ zu betrachten22. Um zu erkennen, ob Menschen von Ausbeutung betroffen sind, bedarf es intensiver und zielgerichteter Kontrollen sowie ausführlicher Vernehmungen. Notwendig sind mehr Zeit und Personal, um die wahren Opfer ermitteln zu können.

Der zweite Blick auf das Arbeitsverhältnis


Beschäftigte, die den Weisungen eines Arbeitgebers folgen und faktisch wie Arbeitnehmer arbeiten, können dennoch ein Gewerbe angemeldet haben und eventuell sogar als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auftreten. Somit sind sie auf dem Papier selbstständig, faktisch aber Arbeitnehmer und kommen ihrer Pflicht zur Zahlung von Sozialabgaben nicht nach. Sprechen die betroffenen Arbeiter jedoch kein Deutsch, wissen nichts vom hiesigen Gesellschafts- oder Arbeitsrecht und geben auf die Fragen der Ermittlungsbeamten nur wie auswendig gelernt klingende Texte als Antwort, so liegt der Verdacht nah, dass sie sich nicht wissentlich und schon gar nicht vorsätzlich in diese sogenannte Scheinselbstständigkeit gebracht haben. Durch die Selbstständigkeit entstehen ihnen eher Nachteile, da sie nicht automatisch kranken- oder sozialversichert und von weiteren Arbeitnehmerrechten ausgeschlossen sind.
Beamte, die hier eine Ausbeutungssituation vermuten, müssen zwar neutral bleiben und können die potentiell Betroffenen nicht mit Suggestivfragen auf Missstände stoßen, welche die Befragten wegen mangelnder Kenntnisse der deutschen Rechtslage vielleicht selbst nicht erkennen. Mit gewisser Empathie für die Arbeitnehmer können ermittelnde Beamte aber dennoch im Hinblick auf mögliche Konstellationen von Arbeitsausbeutung agieren und bestimmte Fragen stellen: Wie gestaltet sich das Arbeitsverhältnis? Wurden andere Arbeitsbedingungen versprochen? Wird regelmäßig Lohn gezahlt? Wie hoch ist der Lohn? Haben die Arbeiter Papiere unterschrieben, die sie nicht verstanden? Sind sie im Besitz ihrer Pässe? Wie lang sind die Arbeits- und Pausenzeiten? Wenden die Arbeitgeber Gewalt an? So können sie Fälle entdecken, in denen tatsächlich eine schwerwiegende Straftat hinter einem unangemessenen Arbeitsverhältnis steckt.

Der zweite Blick auf die Lebensumstände


Treffen Polizisten Menschen ohne Ausweispapiere an, kann sich ebenfalls ein zweiter Blick lohnen. Neben der illegalen Beschäftigung ist auch der illegale Aufenthalt eine Tat, die leichter erkennbar ist, als der Menschenhandel. In einem Urteil aus dem Jahr 2013 wurde ein Mann aus Lateinamerika in einem Au Pair – Verhältnis ausgebeutet. Er arbeitete 80 Stunden pro Woche und bekam keinen Lohn. Sein Aufenthaltsrecht hing an diesem Arbeitsvertrag und die Arbeitgeber hatten ihm den Pass abgenommen, um ihn an sich zu binden23. Als die Arbeitgeber ihn nach der Probezeit nicht übernahmen und sein Visum auslief, zeigten sie ihn wegen illegalen Aufenthalts an.
Trifft die Polizei auf Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel, können Fragen nach den Arbeitsbedingungen zur Klärung beitragen. Im beschriebenen Fall wurde der Mann als Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft identifiziert und bekam eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4 a Aufenthaltsgesetz für die Zeit des Strafverfahrens. Die Täter wurden verurteilt.