Recht und Justiz

Sicherungsverwahrung – Grundrechte im Rahmen der neuen Gesetzgebung



a. Das zweispurige Sanktionsmodell: Strafe und Maßregel

Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung verfolgen unterschiedliche Ziele.36 Strafe kann man als „missbilligende hoheitliche Reaktionen auf ein schuldhaftes Verhalten“37 bezeichnen. Gemäß dem Bundesverfassungsgericht gilt sie „als Ausdruck der vergeltenden Gerechtigkeit und ist damit Reaktion auf ein normwidriges Verhalten“.38 Maßregeln hingegen dienen der Besserung und Sicherung und haben vorbeugenden Charakter. Sie werden auf Grund der vom Täter ausgehenden Gefahr unabhängig von seiner Schuld angeordnet.39

b. Einordnung der Sicherungsverwahrung

Um die Sicherungsverwahrung einzuordnen, könnte man einerseits mit dem Bundesverfassungsgericht auf die unterschiedlichen Ziele von Strafe und Maßregel abstellen.40 Demnach wird die Strafe verhängt, um Schuldausgleich zu erreichen und die Maßregel vollzogen, um die Allgemeinheit zu schützen.41 Andererseits kann man, wie es der EGMR hinsichtlich Art. 7 EMRK tat, den Begriff „Strafe“ autonom auslegen.42 Ausgangspunkt ist dabei, ob die Maßnahme nach Verurteilung wegen einer Straftat auferlegt worden ist.
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind Strafe und Sicherungsverwahrung als Maßregel voneinander abzugrenzen. Dabei kommt es zwischen der Sicherungsverwahrung und der Freiheitsstrafe zu Überschneidungen: Zum einen hat die Anordnung der Sicherungsverwahrung an eine rechtswidrige und schuldhafte Anlasstat zur Voraussetzung (dazu unter aa.). Zum anderen soll der Vollzug der Sicherheitsverwahrung in Abgrenzung zur Freiheitsstrafe betrachtet werden (dazu unter bb.).


aa. Anknüpfung an eine rechtswidrige und schuldhafte Tat

Das Bundesverfassungsgericht verneint eine Anknüpfung an eine rechtswidrige und schuldhafte Tat, da die Sicherungsverwahrung keine Reaktion auf die in der Anlasstat verwirklichte Schuld darstelle, sondern eine Reaktion auf die sich in der Anlasstat manifestierende Gefährlichkeit des Täters sei.43 Dies überzeugt, da die Voraussetzung einer rechtswidrigen schuldhaften Tat dann auch als einschränkende Voraussetzung verstanden werden kann, die den Kreis potentieller Verwahrter einschränkt.44


bb. Unterschiede im Vollzug: Das Abstandsgebot

Ein weiterer Unterschied zwischen Maßregel und Strafe soll der Vollzug sein. Der Soll-Zustand des Vollzuges ist das 2004 vom Bundesverfassungsgericht eingeführte und 2011 konkretisierte Abstandsgebot. Es beruht auf unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Legitimationsgrundlagen und Zwecksetzungen von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung. Der schuldunabhängige Freiheitsentzug muss sich von der Strafe qualitativ unterscheiden.45 Das Bundesverfassungsgericht spricht von einem „freiheitsorientierten Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung mit klarer therapeutischer Ausrichtung“.46 Die Verwahrungssituation soll so beschaffen sein, dass sie den „allein spezialpräventiven Charakter der Maßregel sowohl dem Verwahrten als auch für die Allgemeinheit deutlich macht“. Dabei kann es partielle Überschneidungen mit dem regulären Strafvollzug geben.47
§ 130 StVollzG, der nach Art. 125a Abs. 1 GG anzuwenden war, solange keine landesrechtlichen Regelungen vorhanden waren, normierte, dass die Vorschriften über den Freiheitsentzug, sofern nichts anderes bestimmt war, auch auf die Sicherungsverwahrung Anwendung finden. Inzwischen haben die Bundesländer jedoch neue Regelungen geschaffen, um den Verwahrten einen „angenehmeren“ Vollzug ermöglichen. Maßgabe war dabei die Feststellung des BVerfG, dass Möglichkeiten der Besserstellung im Vollzug soweit ausgeschöpft werden sollen, wie sich dies mit den Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt.48 Die Verwahrungsbedingungen sollten, soweit die Sicherungsbelange es zulassen, an den allgemeinen Lebensbedingungen angepasst werden. Die Sicherungsverwahrten sollten getrennt vom Strafvollzug untergebracht werden, einen räumlichen Abstand von den Gefängnisanstalten verlangte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht.49
Die Bundesländer haben diese Vorgaben umgesetzt. So erfolgt nun Trennung der Sicherungsverwahrten von den normalen Strafgefangenen.50 Vor dem BVerfG Urteil 2011 erfolgte eine Trennung von den Strafgefangenen nur in manchen Vollzugsanstalten, ebenso gab es nicht immer gesonderte Räume für die Freizeitgestaltung.51 Die Einzelhaftraumunterbringung wurde beibehalten, jedoch wird sie nun in Wohngruppen organisiert.52 Während es vor 2011 häufig nur einen verlängerten Aufenthalt im Gefängnishof gab, haben die Sicherungsverwahrten heute Bewegungsfreiheit in ihrem Bereich und im Außenbereich.53 Vor 2011 erhielten Sicherungsverwahrte zusätzliche Besuchsstunden, heute ist es kodifiziert. Schleswig-Holstein gibt es beispielsweise mindestens zehn Stunden, Bayern mindestens zwölf Stunden im Monat.54 Ein Strafgefangener erhält im Vergleich nach § 24 Abs. 1 StVollzG mindestens eine Stunde Besuchszeit im Monat. Ebenso wurde ein erhöhtes Arbeitsentgelt kodifiziert. Das Arbeitsentgelt beträgt 16 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV während ein Strafgefangener lediglich 9 % der Bezugsgröße erhält.55 Bereits vor 2011 konnten Sicherungsverwahrte zusätzliche Pakete empfangen, während ein Strafgefangener nach § 33 StVollzG dreimal jährlich in angemessenen Abständen Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln erhalten darf. Sicherungsverwahrte dürfen heute Pakete erhalten.56

c. Zwischenergebnis

Die bloße Unterscheidung anhand von Kategorien Maßregel und Strafe kann nicht ausreichend sein, da so allein durch Bezeichnung als Maßregel durch bloße Terminologie Maßnahmen dem Grundrechtsschutz entzogen werden könnten. Es sind daher weitere Aspekte hinzuzunehmen. Entscheidend muss die Ausgestaltung des Vollzugs sein. Das BVerfG monierte zu Recht, dass sich der Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung sehr ähnelten. Die geringen Privilegien der §§ 131 bis 134 StVollzG hingen zudem auch von ihrer Realisierungsmöglichkeit und damit auch von Budgetzwängen ab.
Die Verbesserungen müssen sich an dem vom BVerfG geforderten freiheitsorientierte Gesamtkonzept messen lassen. Es darf nicht bloß eine Fortsetzung der Freiheitsstrafe und geringfügig angenehmeren Umständen sein. Die Trennung von den Strafgefangenen, die Einzelräume, die Bewegungsfreiheit auch im Außenbereich und die deutlich höhere Anzahl an Besuchsstunden sind ausschlaggebend für einen verfassungsgemäßen Abstand zu den normalen Strafgefangenen. Allerdings sollten sich die Landesgesetzgeber ermuntert fühlen, den Abstand zum Strafvollzug zugunsten der Sicherungsverwahrten dort wo möglich weiter zu erhöhen, um das Ziel, das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen und den Untergebrachten ein Leben in Würde und weitgehender Selbstbestimmung zu ermöglichen,57 zu erreichen.